L 8 B 13/05 AY ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
8
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 31 AY 141/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 8 B 13/05 AY ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Bei der Frage der Rechtmäßigkeit der Herabsetzung einer Leistungsgewährung auf einen Betrag nach § 3 AsylbLG liegt der für eine einstweilige Anordnung erforderliche Anordnungsgrund regelmäßig vor. Das Vorliegen einer drohenden besonderen Härte ist nicht erforderlich. Die Aufhebung eines Bescheides, mit dem zeitlich unbefristet Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG bewilligt worden sind, richtet sich nach § 9 Abs. 3 AsylbLG i.V.m. § 48 Abs. 1 SGB X. Eine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung des Aufenthalts bei Passlosigkeit liegt nicht vor, wenn die Ausweispapiere bei der Einreise nicht mit der Absicht vernichtet wurden, den Aufenthalt zu verlängern (hier: von Schleusern gegen gefälschte Papiere getauscht). Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten ist nicht schon in der bloßen Nichtausreise wegen der Passlosigkeit zu sehen. Erforderlich sind vielmehr weitere Umstände, die eine finanzielle Sanktionierung erlauben. Zu den Anforderungen an eine konkrete Darlegung von Verstößen gegen die Mitwirkungspflicht an der Beschaffung von Ausweispapieren.
Der Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 12. Dezember 2005 wird aufgehoben.

Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller unter Anrechnung erbrachter Leistungen ab dem 23. November 2005 vorläufig Leistungen nach § 2 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz in entsprechender Anwendung des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch zu bewilligen.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Gewährung höherer Leistungen gemäß § 2 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Umstritten ist insbesondere, ob der Antragsteller die Dauer des Aufenthaltes rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hat.

Der am 1982 geborene Antragsteller ist palästinensischer Volks- und muslimischer Religionszugehörigkeit. Er reiste am 13. November 2001 über I, per Flugzeug in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 22. November 2001 die Gewährung von Asyl nach dem Asylverfahrensgesetz (AsylVfG). Im Rahmen der am 29. November 2001 durchgeführten Anhörung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge gab der Antragsteller an, seinen palästinensischen Personalausweis habe ihm ein Schleuser in Jordanien abgenommen. Dieser sei benötigt worden, um einen Reisepass zu verschaffen. Mit Hilfe des Schleusers sei er über Jordanien und Syrien in die Türkei gelangt. Nach der Ankunft auf dem deutschen Flughafen habe ihm der Schleuser den gefälschten Reisepass wieder abgenommen. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte mit Bescheid vom 25. Februar 2002 den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte ferner fest, dass Abschiebungshindernisse nicht vorlägen. Dagegen erhob der Antragsteller Klage beim Verwaltungsgericht Magdeburg. Die Klage wurde mit rechtskräftigem Urteil vom 27. Januar 2004 abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt wies mit Beschluss vom 25. Mai 2005 den Antrag auf Zulassung der Berufung zurück. Der Beschluss wurde am 2. Juni 2005 rechtskräftig.

Der Antragsteller bezog zunächst Leistungen nach § 3 AsylbLG und erhielt mit Bescheid vom 15. November 2004 ab dem 1. Dezember 2004 Leistungen gemäß § 2 AsylbLG entsprechend den Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) bzw. des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII). Ab Januar 2005 wurden ihm vom Antragsgegner nach Abzug der Kosten für Miete und Unterkunft monatlich 281,35 EUR ausbezahlt (Bescheid vom 23. Dezember 2004). Mit Schreiben vom 13. Juni 2005 informierte das Bundesamt für Integration und Flüchtlinge den Antragsgegner über die Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Urteils seit dem 2. Juni 2005. Der Antragsgegner gewährte dem Antragsteller daraufhin mit Bescheid vom 28. Juni 2005 für die Zeit ab 1. Juli 2005 nur noch Leistungen nach § 3 AsylbLG. Nach Abzug der Kosten für Miete und Unterkunft wurden dem Antragsteller noch 194,29 EUR ausbezahlt. Gleichzeitig wurde eine Summe von 87,06 EUR für den Monat Juli 2005 zurückgefordert, da für diesen Zeitraum bereits der ursprüngliche Zahlbetrag überwiesen war. Zur Begründung führte der Antragsgegner aus, der Asylantrag sei am 2. Juni 2005 rechtskräftig abgeschlossen worden. Ein Leistungsbezug nach § 2 AsylbLG bestehe nicht mehr, da keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen vorlägen. Der Antragstellers stimmte der Einbehaltung von 87,06 EUR am 30. Juni 2005 zu. Dementsprechend behielt der Antragsgegner mit Bescheid vom 1. Juli 2005 40,00 EUR von einem noch offenen Geldanspruch aus Hilfe zur Arbeit für Juli 2005 ein. Der Restbetrag von 47,06 EUR wurde von dem Anspruch auf laufende Leistungen für August 2005 einbehalten.

Dagegen wandte sich der Antragsteller mit seinem Widerspruch vom 5. Juli 2005 und begehrte einen weiteren Leistungsbezug nach § 2 AsylbLG. Er habe die Dauer des Aufenthaltes nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst. Unerheblich für den Anspruch sei, ob aufenthaltsbeendende Maßnahmen vorlägen.

Am 25. Juli 2005 wurde der Antragsteller persönlich im Amt über den Ausgang des Asylverfahrens informiert. Er wurde aufgefordert, bis zum 30. August 2005 schriftlich nachzuweisen, dass er sich bei seiner zuständigen Botschaft um einen Reisepass bemüht habe, und Urkunden vorzulegen, die seine Herkunft belegten. Ferner wurde ihm eine Duldung nach § 60 a Abs. 5 S. 4 Aufenthaltsgesetz bis zum 21. Januar 2006 erteilt. Diese ist mittlerweile um weitere sechs Monate verlängert worden.

Mit Schreiben vom 31. August 2005 legte der Antragsgegner den Widerspruch des Antragstellers dem Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt vor. Darin führte er aus, die Vorschriften über das Bestimmtheitsgebot, die Begründung und die Bekanntgabe seien eingehalten und der Antragsteller sei am 25. Juli 2005 mündlich angehört worden. Er habe nicht bis zum 30. August 2005 nachgewiesen, dass er sich aktiv an einer Passbeschaffung beteiligt habe. Das Schreiben wurde am 2. September 2005 abgesandt. Die Verwaltungsakte enthält mit Eingangsstempel "1. Sep. 2005" eine von einem beeidigten Übersetzer ins Deutsche übersetzte Erklärung von vier Zeugen aus dem Heimatland des Antragstellers, die den Geburtsort, das Geburtsdatum und den Namen seiner Mutter bestätigen. Ferner liegt unter dem gleichen Eingangsdatum eine Bescheinigung der Generaldelegation Palästinas in B. vom 5. August 2005 über die Bestätigung eines Antrags auf Klärung seiner palästinensischen Herkunft am gleichen Tag vor. Der Bevollmächtigte des Antragstellers bat am 13. September 2005 und am 14. Oktober 2005 um Beachtung der vorgelegten Nachweise. Der Antragsgegner forderte am 21. Oktober 2005 Kontoauszüge der letzten drei Monate an, die von dem Antragsteller auch vorgelegt wurden.

Das Landungsverwaltungsamt Sachsen-Anhalt wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 8. November 2005 zurück. Der Antragsteller habe die Dauer seines Aufenthaltes im Bundesgebiet rechtsmissbräuchlich beeinflusst. Er sei vollziehbar ausreisepflichtig und habe die Möglichkeit, freiwillig auszureisen. Von diesem Recht und der Pflicht habe er bislang keinen Gebrauch gemacht. Nach einem Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 1. März 2005 (S 15 AY 2/05 - gemeint wohl: vom 25. Mai 2005, S 15 AY 2/05 ER) könne die bloße Nichtbefolgung der Ausreisepflicht ein rechtsmissbräuchliches Verhalten darstellen. Der freiwilligen Ausreise stehe zwar entgegen, dass der Antragsteller nicht im Besitz eines gültigen Reisepasses sei. Diesen Umstand habe er jedoch selbst zu vertreten. Es wäre ihm möglich gewesen, in zumutbarer Weise einen neuen Pass zu erlangen. Aus diesem Grund sei die Leistungskürzung zu Recht erfolgt.

Gegen den ihm am 18. November 2005 zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Antragsteller am 23. November 2005 beim Sozialgericht Magdeburg Klage erhoben. Gleichzeitig hat er einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt und eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt. Er hat geltend gemacht, das Ausreisehindernis sei von ihm nicht zu vertreten, weil Palästina kein Staat sei. Außerdem wirke er aktiv an der Passbeschaffung mit, wie sich aus der Bescheinigung der Generaldelegation Palästinas vom 5. August 2005 ergebe. Nach den Beschlüssen des Sozialgerichts Lüneburg vom 7. Februar 2005 (S 25 AY 2/05 ER) sowie des Sozialgerichts Hannover vom 20. Januar 2005 (S 51 AY 1/05 ER) liege noch kein Rechtsmissbrauch vor, wenn der Ausländer lediglich nicht der bestehenden Ausreisepflicht nachkomme. Eine besondere Eilbedürftigkeit ergebe sich, weil anderenfalls die Gefahr bestehe, dass er schwerwiegende und unzumutbare Vermögensdispositionen treffen müsse, die nach Abschluss der Hauptsache nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten.

Der Antragsgegner hat ausgeführt, der Antragsteller habe die Unmöglichkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen selbst verursacht. Er hätte seit der Einreise in das Bundesgebiet keinen Versuch unternommen, Reisedokumente zu erlangen. Er sei seiner Mitwirkungspflicht bei der Passbeschaffung nicht nachgekommen und habe diese Bemühungen bis zum 30. August 2005 auch nicht belegt. Auch sei eine besondere Eilbedürftigkeit nicht erkennbar. Es sei dem Antragsteller zuzumuten, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.

Das Sozialgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 12. Dezember 2005 zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es fehle an dem für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlichen Anordnungsgrund. Der Antragsteller habe nicht glaubhaft gemacht, dass er zur Vermeidung nicht mehr hinnehmbarer Nachteile auf die sofortige Gewährung von Leistungen nach § 2 AsylbLG angewiesen sei. Er habe über drei Jahre hinweg seinen Lebensunterhalt mit Leistungen nach § 3 AsylbLG bestritten. Der Gesetzgeber gehe davon aus, dass ein menschenwürdiges Leben mit diesen Leistungen möglich sei. Daher sei nicht erkennbar, dass dem Antragsteller unzumutbare Nachteile drohten, wenn er seinen Lebensunterhalt mit diesen Mitteln bestreiten müsse.

Mit Beschluss vom gleichen Tag hat das Sozialgericht Magdeburg den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen und sich auf den vorgenannten Beschluss bezogen.

Gegen die Beschlüsse vom 12. Dezember 2005 hat der Antragsteller am 15. Dezember 2005 und am 27. Dezember 2005 Beschwerde beim Sozialgericht eingelegt. Gleichzeitig hat er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren beantragt. Das Sozialgericht hat den Beschwerden am 16. Dezember 2005 und am 29. Dezember 2005 nicht abgeholfen und diese dem Landessozialgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Der Antragsteller trägt im Beschwerdeverfahren ergänzend vor, er habe sich nach der Aufforderung am 25. Juli 2005 unverzüglich mit der Botschaft in Verbindung gesetzt und dort vorgesprochen. Nach Kenntnis der erforderlichen Dokumente habe er sich noch am gleichen Tag mit der Familie in Palästina in Verbindung gesetzt und um Übersendung der Daten gebeten. Die erforderlichen Personaldokumente hätten jedoch nicht beschafft werden können. Lediglich eine Bescheinigung über seine Herkunft habe ausgestellt werden können. Mangels anderer Hinweise habe er vor dem 25. Juli 2005 an einer Passbeschaffung nicht mitwirken können. Ferner verweist er auf einen Beschluss des OVG Bremen vom 6. September 2005 (S 3 B 199/05). Danach setze rechtsmissbräuchliches Verhalten subjektive Vorwerfbarbarkeit voraus.

Der Antragsteller beantragt,

den Beschluss des Sozialgericht Magdeburg vom 12. Dezember 2005 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig Leistungen unter entsprechender Anwendung des SGB XII zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hat zunächst auf die bisherigen Stellungnahmen verwiesen. Im Beschwerdeverfahren macht er geltend: Ob weitere Bemühungen zur Beschaffung der von der Generaldelegation Palästinas geforderten Dokumente erfolgt seien, könne nach der Aktenlage nicht beurteilt werden. Inzwischen sei von Amts wegen ein Antrag auf Klärung der israelischen Staatsbürgerschaft gestellt worden. Ergänzend bezieht er sich auf einen Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 3. Juni 2003 (5 C 32/02), wonach § 2 AsylbLG i.d.F. vom 26. Mai 1997 auf Leistungsberechtigte anzuwenden sei, bei denen die Ausreise wegen humanitärer, rechtlicher oder persönlicher Gründe oder des entgegenstehenden öffentlichen Interesses nicht vollziehbar sei. Der Antragsgegner meint, solche Gründe lägen bei bloßer Passlosigkeit nicht vor. Auch sei davon auszugehen, dass diese von dem Antragsteller selbst verursacht worden sei.

Der Senat hat vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 8. Februar 2006 eine Ablichtung des Protokolls der im Rahmen des Asylverfahrens am 29. November 2001 durchgeführten Anhörung sowie das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 27. Januar 2004 ( A 6/03 MD) beigezogen.

II.

1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 12. Dezember 2005 ist statthaft und zulässig. Sie ist insbesondere rechtzeitig erhoben worden.

Die Beschwerde ist auch begründet, weil das Sozialgericht Magdeburg es zu Unrecht abgelehnt hat, den Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtschutzes zur Bewilligung von vorläufigen Leistungen gemäß § 2 AsylbLG zu verpflichten.

2. Der Antrag des Antragstellers vor dem Sozialgericht Magdeburg war im Sinne eines Antrages auf Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Danach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Anspruch auf Regelung eines vorläufigen Zustandes (Anordnungsanspruch) und der Grund für die Dringlichkeit der Maßnahme (Anordnungsgrund) sind gemäß § 86 b Abs. 2 S. 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen.

3. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts Magdeburg ist hier ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden. Zwar kann der Antragsteller von den derzeit gewährten Leistungen nach § 3 AsylbLG seinen Lebensunterhalt ohne Gefährdung der Existenz weiterhin bestreiten. Dies folgt schon aus dem Umstand, dass er in der Vergangenheit drei Jahre lang mit diesem Leistungssatz gelebt hat. Es ist auch davon auszugehen, dass mit den Geldleistungen nach § 3 AsylbLG die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben gewährleistet sind (so auch BVerwG, Beschluss vom 29. September 1998, 5 B 82/97, recherchiert über JURIS). Auch hat der Antragsteller keine besondere Härte glaubhaft gemacht, weshalb ihm ohne den höheren Leistungssatz wesentliche Nachteile drohen würden.

Hier ergibt sich die Eilbedürftigkeit aber schon aus dem Willen des Gesetzgebers, der sich in § 2 Abs. 1 AsylbLG wieder spiegelt. Danach sollen grundsätzlich alle Asylbewerber nach einer Aufenthaltsdauer von 36 Monaten die Leistungen erhalten, die dem soziokulturellen Existenzminimum entsprechen. Der für die ersten 36 Monate deutlich herabgesenkte Leistungssatz wird nur für eine vorübergehende Zeit als zumutbar angesehen. Bei einem länger dauernden Aufenthalt kann, auch wegen der zu erwartenden sozialen Integration, auf diese geringeren Leistungen nicht mehr zumutbar verwiesen werden, wenn nicht ausnahmsweise Gründe in der Person vorliegen, welche die Absenkung rechtfertigen (vgl. BT-Drucks. 15/420, S. 121). Ohne die Möglichkeit einer gerichtlichen Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz, ob solche Gründe hier vorliegen, wäre der Antragsteller gezwungen, sein Leben weiter mit Leistungen zu bestreiten, die unter dieser Schwelle liegen.

Die Eilbedürftigkeit ergibt sich ferner aufgrund des Umstandes, dass dem Antragsteller in näherer Zukunft die Abschiebung aus der Bundesrepublik Deutschland droht. Würde er auf ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache verwiesen werden, würde die Rechtskraft eines gerichtlichen Urteils voraussichtlich nicht mehr während seines Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland eintreten. Insoweit besteht die Gefahr der Verweigerung eines gemäß Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) garantierten effektiven Rechtschutzes (so auch: OVG Bremen, Beschluss vom 6. September 2005, S 3 B 199/05; Sozialgericht Duisburg, Beschluss vom 19. Juli 2005, S 17 AY 13/05 ER). Die entgegenstehende Auffassung des Bayrischen Landessozialgerichtes (Beschluss vom 28. Juni 2005, Az.: L 11 B 212/05 AY ER) vermag nicht zu überzeugen. Dieses stellt ausschließlich darauf ab, dass die Leistungen nach § 3 AsylbLG ausreichend sind, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Der dort entschiedene Fall unterscheidet sich auch insofern, als eine Abschiebung offenbar nicht unmittelbar bevor stand.

4. Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes gebotenen summarischen Tatsachenprüfung liegt auch ein Anordnungsanspruch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vor. Gleichzeitig überwiegen die bei Unterlassen der einstweiligen Anordnung für den Antragsteller entstehenden Nachteile deutlich die mit ihrem Erlass verbundenen Nachteile für den Antragsgegner.

a. Der Bescheid des Antragsgegners vom 28. Juni 2005 ist nicht schon aus formellen Gründen fehlerhaft.

Nach § 9 Abs. 3 AsylbLG gelten die Vorschriften der §§ 44 bis 50 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) entsprechend. Nach § 48 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.

Der Bescheid des Antragsgegners vom 23. Dezember 2004 ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung im Sinne des § 48 SGB X. Denn diese hat dem Antragsteller mit Wirkung zum 1. Januar 2005 Leistungen entsprechend dem SGB XII bewilligt, ohne diese zeitlich zu befristen. In Zusammenhang mit der Leistungskürzung zum 1. Juli 2005 war es daher erforderlich, den Bescheid vom 23. Dezember 2004 gemäß § 48 SGB X aufzuheben. Der streitbefangene Bescheid vom 28. Juni 2005 enthält jedoch keine ausdrückliche Aufhebung des Bescheides vom 23. Dezember 2004. Aus der rechtlichen Regelung, wonach ab dem Monat Juli 2005 nur noch geringere Geldleistungen bewilligt worden sind, lässt sich aber gerade noch erkennbar entnehmen, dass der Antragsgegner mit diesem Bescheid neben der Leistungskürzung auch den vorhergehenden Bescheid mit Dauerwirkung vom 23. Dezember 2004 aufheben wollte.

Der Antragsgegner hat zwar gegen die Vorschrift des bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens noch gültigen § 28 Abs. 1 Landesverwaltungsverfahrensgesetz Sachsen-Anhalt (LVwVfG LSA) in der Fassung bis zum 17. November 2005 verstoßen. Entgegen dem Schreiben an das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt vom 31. August 2005 ist der Antragsteller am 25. Juli 2005 nicht mündlich über die beabsichtigte Leistungskürzung angehört worden. Aus der in der Verwaltungsakte des Antragsgegners enthaltenen Verhandlungsniederschrift von diesem Tag geht hervor, dass ihm seine Ausreisepflicht und die Mitwirkungspflicht bei der Passbeschaffung mitgeteilt worden ist. Ferner ist dort ausgeführt, die Einstufung erfolge vorerst bis zur Vorlage der geforderten Nachweise nach § 1a AsylbLG. Dabei handelt es sich nicht um eine wirksame Anhörung im Sinne von § 28 Abs. 1 LVwVfG LSA. Denn dem Antragsteller sind die Gründe für die Leistungskürzung nicht dargelegt worden. Auch hat der Antragsgegner keine angedrohte Leistungskürzung gemäß § 1a AsylbLG vorgenommen.

Die Unterlassung der Anhörungspflicht ist aber ein relativer Verfahrensfehler, der nur dann zur Aufhebung des Verwaltungsaktes führt, wenn er sich auf das Ergebnis ausgewirkt haben kann. Anderenfalls ist der Fehler gemäß § 46 LVwVfG LSA unbeachtlich (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Auflage, § 28 Rd.Nr. 78, § 46 Rd.Nr. 29, 31). Hier ist nicht erkennbar, dass eine ordnungsgemäße Anhörung zu einer anderen Entscheidung des Antragsgegners hätte führen können. Der Antragsteller hat bereits in seinen Widerspruch vom 5. Juli 2005 darauf hingewiesen, dass er nach seiner Meinung die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich beeinflusst habe. Andere Gesichtspunkte hätte er auch bei einer ordnungsgemäßen Anhörung über eine Leistungskürzung nach § 2 Abs. 1 AsylbLG nicht vorbringen können.

Darüber hinaus ist unbeachtlich, dass die Leistung im Bescheid vom 28. Juni 2005 mit der fehlerhaften Begründung abgesenkt worden ist, es lägen keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen vor. Dies hat, wie der Antragsteller richtig dargestellt hat, seit dem 1. Januar 2005 keine Bedeutung mehr für die Zulässigkeit einer Leistungskürzung. Ein Bescheid ist aber nicht schon dann rechtswidrig, wenn er eine fehlerhafte Begründung enthält. Kann in der Sache keine andere Entscheidung ergehen, ist der Begründungsmangel unbeachtlich (§ 47 Abs. 1 VwVfG-LSA).

b. Der streitbefangene Bescheid vom 28. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. November 2005 ist nach der summarischen Prüfung aber in materiell-rechtlicher Hinsicht unrichtig.

Gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG i. d. F. des Gesetzes vom 30. Juli 2004 (Zuwanderungsgesetz, BGBl. I S. 1950) erhalten Leistungsberechtigte ab dem 1. Januar 2005 Leistungen in entsprechender Anwendung des SGB XII dann, wenn sie über die Dauer von insgesamt 36 Monaten Leistungen nach § 3 erhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben.

Unstreitig hat der Antragsteller über die Dauer von insgesamt 36 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten. Aus diesem Grund ist ihm auch zum 1. Dezember 2004 ein Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG eingeräumt worden.

Der Senat kann sich nicht davon überzeugen, dass der Antragsteller die Dauer seines Aufenthaltes rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hat. Rechtsmissbräuchlich ist das Verhalten eines Asylbewerbers dann, wenn es erkennbar der Verfahrensverzögerung und somit der Aufenthaltsverlängerung dient, obwohl eine Ausreise möglich und zumutbar wäre. Dabei muss das rechtsmissbräuchliche Verhalten tatsächlich die Dauer des Aufenthalts beeinflusst haben (Mergler/Zink, SGB XII Stand August 2004, § 2 AsylbLG Rd.Nr. 26, 28).

Die Frage der Rechtsmissbräuchlichkeit ist ein unbestimmter, auslegungsbedürftiger Rechtsbegriff und deshalb von den Gerichten in vollem Umfang zu überprüfen. Nach der Intention des Gesetzgebers soll mit der Einführung dieser Bestimmung der Anreiz zur missbräuchlichen Antragstellung weiter eingeschränkt werden. Danach sollen alle Ausländer, die rechtsmissbräuchlich die Dauer ihres Aufenthalts selbst beeinflussen, nach drei Jahren nicht mehr den vollen Leistungsumfang entsprechend den Regelungen des damaligen BSHG in Anspruch nehmen dürfen. Als Beispiele für einen Rechtsmissbrauch sind die Vernichtung des Passes oder die Angabe einer falschen Identität genannt worden. Es soll zwischen den Ausländern unterschieden werden, die unverschuldet nicht ausreisen können, und denen, die ihrer Ausreisepflicht rechtsmissbräuchlich nicht nachkommen (Deutscher Bundestag, Drucksache 15/420 vom 7. Februar 2003 zu Artikel 8). Die gesetzliche Intention korrespondiert mit der Richtlinie 2003/9/EG des Europäischen Rates zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliederstaaten. In dem dortigen Artikel 16 Abs. 1 Buchstabe a ist als Fall der möglichen Einschränkung oder Entziehung von gewährten Vorteilen genannt, dass ein Asylbewerber den bestimmten Aufenthaltsort verlässt, seinen Melde- und Auskunftspflichten oder Aufforderungen zu persönlichen Anhörungen betreffend das Asylverfahren während einer angemessenen Frist nicht nachkommt oder in einem Mitgliedsstaat bereits einen Antrag gestellt hat. Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten verlangt also ein subjektives, vorwerfbares Moment des bewussten Missbrauchs von Verfahrensregelungen, um die Ausreise zu verzögern.

Hier ist ein solches rechtsmissbräuchliches Verhalten im Sinne § 2 AsylbLG nicht erkennbar.

Bis zur rechtskräftigen Ablehnung seines Antrages auf Gewährung von Asyl am 2. Juni 2005 hat der Antragsteller nicht vorwerfbar seinen Aufenthalt selbst beeinflusst. Für diese Zeit verfügte er über eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylverfahrensgesetz. Er hatte während des laufenden Gerichtsverfahrens deshalb keine Veranlassung, aus eigenem Willen wieder abzureisen.

Ausweislich der dem Senat vorliegenden Niederschrift über die Anhörung vom 29. November 2001 hat der Antragsteller seinen palästinensischen Personalausweis dem Schleuser übergeben müssen, der ihn gegen einen gefälschten Reisepass getauscht hat. Dieser gefälschte Reisepass ist dem Antragsteller nach seinen Angaben nach seiner Ankunft in Deutschland wieder abgenommen worden. Der Senat hat keinen Anhaltspunkt dafür, dass diese Angaben nicht wahrheitsgemäß gemacht worden sind. Er hat auch keinen Anlass, im Rahmen des einstweiligen Rechtschutzverfahrens dieser Frage weiter nachzugehen. Der Antragsgegner hat in diesem Punkt zu keiner Zeit behauptet oder dargelegt, dass der Antragsteller seine Ausweispapiere selbst vernichtet hätte. Einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten wie der Vernichtung von Ausweispapieren steht jedoch nicht gleich, wenn die Ausweispapiere an einen Schleuser abgegeben werden, denn insoweit hat der einreisende Ausländer nicht freiwillig selbst seine Ausweispapiere vernichtet. Darüber hinaus fehlt es an der Absicht der Vernichtung der Ausweispapiere zum Zwecke der Aufenthaltsverlängerung, welche ein rechtsmissbräuchliches Verhalten darstellt.

Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten liegt auch nicht darin begründet, dass der Antragsteller bisher nicht freiwillig ausgereist ist. Zum einen verfügt er nicht über Ausweispapiere, die ihm eine problemlose Rückkehr in seine Heimat Palästina ermöglichen könnten. Davon geht auch der Antragsgegner aus. Zum anderen beinhaltet das reine Unterlassen einer freiwilligen Ausreise kein vorwerfbares Element wie z. B. die Vernichtung des Passes oder die bewusste Angabe einer falschen Identität. Rechtsmissbräuchlichkeit im Sinne des § 2 AsylbLG setzt im Verhältnis zu einem "einfachen" rechtswidrigen Verhalten durch eine bloße Nicht-Ausreise voraus, dass noch weitere Umstände hinzukommen müssen, die eine finanzielle Sanktionierung des Verhaltens des abgelehnten Asylbewerbers erlauben (so auch: VG Bremen, Gerichtsbescheid vom 16. September 2005, 2 K 1128/04).

Der Senat kann auch nicht feststellen, dass der Antragsteller seinen Mitwirkungspflichten an der Beschaffung von Ausweispapieren nicht nachgekommen ist, um die Ausreise zu verzögern. Ausweislich der vorliegenden Verwaltungsakte ist der Antragsteller erstmals am 25. Juli 2005 aufgefordert worden, Ausweisersatzpapiere zu beschaffen und die angestrengten Bemühungen bis zum 30. August 2005 nachzuweisen. Dieser Aufforderung hat der Antragsteller dadurch Rechnung getragen, dass er am 5. August 2005 bei der Generaldelegation Palästinas vorgesprochen hat. Ferner hat er in seinem Heimatland Zeugenerklärungen über Geburtsort, Geburtsdatum und den Namen der Mutter eingeholt und von einem amtlich vereidigten Übersetzer übersetzen lassen. Diese Unterlagen sind zwar erst zwei Tage nach Ablauf der gesetzten Frist bei dem Antragsgegner eingegangen. Aus der Verwaltungsakte ergibt sich aber nicht, wann die Unterlagen zur Post aufgegeben wurden, und ob der Eingangsstempel von der Poststelle der Behörde oder von dem Sachbearbeiter stammt. Insoweit hat der Antragsteller möglicherweise gegen die ihm obliegende Pflicht des Nachweises von Bemühungen verstoßen. Es kann aber offen bleiben, ob dieses Verhalten bereits als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist, da es tatsächlich die Dauer des Aufenthaltes nicht beeinflusst hat. Der Antragsgegner hat auch nach Kenntnis der Unterlagen keine weiteren Maßnahmen ergriffen, um die Beschaffung von Ausreisedokumenten zu beschleunigen. Die Anforderung von Kontoauszügen, die der Antragsteller im Übrigen ohne Verzögerung vorgelegt hat, dient nicht erkennbar der Beschleunigung der Abschiebung. In diesem Zusammenhang berücksichtigt der Senat auch, dass der Antragsgegner in der Stellungnahme für das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt vom 31. August 2005 auf einen Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht hingewiesen hat. Diese Stellungnahme ist aber erst am 2. September 2005, also nach Eingang der vom Antragsteller beschafften Unterlagen, abgesandt worden. Erkennbar hat das Landesverwaltungsamt in dem Widerspruchsbescheid auch diesen Umstand nicht berücksichtigt. Der Antragsgegner hat auch im Beschwerdeverfahren nicht vorgetragen, inwieweit dem Antragsteller die Beschaffung der angeforderten Nummer des Familienbuches sowie die UNORWA Registrierungsnummer ohne weiteres möglich wäre und er insoweit die Dauer seines Aufenthaltes rechtsmissbräuchlich verzögert. Zur Abwendung ihrer Verpflichtung zur Erbringung des vorgesehenen Leistungssatzes müsste der Antragsgegner konkret und nachweisbar einen Verstoß gegen Mitwirkungspflichten darlegen. Der Senat hat daher keinen Anlass, dieser Frage im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nachzugehen.

Soweit der Antragsgegner auf das Urteil des BVerwG vom 3. Juni 2003 verweist, führt dies nicht zu einer anderen rechtlichen Bewertung. Denn die dort zitierte Auffassung betrifft § 2 AsylbLG in der Fassung bis zum 31. Dezember 2004 und die Frage, ob Passlosigkeit ohne Verschulden ein rechtliches oder persönliches Abschiebehindernis darstellt.

Der Antragsgegner ist daher verpflichtet, für Zeit ab dem 23. November 2005 Leistungen nach § 2 AsylbLG zu bewilligen. Der Senat ist der Auffassung, dass auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes hier ausnahmsweise Leistungen für die Vergangenheit ab dem Zeitpunkt des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren sind. Anderenfalls wären die dem Antragsteller voraussichtlich zustehenden Leistungen bei einem späteren Obsiegen in der Hauptsache möglicherweise nicht mehr auskehrbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Der Beschluss ist nach § 177 SGG nicht anfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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