L 4 B 84/06 ER AY

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 59 AY 11/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 B 84/06 ER AY
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Der Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 2. März 2006 wird insoweit aufgehoben, als er die Antragsgegnerin zur Gewährung von Leistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) bezüglich des Antragstellers zu 6. insgesamt sowie bezüglich der Antragsteller zu 1. – 5. für die Zeiträume vom 1. Februar bis 5. Februar verpflichtet. 2. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. 3. Außergerichtliche Kosten der Antragsteller sind auch für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragsteller streiten im Rahmen eines einstweiligen Anordnungsverfahrens um die Gewährung von Leistungen in entsprechender Anwendung des Zwölften Sozialgesetzbuches (SGB XII) aufgrund eines über 36-monatigen Bezuges von Leistungen nach dem AsylbLG gemäß § 2 AsylbLG.

Die Antragsteller stammen aus dem Kosovo und besitzen die jugoslawische Staatsangehörigkeit (jetzt Serbien und Montenegro); sie sind Angehörige der Volksgruppe der Roma. Zurzeit verfügen sie über den Status der Duldung, zuletzt verlängert am 17. Januar 2006 bis zum 14. Juli 2006.

Im Juli 1999 reiste der Antragsteller zu 1. mit seiner Frau (Antragstellerin zu 2.) und den beiden Kindern E. und E1 (Antragsteller zu 3. und 4.) ohne Pass und ohne Visum in die Bundesrepublik ein. Die Kinder M. und S. (Antragsteller zu 5. und 6.) wurden in H. geboren.

Seit September 1999 bezieht die Familie Grundleistungen nach §§ 1, 3 AsylbLG, die Antragsteller zu 5. und 6. naturgemäß erst seit ihrer Geburt im Jahre 2000 bzw. 2005.

Asylanträge wurden mit Ausnahme für die Antragstellerin zu 5. nicht gestellt. Der Antrag der Antragstellerin zu 5. wurde am 15. Mai 2002 als unbeachtlich abgelehnt. Die Ablehnung ist seit dem 10. Januar 2003 unanfechtbar.

Im September 2004 legten die Antragsteller zu 1. bis 5. Widerspruch gegen den Leistungsbewilligungsbescheid für August 2004 ein und beantragten die Gewährung sogenannter Analogleistungen nach § 2 AsylbLG i.V.m. mit dem SGB XII für Leistungsberechtigte nach längerem Aufenthalt, was die Antragsgegnerin schließlich mit (bestandskräftigem) Widerspruchsbescheid vom 24. November 2004 für die Antragsteller zu 1. bis 4. zurückwies. Nur für die Antragstellerin zu 5. gewährte sie ab September 2004 mit Bescheid vom 20. September 2004 Leistungen nach § 2 AsylbLG i.V.m. SGB XII. Mit Bewilligungsbescheid für Februar 2005 wurden der Antragstellerin zu 5. dann wieder, wie den übrigen Familienmitgliedern, nur noch Grundleistungen nach §§ 1, 3 AsylbLG zuerkannt.

Im September 2005 legten die Antragsteller erneut Widerspruch – offenbar gegen den Leistungsbewilligungsbescheid für August 2005 – wegen der Nichtanwendung des § 2 AsylbLG ein, der von der Antragsgegnerin bislang nicht beschieden wurde.

Am 6. Februar 2006 haben die Antragsteller beim Sozialgericht Hamburg beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zur Gewährung der sogenannten Analogleistungen nach § 2 AsylbLG zu verpflichten. Mit Beschluss vom 2. März 2006 hat das Sozialgericht Hamburg die Antragsgegnerin zur Gewährung der begehrten Leistung für den Zeitraum vom 1. Februar 2006 bis zum 30. April 2006 unter Anrechnung bereits erbrachter Zahlungen verpflichtet. Gegen diesen Beschluss hat die Antragsgegnerin am 3. März 2006 Beschwerde eingelegt.

Sie ist der Auffassung, dass den Antragstellern Leistungen nach § 2 AsylbLG nicht zustünden, da sie die Dauer ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland rechtsmissbräuchlich selbst beeinflussten. Die Antragsteller zu 1. bis 4. seien 1999 ohne Pass oder Visum eingereist. Zudem sei trotz des zur Zeit ausgesprochenen Abschiebestopps für Roma aus dem Kosovo eine freiwillige Ausreise jederzeit möglich. Das Kosovo sei zumindest per Bus erreichbar. Es bestünden weder technische, humanitäre oder persönliche Hindernisse, noch stehe das öffentliche Interesse entgegen. Für den im Jahre 2005 geborenen Antragsteller zu 6. fehle es außerdem am 36-monatigen Leistungsbezug gemäß § 3 AsylbLG.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 2. März 2006 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

Die Antragsteller beantragen sinngemäß, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie tragen vor, dass ihnen eine Ausreise nicht möglich sei. Die Lage im Kosovo lasse dies für Angehörige der Roma nicht zu. Die höheren Analogleistungen würden Sie bereits im einstweiligen Anordnungsverfahren benötigen, um erhöhte Kosten wegen des Wegfalls der Schülerfahrkarte und der (in der Vergangenheit des öfteren gewährten) einmaligen Leistungen für Bekleidung ausgleichen zu können. Außerdem werde ihre Wohnunterkunft zum 30. Juni 2006 geschlossen und sie würden den erhöhten Leistungsbetrag auch für die Suche nach einer Ersatzwohnung einsetzen wollen.

Im Beschwerdeverfahren haben sie Kopien des 1998 ausgestellten Passes für die Antragstellern zu 2., in dem die Antragsteller zu 3. und 4. erfasst sind, sowie eines Passes für den Antragsteller zu 1. vorgelegt.

II.

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 2. März 2006, der das Sozialgericht nicht abgeholfen und die es dem Senat zur Entscheidung vorgelegt hat (§ 174 Sozialgerichtsgesetz (SGG)), ist zwar zulässig (§§ 172, 173 SGG), aber nur teilweise begründet. Das Sozialgericht hat – soweit die Zeit ab 6. Februar 2006 betroffen ist - in dem angefochtenen Beschluss zu Recht angenommen, dass die Antragsteller zu 1. bis 5. sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund hinsichtlich der Gewährung von Leistungen nach § 2 AsylbLG in entsprechender Anwendung des SGB XII (Analogleistungen) glaubhaft gemacht haben. Dem Antragsteller zu 6. stehen jedoch nur die Grundleistungen gemäß §§ 1, 3 AsylbLG zu.

Gemäß § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 (einstweiliger Rechtsschutz bei Anfechtungsklagen) nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2).

Sowohl ein Anordnungsgrund als auch ein Anordnungsanspruch liegen nach der im einstweiligen Anordnungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung vor.

Gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG ist abweichend von den §§ 3 und 7 des AsylbLG das SGB XII auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Dass die Antragsteller zum leistungsberechtigten Personenkreis nach § 1 AsylbLG zählen und auch die 36-monatige Mindestbezugszeit nach § 3 AsylbLG – zumindest für die Antragsteller zu 1. bis 5 – erfüllt ist, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.

Die Antragsteller zu 1. bis 5. erfüllen auch die zweite Voraussetzung nach § 2 Abs. 1 AsylbLG, denn sie haben, entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin, die Dauer ihres Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst.

Durch die Neufassung der Vorschrift zum 1. Januar 2005 sind die bisherigen Voraussetzungen, nämlich dass die Ausreise nicht erfolgen kann und aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, weil humanitäre, rechtliche oder persönliche Gründe oder das öffentliche Interesse entgegenstehen (§ 2 Abs. 1 AsylbLG a. F., in Kraft bis 31. Dezember 2004) entfallen und durch das Kriterium der rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung der Aufenthaltsdauer ersetzt worden. Auf die sonstigen Gründe, warum die Ausreise nicht erfolgen kann bzw. aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, kommt es für die Frage des Leistungsbezuges nach § 2 AsylbLG nicht mehr an. Was unter "rechtsmissbräuchlich" im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylbLG zu verstehen ist, wird weder in der Vorschrift selbst noch an anderer Stelle des AsylbLG definiert. Aus dem Wortverständnis und auch aus den Gesetzesmaterialien (BR-Drucksache Nr. 22/03 vom. 16. Januar 2003, S. 295f) zum Zuwanderungsgesetz 2004 (BGBl I S. 1950) ergibt sich aber, dass unter "rechtsmissbräuchlicher Beeinflussung" ein verschuldensgetragenes Fehlverhalten zu verstehen ist. Unter Hinweis auf die Vereinbarkeit mit einer zum damaligen Zeitpunkt erwarteten europarechtlichen Regelung wurden hierfür beispielhaft die Vernichtung des Passes sowie die Angabe einer falschen Identität erwähnt. Die inzwischen in Kraft getretene EU-Richtlinie (2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003, in GK-AsylbLG Bd. 2, IX-1, S. 11ff) führt unter Art. 16 als Fehlverhaltensweisen, die sich auf die Dauer des Aufenthalts auswirken können, insbesondere das unerlaubte Verlassen eines zugewiesenen Aufenthaltsorts, den Verstoß gegen Melde-, Auskunfts- und bestimmte Mitwirkungspflichten sowie die mehrfache oder verspätete Stellung eines Asylantrages auf. Sie befasst sich allerdings nur mit Sanktionen gegen Asylbewerber. Bei der gesetzlichen Neuregelung des § 2 AsylbLG, die im Hinblick auf die EG-Richtlinie erfolgte, entschied sich der Gesetzgeber dafür, keine Unterschiede zwischen Berechtigten, die Asylbewerber sind und denjenigen, die aus sonstigen Gründen unter das AsylbLG fallen, zu machen. Eine Sonderregelung der Sanktionsmöglichkeiten für Nichtasylbewerber, die unter das AsylbLG fallen, war zu keinem Zeitpunkt Gegenstand gesetzgeberischer Überlegungen. Die Auslegung des § 2 AsylbLG anhand der Richtlinie 2003/9/EG gilt nach Auffassung des Senates daher auch hinsichtlich dieser Leistungsberechtigten (so auch Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen 20.12.2005 - L 7 AY 51/05, nicht rechtskräftig, Revision beim BSG anhängig unter B 9b AY 1/06 R).

Bei Erfüllung der 36-monatigen Bezugsdauer nach § 3 AsylbLG können die erhöhten Analogleistungen demnach nur noch in wenigen Ausnahmefällen versagt werden; wenn nämlich dem Leistungsberechtigten ein entsprechendes Fehlverhalten vorgeworfen werden kann. Dies ist jedoch vorliegend nicht der Fall. Gemäß der von der Antragsgegnerin zum internen Dienstgebrauch herausgegebenen "Aktuellen Liste der Abschiebestopps und fachliche Vorgabe zur Duldungserteilung" vom 8. Juli 2005 (2/2005) besteht zur Zeit zugunsten serbisch-montenegrinischer Staatsangehöriger, die aus dem Kosovo stammen und der Volksgruppe der Serben und Roma (ausgenommen Straftäter) angehören, ein Abschiebestopp aus tatsächlichen Gründen, nämlich nach Maßgabe der UNMIK-Gespräche der Bundesregierung vom April 2005 sowie wegen fehlender bzw. unzureichender Flugverbindungen. Den betroffenen Personen soll der Status der Duldung erteilt werden, was im Falle der Antragsteller auch vorgenommen worden ist. Davor bestand bis 31. Mai 2003 ein Abschiebestopp aufgrund der Krisensituation im Herkunftsland (Weisung der Behörde für Inneres Hamburg 2/2003).

Die (bloße) Ausnutzung der bestehenden Rechtsposition der Duldung ist nicht rechtsmissbräuchlich, obwohl damit die Aufenthaltsdauer beeinflusst wird (so auch LSG Niedersachsen-Bremen 20.12.2005, a. a. O. und Sächsisches LSG 9.2.2006, L 3 B 179/05 AY-ER). Dabei bleibt es der Ausländerbehörde – vorbehaltlich anderer Abschiebungshindernisse – unbenommen, die Voraussetzungen für eine Abschiebung zu schaffen und diese durchzusetzen, zumal wenn wie hier aus ihrer Sicht nur logistische Probleme der Rückführung entgegenstehen. Ein Absehen von einer Abschiebung darf nicht den Antragstellern angelastet und ihnen deswegen Rechtsmissbrauch vorgeworfen werden. Zur Begründung eines Rechtsmissbrauchs reicht es nicht, dass – wie die Antragsgegnerin annimmt - eine freiwillige Ausreise möglich und das Kosovo zwar nicht direkt per Flugzeug, jedoch nach Weiterfahrt per Bus für die Antragsteller erreichbar sei. Unabhängig davon, ob diese Einschätzung zutrifft, liegt Rechtsmissbräuchlichkeit im Sinne des § 2 AsylbLG nicht schon beim Fehlen eines freiwilligen Ausreisewillens bei bestehender Duldung vor. Würde die freiwillige Ausreisemöglichkeit bereits dazu führen, dass Analogleistungen ausgeschlossen wären, liefe die Vorschrift des § 2 AsylbLG leer, denn die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise besteht - außer im Fall der Einreiseverweigerung des (wieder-)aufnehmenden Staates (etwa wegen fehlender Reisedokumente) - grundsätzlich immer. Selbst bei Vorliegen von Gründen, die einer zwangsweisen Abschiebung nach §§ 60, 60a AufenthaltsG zwingend entgegenstünden, wird die Auffassung vertreten, jeder dürfe sich freiwillig in solche Situation begeben (hierzu z.B. das Niedersächsische OVG, 24.10.2005, 8 LA 123/05, ZAR 2006, 31). Das Argument der freiwilligen Ausreisemöglichkeit ist daher kein geeignetes Kriterium zur Ausfüllung des Begriffs der Rechtsmissbräuchlichkeit. Die von der Antragsgegnerin behauptete Möglichkeit der freiwilligen Ausreise ist hier im Übrigen deshalb fraglich, weil sich die UNMIK bei der Rückführung der ethnischen Minderheit der Roma in das Kosovo ein Zustimmungserfordernis vorbehält und unter anderem den Nachweis einer "nachhaltigen Unterkunft" einfordert. Einer grundsätzlichen Rückführung der Roma stimmt die UNMIK auch unter Anwendung eines – formal – vereinfachten Prüfungsverfahrens ab 1. März 2006 nach wie vor nicht zu. Zwar sind die Antragsteller ausweislich der in der Ausländerakte erfassten Umstände ohne Pass und Visum eingereist, aber hierdurch haben sie ihre Aufenthaltsdauer nicht beeinflusst. Ungeklärt bleibt (mangels Beantwortung der entsprechenden Fragen des Gerichts durch die Antragsteller), warum die vorhandenen Pässe bei Einreise nicht vorgelegt wurden. Das kann jedoch dahinstehen, weil die Antragsteller bereits Anfang 2003 gegenüber der Ausländerbehörde den Besitz von Pässen angaben und bis dahin wegen der Unruhen im Herkunftsland eine Ausreise auch mit vollständigen Reisedokumenten nicht in Betracht gekommen wäre. Dementsprechend erfolgte auch keine Aufforderung zur Beschaffung von Ersatzdokumenten durch die Ausländerbehörde. Andere Verhaltensweisen, die auf einen Rechtsmissbrauch hindeuten, trägt auch die Antragsgegnerin nicht vor. Insbesondere haben die Antragsteller zu keinem Zeitpunkt falsche Angaben bezüglich ihrer Identität gemacht.

Soweit die Analogleistungen auch für den Antragsteller zu 6. begehrt werden, hat die Beschwerde hingegen Erfolg. Das am 13. Juli 2005 geborene Kind erfüllt nämlich die Voraussetzungen des 36-monatigen Bezuges von Leistungen nach § 3 AsylbLG nicht. Minderjährige Kinder unterliegen für die Frage der Gewährung von Leistungen nach § 2 AsylbLG verschärften Voraussetzungen. Gemäß § 2 Abs. 3 AsylbLG sind ihnen nur dann Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG zu gewähren, wenn mindestens ein Elternteil in der Hausgemeinschaft diese Leistungen erhält. Die Verwendung der Formulierung "nur ... wenn" weist darauf hin, dass minderjährige Kinder sowohl die Voraussetzungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG als auch zusätzlich nach § 2 Abs. 3 AsylbLG erfüllen müssen. Der nicht ungewöhnliche Fall eines noch nicht 36 Monate alten Kindes wurde hingegen in Abs. 3 nicht besonders erwähnt oder geregelt, so dass auch nicht entgegen dem Wortlaut der Vorschrift von einem Absehen des Erfordernisses des 36-monatigen Leistungsbezuges ausgegangen werden kann. Einem jüngeren Kind können daher Analogleistungen nicht zustehen.

Bei den Antragstellern zu 1. bis 5. liegt auch ein Anordnungsgrund vor. Ein solcher ist zu bejahen, wenn dem Rechtssuchenden aufgrund einer besonderen Eilbedürftigkeit das Abwarten einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zumutbar ist. Ein dringendes Regelungsbedürfnis ist nicht schon deswegen abzulehnen, weil die Antragsteller zumindest die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG weiterbeziehen. § 3 AsylbLG gewährt keine laufende Hilfe zum Lebensunterhalt im Sinne der § 27 ff SGB XII i.V.m. der jeweils gültigen Regelsatzverordnung, sondern nur die erheblich niedrigeren Grundleistungen. Hierin sind z.B. Aufwendungen für die Teilnahme am kulturellen Leben nicht vorgesehen. Die Zulässigkeit für die im Vergleich zur Sozialhilfe deutlich abgesenkten Leistungen wurde darin gesehen, dass bei intendierter nur kurzer Verweildauer im Bundesgebiet ein Integrationsbedarf nicht anfalle (BT-Drucksache 12/4451, S. 7) und hinsichtlich des Existenzminimums für Personen, die in der Bundesrepublik Deutschland verwurzelt sind, und dem Existenzminimum von Leistungsberechtigten zu differenzieren sei (BVerwG 29.9.1998, 5 B 82/97, NVwZ 1999, 669). Die gemäß § 3 Abs. 2 AsylbLG als Grundleistungen gewährten Beträge wurden in der Höhe seit 1993 nicht angepasst und sind durchschnittlich um ein 1/3 niedriger als der entsprechende Regelsatz unter Anwendung des SGB XII (Leistung für den Antragsteller zu 1. als Haushaltsvorstand zur Zeit: gerundet 225,- Euro, hingegen nach § 1 Regelsatzverordnung: 345,- Euro). Bei Verweis auf ein Hauptsacheverfahren würde die Erreichung des Zweckes von § 2 AsylbLG, nämlich bei längerfristiger Dauer des Aufenthaltes auch Bedürfnisse anzuerkennen, die auf eine stärkere Angleichung der Lebensverhältnisse und auf bessere soziale Integration zielen (BT-Drucksache 12/5008 S. 15), verfehlt. Angesichts der Tatsache, dass sich die Familie seit 1999 im Bundesgebiet aufhält und drei der vier Kinder schulpflichtig sind, besteht ein aktueller, vermehrter Integrationsbedarf. Ihnen wäre nicht damit gedient, die streitigen Beträge möglicherweise erst nach Jahren zu erhalten. Im Übrigen sind die ihnen zur Verfügung stehenden Geldmittel durch den Wegfall der den Antragstellern früher nicht in unerheblichem Umfang gewährten einmaligen Leistungen seit dem Jahre 2005 zurückgegangen.

Die Verpflichtung der Antragsgegnerin ist allerdings auf einen Zeitraum ab der Antragstellung bei Gericht, d.h. ab dem 6. Februar 2006 zu beschränken. Für den davor liegenden Zeitraum ist ein dringlicher Entscheidungsbedarf nach dem prozessualen Verhalten der Antragsteller nicht erkennbar (Rothkegel, Sozialhilferecht, S. 708 Rn 27). Ebenso konnte die Verpflichtung wegen der Beschränkung der erstinstanzlichen Entscheidung auf die Zeit bis zum 30. April 2006 nicht darüber hinaus ausgesprochen werden. Bleiben die tatsächlichen Verhältnisse der Antragsteller allerdings gleich und tritt keine Änderung der Sachlage ein, wird die rechtliche Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Leistung über den im Tenor genannten Zeitpunkt hinaus fortbestehen. Verweigert die Antragsgegnerin die Leistungsgewährung, können die Antragsteller erneut um vorläufigen Rechtschutz nachzusuchen. Die Verpflichtung der Antragsgegnerin aus diesem Beschluss endet wegen der Vorläufigkeit ihrer Natur spätestens mit dem bestands- bzw. rechtskräftigen Abschluss des Widerspruchs- bzw. Klagverfahrens.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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