L 15 B 45/06 SO ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
15
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 2 SO 106/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 15 B 45/06 SO ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 15. Februar 2006 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Kosten eines Pflegedienstes für hauswirtschaftliche Verrichtungen im Umfang von fünf Stunden wöchentlich bis zum 30. September 2006 vom Antragsgegner zu übernehmen sind. Der Antragsgegner hat die dem Antragsteller entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Das SG hat mit dem angefochtenen Beschluss, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, den Antragsgegner zu Recht verpflichtet, die Kosten eines Pflegedienstes für hauswirtschaftliche Versorgung vorläufig zu übernehmen.

Der 1949 geborene Antragsteller, bei dem ein leichtes Intelligenzdefizit und eine chronische Alkoholabhängigkeit bestehen, bedarf einer regelmäßigen hauswirtschaftlichen Hilfe in Form der Reinigung seiner Wohnung und des Wechselns/Waschens seiner Wäsche mit einem zeitlichen Aufwand von wöchentlich fünf Stunden. Dies hat der Antragsgegner in der Vergangenheit unter der Geltung des Bundessozialhilfegesetzes – BSHG – auch mit der Gewährung einer entsprechenden Sozialhilfeleistung gemäß § 11 Abs. 3 BSHG anerkannt. Dieser Bedarf besteht auch weiterhin, wie sich aus dem anlässlich eines Hausbesuches am 22. August 2005 gefertigten Vermerk (Bl. 12 der Verwaltungsakte) entnehmen lässt; dies wird vom Antragsgegner auch nicht bezweifelt.

Dieser Bedarf kann nach dem Außer-Kraft-Treten des BSHG nicht mehr – was zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig ist – auf der Grundlage des dem § 11 Abs. 3 BSHG entsprechenden § 27 Abs. 3 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) befriedigt werden, da der Antragsteller seit der Rechtsänderung zum 1. Januar 2005 Arbeitslosengeld II nach den Vorschriften des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) bezieht (vgl. § 5 Abs. 2 SGB II).

Der Anspruch ergibt sich aber aus § 61 Abs. 1 SGB XII. Diese Vorschrift regelt die Gewährung von Hilfe zur Pflege an pflegebedürftige Personen. Nach Satz 1 der Bestimmung ist Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens 6 Monate, in erheblichem oder höherem Maß der Hilfe bedürfen, Hilfe zur Pflege zu leisten. Diese Bestimmung greift damit den Begriff der Pflegebedürftigkeit so auf, wie er in der Pflegeversicherung in § 14 Abs. 1 SGB XI definiert ist. Eine solche mit der Zuerkennung zumindest der Pflegestufe I verbundene Fallgestaltung liegt nach den Ermittlungen des Antragsgegners nicht vor und wird auch vom Antragsteller nicht geltend gemacht.

Darüber hinaus ist nach § 61 Abs. 1 Satz 2 SGB XII Hilfe zur Pflege auch den Kranken und Behinderten zu leisten, die voraussichtlich für weniger als 6 Monate der Pflege bedürfen oder einen geringeren Bedarf als nach Satz 1 haben oder die der Hilfe für andere Verrichtungen als nach Abs. 5 bedürfen. Damit wird der enge Begriff der Pflegebedürftigkeit aus der Pflegeversicherung für das Sozialhilferecht ausgeweitet auf Fälle einfacher Pflegebedürftigkeit ("Stufe 0") sowie für "andere Verrichtungen" als die der Pflegeversicherung (vgl. Krahmer in LPK-SGB XII, § 61 Rdz.1, 6).

Der Antragsteller hat allerdings keinen auch nur minimalen Grundbedarf an pflegerischen Leistungen im Sinne der "Pflegestufe 0". Denn der in der Vergangenheit (zur Erledigung der hauswirtschaftlichen Versorgung) regelmäßig erscheinende Sozialdienst hat den Antragsteller nicht bei der Körperpflege in irgendeiner Form angeleitet oder beaufsichtigt, sondern dessen Erscheinen allein war für ihn – den Antragsteller – Anlass, sich selbst um ein gepflegteres Äußeres zu bemühen. Dass sich daran etwas geändert haben könnte, macht der Kläger nicht geltend und ist auch dem Prüfbericht der den Antragsteller zu Hause besuchenden Sozialarbeiterin nicht zu entnehmen.

Für eine solche Fallgestaltung wird jedoch – wie auch vom Antragsgegner – vertreten, dass diese nicht von der Fallgruppe "einen geringeren Bedarf als nach Satz 1 haben" des § 61 Abs. 1 Satz 2 SGB XII erfasst wird, da hierfür ein messbarer pflegerischer Bedarf erforderlich sei, ein nur hauswirtschaftlicher Bedarf dagegen nicht ausreiche. Dieser müsse nach Maßgabe des § 27 Abs. 3 oder des § 70 SGB XII bedient werden (vgl. Krahmer aaO, Rdz. 6 zu § 61).

Diese Auffassung wird damit begründet, dass es sich bei der hauswirtschaftlichen Versorgung um einen Bedarf handele, der in erster Linie über die Hilfe zum Lebensunterhalt (nach § 27 Abs. 3 SGB XII – früher nach § 11 Abs. 3 BSHG, ablehnend LSG Nordrhein-Westfalen vom 16. September 2005 – L 20 B 9/05 SO ER -, wonach Rechtsgrundlage § 70 Abs. 1 SGB XII bzw. zuvor die Vorgängervorschrift § 70 Abs. 1 BSHG sei) abzudecken sei, da die im Rahmen der Pflegebedürftigkeit geleistete Hilfe zur Pflege Verrichtungen "an" der und nicht nur "für" die Person des Hilfesuchenden erfordere (vgl. dazu und zum folgenden LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 04. Januar 2006 – L 8 SO 58/05 ER m. w. N.). Insofern hat sich jedoch mit der Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995 und der damit verbundenen Änderung der §§ 68 ff BSHG, die im Wesentlichen unverändert in das SGB XII übernommen wurde (vgl. dazu Krahmer aaO, Rdz. 6 vor § 61), eine Änderung der Rechtslage ergeben. Denn nach der ausdrücklichen Regelung in § 61 Abs. 5 Nr. 4 SGB XII (vorher wortgleich in § 68 Abs. 5 Nr. 4 BSHG) gehören nunmehr "im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung und das Beheizen" zu den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Sinne des Abs. 1. Sie sind damit nach der gesetzlichen Definition Leistungen der Hilfe zur Pflege, ohne dass es um Verrichtungen an, sondern lediglich für die Person geht. Diese Bestimmung umschreibt damit nicht nur die möglichen Leistungen der Hilfe zur Pflege, sondern auch den Kreis der Pflegebedürftigen (vgl. Schellhorn BSGH, Rdz. 8 zu § 68). Angesprochen ist dabei der gesamte Personenkreis des Abs. 1 mit einem regelmäßig durch Abs. 5 bezeichneten unterschiedlichen Grad der Pflegebedürftigkeit. Erfasst wir somit auch eine allein i. S. d. Nr. 4 bestehende Pflegebedürftigkeit.

Die Regelung in § 61 Abs. 5 lässt nicht erkennen, dass die Pflegebedürftigkeit im Sinne der Nr. 4 kumulativ auch einen (Mindest-) Bedarf an Grundpflege nach den vorausgehenden Nummern verlangt. Dies lässt sich auch nicht aus § 61 Abs. 2 Satz 2 SGB XII folgern (so auch LSG Niedersachsen-Bremen aaO). Der darin enthaltene Verweis auf Regelungen der Pflegeversicherung bezieht sich ausdrücklich auf die Pflegeleistungen nach Satz 1 und damit auf die entsprechenden Leistungen der Pflegeversicherung (Krahmer aaO, Rdz. 10 zu § 61). Angesprochen ist mithin der durch § 61 Abs. 1 Satz 1 SGB XII umschriebene Personenkreis der Pflegebedürftigen mindestens der Pflegestufe I.

Vorliegend ist jedoch die Hilfe zur Pflege nach § 61 Abs. 1 Satz 2 SGB XII im Streit. Der in dieser Vorschrift genannte Personenkreis wird jedoch gerade nicht von Satz 1 dieser Bestimmung erfasst.

Schließlich ist auch – was keiner abschließenden Entscheidung bedarf – ein Anwendungsfall des § 70 Abs. 1 SGB XII zu erwägen. Die Vorschrift ist im Hinblick auf ihre Zielsetzung, einen vorhandenen Haushalt zu erhalten, über ihren Wortlaut hinaus auch auf Alleinstehende wie den Antragsteller anwendbar. Sie soll eine Hilfe zur Haushaltsführung auch dann gewähren, wenn der Hilfesuchende wegen einer Behinderung lediglich wesentliche Verrichtungen nicht selbst erledigen kann, ohne gänzlich an der Versorgung seines Haushaltes zum Beispiel durch einen Krankenhausaufenthalt gehindert zu sein (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen aaO; LSG Nordrhein-Wesfahlen vom 16. September 2005 – L 20 B 9/05 SO ER – in Info also 2005, Seite 230). Dass die Leistung nach dieser Vorschrift in der Regel nur vorübergehend gewährt werden soll, steht einer Leistungsgewährung nicht entgegen. Diese Einschränkung gilt nämlich nicht, wenn durch die Leistung die Unterbringung in einer stationären Einrichtung vermieden oder hinausgeschoben werden kann.

Angesichts der in der Vergangenheit festgestellten Verwahrlosung und der weiteren zur Anordnung der Betreuung führenden Feststellungen steht beim Antragsteller zu befürchten, dass ohne Haushaltshilfe auf längere Sicht die Aufnahme in ein Heim und damit eine Unterbringung in einer stationären Einrichtung droht.

Mithin ist ein Anordnungsanspruch zu bejahen. Dem Kläger steht auch ein Anordnungsgrund zur Seite, denn wie bereits das SG ausgeführt hat, ist den erkennbaren Verwahrlosungstendenzen nur zu begegnen und ein menschenwürdiges Leben im Sinne des § 1 SGB XII zu gewährleisten, wenn die Leistungen vorläufig zuerkannt werden. Die Leistung war dem Charakter des vorläufigen Rechtsschutzes entsprechend auf die Zeit bis zum 30. September 2006 zu befristen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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