L 16 B 82/05 KR

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 8 KR 117/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 B 82/05 KR
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 14.09.2005 geändert. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Gründe:

I.

Mit Bescheid vom 14.10.2004, dem keine Rechtsmittelbelehrung beigefügt war, lehnte die Beklagte die Bewilligung von häuslicher Krankenpflege für die Zeit vom 12.10. bis zum 31.10.2004 ab. Den dagegen gerichteten Widerspruch nahm die 1926 geborene Klägerin ohne weitere Begründung mit Datum vom 15.02.2005 zurück.

Am 20.04.2005 übersandten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin unter Bezugnahme auf deren Widerspruch und unter Vorlage einer Prozessvollmacht eine Begründung. Auf den Hinweis der Beklagten, die Klägerin habe den Widerspruch zurückgenommen, die Angelegenheit werde als erledigt betrachtet, legten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 27.05.2005 nochmals Widerspruch gegen die Ablehnung der häuslichen Krankenpflege ein. Daraufhin teilte die Beklagte den Prozessbevollmächtigten der Klägerin unter dem 14.06.2005 mit, das Vorverfahren sei mit Rücknahme des Widerspruchs rechtskräftig abgeschlossen. Es könne nicht nachvollzogen werden, dass nunmehr erneut Widerspruch eingelegt werde, da kein weiterer Bescheid erteilt worden sei. Falls der Klägerin ein anderer Bescheid als derjenigen vom 14.10.2005 vorliege, möge sie dies mitteilen; ansonsten werde die Angelegenheit als erledigt betrachtet.

Am 23.06.2005 hat die Klägerin Untätigkeitsklage, gerichtet auf Bescheidung des (erneuten) Widerspruchs, zum Sozialgericht Dortmund erhoben und geltend gemacht, innerhalb der wegen Fehlens der Rechtsmittelbelehrung geltenden Jahresfrist des § 66 Abs. 2 S. 1 i. V. m. Abs. 1 und § 84 Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei jederzeit erneut die Einlegung eines Widerspruchs möglich; die Rücknahme des zunächst von der Klägerin persönlich erhobenen Widerspruchs stehe dem nicht entgegen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.08.2005 hat die Beklagte den erneuten Widerspruch der Klägerin als unzulässig zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie darauf abgestellt, mit der Erhebung des Widerspruchs beginne das Vorverfahren gemäß § 83 SGG. Gleichzeitig ende damit die Rechtsmittelfrist, weil ihr Zweck - nämlich die Einleitung eines Vorverfahrens - erfüllt sei. Sie beginne nicht erneut zu laufen, wenn der Widerspruch zurückgenommen werde. Mit seiner Rücknahmeerklärung verzichte der Kläger/die Klägerin auf die Fortsetzung des Vorverfahrens und verliere somit das Recht, erneut gegen den angefochtenen Verwaltungsakt vorzugehen.

Daraufhin hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin den (Untätigkeits-)Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt und beantragt,

der Beklagten die außergerichtlichen Kosten der Klägerin aufzuerlegen.

Die Beklagte hat sinngemäß beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, die Untätigkeitsklage sei unzulässig gewesen. Der (erneute) Widerspruch sei innerhalb der 3-Monats-Frist des § 88 Abs. 2 SGG beschieden worden.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 14.09.2005 den Antrag der Klägerin, der Beklagten ihre außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen, abgelehnt. Zur Begründung hat das Sozialgericht darauf abgestellt, dass die Untätigkeitsklage bei Eingang der Klageschrift unzulässig gewesen sei. Die 3-Monats-Frist des § 88 Abs. 2 SGG sei, ausgehend, von der Einlegung des Widerspruchs am 27.05.2005, bei Klageerhebung noch nicht abgelaufen gewesen.

Am 26.09.2005 haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen den ihnen am 22.09.2005 zugestellten Beschluss Beschwerde erhoben. Sie machen geltend, die Beklagte habe ohne weiteres erkennen können, dass sich der erneute Widerspruch gegen den Bescheid vom 14.10.2004 gerichtet habe, auch wenn dieser nicht ausdrücklich genannt worden sei. Der Widerspruch habe auf die Ablehnung der Gewährung häuslicher Krankenpflege für die Zeit vom 12.10. bis zum 31.10.2004 Bezug genommen. Mit ihrer im Schreiben vom 14.06.2005 geäußerten Rechtsauffassung habe die Beklagte deutlich gemacht, dass für sie das Vorverfahren - endgültig - abgeschlossen sei. Hierin habe eine endgültige Ablehnung der Bescheidung des (erneuten) Widerspruchs gelegen. Die Erhebung der Untätigkeitsklage sei damit auch bereits vor Ablauf der 3-Monats-Frist zulässig gewesen. Die Beklagte vertritt dem gegenüber die Auffassung, der Hinweis auf den Abschluss des Vorverfahrens habe sich nur auf den zuvor von der Klägerin persönlich eingelegten und wieder zurückgenommenen Widerspruch bezogen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht eine Kostentragungspflicht der Beklagten abgelehnt.

Gemäß § 193 Abs. 1 S. 3 i. V. m. S. 1 SGG entscheidet das Gericht auf Antrag durch Beschluss, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn das Verfahren anders (als durch Urteil) beendet wird. Im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung ist der bisherige Sach- und Streitstand zu berücksichtigen. Maßgebend sind u. a. die Erfolgsaussichten der Klage sowie die Gründe für die Klageerhebung und die Erledigung. Danach entspricht es der Billigkeit, der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits, der sich gemäß § 102 S. 2 i. V. m. § 88 Abs. 1 S. 3 SGG erledigt hat, aufzuerlegen. Zwar hat die Klägerin die Untätigkeitsklage innerhalb der Frist des § 88 Abs. 2 SGG erhoben und die Beklagte den Widerspruchsbescheid vor deren Ablauf erlassen. Zulässigkeitsvoraussetzung der Untätigkeitsklage ist, dass zwischen der Einlegung des Widerspruchs und der Erhebung der Klage ein Zeitraum von drei Monaten verstrichen ist (sog. Wartefrist). Der Ablauf der Wartefrist ist danach Prozessvoraussetzung und kann in der Regel nicht unterschritten werden (Bundessozialgericht -BSG-, BSGE, 72, 118, 121 m. w. N.; Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 8. Aufl. 2005, § 88 RdNrn. 5 f.). Die Einhaltung dieser Frist ist aber dann nicht erforderlich, wenn die Behörde eine Entscheidung über den Widerspruch eindeutig und unmissverständlich abgelehnt hat. In diesem Fall fehlt für das Abwarten der Frist jeder sachliche Grund. Zweck der Wartefrist ist es, der Behörde eine angemessene Zeit für die Entscheidung einzuräumen. Dieser Zweck scheidet aus, wenn die Behörde es ausdrücklich ablehnt, eine Entscheidung über den eingelegten Widerspruch zu treffen (BSG, a. a. O.). So liegt der Fall hier. Mit Schreiben vom 14.06.2005 hat die Beklagte eindeutig zum Ausdruck gebracht, mit der Rücknahme des zunächst von der Klägerin persönlich eingelegten Widerspruchs sei das Vorverfahren rechtskräftig abgeschlossen. Die Angelegenheit werde als erledigt betrachtet. Eine Befassung mit dem (erneuten) Widerspruch hat die Beklagte lediglich für den Fall in Aussicht gestellt, dass die Prozessbevollmächtigten der Klägerin einen weiteren - anderen - Bescheid benennen, gegen den sich der (erneute) Widerspruch richte. Die Beklagte hat damit Anlass für die Erhebung der Untätigkeitsklage gegeben; denn ihr stand kein zureichender Grund für die Untätigkeit im Sinne von § 88 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 S. 1 SGG zur Seite. Ihre Weigerung, über den erneuten Widerspruch zu entscheiden, beruhte darauf, dass sie die Folgen der Rücknahme eines Widerspruchs verkannt hat. Dieser enthält mangels weitergehender Erklärung der Klägerin keinen Verzicht auf das Rechtsmittel. Die Rücknahme eines Widerspruchs bewirkt lediglich, dass der (ursprüngliche) Widerspruch als nicht eingelegt gilt. Er kann also, wenn dies noch fristgerecht möglich ist, - jederzeit - neu eingelegt werden (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, a. a. O., § 83 RdNrn. 4 f. m. w. N.). Die Jahresfrist des § 66 Abs. 2 S. 1 i. V. m. Abs. 1 und § 84 Abs. 1 S. 1 SGG war noch nicht abgelaufen, als die Prozessbevollmächtigten erneut am 27.05.2005 Widerspruch gegen den Bescheid vom 14.10.2004 einlegten. Das Schreiben der Beklagten vom 14.06.2005 lässt nicht einmal erkennen, dass diese - entsprechend ihrer unzutreffenden Rechtsauffassung - den (erneuten) Widerspruch als unzulässig zu verwerfen gedenke, obwohl sie dies ohne weiteres hätte tun können. Die Formulierung "betrachten wir die Angelegenheit als erledigt" kann nur dahingehend verstanden werden, dass sich die Beklagte überhaupt nicht mehr mit dem (erneuten) Widerspruch befassen wollte. Den Widerspruchsbescheid hat sie erkennbar nur auf den Druck der erhobenen Untätigkeitsklage hin erlassen.

Der Beschluss kann gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.
Rechtskraft
Aus
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