S 8 KG 11/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
8
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 8 KG 11/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 AL 67/05
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 04.07.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.09.2005 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, Kinderzuschlag in Höhe von 280,00 EUR ab April 2005 zu zahlen. Die Beklagte hat die Kosten der Klägerin zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch auf Kinderzuschlag.

Die am 00.00.1968 geborene Klägerin ist mit Herrn T verheiratet und Mutter von vier Kindern (E, geb. 00.00.1992, M1, geb. 00.00.1997, M2-K, geb. 00.00.2001 und N 00.00.2003). Nur die beiden jüngeren Kinder stammen vom Ehemann, die älteren Kinder hat die Klägerin mit in die Ehe gebracht. Der Ehemann ist Vater eines weiteren Kindes, das bei dessen Mutter lebt und für das der Ehemann der Klägerin Unterhalt zahlt. Mangels Leistungsfähigkeit des Vaters von E und M1 zahlt dieser keinen Unterhalt. Bis August 2005 zahlte die Stadt F Sozialgeld gemäß § 28 SGB II (unter Anrechnung des Kindergeldes) an E und M1. Die B des Kreises I verweigerte die Fortzahlung ab September 2005 im Hinblick auf einen eventuellen Anspruch auf Kinderzuschlag. Die Klägerin erhält für alle eigenen Kinder Kindergeld. Die Familie lebt in einem eigenen Haus und zahlt zu dessen Finanzierung Schuldzinsen in Höhe von 557,82 EUR. Der Ehemann arbeitet als Physiotherapeut und erzielte im Dezember 2004 ein Brutto-Arbeitsentgelt in Höhe von 3.039,75 EUR.

Mit Bescheid vom 04.07.2005 lehnte die Beklagte den Antrag auf Kinderzuschlag vom 20.04.2005 ab. Sie stützte die Entscheidung auf § 6a Abs. 1 Nr. 3 BKGG. Anspruch auf Kinderzuschlag bestehe hiernach nur, wenn damit Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II vermieden wird. Dies setze voraus, dass das Einkommen und Vermögen der Bedarfsgemeinschaft geringer sei als ihr Gesamtbedarf. Das Einkommen übersteige den Gesamtbedarf. Die Beklagte ging von einem anzurechnendem Einkommen in Höhe von 1.803,52 EUR und einem Bedarf in Höhe von 1.503,89 EUR aus.

Im Widerspruchsverfahren meinte die Klägerin, der Anspruch auf Kinderzuschlag ergebe sich allein daraus, dass für E und M1 Sozialgeld nach dem SGB II gezahlt werde. Sie legte den entsprechenden letzten Bewilligungsbescheid der Stadt F vom 25.06.2005 vor. Das Einkommen des Ehemannes diene nicht zur Deckung des Bedarfes von E und M1 und müsse daher insoweit unberücksichtigt bleiben.

Mit Bescheid vom 02.09.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie ging nunmehr von einem anzusetzenden Erwerbseinkommen in Höhe von 1.792,13 EUR aus, dieses übersteige weiterhin den Gesamtbedarf von 1.503,89 EUR.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 30.09.2005 erhobene Klage. Die Klägerin meint ergänzend, das Einkommen des Ehemannes sei – wenn es schon berücksichtigt werde – um für das voreheliche Kind gezahlten Unterhalt in Höhe von 252,00 EUR zu kürzen. Im Übrigen dürfe das Einkommen des Stiefvaters nicht bei der Prüfung der Bedarfsdeckung der älteren Kinder berücksichtigt werden.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 04.07.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.09.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Kinderzuschlag in Höhe von 280,00 EUR ab April 2005 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Unterhaltsverpflichtung des Ehemannes berücksichtigt und zu berücksichtigendes Einkommen in Höhe von 1.528,84 EUR berechnet. Auch dieses Einkommen übersteige weiterhin den Gesamtbedarf in Höhe von 1.503,92 EUR.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Kinderzuschlag in Höhe von 280,00 EUR ab April 2005.

Kinderzuschlag erhalten gemäß § 6a BKGG Personen für in ihrem Haushalt lebende Kinder, die noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben, wenn 1.sie für diese Kinder nach diesem Gesetz oder nach dem X. Abschnitt des Einkommenssteuergesetzes Anspruch auf Kindergeld oder Anspruch auf andere Leistungen im Sinne von § 4 haben, 2. sie mit Ausnahme des Wohngeldes über Einkommen oder Vermögen im Sinne der §§ 11, 12 SGB II mindestens in Höhe des nach Absatz 4 Satz 1 für sie maßgebenden Betrages und höchstens in Höhe der Summe aus diesem Betrag und dem Gesamtkinderzuschlag nach Abs. 2 verfügen und 3. durch den Kinderzuschlag Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II vermieden wird.

Die Klägerin erfüllt hinsichtlich der Kinder E und M1 alle Voraussetzungen dieser Vorschrift: Die Kinder leben in ihrem Haushalt, sie haben noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet und die Klägerin erhält für die Kinder Kindergeld. Sie verfügt über das gemäß § 6a Abs. 1 Nr. 2 BKGG erforderliche Mindesteinkommen. Die Höhe des Mindesteinkommens ist in § 6a Abs. 4 Satz 1 BKGG näher bestimmt. Es entspricht einem Betrag in Höhe des ohne Berücksichtigung von Kindern jeweils maßgebenden Arbeitslosengeldes II nach § 19 Satz 1 Nr. 1 SGB II oder des Sozialgeldes nach § 28 Abs. 1 SGB II. Die Klägerin wird von ihrem Ehemann tatsächlich unterhalten. Sie hat selbst kein Einkommen und erhält sowohl ihren Regelbedarf als auch ihre Unterkunftskosten im Sinne des § 19 Satz 1 Nr. 1 SGB II vom Ehemann. Deshalb hat die Klägerin selbst keinen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen. Auch das Höchsteinkommen im Sinne des § 6a Abs. 1 Nr. 2 2. Halbsatz BKGG wird nicht überschritten. Die Klägerin hat mit Ausnahme des durch den Ehemann tatsächlich geleisteten Unterhaltes kein weiteres Einkommen. Schließlich erfüllt die Klägerin auch die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 Nr. 3 BKGG, denn durch die Zahlung des Kinderzuschlages wird Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II vermieden. Im Gegensatz zur Meinung der Beklagten ist diese Vorschrift nicht dahingehend zu verstehen, dass Kinderzuschlag nur bewilligt wird, wenn der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 SGB II das Einkommen übersteigt. Dies ist vielmehr die maßgebliche Berechnung zur Prüfung eines Anspruches auf Arbeitslosengeld II. Ein Anspruch auf Kinderzuschlag setzt grundsätzlich lediglich voraus, dass das Einkommen sich innerhalb der Einkommensgrenze des § 6a Abs. 1 Nr. 2 BKGG bewegt. § 6a Abs. 1 Nr. 3 BKGG soll lediglich sicherstellen, dass Bedarfsgemeinschaften im Sinne von § 7 Abs. 2, 3 SGB II, die wegen der Unterhaltspflicht für Kinder trotz der Zahlung von Kinderzuschlag hilfebedürftig im Sinne von § 9 SGB II wären, entsprechend der Zielsetzung des Gesetzes keinen Kinderzuschlag erhalten (hierzu näher Kühl, in: Hambüchen, Kindergeld, Erziehungsgeld, Elternzeit, § 18 Rdnr. 6a). Keinesfalls ist die Vorschrift so zu verstehen, dass die Anspruchsvoraussetzung für den Kinderzuschlag mit den Anspruchsvoraussetzungen für den Erhalt von Arbeitslosengeld II identisch sind.

Gemäß § 6a Abs. 2 Satz 1 BKGG beträgt der Kinderzuschlag für jedes zu berücksichtigende Kind jeweils bis zu 140,00 EUR monatlich. Hieraus ergibt sich im vorliegenden Fall ein Anspruch auf Gesamtkinderzuschlag in Höhe von 280,00 EUR. Der Kinderzuschlag ist nicht zu mindern. Allerdings mindert sich der Kinderzuschlag gemäß § 6a Abs. 3 BKGG um das nach den §§ 11 und 12 SGB II mit Ausnahme des Wohngeldes zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen des Kindes. Hierbei bleibt das Kindergeld außer Betracht. E und M1 haben kein Einkommen. Insbesondere ist das Einkommen des Ehemanns der Klägerin nicht zu berücksichtigen. Es besteht keine zivilrechtliche Unterhaltspflicht. Auch die Vermutung des § 9 Abs. 5 SGB II führt nicht zu einer Einkommensanrechnung. Nach dieser Vorschrift wird vermutet, dass Hilfebedürftige, die in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder Verschwägerten leben, von diesen Leistungen erhalten, soweit dies nach deren Einkommen und Vermögen erwartet werden kann. Der Ehemann der Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung glaubhaft erklärt, dass er nicht bereit ist, für die beiden älteren Kinder Unterhaltsleistungen zu erbringen. Eine Unterstützung nach dessen Einkommensverhältnissen kann auch nicht erwartet werden. Selbst wenn man annehmen würde, dass die Vermutung bereits greift, wenn unter Berücksichtigung der Regelungen des SGB II der Gesamtbedarf gedeckt ist, greift die Vermutung vorliegend nicht. Der Ehemann der Klägerin hat mindestens seinen eigenen Regelbedarf in Höhe von 311,00 EUR sowie den Regelbedarf der Ehefrau in Höhe von weiteren 311,00 EUR zu decken. Hinzu kommt der Regelbedarf in Höhe von 414,00 EUR für die beiden jüngeren Kinder. Die Wohnkosten sind im Rahmen der Vermutung des § 9 Abs. 5 SGB II in voller Höhe zu berücksichtigen. Damit ist ein weiterer Betrag in Höhe von 557,82 EUR in Abzug zu bringen. Damit muss der Ehemann bereits ohne Berücksichtigung der älteren Kinder einen Bedarf in Höhe von 1.593,82 EUR decken. Daher kann der Unterhalt der Stiefkinder von ihm nicht erwartet werden.

Der Anspruch besteht vom Beginn des Monats an, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind (§ 5 BKGG). Da die Klägerin die Zahlung erst ab April 2005 beantragt hat, war die Beklagte dementsprechend zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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