S 20 SO 34/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 20 SO 34/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 SO 13/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 03.06.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.02.2006 verurteilt, dem Kläger unter entsprechender Rücknahme der Bewilligungsbescheide vom 18.12.2002 und 16.06.2003 für die Zeit vom 01.01.2003 bis 30.06.2004 weitere Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung in Höhe von 2.772,00 EUR zu zahlen. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt der Beklagte. Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf weitere Leistungen der Grundsicherung (GSi) bei Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.01.2003 bis 30.06.2004 in Höhe von 2.772,00 EUR.

Der am 00.00.1956 geborene Kläger ist schwer behindert und dauerhaft erwerbsgemindert. Er wohnt bei seiner Mutter, die vom Amtsgericht zu seiner Betreuerin bestellt ist. Er bezieht vom Beklagten seit 01.01.2003 Leistungen der GSi bei Erwerbsminderung, bis 31.12.2004 nach dem Grundsicherungsgesetz (GSiG), seit dem 01.01.2005 nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).

Vom 01.01.2003 bis 30.06.2004 rechnete der Beklagte das Kindergeld, das der Mutter des Klägers gezahlt wurde (monatlich 154,00 EUR), als Einkommen des Klägers auf dessen GSi-Leistungen an. Die entsprechenden Bescheide vom 18.12.2002 und 16.06.2003 wurden bestandskräftig. Auf Anfrage des Klägers und Hinweis auf entsprechende verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zahlte der Beklagte ab 01.07.2004 die GSi-Leistungen ohne Anrechnung des Kindergeldes aus (Bescheid vom 10.09.2004).

Mit Schreiben vom 04.10.2004 und 21.04.2005 bat der Kläger um Überprüfung der Anrechnung des Kindergeldes auf die GSi-Leistungen auch für die Vergangenheit.

Durch Bescheid vom 03.06.2005 lehnte der Beklagte die Rücknahme der Bescheide vom 18.12.2002 und 16.06.2003 unter Hinweis auf deren Bestandskraft ab; eine Rücknahme nach § 44 des Zehnten Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) scheide aus, weil die Vorschriften des Ersten Kapitels des SGB X, zu denen auch § 44 gehöre, nicht für das GSiG gelte, da in diesem Gesetz die Vorschriften des SGB X nicht für anwendbar erklärt worden seien. Es gelte das Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVfG NW); nach dessen § 48 stehe die Rücknahme im Ermessen der Behörde; unter Berücksichtigung der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens sowie des öffentlichen Interesses an der Bestandskraft der Bescheide, das schwerer wiege als die privaten Interessen des Klägers, verbleibe es bei den bestandskräftigen Bescheiden.

Dagegen legte der Kläger am 22.06.2005 Widerspruch ein. Er vertrat die Auffassung, § 44 SGB X sei "lex specialis" zu § 48 VwVfG NW. Selbst wenn der Beklagte Ermessen hätte, wäre dies auf Null reduziert. Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 20.02.2006 zurück. Er führte ergänzend aus:

"Nach §§ 28a, 68 Nr. 18 des Sozialgesetzbuches Erstes Buch (SGB I) in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung gilt das Grundsicherungsgesetz bis zu seiner Einordnung in das Sozialgesetzbuch als dessen besonderer Teil. In § 37 Satz 1 SGB I wird bestimmt, dass das Erste und Zehnte Buch Sozialgesetzbuch für alle Sozialleistungsbereiche dieses Gesetzbuches und damit auch für das Grundsicherungsgesetz gelten. Damit findet auch § 1 Abs. 1 Satz 2 SGB X Anwendung, der bestimmt, dass für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände zur Ausführung von besonderen Teilen dieses Gesetzbuches, die nach In-Kraft-Treten der Vorschriften dieses Kapitels am 01. Januar 1981 Bestandteil des Sozialgesetzbuches werden, die Vorschriften des 1. Kapitels des SGB X nur gelten, soweit diese besondere Teile des Sozialgesetzbuches mit Zustimmung des Bundesrates die Vorschriften dieses Kapitels für anwendbar erklären. Diese Vorbehaltsklausel in § 1 Abs. 1 Satz 2 SGB X, die hinsichtlich der Anwendbar- keit von Verwaltungsverfahrensvorschriften die Gesetzgebungskompetenz der Länder wahren soll (Artikel 84 Abs. 1 GG) greift hier. Da das Grundsicherungsgesetz erst nach dem 01. Januar 1981 Bestandteil des Sozialgesetzbuches geworden ist, gelten für die mit dem Vollzug dieses Gesetzes beauftragten Landesbehörden, Gemeinden und Gemeindeverbände (vgl. § 4 GSiG) die Vorschriften des 1. Kapitels des SGB X, das sind die §§ 1 bis 66 SGB X, nicht, weil das Grundsicherungsgesetz sie nicht gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 SGB X für anwendbar erklärt.

Die mit dem Vollzug des Grundsicherungsgesetzes beauftragten Landesbehörden, Gemeinden und Gemeindeverbände haben mithin jeweils ihre landesrechtlichen Vorschriften zum Verwaltungsverfahren anzuwenden. Insoweit findet hier das Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVfG NW) in der Fassung der Bekanntmachung vom 12.11.1999 (GV NW S. 602) Anwendung."

Dagegen hat der Kläger am 20.03.2006 Klage erhoben.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 03.06.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.02.2006 zu verurteilen, ihm unter entsprechender Rücknahme der Bewilligungsbescheide vom 18.12.2002 und 16.06.2003 für die Zeit vom 01.01.2003 bis 30.06. 2004 weitere Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbs- minderung in Höhe von 2772,00 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakte des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide des Beklagten beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), da sie rechtswidrig sind. Er hat Anspruch auf Rücknahme der Bewilligungsbescheide vom 18.12.2002 und 16.06.2003, soweit hierdurch das seiner Mutter gezahlte Kindergeld als sein Einkommen berücksichtigt worden ist, und Nachzahlung der dadurch zu wenig erbrachten GSi-Leistungen. Dies folgt aus § 44 SGB X.

Der Anwendung dieser Vorschrift steht § 1 Abs. 1 Satz 2 SGB X nicht entgegen. Dort ist bestimmt, dass für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Gemeinden und Gemeindeverbände zur Ausführung von besonderen Teilen dieses Gesetzbuches, die nach In-Kraft-Treten der Vorschriften dieses Kapitels Bestandteil des Sozialgesetzbuches werden, die Vorschriften des Ersten Kapitels des SGB X nur gelten, soweit diese besonderen Teile mit Zustimmung des Bundesrates die Vorschriften dieses Kapitels für anwendbar erklären. Das hier anzuwendende Gesetz über die bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG), das in der Zeit vom 01.01.2003 bis 31.12.2004 in Kraft war und seit 01.01.2005 durch das Vierte Kapitel des SGB XII abgelöst worden ist, enthielt – anders als z.B. das Bundeserziehungsgeldgesetz (§ 22 Abs. 1 BErzGG), oder das Elfte Buch Sozialgesetzbuch über die Pflegeversicherung (§ 46 Abs. 2 Satz 4 SGB XI) – keine Bestimmung zur Anwendung des Ersten Kapitels des SGB X. Dies war jedoch keine vom Gesetzgeber nicht gewollte Lücke im GSiG (so: Linhart/Adolph, NDV 2003, 137). Es bedurfte keiner solchen Regelung, weil das GSi-Recht kein besonderer Teil des Sozialgesetzbuchs ist, der nach In-Kraft-Treten des SGB X (am 01.01.1981) Bestandteil des Sozialgesetzbuches geworden ist. Die durch das GSiG geregelte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist eine besondere Form der Hilfe zum Lebensunterhalt und gehört zu den Leistungen der Sozialhilfe im weitem Sinne des § 9 Abs. 1 SGB I. Diese Vorschrift lautet: " Wer nicht in der Lage ist, aus eigenen Kräften seinen Lebensunterhalt zu bestreiten oder in besonderen Lebenslagen sich selbst zu helfen, und auch von anderer Seite keine ausreichende Hilfe erhält, hat ein Recht auf persönliche und wirtschaftliche Hilfe, die seinem besonderen Bedarf entspricht, ihn zur Selbsthilfe befähigt, die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft ermöglicht und die Führung eines menschenwürdigen Lebens sichert. Hierbei müssen Leistungsberechtigte nach ihren Kräften mitwirken." Dies trifft auf die GSi-Leistungen zu. Diese Leistungen waren deshalb wie die Übrigen in §§ 3-10 SGB I aufgeführten Sozialleistungen schon vor dem In-Kraft-Treten des SGB X, nämlich seit dem In-Kraft-Treten des SGB I am 01.01.1976, Bestandteil des Sozialgesetzbuches. Dies erschließt sich auch daraus, dass die GSi-Leistung zunächst als besondere Sozialhilfeleistung in das Bundessozialhilfegesetz (BSHG) integriert werden sollte (vgl. Artikel 8 des Entwurfs eines Altersvermögensgesetz, BT-Drucksache 14/4595, S. 30). Da es hiergegen jedoch politische Widerstände gab, wurde die Leistung in einem besonderen Gesetz, dem GSiG, normiert (vgl. dazu den Bericht des Ausschusses für Arbeit- und Sozialordnung, BT-Drucksache 14/5150, S. 48-51). Seit dem 01.01.2005 ist die GSi-Leistung Bestandteil des SGB XII ("Sozialhilfe") in dessen Viertem Kapitel (§§ 41-46 SGB XII). § 8 Nr. 2 SGB XII bestimmt nunmehr ausdrücklich, dass die Sozialhilfe die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung umfasst. War und ist aber diese Leistung Bestandteil der Sozialhilfe, die schon bei In-Kraft-Treten des SGB X Bestandteil des Sozialgesetzbuches war, so galt und gilt das Erste Kapitel des SGB X für diese Leistungen auch ohne besondere Anwendungsbestimmung.

Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nach dem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

Bei Erlass der Bewilligungsbescheide vom 18.12.2002 und 16.06.2003 hat der Beklagte das Recht unrichtig angewandt. Er hat das der Mutter des Klägers gewährte Kindergeld als Einkommen des Klägers berücksichtigt, obwohl dies nach § 3 Abs. 2 GSiG i.V.m. §§ 76-88 BSHG nicht zulässig war. Denn Kindergeld ist sozialhilferechtlich Einkommen dessen, an den es ausgezahlt wird (BVerwG, Urteil vom 28.04.2005 – 5 C 28/04; OVG NRW, Beschluss vom 02.04.2004 – 12 B 1577/03; Sächsisches OVG, Urteil vom 25.01.2005 – 4 B 580/04). Da das Kindergeld nicht dem Kläger, sondern einem Elternteil ausgezahlt wurde, stellte es kein berücksichtigungsfähiges Einkommen des Klägers dar und war es nicht geeignet, den Bedarf des grundsicherungsberechtigten Klägers zu mindern. Durch die Berücksichtigung des Kindergeldes als Einkommen des Klägers hat der Beklagte in entsprechender Höhe Leistungen nach dem GSiG nicht erbracht, für 18 Monate jeweils 154,00 EUR, zusammen 2772,00 EUR. Diese GSi-Leistungen sind Sozialleistungen im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X (vgl. § 28a SGB I, in Kraft vom 01.01.2003 bis 31.12.2004; seit 01.01.2005: § 28 Abs. 1 Nr. 1a SGB I).

Dies begründet den Anspruch des Klägers auf teilweise Rücknahme der Bewilligungsbescheide vom 18.12.2002 und 16.06.2003 trotz ihrer Bestandskraft auch mit Wirkung für die Vergangenheit und Nachzahlung der Sozialleistungen gem. § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X. Danach werden Sozialleistungen nach der Rücknahme des Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit längstens für einen Zeitraum bis zu 4 Jahren vor der Rücknahme erbracht. Der Anwendung dieser Vorschrift steht nicht die Rechtssprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) entgegen. Das BVerwG hat aus dem Grundsatz "keine Sozialhilfe für die Vergangenheit" abgeleitet, dass § 44 SGB X – von wenigen Ausnahmen abgesehen – auf das Leistungsrecht nach dem BSHG nicht anwendbar ist. § 44 Abs. 1 und 4 SGB X gelte – so das BVerwG – für zu Unrecht nicht erbrachte Sozialhilfeleistungen deshalb nicht, weil sich aus dem BSHG ergebe, dass Sozialhilfe Nothilfe sei und ein Anspruch auf Sozialhilfeleistungen grundsätzlich einen gegenwärtigen Bedarf voraussetze. Habe ein Bedarf, für den das BSHG Hilfeleistungen bestimme, in der Vergangenheit bestanden, bestehe er aber jetzt nicht (mehr) (fort), fehle es an einer für den Sozialhilfeanspruch wesentlichen Anspruchsvoraussetzung; es bestehe kein Anspruch auf Hilfe für die Vergangenheit (BVerwG, Urteil vom 13.11.2003 – 5 C 26/02 = FEVS 55, 320 = ZFSH/SGB 2004, 371 = DÖV 2004, 793 = info also 2004, 261). Diese vom Bundesverwaltungsgericht herausgestellte Eigenart der Sozialhilfe, dass nämlich der Sozialhilfefall "gleichsam täglich neu regelungsbedürftig" ist (vgl. BVerwG a.a.O.), ist dem Recht der Grundsicherung nicht immanent. Dies haben das Verwaltungsgericht Aachen (Urteile vom 19.07.2005 – 2 K 469/04 und 2 K 2904/04), das VG Augsburg (Urteil vom 21.12.2004 – Au 3 K 04.617) und der VGH München (Beschluss vom 13.04.2005 – 12 ZB 05.262 = FEVS 56, 574) überzeugend begründet. Die Grundsicherung sei zwar bedarfsorientiert, nicht aber am sozialhilferechtlichen Bedarfsdeckungsprinzip ausgerichtet. Anders als der Regelfall in der Sozialhilfe könne deshalb bei der Grundsicherung zur Zeit der Rücknahme nach § 44 Abs. 1 SGB X und der Leistungserbringung nach § 44 Abs. 4 SGB X durchaus ein Anspruch auf Grundsicherungsleistung noch bestehen, weil die Grundsicherung eben nicht am sozialhilferechtlichen Bedarf ausgerichtet sei (VGH München a.a.O.). Weiter heißt es in dem Beschluss:

"Für die Anwendbarkeit des § 44 SGB X im Recht der Grundsicherung spricht auch dessen Konzeption als eine auf Dauer angelegte Sozialleistung. Abweichend von der üblicherweise monatsweisen Bewilligung von Hilfe zum Lebensunterhalt werden Leistungen der Grundsicherung für zwölf Kalendermonate bewilligt (§ 6 Abs. 1 GSiG; 3 44 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Der Bewilligungsbescheid über Grundsicherung ist deshalb ein Dauerverwaltungsakt (vgl. Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, Stand: 2005, RdNr. 1 zu § 44; Rothkegel, Strukturpinzipien des SGB XII/BSHG). Anders als die "gleichsam täglich neu regelungsbedürftige" und deshalb üblicherweise monatsweise bewilligte Hilfe zum Lebensunterhalt, sind die auf einen jährlichen Bewilligungszeitraum gerichteten Leistungen der Grundsicherung bei Änderung in den Voraussetzungen von Amts wegen neu festzusetzen. Nach Änderung der Verhältnisse muss der alte Bescheid gerade wegen seiner Dauerwirkung aufgehoben und ein neuer erlassen werden. Stellt sich nachträglich heraus, dass eine Grundsicherungsleistung zu Unrecht abgelehnt oder – wie hier – nicht in der zustehenden Höhe zuerkannt worden ist, muss der rechtswidrige Bescheid gemäß § 44 Abs. 1 SGB X zurückgenommen werden können /vgl. Kunkel – Das Grundsicherungsgesetz, ZFSH/SGB 2003, 330; auch Wahrendorf in Grube/Wahrendorf a.a.O., RdNr.1 rückwirkend zu erbringen (vgl. Kunkel, a.a.O.).

Schließlich sehen aber auch die Vorschriften des Grundsicherungsrechts selbst Leistungen für die Vergangenheit vor. Für die Erstbewilligung regelte § 6 Satz 2 GSiG eine Ausnahme für den Beginn der Bewilligung. Hier war die Leistung bei einer Änderung rückwirkend zum Ersten des Antragsmonats zu gewähren, also auch dann, wenn der Antrag erst am Ende des Monats gestellt worden war. Auch nach § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB XII beginnt bei der Erstbewilligung oder bei einer Änderung der Leistung der Bewilligungszeitraums am Ersten des Monats, in dem der Antrag gestellt worden ist oder die Voraussetzungen für die Änderung eingetreten oder mitgeteilt worden sind. Auch danach ist die Leistung rückwirkend zum Ersten des Antragsmonats zu gewähren." Dem schließt sich die Kammer im vollem Umfang an. Ein vergleichender Blick auf die bis 31.12.2004 geltende Arbeitslosenhilfe zeigt, dass auch diese Leistung bedürftigkeits- abhängig und steuerfinanziert, gleichwohl die Anwendbarkeit von § 44 SGB X im Recht der Arbeitslosenhilfe unbestritten war.

Nach alledem sind die bestandskräftigen Bescheide des Beklagten vom 18.12.2002 und 16.06.2003 zurückzunehmen, soweit dadurch das Kindergeld als Einkommen des Klägers berücksichtigt worden ist. Die für die Zeit vom 01.01.2003 bis 30.06.2004 zu wenig gezahlte GSi-Leistung in Höhe von 2772,00 EUR (18 Monate á 154,00 EUR) ist dem Kläger nachzuzahlen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Kammer hat die Sprungrevision zugelassen, weil sie der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimisst (§§ 161 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 161 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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