L 8 RJ 113/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 15 RJ 156/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 RJ 113/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13.08.2004 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im zweiten Rechtszuge nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Neuberechnung ihres Altersruhegeldes unter Berücksichtigung einer Beitragszeit von Oktober 1939 bis Februar 1940, die (ab dem 01.09.1939 bis Februar 1941) bereits als Verfolgungszeit anerkannt ist.

Die Klägerin ist am 00.00.1922 in P (Mai 1941 - 1945 = J) in Polen geboren und ging bis zur Besetzung durch das Deutsche Reich im September 1939 dort zur Schule. Als Jüdin war sie nationalsozialistischer Verfolgung ausgesetzt und musste ab Februar 1940 im jüdischen Ghetto der Stadt leben. Im März 1942 wurde sie in das Zwangsarbeitslager Klettendorf und im September 1944 in das Konzentrationslager Ludwigsdorf verbracht. Nach der Befreiung im Mai 1945 und einem Aufenthalt in Dachau bis 1948 wanderte die Klägerin nach Israel aus. Sie hat die israelische Staatsbürgerschaft. Die Klägerin ist als Verfolgte im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) anerkannt, erhielt nach diesem Gesetz Leistungen wegen Schaden an Freiheit vom 01.01.1940 bis 08.05.1945 und bezieht wegen Schadens an Körper und Gesundheit laufende Entschädigungsleistungen nach diesem Gesetz, zuletzt nach einer MdE um 50 v.H ...

Am 27.07.1990 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Rente und die Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen. In ihrem Antragsformular vom 10.04.1991 und dem Fragebogen zur Feststellung von in Polen zurückgelegten Zeiten gab die Klägerin an, von Oktober 1939 bis Februar 1940 als Bürogehilfin in der Firma des T K, Glashandel, gearbeitet zu haben. Es habe sich um ein Arbeitsverhältnis bei dem Vater gehandelt, mit dem auch eine gemeinsame Haushaltsführung von Oktober 1939 bis Februar 1940 bestanden habe. Zur Frage nach dem Arbeitsentgelt führte sie aus, dass ihr Barlohn nicht erinnerlich sei und dass sie an Sachbezügen, Kost und Wohnung erhalten habe. Sie sei in Vollzeit beschäftigt und bei der polnischen Versicherung versichert gewesen. Ab Februar 1940 habe sie den Judenstern tragen müssen. Weiter gab sie an, von März 1941 bis März 1942 bei der Firma S und N in C gearbeitet zu haben. Auch hier gab sie an, dass ihr Barlohn nicht erinnerlich sei und sie keine Sachbezüge erhalten habe. Wo sie versichert gewesen sei, sei ihr nicht bekannt. Zur Glaubhaftmachung legte die Klägerin eine Zeugenerklärung des N1 M vom 28.06.1991 vor, in der ausgeführt ist:

"Ich bestätige hiermit, dass Frau C C1 seit Ende 1939 bei der Firma T K in P als Bürogehilfe gearbeitet hat. Dies war ein Glashandel. Frau C1 war mit ihrem Arbeitgeber nicht verwandt und nicht verschwägert. Sie erhielt für ihre Arbeit ein Gehalt. Nähere Angaben zur Höhe ihres Gehaltes kann ich heute nicht mehr machen. Anfang 1940 musste Frau C1 ihre Stelle als Jüdin aufgeben. Ich war mit dem Bruder von Frau C1 gut befreundet und so suchte ich oft bei ihm ein Zuhause. Ich habe Frau C1 auch bei ihrem Arbeitsplatz gesehen."

Ferner legte die Klägerin eine Zeugenerklärung der F M1 vom 09.07.1991 vor. Diese führte aus:

"Ich bestätige hiermit, dass Frau C C1 bei der Firma K in P als Bürogehilfe seit Herbst 1939 bis Anfang 1940 gearbeitet hat. Sie war mit ihrem Arbeitgeber nicht verwandt. Frau C1 hat an allen Wochentagen gearbeitet und übte verschiedene Bürotätigkeiten aus. Für ihre Arbeit hat sie am Ende des Monats das übliche Gehalt erhalten. Im Frühjahr 1941 bekam Frau C1 eine Stelle als Näherin bei der Firma S in C. Ich habe zur selben Zeit bei S gearbeitet und wir haben uns täglich bei der Arbeit getroffen ... Ich kenne C C1 seit der Kindheit. Wir besuchten dieselbe Volksschule und dann auch die "C2 K" religiöse Mädchenschule. Wir haben bei S zur selben Zeit gearbeitet und wurden auch zusammen ... deportiert."

Die Beklagte zog die Entschädigungsakte der Klägerin bei, in der in einer eidlichen Zeugenaussage der C3 H vom 07.05.1958 unter anderem ausgeführt ist:

"Ich kenne sie seit vielen Jahren aus unserer Heimatstadt P. Ihr Vater war dort Inhaber eines Glas-Lagers und hatte aus dieser Tätigkeit ein gutes Einkommen. Die Zahlen bzw. die Höhe des Einkommens ist mir nicht bekannt ..."

Ferner gab die Klägerin in dem Antrag auf Ersatz von Ansprüchen wegen Schaden an Freiheit an, ab dem 01.02.1940 im Ghetto P gelebt zu haben. Im Antrag auf Schaden an Körper oder Gesundheit gab die Klägerin am 25.03.1958 an, von 1937 bis 1939 das Gymnasium besucht zu haben. Zur Frage welche Erwerbstätigkeit bei welcher Firma mit welchen Einkünften bei Beginn und in den letzten drei Jahren vor der Verfolgung ausgeübt wurde, gab die Klägerin an, sie habe bei den Eltern gelebt. Ihr Vater habe ein Glaslager gehabt. Sie hätten in gutbürgerlichen Verhältnissen gelebt, eine große Wohnung und Dienstboten gehabt. Die Höhe der Einkünfte sei ihr nicht bekannt. Zu den Fragen des selbst ausgeübten Berufes oder der Berufsausbildung machte die Klägerin keine Angaben. Die Beklagte wies die Bevollmächtigten der Klägerin darauf hin, dass eine Anrechnung der Beschäftigung im elterlichen Betrieb von Oktober 1939 bis Ende 1939 nicht möglich sei, da die Beschäftigung nicht der Versicherungspflicht unterlegen haben. (Einführung der gesetzlichen Rentenversicherung im Gebiet Katowicz zum Stichtag 01.01.1940, § 17 Abs. 1 Buchst. b 2. Halbsatz Fremdrentengesetz -FRG ). Die Angaben der Zeugen, dass die Klägerin mit dem Arbeitgeber nicht verwandt gewesen sei, treffe nicht zu, da es sich um den väterlichen Betrieb gehandelt habe. Aufgrund des jugendlichen Alters könne davon ausgegangen werden, dass es sich bei der Beschäftigung im elterlichen Betrieb um eine familienhafte Mithilfe gehandelt habe. Die Klägerin legte daraufhin eine ergänzende Zeugenerklärung der Zeugin M1 vom 23.09.1992 vor, in der diese ausführte, sie habe angegeben, dass Frau C1 mit ihrem Arbeitgeber nicht verwandt gewesen sei, weil sie bei der Firma zu einer Zeit gearbeitet habe, als diese nicht mehr ihrem Vater gehört, sondern bereits im Zuge der Arisierungsmaßnahmen unter kommissarischer Verwaltung gestanden habe. Der Zeuge M führte in einer ergänzenden Erklärung vom 22.09.1992 aus, der väterliche Betrieb "Glashandel Firma T K" sei von der deutschen Besatzung unter kommissarische Verwaltung gestellt worden. Dadurch habe die Firma nicht mehr dem Vater der Klägerin gehört. Deshalb habe er angegeben, dass die Klägerin mit ihrem Arbeitgeber nicht verwandt gewesen sei. Anfang 1940 habe sie ihre Tätigkeit beim kommissarischen Verwalter aufgeben müssen.

Mit Bescheid vom 15.10.1992 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Rente ab und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22.06.1993 zurück.

Gegen die Ablehnung erhob die Klägerin beim Sozialgericht Düsseldorf Klage (S 12 J 231/93, wieder aufgenommen unter dem Az.: S 11 (12) RJ 265/97). Das Verfahren endete durch Vergleich, mit dem die Beklagte Beitragszeiten von März 1941 bis März 1942 und Ersatzzeiten von Januar 1940 bis Mai 1945 anerkannte und sich ferner bereit erklärte, für die hier streitige Zeit erneut durch Bescheid zu entscheiden. Im Klageverfahren hatte die Klägerin vorgetragen, dass Tätigkeiten im elterlichen Geschäft nicht stets versicherungsfrei gewesen seien, sondern der polnischen Versicherungspflicht unterlegen hätten. Allerdings hätten die Betriebsinhaber eine Befreiung erwirken können. Eine solche Befreiung sei jedoch nicht vorgetragen worden. Zwischen Oktober 1939 und Februar 1940 sei eine Enteignung vorgenommen und Treuhänder als Firmeninhaber eingesetzt worden. Die Firma des Vaters der Klägerin sei bereits im Oktober 1939 arisiert worden.

Mit Ausführungsbescheid vom 15.02.2001 gewährte die Beklagte der Klägerin Altersruhegeld ab dem 01.02.1987 unter Anerkennung der genannten Beitrags- und Ersatzzeiten. Auf den dagegen eingelegten Widerspruch erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 01. Juni 2001 weitere Verfolgungsersatzzeiten (auch hinsichtlich der hier streitigen Zeiten) ab September 1939 und Anschlussersatzzeiten bis 26.09.1948 an. Gleichzeitig lehnte sie die Anerkennung der hier streitigen Zeit als Beitragszeit von Oktober 1939 bis Februar 1940 mit der Begründung ab, dass nicht glaubhaft gemacht worden sei, dass es sich um ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis gehandelt habe. Den rechtzeitig eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.09.2001 zurück.

Am 27.09.2001 hat die Klägerin zum Sozialgericht Düsseldorf Klage erhoben. Sie trägt vor, bei ihrer Tätigkeit als Bürogehilfin in der Firma Glashandel T K habe es sich um eine normale versicherungspflichtige Tätigkeit gehandelt. Die Firma habe bereits unter kommissarischer Verwaltung gestanden und ihr Vater sei daher zu diesem Zeitpunkt nicht mehr Arbeitgeber gewesen. Deshalb habe sie auch Anfang 1940 die Tätigkeit aufgeben müssen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 01.06.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.09.2001 zu verurteilen, die Rente der Klägerin neu zu berechnen und bei der Neuberechnung die Zeit von Oktober 1939 bis Februar 1940 als glaubhaft gemachte Beitragszeit zu berücksichtigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis in dem streitigen Zeitraum für nicht ausreichend glaubhaft gemacht.

Das Sozialgericht hat nach Beiziehung der Entschädigungsakten der Klägerin versucht, durch ein Rechtshilfeersuchen Zeugen in Israel vernehmen zu lassen. Das Rechtshilfeersuchen wurde unerledigt zurückgesandt mit dem Ergebnis, dass die Zeugin H verstorben ist, eine Zeugin F T Israel im Juli 1970 verlassen hat und die Zeugen M und M1 aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr vernehmungsfähig waren.

Mit Urteil vom 13.08.2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Da im Gebiet von P (Ostoberschlesien) die Reichsversicherungsordnung (RVO) mit Wirkung vom 01. Januar 1940 eingeführt worden sei, beurteile sich die Frage eines rentenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses nach den früheren Vorschriften der reichsgesetzlichen Invalidenversicherung. Für die Zeit vor dem 01.01.1940 gelte hingegen § 15 ff. Fremdrentengesetz -FRG-. Sowohl nach dem FRG als auch nach der RVO sei Voraussetzung für eine Anerkennung als Beitragszeit, dass eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt und eine Beitragszahlung erfolgt sei. Versichert gewesen seien alle Personen, die als Arbeitnehmer gegen Entgelt beschäftigt gewesen seien. Nicht versicherungs- und beitragspflichtig sei dagegen die Mithilfe in einem Betrieb aufgrund der Familienzugehörigkeit ohne Eingliederung in den Betrieb und ohne Entgeltzahlung. Die Verrichtung eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses könne jedoch nicht festgestellt werden. Ebenso wahrscheinlich sei es, dass die Klägerin im Rahmen familienhafter Mithilfe im Betrieb ihres Vaters tätig gewesen sei. Es sei davon auszugehen, dass der Vater auch der Inhaber des Betriebes gewesen sei. Die gegenteilige Behauptung der Klägerin, dass der Betrieb bereits unter kommissarischer deutscher Verwaltung gestanden habe, sei hingegen nicht glaubhaft. Zwar werde die Behauptung der Klägerin von den Zeugen M und M1 gestützt. Deren Angaben überzeugten jedoch nicht, da die Klägerin im Antragsformular und Zusatzfragebogen ausdrücklich bestätigt habe, dass sie im Betrieb ihres Vaters gearbeitet habe. Es sei nicht erkennbar, warum diese Antwort auf einem Irrtum der Klägerin beruhen könne. Vielmehr könne erwartet werden, dass ein Versicherter bei Beantwortung dieser Frage berücksichtige, ob der Verwandte tatsächlich noch Inhaber des Betriebes gewesen sei oder nicht. Auch dränge sich nicht die Annahme auf, dass bereits wenige Wochen nach dem deutschen Überfall auf Polen in sämtlichen - auch kleinen - Betrieben kommissarische Verwalter eingesetzt gewesen seien. Der Umstand, dass die Klägerin im Februar 1940 den Betrieb habe wieder verlassen müssen, spreche eher dafür, dass zu diesem Zeitpunkt ein kommissarischer Verwalter eingesetzt worden sei. Für eine familienhafte Mithilfe spreche auch, dass die Klägerin angegeben habe, dass ihr die Zahlung eines Barlohns nicht mehr erinnerlich sei.

Gegen das am 24.09.2004 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 11.10.2004 Berufung eingelegt. Sie ist der Ansicht, es sei ausreichend glaubhaft gemacht, dass der Betrieb bereits im streitigen Zeitraum unter kommissarischer deutscher Verwaltung gestanden habe und dass es sich deshalb um eine ordnungsgemäße Beschäftigung und nicht um eine familienhafte Mithilfe gehandelt habe. Das Sozialgericht habe es unterlassen, eigene Ermittlungen dazu anzustellen, dass bereits zum damaligen Zeitpunkt die Betriebe kommissarisch verwaltet worden seien. Dies ergebe sich auch aus einer Verordnung des Grenzschutz-Abschnittskommando 3 vom 16.09.1939. Danach hätten Handwerksbetriebe, deren Inhaber Juden gewesen seien, nur weiter betrieben werden dürfen, wenn für den Geschäftsbetrieb vom zuständigen Landrat eine behördliche Aufsicht eingesetzt worden sei. Außerdem sei Voraussetzung gewesen, dass ein leitender arischer Angestellter vorhanden gewesen sei. Die Einsetzung kommissarischer Verwalter sei also geregelt gewesen, ebenso wie die Arbeits- und Lohnverträge mit Verordnung vom 13.09.1939. Die kommissarische Verwaltung ergebe sich auch aus einem Schreiben des Leiters der LVA Schlesien vom 04. April 1940, in dem ausgeführt sei, dass die Kontrollen in den kommissarisch verwalteten Betrieben wiederholt Rückstände nach dem 01.09.1939 ergeben hätten. Im Übrigen sei nicht erforderlich, dass die behaupteten Tatsachen überwiegend wahrscheinlich seien, ausreichend sei zur Glaubhaftmachung vielmehr die gute Möglichkeit des behaupteten Vortrags.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13.08.2004 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 01.06.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.09.2001 zu verurteilen, die Rente der Klägerin neu zu berechnen und bei der Neuberechnung die Zeit von Oktober 1939 bis Februar 1940 als glaubhaft gemachte Beitragszeit zu berücksichtigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ebenso wahrscheinlich wie die Behauptung der Klägerin sei, dass im Februar 1940 ein kommissarischer Verwalter erst eingesetzt worden sei, da die Klägerin zu dieser Zeit den Betrieb wieder habe verlassen müssen.

Der Senat hat über das Auswärtige Amt und das Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Krakau eine Auskunft zum Unternehmen des Vaters der Klägerin eingeholt. Das zuständige Staatsarchiv Katowicz hat unter dem 05.05.2005 mitgeteilt, dass im Archiv keinerlei Dokumente hätten aufgefunden werden können, die noch Aufschluss über den Betrieb oder eine kommissarische Verwaltung geben könnten. Auch im Betriebsarchiv fänden sich keine Unterlagen mehr aus dem Zeitraum von 1939 bis 1945.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten sowie den Inhalt der beigezogenen Entschädigungsakte des Bayerischen Landesentschädigungsamtes und der Vorprozesskarte des Sozialgerichts Düsseldorf (Az.: S 11(12) RJ 265/97) Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl die Klägerin im Termin zu mündlichen Verhandlung nicht vertreten gewesen ist. Auf diese sich aus den §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 1, 126 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ergebende Möglichkeit ist der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit der ihm am 24.03.2006 zugestellten Terminsmitteilung hingewiesen worden.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Der geltend gemachte Anspruch auf Berücksichtigung weiterer Beitragszeiten und Neuberechnung ihres Altersruhegeldes steht ihr nicht zu.

Der Senat teilt die Auffassung der Beklagten und des Sozialgerichts, dass die von der Klägerin vorgetragenen Beschäftigungszeiten von Oktober 1939 bis Februar 1941 nicht als Beitragszeiten zu berücksichtigen sind, weil sie als solche weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht (§ 4 Fremdrentengesetz -FRG-) sind. Es ist auch zur Überzeugung des Senats nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Klägerin im (ehemaligen) Betrieb ihres Vaters versicherungspflichtig gearbeitet hat und für sie Beiträge an den polnischen bzw. deutschen Rentenversicherungsträger entrichtet worden sind.

Zunächst nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG zur Vermeidung von Wiederholungen auf die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe Bezug. Für die vom Sozialgericht angenommene versicherungsfreie familienhafte Mithilfe der Klägerin im Betrieb ihres Vaters sprechen darüber hinaus weitere sich aus den beigezogenen Entschädigungsakten ergebende Umstände. So hat die Klägerin im dortigen Antrag auf Schaden an Körper oder Gesundheit vom 25.03.1958 unter III.3. auf die ausdrückliche Frage nach der zuletzt und drei Jahre vor dem Beginn der Verfolgung verrichteten Erwerbstätigkeit keine Angaben zu einer eigenen Berufs- oder Erwerbstätigkeit gemacht und auch keine eigenen Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit angegeben. Vielmehr hat sie nur angegeben, dass sie bei den Eltern in gut bürgerlichen Verhältnissen lebte, der Vater ein Glaslager hatte und sie zu der Höhe der Einkünfte keine Angaben machen könne. Auch in späteren Gutachten oder in einem von der Klägerin am 15.10.1992 verfassten Lebenslauf finden sich keinerlei Angaben zu einer eigenen Berufstätigkeit als Bürogehilfin für die Zeit von Oktober 1939 bis Anfang 1940 im elterlichen oder einem unter kommissarischer Verwaltung stehenden Betrieb.

Soweit die Klägerin vorträgt, dass der Betrieb des Vaters bereits unmittelbar nach dem Einmarsch der Deutschen unter kommissarische Verwaltung gestellt worden sei und von ihr im Rentenantrag gleichwohl eine Beschäftigung beim Vater angegeben worden sei, weil sie aus ihrer Sicht die Enteignung des Betriebes nicht akzeptiert habe, hält der Senat ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis der Klägerin in einem kommissarisch verwalteten Betrieb des Glashandels für nicht wahrscheinlich. In dem von der Klägerin 1992 verfassten Lebenslauf, in dem sie beschreibt, dass sich nach dem Einmarsch der Deutschen zu den Feiertagen des Yom-Kippur (also am 23.09.1939) ihr Leben drastisch änderte, oder dem sonstigen Inhalt der Entschädigungsakte werden die Tätigkeit im elterlichen Betrieb oder das Schicksal des Vaters und seines Betriebes an keiner Stelle erwähnt. Erwähnt werden lediglich Arbeitseinsätze wie Schnee schaufeln und Säuberung der Stadt zu Beginn der Verfolgung. Offen bleibt und kann bleiben, ob die Klägerin vor Einsatz einer kommissarischen Leitung bereits im Betrieb des Vaters ohne Entgelt beschäftigt war oder ob sie erst mit Beginn einer kommissarischen Verwaltung die Beschäftigung aufgenommen haben will.

Denn es lässt sich weder feststellen, wann eine kommissarische Leitungsübernahme stattgefunden hat noch lässt sich mit Wahrscheinlichkeit feststellen, dass die Klägerin selbst bei einer frühen kommissarischen Leitung versicherungspflichtig beschäftigt gewesen ist. Ab wann der Betrieb des Vaters der Klägerin unter kommissarischer Verwaltung stand, lässt sich nicht im einzelnen aufklären. Schriftliche Dokumente existieren nach der vom Senat eingeholten Auskunft des Staatsarchivs in Katowice nicht mehr. Die vom Bevollmächtigten vorgelegte Verordnung vom 18.09.1939 ergibt nur, dass Handwerksbetriebe bei geflüchteten Inhabern geschlossen zu halten waren. Andere durften nur weiter betrieben werden, wenn eine behördliche Aufsicht eingesetzt war und ein leitender Angestellter arisch war. Dies sagt allerdings noch nichts über die Umsetzung im Einzelfall oder darüber aus, ob nicht der Betrieb auch bei Einsatz eines kommissarischen Leiters gleichwohl als Familienbetrieb weitergeführt werden konnte. Nach dem vorgelegten Schreiben der Polizeistelle Kattowice vom 31.10.1940 mussten Gewerbebetriebe, die Juden beschäftigten, ihre Beschäftigten bis zum 10.11.1939 melden. Die Treuhandstelle im Generalgouvernement mit ihren Außenstellen wurde am 15.11.1939 (de.wikipedia.org/wiki/Generalgouvernement) eingerichtet. Aus dem vom Bevollmächtigten der Klägerin weiter vorgelegten Schreiben des Leiters der Landesversicherungsanstalt Schlesien aus April 1940 ergibt sich zwar, dass es nach dem 01.09.1939 zu Rückständen der kommissarisch verwalteten Betriebe bei der Anmeldung von Beiträgen zur Invalidenversicherung gekommen ist. Aus den vorgelegten Unterlagen lassen sich jedoch keinerlei Rückschlüsse darauf ziehen, ob der Betrieb des Vaters der Klägerin innerhalb kürzester Zeit mit einem kommissarischen Leiter versehen wurde und selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, ob die Klägerin danach überhaupt noch als Beschäftigte in dem Betrieb geführt wurde. Da die Klägerin in ihrem Rentenantrag angegeben hat, dass sie nach ihrer Beschäftigung beim Vater ab Februar 1940 den Judenstern tragen musste und im Antrag wegen Schaden an Freiheit angab, dass sie ab dem 01.02.1940 im Ghetto gelebt und ihrer Freiheit beraubt war und die Zeugen M und M1 bestätigen, dass die Klägerin ihre Stelle bereits Anfang 1940 aufgeben musste, besteht angesichts des hier streitigen kurzen Zeitraumes auch die gute Möglichkeit, dass die Klägerin bereits bei und wegen des Einsatzes einer kommissarischen Leitung ihre Beschäftigung im Betrieb des Vaters aufgeben musste. Ebenso besteht unter Berücksichtigung der Umbruchphase und des kurzen Zeitraumes die gute Möglichkeit, dass selbst bei früher kommissarischer Leitung die vorgefundene Struktur des Betriebes zu Beginn unverändert blieb und der bisherige Betriebsleiter sowie beschäftigte Familienangehörige für die Dauer der Abwicklung der Übernahme bzw. bis Anfang 1940 noch nicht als Arbeitnehmer in beitragspflichtigen Beschäftigungen geführt bzw. überführt wurden. Hierfür spricht auch, dass sich die Klägerin selbst nicht an den Erhalt von Barlohn erinnern konnte. Wohl konnte sie angeben, Sachbezüge in Form von Kost und Logis bei gemeinsamer Haushaltsführung mit dem Vater erhalten zu haben, was deutlich für eine familienhafte Mithilfe spricht. Unwahrscheinlich ist jedoch, dass ihr Kost und Logis im Haushalt des Vaters durch einen kommissarischen Leiter gewährt worden ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Anlass, die Revision zuzulassen, hat nicht bestanden (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved