L 23 B 1009/05 SO ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
23
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 18 SO 2322/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 23 B 1009/05 SO ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 18. Mai 2005 abgeändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller ab Mai 2005 Pflegegeld in Höhe von 136, 50 Euro monatlich bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu zahlen. Dem Antragsteller wird für das sozialgerichtliche Verfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Rechtsanwaltes Herrn J S, B, B, bewilligt. Der Antragsgegner wird verpflichtet, die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für das sozialgerichtliche und das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

Gründe:

I.

Im Beschwerdeverfahren ist noch die Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung eines Pflegegeldes an den Antragsteller streitig sowie die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das sozialgerichtliche Verfahren.

Der im Juli 1949 geborene Antragsteller ist auf einen Rollstuhl angewiesen. Er lebt mit seiner Ehefrau, ebenfalls eine Rollstuhlfahrerin, in einer Wohnung. Der Antragsteller erhielt neben laufender Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz – BSHG – Hilfe nach Leistungskomplexen (Assistenz) und Pflegegeld nach § 69a BSHG und Pflegegeld nach dem Landespflegegeldgesetz Berlin. Er erhielt bis einschließlich März 2003 Leistungen der Pflegekasse nach der Pflegestufe II. Die Pflege nach Leistungskomplexen und auch die Leistungen nach Pflegestufe II wurden von einem ambulanten Pflegedienst geleistet.

Der Antragsteller verfügt über ein Einkommen aus Waisenrente (245,72 Euro - Stand Januar 2005) und Pflegegeld aus Österreich in Höhe von 255,50 Euro (Stand Januar 2005).

Ab 1. April 2003 wurden dem Antragsteller von der Pflegekasse Leistungen der Pflegeversicherung nach Pflegestufe III bewilligt. Von der Pflegekasse wurden daraufhin Pflegeeinsätze durch Pflegekraftsätze bis zu 1.432,00 Euro monatlich übernommen, eine Abrechnung erfolgte direkt mit den Pflegefachkräften.

Der Zuerkennung von Leistungen nach der Pflegestufe III lag ein Gutachten des M Dd K B-B vom 22. April 2003 zugrunde. Darin wurde u. a. festgestellt, dass ein Zeitaufwand für Grundpflege von 283 Minuten pro Tag sowie ein Zeitaufwand für Hauswirtschaft im Wochendurchschnitt von 60 Minuten pro Tag anfalle. Bei dem Antragsteller bestünden kaum noch Ressourcen, für alle körperbezogenen Verrichtungen sei er auf Fremdhilfe angewiesen. Es bestehe auch nächtlicher Hilfebedarf. Bis dahin war eine pflegerische Versorgung durch den Antragsgegner (Assistenz) durch einen ambulanten Pflegedienst in einem Umfang von vormittags sechs Stunden und abends fünf Stunden für den Antragsteller und seine Ehefrau zusammen sichergestellt.

Am 14. März 2003 beantragte der Antragsteller gemeinsam mit seiner Ehefrau beim Antragsgegner die Erhöhung der Assistenzzeiten auf zusammen 18 Stunden täglich.

Beigefügt war ein Assistenzplan der a d e. V ... Nach einem Hausbesuch wurde seitens des Antragsgegners festgestellt, dass für den Antragsteller für die Betreuung von Mahlzeiten, Toilettengängen, Assistenz am Computer, Dekubitusprophylaxe und regelmäßige Aktivitäten ein zusätzlicher Bedarf zum bisherigen (231 Minuten) von 335 Minuten und damit ein Gesamtbedarf von 566 Minuten bestehe. Der Aufwand für die gemeinsame Haushaltsführung wurde mit 260 Minuten und ein Wochenendbedarf für gemeinsame Aktivitäten mit 180 Minuten (täglich 26 Minuten) festgehalten. Mit dem Einzelbedarf der Ehefrau ergab sich ein gemeinsamer Assistenzbedarf von 18 Stunden täglich.

Zur Begründung eines weiteren Anspruchs auf Pflegegeld trug der Antragsteller mit Schreiben vom 23. Juni 2003 u. a. vor, dass die begehrten 18 Stunden Assistenzzeiten nicht für ihn allein, sondern zusammen mit seiner Frau begehrt würden. Bei allen Aktivitäten seiner Frau, die außer Haus ohne ihn stattfänden, sei er allein und auf mögliche Hilfe von Freunden und Bekannten angewiesen, die er sich organisiere müsse. Auch wenn er ins Kino gehe oder andere kulturelle Veranstaltungen in Anspruch nehme, während seine Frau die Assistenz benötige, müsse er die Hilfe von Freunden wahrnehmen.

Mit Bescheid vom 28. August 2003 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller und seiner Ehefrau Hilfe zur Pflege nach Leistungskomplexen in Form von täglich 17 Stunden und 40 Minuten für den Zeitraum vom 1. Juli 2003 bis 30. Juni 2004. Einzusetzen sei das Pflegegeld aus Österreich in Höhe von 249,20 Euro. Weiter wurde verfügt, dass das Pflegegeld nach § 69 a BSHG entfalle, weil sämtliche Zusatzleistungen in den Pflegebedarf/Assistenz eingerechnet worden seien. Mit Bescheid vom 8. September 2003 wurde verfügt, dass die Hilfe zur Pflege nach Leistungskomplexen bis 30. Juni 2003 weiter bewilligt und zusätzlich zur Sachleistung auch das Pflegegeld nach § 69 a BSHG bis zum 30. Juni 2003 wieder bewilligt werde.

Mit einem weiteren Bescheid vom 8. September 2003 wurden die sich ab 1. April 2003 für den Antragsteller aus der Bewilligung der Pflegestufe III ergebenen Änderungen erläutert und ausgeführt, dass durch die Stundenerhöhung bei der ambulanten Pflege ab 1. Juli 2003 das Pflegegeld entfalle, da sämtliche Nebenleistungen nunmehr von der Sozialstation erbracht würden.

Gegen die Bescheide vom 28. August 2003 und 8. September 2003 erhob der Antragsteller gemeinsam mit seiner Ehefrau Widerspruch (19. September 2003) und machte neben einem höheren Assistenzbedarf (18 Stunden) die Weiterzahlung eines Pflegegeldes geltend. In den höheren Assistenzzeiten seien gerade nicht alle notwendigen Verrichtungen enthalten. Er, der Antragsteller, sei während der Abwesenheit seiner Ehefrau auf die Sicherstellung der Hilfe durch Dritte angewiesen, denen gegenüber er sich erkenntlich zeigen wolle.

Mit Bescheid vom 25. August 2004 bewilligte der Antragsgegner weiter Hilfen für 17 Stunden und 40 Minuten bis 30. Juni 2005. Zu einem Pflegegeld enthielt der Bescheid keine Ausführungen. Mit Bescheiden vom 9. Dezember 2004 und 2. März 2005 wurden dem Antragsteller und seiner Ehefrau Leistungen ohne Pflegegeld nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – SGB XII – ab 1. Januar 2005 bewilligt.

Der Antragsgegner wies mit Widerspruchsbescheiden vom 18. und 22. März 2005 die Widersprüche zurück und führte zum geltend gemachten Anspruch auf Pflegegeld aus, dass es verwundere, dass der Antragsteller und seine Ehefrau Aktivitäten wie Kino-, Konzertbesuche sowie kulturelle Veranstaltungen als Begründung für die Zuerkennung eines Pflegegeldes anführten, da sie diese Bedarfe von der Assistenz abgedeckt haben wollten. Der Antragsteller sei vor Erhöhung der Assistenzzeiten auf den Wegfall des Pflegegeldes hingewiesen worden. Ein weitergehender pflegerischer Bedarf für den Antragsteller erschließe sich auch nicht aus den Einlassungen mit dem Widerspruch.

Mit ihren erhobenen Klagen verfolgen der Antragsteller und seine Ehefrau ihre Begehren, eine höhere Stundenzahl bei der Hilfe zur Pflege und Leistung eines Pflegegeldes an den Antragsteller, weiter. Sie haben gleichzeitig beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, Leistungen im der Pflege in einem Umfange von 18 Stunden täglich zu bewilligen und an den Antragsteller Pflegegeld auch über den 1. Juli 2003 hinaus zu leisten. Gleichzeitig haben sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt.

Mit Beschluss vom 18. Mai 2005 hat das Sozialgericht die Anträge mit der Begründung zurückgewiesen, ein Anordnungsgrund sei nicht glaubhaft gemacht worden. Wegen mangelnder Erfolgsaussichten bestehe auch kein Anspruch auf Gewährung von Prozesskostenhilfe. Dagegen hat der Antragsteller zusammen mit seiner Ehefrau Beschwerde eingelegt, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat. Sie haben zunächst beide ihre Begehren weiterverfolgt; die Ehefrau des Antragstellers hat ihre Beschwerden zurückgenommen.

Der Antragsteller macht noch geltend, der Anspruch auf Pflegegeld könne selbst bei einer "Rund-um-die-Uhr-Pflege" nur bis zu zwei Dritteln, nicht jedoch vollständig gekürzt werden. Im Übrigen sei mit 17 Stunden und 40 Minuten Assistenz für zwei Personen nicht sein gesamter Bedarf immer abgedeckt durch den ambulanten Pflegedienst. Er habe bereits vorgetragen, dass daneben weiterer Bedarf bestehe, für dessen Abdeckung das Pflegegeld benötigt werde. Zudem seien die seinerzeitigen Anträge auf Ausweitung der Assistenzzeit aus gesundheitlichen Gründen notwendig geworden und nicht um Freizeitaktivitäten abzudecken. Er könne nicht auf die absehbar lange Dauer des Hauptsacheverfahrens verwiesen werden.

Der Senat entnimmt dem Vorbringen des Antragstellers den Antrag,

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 18. Mai 2005 abzuändern und den Antragsgegner zu verpflichten, an ihn Pflegegeld über den 1. Juli 2003 hinaus zu gewähren und ihm für das einstweilige Rechtsschutzverfahren vor dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt S zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

§ 64 Abs. 5 SGB XII setze voraus, dass der Pflegebedürftige mit dem Pflegegeld die erforderliche Pflege in geeigneter Weise selbst sicherstelle. Mangels Erfüllbarkeit dieser Voraussetzung bestehe kein Anspruch auf ein Restpflegegeld. Aus diesem Grunde stelle sich die Frage der Anrechnung von Pflegeleistungen und anderer Leistungen auf einen Pflegegeldanspruch nicht. Der Antragsteller habe keine substantiierten Angaben dazu gemacht, inwiefern er das Pflegegeld als Motivationshilfe zur Erhaltung der Pflegebereitschaft in Betracht kommender Pflegepersonen in Form von Geschenken usw. benötige. An der Motivationshilfe fehle es, wenn der Antragsteller, wie er das gegenüber der Fachdienststelle gemäß deren Stellungnahme vom 30. Juni 2003 zum Ausdruck gebracht habe, das Pflegegeld für Aktivitäten wie Kino-, Konzertbesuche sowie kulturelle Veranstaltungen benötige, während diese bereits von den Assistenzleistungen abgedeckt seien. Die bloße pauschale Behauptung, das Pflegegeld für zahlreiche Hilfen zu benötigen, reiche angesichts der Tatsache, dass die Assistenzpflege umfänglich von den Pflegekräften der Sozialstation erbracht werde und diese zur Entgegennahme von Geschenken und Aufmerksamkeiten nicht befugt seien, nicht aus. Da der Antragsteller keine in Betracht kommenden weiteren Pflegepersonen benannt habe, sei nicht zu erkennen, in welcher Weise das Pflegegeld geeignet sein solle, dessen Pflege sicherzustellen. Die Pflege sei bereits durch die umfänglich bewilligten Assistenzzeiten von 17 Stunden und 40 Minuten gesichert, ohne dass ein weiterer Pflegebedarf ersichtlich sei. Des Weiteren sei von Bedeutung, dass der Antragsteller weiterhin Pflegegeld aus Österreich erhalte und nicht erkennbar sei, inwieweit der Antragsteller durch das verweigerte Restpflegegeld eine unzureichende häusliche Pflege erhalte, ihm Gefahren für Leib und Seele drohten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners (drei Bände) verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung gewesen sind.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und auch begründet.

Das Sozialgericht hat den von dem Antragsteller gestellten Antrag zu Unrecht abgelehnt.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG – sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung - ZPO -).

Danach hat der Antragsteller einen Anspruch auf die in der Hauptsache begehrte Leistung, nämlich die Zahlung eines Pflegegeldes, glaubhaft gemacht.

Nach § 64 Abs. 3 Sozialgesetzbuch XII. Buch – SGB XII – erhalten Pflegebedürftige, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für mehrere Verrichtungen täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen (Schwerstpflegebedürftige), Pflegegeld in Höhe des Betrages nach § 37 Abs. 1 Satz 3 Nr. Sozialgesetzbuch XI. Buch – SGB XI -, d. h. Pflegegeld in Höhe von 665 Euro. Diese Voraussetzungen liegen dem Grunde nach bei dem Antragsteller vor, da er nach den Feststellungen des Antragsgegners die persönlichen Voraussetzungen des § 64 Abs. 3 SGB XII erfüllt, was auch mit dem Gutachten des M D d K - M - zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit gemäß SGB XI vom 22. April 2003 belegt ist.

Auch die weiteren Voraussetzungen zur Zahlung eines Pflegegeldes werden von dem Antragsteller erfüllt. Voraussetzung ist nämlich weiter, dass der Pflegebedürftige die erforderliche Pflege in geeigneter Weise selbst sicherstellen kann, § 64 Abs. 5 Satz 1 SGB XII. Dabei kommt es nicht darauf an, dass der Pflegebedürftige den gesamten pflegerischen Bedarf mit dem Pflegegeld abdecken muss. Das Pflegegeld ist nicht zur Entlohnung von Pflegepersonen oder Pflegekräften, sondern in erster Linie zur Förderung bzw. Erhaltung der Pflegebereitschaft bestimmt (BVerwG, Urteil vom 31.01.1968, Az.: VC 27.67, BVerwGE 29, 108-114, Urteil vom 4.06.1992, Az.: 5 C 82/88, BVerwGE 90, 217-220, Urteil vom 22.08.1974, Az.: VC 52.73, FEVS 23,45, Urteil vom 14.03.1991, Az.: 5 C 8/87, FEVS 41, 401). Außerdem soll der mit der Pflegebedürftigkeit zusammenhängende Aufwand für Kosten für Geschenke, mit denen sich der Pflegebedürftige gegenüber pflegenden Besuchern erkenntlich zeigen will, für vermehrte Telefonate in Folge fehlender Mobilität usw. abgedeckt werden können. Dabei müssen keine messbaren wirtschaftlichen Belastungen vorliegen, auf die (in gleicher Höhe) mit dem Pflegegeld zu reagieren wäre; es kommt auch nicht darauf an, ob tatsächlich Pflege durch Verwandte oder Nachbarn in Anspruch genommen wird (BVerwG, Urteil vom 3. 07. 2003, Az.: 5 C 7.02, BVerwGE 118, 297-300; HessVGH, Beschluss vom 3.02.2004, FEVS 55, 547-548; Krahmer in: Münder, Armborst, Berlit u.a., Sozialgesetzbuch XII, Kommentar, 7. Aufl. § 64, Anm. 8, m.w.N.). Es kommt vielmehr lediglich darauf an, ob eine Möglichkeit besteht, dass der Pflegebedarf selbst sichergestellt werden kann und ggf. muss (Krahmer, a.a.O., Anm.12). Diese Möglichkeit hat der Antragsteller ausreichend glaubhaft gemacht. Nach dem Pflegegutachten des MdK benötigt der Antragsteller Fremdhilfe bei allen Verrichtungen. Bei der Körperpflege hat er keine eigenen Kompetenzen mehr, alle Verrichtungen müssen von Hilfspersonen vollständig übernommen werden. Dies gilt auch für den Bereich der Ernährung. Es besteht weiter ein Hilfebedarf bei der Mobilität, da dem Antragsteller beim Aufstehen geholfen werden muss, ebenfalls beim Waschen, An- und Auskleiden. Auch besteht nächtlicher Grundpflegebedarf sowie hauswirtschaftlicher Bedarf. Der Antragsgegner hat selbst festgestellt, dass der Antragsteller täglich allein einen Assistenzbedarf bei Mahlzeiten, Toilettengängen, am Computer, Dekubitusprophylaxe und "regelmäßigen Aktivitäten" von neun Stunden und sechs Minuten hat. Hinzu kommt ein von ihm angenommener Assistenzbedarf für Haushaltsführung sowie gemeinsame Aktivitäten mit der Ehefrau (umgelegt auf die Woche). Damit ist der Antragsgegner von einem täglichen Assistenzbedarf von 11 Stunden allein für den Antragsteller ausgegangen. Dass der Pflegebedarf durch einen ambulanten Pflegedienst sichergestellt werden soll, führt nicht zu der berechtigten Annahme, dass Pflege nicht mehr selbst organisiert werden müsste, eine erforderliche Pflege in geeigneter Weise nicht mehr selbst sichergestellt werden kann oder muss. Zutreffend weist der Antragsteller darauf hin, dass auch bei Pflege durch beschäftigte Pflegefachkräfte, auch bei "Rund-um-die-Uhr-Versorgung" , ein Bedarf nach § 64 Abs. 5 SGB XII, nämlich die Möglichkeit, dass auch Pflege selbst organisiert werden muss, nicht ausgeschlossen ist. § 64 Abs. 5 SGB XII dient wie die Vorgängerregelung des § 69 a Abs. 5 Satz 1 BSHG dazu, eine Zweckverfehlung der Pflegegeldgewährung etwa in Folge bestimmungswidriger Verwendung des Pflegegeldes oder bei Mängeln der selbst organisierten Pflege zu verhindern; die Zwecksetzung des Pflegegeldes (Motivationshilfe und Aufwendungsersatzleistung) bleibt davon unberührt (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. 07. 2003, Az.: 5 C 7.02, a. a. O.). Zwar mag es sein, dass eine Zweckverfehlung dann angenommen werden kann, wenn eine Selbstorganisation einer weiteren Pflege schlechterdings nicht möglich ist und daher ein Pflegegeldanteil pflegebezogen nicht eingesetzt werden kann. Hiervon kann aber beim Antragsteller nicht ausgegangen werden. Der Antragsteller hat auch Angaben zur zweckentsprechenden Verwendung des begehrten Pflegegeldes gemacht. Da ihm die Assistenzzeiten zusammen mit seiner Ehefrau gewährt werden und diese solche Zeiten auch für nicht im Haushalt stattfindende Aktivitäten gewährt bekommt, ist allein dadurch ein weiterer abzudeckender Pflegebedarf möglich, dass der Antragsteller nicht alle Aktivitäten seiner Ehefrau begleiten muss und so in die Situation kommen kann, einen auftretenden Pflegebedarf (bei Ernährung oder Körperpflege) selbst zu organisieren. Der Antragsteller erhält auch keine "24-Stunden-Hilfe" durch eine Pflegefachkraft. Allein daraus ist erkennbar, dass immer bei Nichtanwesenheit einer Pflegefachkraft ein von ihm zu organisierender Hilfebedarf entstehen kann. Dass der Antragsteller entgegen seinem Vortrag bei der Organisation der Hilfe nicht auf Freunde und Bekannte oder Nachbarn angewiesen ist, ist eine bloße Behauptung des Antragsgegners.

Zwar ist dem Antragsteller über den ambulanten Pflegedienst eine vertraglich vereinbarte Pflegefachleistung zu gewähren. Dies schließt aber nicht aus, dass ein unvorhergesehener Pflegebedarf von dem Antragsteller sicherzustellen ist. Genau zur Sicherstellung solcher Pflegebedarfssituationen ist aber das Pflegegeld nach § 64 SGB XII u. a. bestimmt. Es liegt nach dem Inhalt des Pflegegutachtens und der Tatsache, dass der Antragsteller nicht stationär betreut wird, sondern mit seiner gleichfalls körperlich behinderten Ehefrau zusammenlebt, auch auf der Hand, dass der Antragsteller in die Situation kommen kann, selbst Pflege organisieren zu müssen.

Damit hat der Antragsteller einen Anspruch auf ein Pflegegeld glaubhaft gemacht. Der Antragsgegner hat den Anspruch dem Grunde nach verneint (§ 64 Abs. 5 SGB XII) und Ermessen hinsichtlich einer Verringerung des Anspruchs nach § 66 SGB XII nicht ausgeübt.

Die Wertung der vertraglich geschuldeten Ansprüche auf Pflege mag bei der Bedarfsseite (Höhe des Pflegegeldes) zu berücksichtigen sein, rechtfertigt aber nicht die Annahme, dass ein Pflegegeld nicht pflegebezogen eingesetzt werden kann (BVerwG, a. a. O.,; Krahmer, a.a.O., Anm. 8). Selbst bei Anrechnung der Assistenzleistungen nach § 65 SGB XII bei der Höhe des Pflegegeldes nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens, kann das Pflegegeld nur bis zu zwei Dritteln gekürzt werden (§ 66 Abs. 2 SGB XII). Daraus folgt, dass dem Antragsteller - auch nach Ausübung des durch § 66 SGB XII eingeräumten Ermessens - mindestens ein Drittel seines Pflegegeldes zur Erhaltung der Pflegebereitschaft Dritter verbleiben muss.

Das Pflegegeld beträgt nach der Pflegestufe III 665 Euro (§ 64 Abs. 1 SGB XII i. V. m. § 37 SGB XII). Soweit das Pflegegeld, das dem Antragsteller aus Österreich geleistet wird (255,50 Euro), angerechnet wird, bleibt ein Betrag in Höhe von 409,50 Euro. Von diesem Restpflegegeld müssen dem Antragsteller mindestens 136,50 Euro (ein Drittel) verbleiben.

Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, allerdings nur für die Zeit ab Mai 2005. Für Zeiträume vor Eingang des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz bei Gericht liegt ein dringlicher Entscheidungsbedarf nach dem prozessualen Verhalten des Antragstellers nicht vor. Der Antragsteller hat bis April 2005 keinen einstweiligen Handlungsbedarf geltend gemacht.

Der glaubhaft zu machende Anordnungsgrund bezieht sich auf die Eilbedürftigkeit der Rechtsschutzgewährung und liegt für den Erlass einer Regelungsanordnung vor, wenn besondere Gründe gegeben sind, die es als unzumutbar erscheinen lassen, den Antragsteller zur Durchsetzung seines Anspruches auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen (OVG Schleswig, Beschluss vom 8. Oktober 1992, Az.: 4 M 89/92, zitiert nach juris). Der Regelungsgrund ist eigenständiges Tatbestandsmerkmal. Wenn die begehrte einstweilige Regelung die Hauptsache (auch nur teilweise) vorweg nimmt - wie hier bei der begehrten einstweiligen Geldleistung -, bedarf es besonders schwerwiegender drohender Nachteile, die ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens nicht zumutbar erscheinen lassen. Immer dann jedoch, wenn ein Anordnungsanspruch gegeben ist und bei Versagung einstweiligen Rechtsschutzes Grundrechte nicht nur am Rande eingeschränkt sind, indiziert die Bejahung des Anordnungsanspruchs das Vorliegen eines Anordnungsgrundes (OVG Schleswig, Beschluss vom 8.10.1992, a.a.O.; BVerfG, Beschluss vom 25.10.1988, 2 BvR 745/88, BVerfGE 79, 69 (74); Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl., § 13, Anm. 157). Der vorläufige Rechtsschutz orientiert sich an einer Vorausbeurteilung der Hauptsache und ist davon abhängig.

So liegt es hier. Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Da ihm keine ausreichenden Mittel zur Verfügung stehen, kann er zur Durchsetzung seines Anspruchs nicht auf das Hauptsacheverfahren verwiesen werden, ohne dass ihm durch Zeitablauf Nachteile drohen, die im Nachhinein nicht zu heilen wären. Das Pflegegeld soll den Antragsteller in die Lage versetzen, jeweils zeitnah die Abdeckung eines Pflegebedarfs zu organisieren. Dem Antragsteller ist es auch nicht zuzumuten, aus den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln etwaige Leistungen bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens vorzuschießen.

Der Antragsteller verfügt zwar über Einkommen aus Waisenrente und Pflegegeld aus Österreich, bezieht aber Leistungen nach dem SGB XII, nämlich Hilfe zum Lebensunterhalt zzgl. von Leistungen für Mehrbedarfe. Diese Leistungen stellen den notwendigen Lebensunterhalt deckende Leistungen (§ 28 SGB XII) dar. Auch das Pflegegeld nach § 64 SGB XII stellt eine bedarfsdeckende Leistung dar. Bei der Bemessung der laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt ist bereits das zu berücksichtigende Einkommen des Antragstellers angerechnet, die laufenden Leistungen entsprechend verringert worden. Der Antragsteller kann im einstweiligen Rechtsschutzverfahren daher nicht nochmals einstweilen, d.h. bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens, zur Deckung des Pflegegeldbedarfs auf dieses Einkommen verwiesen werden; dies gilt auch für die ihm verbleibenden Leistungen zum Lebensunterhalt.

Der Antragsteller verfügt, was ebenfalls bei der Prüfung seiner Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen war, seit der "Zuerkennung" der Pflegestufe III nicht mehr über ein Landespflegegeld. Dies wurde an den Antragsteller zuletzt in Höhe von 171,14 Euro geleistet. Daneben erhielt der Antragsteller noch 19,20 Euro Pflegegeld. Nach Wegfall des Landespflegegeldes und durch die Nichtleistung des Pflegegeldes verfügt der Antragsteller seit August 2003 über erheblich weniger Barmittel, die er für einen möglichen Pflegebedarf einsetzen könnte. Dass er in der Vergangenheit während des Vorverfahrens ohne Pflegegeldzahlung des Antragsgegners ausgekommen ist, kann ihm im Rahmen der Prüfung der Eilbedürftigkeit nicht entgegen gehalten werden.

Allerdings hält der Senat nach Abwägung der Interessen der Beteiligten im einstweiligen Rechtsschutzverfahren und unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung einer Vorwegnahme der Hauptsache es für angemessen und zur einstweiligen Regelung des Anspruchs für ausreichend, den Antragsgegner vorläufig zur Leistung des Mindestbedarfs zu verpflichten. Zwar könnte, nachdem der Antragsgegner bisher von dem ihm eingeräumten Ermessen zur Minderung des bestehenden Pflegegeldanspruchs keinen Gebrauch gemacht hatte, ein höherer Anspruch bestehen. In Ausübung des ihm durch § 86b Abs. 2 SGG eingeräumten Ermessens hält der Senat eine Verpflichtung des Antragsgegners zur Leistung eines monatlichen Betrages von 136, 50 Euro zur einstweiligen Sicherung des Anspruchs des Antragstellers bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens für ausreichend. Der Gesetzgeber hält nach Anrechnung von Pflegeleistungen und –gelder ein auf ein Drittel reduziertes Pflegegeld zur Erreichung der Zwecke des § 64 SGB XII für ausreichend (§ 66 Abs. 2 SGB XII), so dass hier dieser Betrag auch geeignet und erforderlich ist, einstweilen den Anspruch zu regeln. Dabei war das dem Antragssteller aus Österreich zufließende Pflegegeld zu berücksichtigen, es führt hingegen nicht dazu, dass er gänzlich, d.h. bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens, auf diesen Betrag verwiesen werden kann.

Dem Antragsteller war auch für das sozialgerichtliche Verfahren Prozesskostenhilfe zu gewähren; die Voraussetzungen hierfür nach § 73 a Abs.1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 114 ff. ZPO lagen vor. Die Vertretung durch einen Rechtsanwalt war erforderlich (§ 121 Abs. 2 ZPO). Der Beschluss des Sozialgerichts war auch insoweit aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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