L 11 B 530/05 SO ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
11
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 5 SO 79/05 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 B 530/05 SO ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Unter Abänderung des Beschlusses des Sozialgerichts Bayreuth vom 14.09.2005 wird der Antragsgegner verpflichtet, die Schulden der Antragstellerin aus der Stromlieferung in Höhe von 1.795,49 EUR darlehensweise zu übernehmen und direkt an die E.ON Bayern AG auszubezahlen, sobald die Antragstellerin gegenüber der Arbeitsgemeinschaft SGB II Kulmbach verbindlich erklärt hat, dass von den laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ab dem 01.01.2006 die Abschlagszahlungen für Stromkosten direkt an den Stromlieferer und ein weiterer Betrag von monatlich 100,00 EUR direkt an den Antragsgegner zur Begleichung dieses Darlehens ausbezahlt werden.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Übernahme von Kosten für Stromverbrauch.

Die Antragstellerin (ASt) bezieht ausweislich eines Änderungsbescheides vom 26.10.2005 von der Arbeitsgemeinschaft SGB II Kulmbach Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zeiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 01.12.2005 bis zum 31.05.2006 in Höhe von monatlich 1.210,81 EUR.

Am 29.08.2005 beantragte sie beim Sozialgericht Bayreuth (SG), den Antragsgegner (Ag) im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes zu verpflichten, den Nachzahlungsbetrag aus der Stromjahresrechnung für 2004 in Höhe von 849,00 EUR zu übernehmen.

Sie habe von der E.ON Bayern AG die Stromjahresrechnung für 2004 erhalten, wonach sie 894,00 EUR nachzahlen müsse. Ihren Antrag vom 28.07.2005 an den Ag, diese Stromschulden zu übernehmen, habe dieser mit Schreiben vom 29.07.2005 abgelehnt. Sie habe Energie nicht unwirtschaftlich eingesetzt. Die alten Nachtspeicheröfen hätten aber einen hohen Stromverbrauch. Auch der Warmwasserboiler benötige sehr viel Strom. Zudem habe die E.ON Bayern im Jahre 2004 den Strompreis um ca. 6 % erhöht.

Der Ag beantragte, den Antrag abzulehnen.

Eine telefonische Anfrage vom 30.08.2005 bei der E.ON Bayern habe ergeben, dass die ASt am 10.08.2005 einen Betrag in Höhe von 750,00 EUR dort bar eingezahlt habe. Damit sei die Jahresabrechnung lt. Auskunft der E.ON Bayern für 2004 ausgeglichen. Weiterhin sei aber ein Betrag von insgesamt 1.210,49 EUR offen, der sich im Wesentlichen aus nicht bezahlten monatlichen Abschlägen in Höhe von 213,49 EUR für März 2005 und jeweils 248,00 EUR für die Monate Mai bis August 2005 zusätzlich Mahngebühren zusammensetze. Eine Strompserre komme erst nach erneut angedrohter Mahnung in Betracht. Im Übrigen sei der Ag für die Übernahme der Stromkosten seit dem 01.01.2005 nicht mehr zuständig, weil die ASt Arbeitslosengeld II beziehe.

Mit Beschluss vom 14.09.2005 lehnte das SG den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ab. Die Sache sei nicht eilbedürftig. Eine Stromsperre wegen der Jahresnachzahlung für 2004 erfolge nicht.

Hiergegen erhob die ASt ihren beim SG am 20.09.2005 eingegangenen Widerspruch. Die 750,00 EUR, die sie an die E.ON geleistet habe, seien nicht für die Stromjahresnachzahlung gewesen, sondern für rückständige Abschläge. Sie verbrauche den Strom nicht unwirtschaftlich. Ihr Abschlag liege im normalen Bereich.

Sie beantragt sinngemäß, den Ag unter Aufhebung des Beschlusses des SG Bayreuth vom 14.09.2005 zur Übernahme der Stromkosten aus der Jahresrechnung 2004 in Höhe von 894,00 EUR sowie zur Übernahme der laufenden Abschlagszahlungen bzw. der Stromschulden aus dem Jahre 2005 zu verpflichten.

Der Ag beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Für die Bewilligung von Kosten für Heizung und Haushaltsstrom sei er nicht zuständig. Die ASt beziehe von der Arbeitsgemeinschaft SGB II Kulmbach Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Die Schulden aus dem Jahre 2004 seien lt. Auskunft der E.ON Bayern getilgt. Die jetzt bestehenden Stromschulden resultierten lt. Auskunft der E.ON Bayern daraus, dass teilweise im März 2005 und in den Monaten Mai bis August 2005 keine Abschlagszahlungen seitens der ASt mehr gezahlt worden seien, obwohl die ASt Arbeitslosengeld II beziehe und sowohl Heizkosten als auch Haushaltsstrom mit den monatlichen Leistungen an die Bedarfsgemeinschaft ausgezahlt würden.

Auf Anfrage des Gerichts vom 10.10.2005 teilte die E.ON Bayern mit Schreiben vom 29.11.2005 mit, einschließlich der Forderung aus der Jahresabrechnung vom 29.01.2005 für das Jahr 2004 in Höhe von 849,50 EUR beliefen sich die Forderungen aus Stromlieferung gegen die ASt auf insgesamt 3.125,49 EUR. Hiervon habe die ASt am 15.03.2005 210,00 EUR, am 08.07.2005 170,00 EUR, am 10.08.2005 750,00 EUR und am 05.09.2005 200,00 EUR, insgesamt also 1.330,00 EUR, beglichen, so dass sich die noch offenen Forderungen auf 1.795,49 EUR beliefen. Ein vereinbarungsgemäß am 24.10.2005 erstellter Ratenplan sei wegen Nichteinhaltung der Zahlungstermine von der E.ON Bayern deaktiviert worden. Ein erneuter Ratenplan sei nunmehr nicht möglich. Am 27.11.2005 sei ein Inkassoauftrag erstellt worden. Die Sperrung der Stromlieferung werde in den kommenden Tagen durchgeführt.

Die ASt erklärte gegenüber dem Bayer. Landessozialgericht bei einer Vorsprache am 05.12.2005, ihr monatlicher Abschlag für Strom betrage 248,00 EUR. Die Agentur für Arbeit (gemeint: die Arbeitsgemeinschaft) zahle monatlich 428,40 EUR für Unterkunft und Heizung. Die Miete betrage 450,00 EUR zuzüglich 45,00 EUR Nebenkosten. Die Differenz könne nicht aufgebracht werden. Der genehmigte Ratenplan vom 24.10.2005 sei zu hoch gewesen und habe nicht erfüllt werden können. Als sie einen Chipzähler habe einbauen lassen wollen, sei ihr gesagt worden, dass momentan keiner frei sei. Ihr monatliches Einkommen betrage 1.210,81 EUR zuzügl. 462,00 EUR Kindergeld. Sie biete deshalb monatliche Raten in Höhe von 100,00 EUR für die noch offenen Beträge an.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten in beiden Instanzen sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde - als solche legt der Senat den "Widerspruch" der ASt vom 19.07.2005 aus - ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen (§ 174 SGG).

Die Beschwerde ist jedoch nur zum Teil begründet. Das SG hat es zu Recht abgelehnt, den Ag im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, die rückständigen Stromkosten aus der Jahresrechnung 2004 zu übernehmen. Hingegen ist der Ag verpflichtet, die im Jahre 2005 aufgelaufenen Stromkosten darlehensweise gemäß § 34 SGB XII zu übernehmen.

Eine einstweilie Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (Regelungsanordnung) ist zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs 2 Satz 2 SGG). Das ist etwa dann der Fall, wenn der ASt ohne eine solche Anordnung schwere oder unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1988 BVerfGE 79, 69/74 und vom 19.10.1977 BVerfGE 46, 166/179; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4.Aufl 2005, Rdnr 643).

Eine solche Regelungsanordnung setzt aber voraus, dass die ASt Angaben zum Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das in der Regel die Eilbedürftigkeit - und zum Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den sie ihr Begehren stützt - glaubhaft machen kann (§ 86b Abs 2 Sätze 2, 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 Abs 1 Zivilprozessordnung; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8.Aufl 2005, § 86b Rdnr 41).

Bei der hier erforderlichen Überprüfung der Sach- und Rechtslage (vgl. dazu im Einzelnen BVerfG vom 12.05.2005 NDV-RD 2005, 59) zeigt sich, dass das Begehren der ASt auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes in der Sache teilweise Erfolg hat.

Soweit die ASt den Ag im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zur Übernahme ihrer rückständigen Stromkosten aus dem Jahre 2004 verpflichtet wissen will, hat ihr Antrag schon deshalb keinen Erfolg, weil, wie das SG zutreffend entschieden hat, diese Forderungen bereits erfüllt sind. Die ASt hat nach Erhalt ihrer Jahresabrechnung für das Jahr 2004 vom 29.01.2005 am 15.03.2005 210,00 EUR, am 08.07.2005 170,00 EUR und am 10.08.2005 750,00 EUR, den letztgenannten Betrag bar, bei der E.ON Bayern eingezahlt. Insbesondere die Einzahlung/Quittung Nr 03316 vom 10.08.2005 enthält keinen Zusatz der ASt, auf welche offenen Beträge dieser Betrag zu verrechnen sei. Die E.ON Bayern konnte deshalb mangels anderweitiger Bestimmung durch den Schuldner von der Möglichkeit Gebrauch machen, selbst zu bestimmen, welche Schuld getilgt werden soll (vgl. dazu § 366 Abs 2 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-). Sie hat diese Bestimmung auf telefonische Anfrage vom 30.08.2005 des Ag dahin getroffen, dass sie die älteste Schuld, d.h. die Jahresnachzahlung 2004 beglichen haben wollte, die damit erloschen ist. Eine nachträgliche Bestimmung, wie sie die ASt in ihren Schreiben vom 15. und vom 17.09.2005 treffen will, sieht § 366 Abs 1 BGB nicht vor.

Im hier anhängigen einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist der Senat deshalb zur Überzeugung gelangt, dass der Forderungsbetrag aus der Jahresrechnung vom 29.01.2005 erloschen ist und für die Bewilligungszeiträume bis zum 31.12.2004 keine offenen Stromkosten mehr anstehen. Anderes hat die ASt jedenfalls nicht glaubhaft gemacht.

Für die laufenden Stromkosten ab dem 01.01.2005 hat der Ag nicht aufzukommen, weil die ASt Leistungen nach dem SGB II bezieht, da die Leistungen nach dem SGB XII grundsätzlich vorrangig sind. Der Ag ist insoweit nicht passiv legitimiert.

Anders verhält es sich hingegen hinsichtlich der bis zur Entscheidung des Beschwerdegerichtes aufgelaufenen Schulden aus der Stromlieferung im Jahre 2005, die sich ausweislich der Berechnung der E.ON Bayern vom 29.11.2005 zu diesem Zeitpunkt auf 1.795,49 EUR belaufen.

Der Ag ist gemäß § 34 Abs 1 Satz 1 SGB XII zur Übernahme dieser Schulden verpflichtet. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die ASt Leistungen für Stromverbrauch laufend seit dem 01.01.2005 von der Arbeitsgemeinschaft SGB II Kulmbach erhalten hat. Gleichwohl liegen die Voraussetzungen des § 34 Abs 1 Satz 1 SGB XII vor. Es ist insbesondere zur Behebung einer der Obdachlosigkeit vergleichbaren Notlage gerechtfertigt, der ASt diese Schulden aus dem Stromlieferungsvertrag zu erstatten. Es ist in ständiger Rechtsprechung anerkannt, dass eine solche vergleichbare Notlage im Sinne des § 34 Abs 1 Satz 1 SGB XII vor allem dann besteht, wenn wegen Stromschulden eine Wohnung unbewohnbar wird, etwa weil sie im Winter nicht mehr beheizbar ist, dort nicht gekocht werden kann oder der Gesundheitszustand der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft aufgrund des Entzugs der Haushaltsenergie gefährdet ist (vgl. dazu Linhart/Adolph, SGB II, SGB XII und AsylbLG, Stand: August 2005, § 34 Rdnr 3; Birk in LPK-SGB XII, 7.Aufl 2005, § 34 Rdnr 7). Ein Anordnungsanspruch ist mithin glaubhaft gemacht. Ebenso kann von dem Vorliegen eines Anordnungsgrundes ausgegangen werden, nachdem die E.ON Bayern mit Schreiben vom 29.11.2005 die Stromsperre für die nächsten Tage angedroht hat.

Im Hinblick auf die o.a. Gefährdungslage der gesamten Bedarfsgemeinschaft erscheint dem Senat das Ermessen des Ag, ob die Schulden hier zu übernehmen sind, auf Null reduziert.

Die Verpflichtung des Ag, zur Behebung einer der Wohnungslosigkeit vergleichbaren Notlage die Schulden aus der Stromlieferung zu übernehmen, besteht aber zur Überzeugung des Senats nur dann, wenn durch begleitende Maßnahmen gesichert ist, dass die ASt die Leistungen nach dem SGB II vorrangig zur Deckung ihrer Unterkunfts- und Stromkosten verwendet. Der Ag ist deshalb nur dann zur darlehensweise Übernahme der Stromkosten verpflichtet (§ 34 Abs 1 Satz 3 SGB XII), wenn die ASt gegenüber der Arbeitsgemeinschaft SGB II Kulmbach verbindlich erklärt hat, bis zu einer etwaigen Entscheidung in der Hauptsache mit der Ausbezahlung der monatlichen Stromabschlagszahlungen ab 01.01.2006 direkt an den Stromversorger einverstanden zu sein und zudem mit der Auszahlung von monatlich 100,00 EUR ab dem 01.10.2006 an den Ag zur Begleichung dieses Darlehens einverstanden zu sein. Letzteres hat sie selbst angeboten.

Dem Senat erscheint unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dieser Weg als geeignet, erforderlich und angemessen, um die Notsituation der ASt einerseits zu beseitigen und andererseits den berechtigten Interessen des Sozialhilfeträgers zu folgen.

Der ASt wird anheim gestellt, sich hinsichtlich ihres erhöhten Strombedarfs (Nachtspeicheröfen usw.) an die Arbeitsgemeinschaft SGB II Kulmbach zu wenden, damit geprüft werden kann, ob eine abweichende Erbringung von Leistungen gemäß § 23 Abs 1 SGB II möglich erscheint.

Die Beschwerde hat nach alledem nur in diesem Umfang Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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