L 5 KR 66/05

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Schleswig (SHS)
Aktenzeichen
S 8 KR 92/04
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 66/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Krankenkasse hat grundsätzlich Versicherte auf die Möglichkeit einer stati-onären Behandlung hinzuweisen, wenn diese weitgehend mit der ambulanten Behandlung identisch ist und im Gegensatz zu dieser zu keiner Kostenbelas-tung führt.

2. Der Kostenerstattungsanspruch des § 13 Abs. 3 SGB verdrängt in seinem An-wendungsbereich den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 25. April 2005 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten auch für die Berufungsinstanz zu gewähren. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für eine bei ihm durchgeführte ambulante Brachytherapie mit permanenter Seed-Implantation bei Prostatakrebs in Höhe von 8.275,00 EUR hat.

Der 1935 geborene Kläger ist bei der Beklagten versichert. Zu Beginn des Jahres 2004 wurde bei ihm ein lokal begrenztes Prostatakarzinom im Anfangsstadium (T1c, PSA 8,2ng/ml; Glea-son 6) ohne Nachweis von Metastasen diagnostiziert. Für den Kläger beantragte der behandelnde Arzt Dr. T bei der Be-klagten mit Schreiben vom 28. März 2004 die Kostenübernahme für die Durchführung der permanenten Seed-Implantation der Prostata wegen Prostatakarzinoms. Gleichzeitig informierte Dr. T die Beklagte umfassend unter "Ambulantes Brachythe-rapie-Zentrum Schleswig-Holstein, Rendsburg," über herkömmli-che Behandlungsmethoden bei dieser Erkrankung und deren Neben-wirkungen. Aufgrund der Komplikationsraten, insbesondere der radikalen Entfernung von Prostata und Samenblasen, lehne der Kläger eine solche Operation ab. Gleiches gelte für eine ex-terne Bestrahlung. Als Alternative dazu habe sich in den USA die Implantation radioaktiver Jod-Seeds direkt in die Prostata etabliert. Da der Kläger die radikale Prostatatektomie ablehne und die Überlebensrate der streitigen Behandlung gegenüber ex-terner Bestrahlung deutlich besser sei, sei die Monotherapie mit Seeds zwingend die Therapie der Wahl bei dem Kläger. Die Kosten lägen im Rahmen der Kombinationstherapie bei 8.275,00 EUR.

Die Beklagte nahm eine Anhörung des Klägers mit Schreiben vom 14. April 2004 vor, in dem sie auf eine Stellungnahme des Kom-petenz Centrums Onkologie beim Medizinischen Dienst Nordrhein vom 23. Juli 2002 verwies. Die dort vorliegenden Daten zeig-ten, dass die Lebensqualität bei einer externen Bestrahlung eher besser sei. Mit Bescheid vom 29. April 2004 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme ab, da die beantragte Therapie keine Kassenleistung sei. Hiergegen legte der Kläger Wider-spruch ein. Er sei schwerbehindert (Bescheid des Landesamtes für Jugend, Soziales und Versorgung, Saarland, vom 27. Februar 1997, GdB 100) und leide an den Folgen einer Reihe von Vorer-krankungen. Bei einer Operation wegen eines Aortenaneurysmas seien Nerven durchtrennt und wichtige Funktionen des Körpers massiv gestört worden. Seitdem habe er Missempfindungen in der Körperwahrnehmung mit starken Schmerzen, die chronisch gewor-den seien. Damit könne er sich keine Operation mehr zumuten. Er lebe mit der Metallverklammerung, die seinen Brustkorb zu-sammenhalte. Er habe keine andere Wahl als das am wenigsten belastende Verfahren, nämlich die hier streitige Behandlung. In dem Narkosevorgespräch im Kreiskrankenhaus R habe die Anästhesistin sich eindeutig dahingehend geäußert, dass eine Prostataentfernung für ihn zu riskant sei. Der von ihm ebenfalls aufgesuchte dortige Strahlentherapeut Dr. G habe erklärt, dass die externe Bestrahlung sowie auch after loading sehr belastend seien. Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Juni 2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Bei der hier streitigen Behandlung handele es sich um eine neue Untersu-chungs- und Behandlungsmethode, die keine Vertragsleistung sei. Bei der interstitiellen Brachytherapie ohne die Verwen-dung von Seed-Implantaten handele es sich hingegen um eine Vertragsleistung, die im Rahmen der vertragsärztlichen Versor-gung zu Lasten der Krankenkasse abgerechnet werden könne (Zif-fern 7041 und 7046 EBM). Zu der streitgegenständlichen Methode habe sich der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen bis-her nicht geäußert. In dem Fall schließe das Sozialgesetzbuch die Abrechnung zu Lasten der Krankenkassen aus.

Der Kläger hat am 9. Juli 2004 Klage beim Sozialgericht Schleswig erhoben und zur Begründung vorgetragen: Auch Kosten für noch nicht empfohlene Behandlungsmethoden seien ausnahms-weise zu übernehmen, wenn die Einleitung oder Durchführung ei-nes Verfahrens zur Beurteilung einer neuen Behandlungsmethode verzögert werde. Dann komme es nur darauf an, dass sich die neue Methode bereits in der Praxis insoweit durchgesetzt habe, als sie in der medizinischen Fachdiskussion eine breite Reso-nanz gefunden habe und bereits von einer erheblichen Zahl von Ärzten angewandt werde. Diese Voraussetzungen seien hier gege-ben. Insoweit werde auf eine 10 Jahres-Untersuchung in den USA verwiesen. Er, der Kläger, habe sich zwischenzeitlich der ab-gelehnten Behandlung am 6. Mai 2004 unterzogen und hierfür 8.275,00 EUR entrichtet. Insoweit mache er einen Erstattungs-anspruch nach § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (SGB V) geltend. Soweit die Techniker Krankenkasse und die Universitätsklinik Kiel nach einer Pressemitteilung eine Ver-einbarung über die Kostenübernahme hinsichtlich der Seed-Brachytherapie geschlossen hätten, binde dies zwar die Beklagte nicht, stelle aber ein weiteres Indiz dafür dar, dass es sich bei der hier streitgegenständlichen Therapie um eine wissen-schaftlich anerkannte Behandlungsmethode handele. Seiner Ehe-frau habe zudem der Geschäftsstellenleiter der Beklagten in S , Herr Sa , bei einem Telefonat sinngemäß mitge-teilt, sofern ihm auch nur ein einziger Fall bekannt werde, in dem eine andere Krankenkasse die Kosten der hier streitgegen-ständlichen Therapie trage, werde auch die Beklagte die Kosten übernehmen. Vor diesem Hintergrund komme der Vereinbarung zwi-schen der Techniker Krankenkasse und der Universitätsklinik Kiel eine Bedeutung zu. Das Schreiben des Gemeinsamen Bundes-ausschusses vom 18. April 2005 zeige, dass dieser immer noch über die streitgegenständliche Behandlung berate und bisher nicht zu einem Ergebnis gekommen sei.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 29. April 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. Juni 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Kosten-erstattung für die durchgeführte permanente Seed-Implantation der Prostata in Höhe von 8.275,00 EUR zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat erwidert: Der Vertrag zwischen der Techniker Kranken-kasse und dem Universitätskrankenhaus habe seine Grundlage in § 116b SGB V. Dabei handele es sich um eine "Kann-Regelung", von der die Beklagte keinen Gebrauch gemacht habe. Dazu, dass die Brachytherapie in § 116b Abs. 3 unter Nr. 1 erwähnt werde, sei anzumerken, dass es sich dabei nur um die anerkannte in-terstitielle Brachytherapie nach Nr. 7046 EBM (ohne permanente Seed-Implantation) handeln könne. Überdies stehe dem Anspruch des Klägers aus § 13 Abs. 3 SGB V auch entgegen, dass er nicht den Widerspruchsbescheid abgewartet habe, so dass es an der geforderten Kausalität fehle. Nach der dem Gericht vorliegen-den Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 29. Juni 2004 sei ein Systemmangel nicht ersichtlich. Mit ih-rer Auffassung stehe die Beklagte zudem nicht allein, wie di-verse Entscheidungen von Sozialgerichten zeigten.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 25. April 2005 der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt: Bei der Brachythe-rapie mit permanenter Seed-Implantation zur Behandlung des bei dem Kläger diagnostizierten lokal begrenzten Prostatakarzinoms handele es sich um eine wissenschaftlich anerkannte und effek-tive Methode, die - soweit bestimmte Voraussetzungen erfüllt seien - von ihrer Wirksamkeit her der radikalen Prostatektomie und der externen Bestrahlung gleichkomme. Diese Behandlungsme-thode sei darüber hinaus relativ komplikationsarm und für den Patienten mit geringeren Belastungen verbunden. Zwar handele es sich um eine neue Behandlungsmethode, die nicht als abrech-nungsfähige Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab ent-halten sei. Gleichzeitig sei sie jedoch in den Katalog der er-stattungsfähigen hochspezialisierten Leistungen des § 116b Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) aufgenommen wor-den. Gleichzeitig sei festzustellen, dass sich die begehrte Behandlung in der Praxis durchgesetzt und unter bestimmten Voraussetzungen bei lokal begrenzten Prostatakarzinomen gegen-über der radikalen Prostatektomie und der externen Bestrahlung als die deutliche schonendere Behandlungsmethode etabliert ha-be. Dem Bundesausschuss liege der Überprüfungsantrag bereits seit April 2002 - mithin seit mehr als drei Jahren - vor. Da Anhaltspunkte für sachliche Gründe fehlten, die die nicht ab-sehbare Dauer des Verfahrens rechtfertigten oder nachvollzieh-bar erscheinen ließen, müsse von einer willkürlichen oder ge-gebenenfalls auf sachfremden Erwägungen beruhenden Blockierung und Verzögerung des Überprüfungsverfahrens ausgegangen werden.

Gegen das ihr am 24. Juni 2005 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, eingegangen beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht am 6. Juli 2005. Zur Begrün-dung weist sie auf das beim Bundessozialgericht (BSG) anhängi-ge Revisionsverfahren B 1 KR 12/05 R hin.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 25. April 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Entscheidung des BSG in dem von der Beklagten zitierten Verfahren könne keine Bedeutung für den vorliegenden Rechts-streit entfalten, weil die dort streitgegenständliche Behand-lung 2002 durchgeführt worden sei. Seine Behandlung sei im Mai 2004 erfolgt, also nachdem die Behandlungsmethode im stationä-ren Bereich mit einer dafür vorgesehenen DRG-Position abre-chenbar sei. Zudem stütze er seinen Anspruch auf den sozial-rechtlichen Herstellungsanspruch. In dem Kostenübernahmeantrag sei die stationäre Durchführung ausdrücklich erwähnt worden. Die Beklagte habe allerdings die Kostennübernahme pauschal ab-gelehnt. Hier hätte die Beklagte auf die stationäre Durchfüh-rung mit der Möglichkeit der Kostenübernahme durch sie hinwei-sen müssen. Er, der Kläger, habe jedenfalls davon nichts ge-wusst. Andernfalls hätte er sich selbstverständlich dafür ent-schieden, da die Beklagte wie andere Kassen auch zwischenzeit-lich dazu übergegangen sei, die stationäre Behandlung in der Weise durchzuführen, dass der Patient lediglich pro forma für eine Übernachtung im Krankenhaus verbleibe. Gerade dieser Um-stand führe die Ablehnung der ambulanten Behandlung ad absur-dum. Sein Kostenübernahmeantrag sei nach den Maßstäben der BSG-Entscheidung vom gleichen Tag (B 1 KR 5/05 R) entsprechend weit auszulegen. Ihm sei es nur um die Therapie gegangen, un-abhängig davon, ob ambulant oder stationär. Eine Beratung der Beklagten sei aber unstreitig unterblieben. Eine Verletzung der Aufklärungspflicht des behandelnden Arztes komme nicht in Betracht, da dieser im Frühjahr 2004 die seit Anfang des Jah-res geänderten rechtlichen Vorgaben noch nicht habe übersehen können. Soweit der Gemeinsame Bundesausschuss in seiner vom Senat eingeholten Stellungnahme auf eine Entscheidung des BSG vom 19. März 2002 zur Hippotherapie verweise, müsse dem entge-gen gehalten werden, dass eine Vergleichbarkeit mit einem sol-chen Fall nicht gegeben sei. Denn dort sei die Hippotherapie im Vorfeld bereits mehrfach, nämlich siebenmal, von dem Bun-desausschuss behandelt worden.

Der Senat hat vom Gemeinsamen Bundesausschuss eine Stellung-nahme eingeholt.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verwal-tungs- und Gerichtsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig aber unbegründet. Zutreffend hat das Sozialge-richt die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger 8.275,00 EUR zu erstatten. Entgegen der Auffassung der Beklagten hat dieser nämlich einen Anspruch auf Kostenübernahme für die streitgegenständliche Brachytherapie.

Grundlage für den streitigen Kostenerstattungsanspruch des Klägers ist § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V. Voraussetzung ist da-nach, dass ein zur Leistung verpflichteter Träger entweder ei-ne unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Da ein Notfall im Sinne der ersten Alternative hier nicht vorlag - eine recht-zeitige Antragstellung war dem Kläger möglich - kann sein An-spruch sich lediglich auf die zweite Alternative stützen, näm-lich die unrechtmäßige Ablehnung der Leistung. Dieser Fall liegt hier vor. Die Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, dem Kläger die streitgegenständliche Brachytherapie als stationäre Behandlung zur Verfügung zu stellen. Aus diesem Grund steht ihm der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch zu.

Dem Erstattungsanspruch steht nicht entgegen, dass der Kläger vor der Selbstbeschaffung der Leistung im Mai 2004 nicht den Widerspruchsbescheid abgewartet hat. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist dies nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats und des BSG (vgl. SozR 3-2500 § 33 Nr. 45 Rz. 11 m. w. N.) in der Regel nicht erforderlich. Daher steht dem Erstattungsanspruch nicht entgegen, dass der Kläger sich die streitige Behandlung zwar nach der Ablehnungsentscheidung vom 29. April 2004, aber noch vor der Entscheidung über den Widerspruch auf eigene Kosten beschafft hat.

Der von seinem behandelnden Arzt Dr. T der Beklagten vor-gelegte Kostenübernahmeantrag vom 28. März 2004 war in sinnge-mäßer Auslegung darauf gerichtet, die streitgegenständliche Brachytherapie mittels permanenter Seed-Implantation zu erhal-ten. Ausdrücklich abgelehnt hatte der Kläger darin lediglich die radikale Prostatektomie auf Grund ihres erheblichen Ein-griffs und der Nebenwirkungen. Auch die externe Bestrahlung lehnte der Kläger auf Grund der seiner Auffassung nach besse-ren Überlebensrate bei der interstitiellen Brachytherapie ab. Gleiches gilt für die komplette Androgenblockade, die nach der Stellungnahme nicht effizient sei und zwangsläufig zum tumor-bedingten Ableben führe. Die hier streitige Monotherapie mit Seeds sah der Kläger hingegen als die "Therapie der Wahl" an, ohne zwischen ambulanter und stationärer Behandlung zu diffe-renzieren. Vielmehr enthielt die Erläuterung der interstitiel-len Brachytherapie mittels permanenter Seed-Implantation aus-drücklich den Hinweis, dass diese auch stationäre durchgeführt werde. Wenngleich der Antrag, da durch das ambulante Brachytherapie-Zentrum Schleswig-Holstein gestellt, offensichtlich auf die ambulante Therapie gerichtet war, ist aus dem Kosten-übernahmeantrag nicht ersichtlich, dass der Kläger, anders als in der Entscheidung des BSG vom 4. April 2006 (B 1 KR 12/05 R Rz. 26), von Anfang an auf bestimmte Leistungserbringer oder eine bestimmte Art und Weise der Leistungserbringung festge-legt war. Ihm ging es offensichtlich darum, eine umfangreiche Operation zu verhindern und die Behandlung durchzuführen, die mit den seiner Meinung nach geringsten Nebenwirkungen die bestmöglichen Heilungschancen beinhaltete. Dabei präferierte der Kläger weder die ambulante noch die stationäre Behandlung.

Die Auslegung eines Antrags - ob als Verfahrenshandlung oder als materiell-rechtliche Voraussetzung - hat sich danach zu richten, was als Leistung möglich ist, wenn jeder verständige Antragsteller mutmaßlich seinen Antrag bei entsprechender Be-ratung angepasst hätte und keine Gründe für ein anderes Ver-halten vorliegen. Regelmäßig ist ein Antrag damit vom Verwal-tungsträger so auszulegen, dass das Begehren des Antragstel-lers möglichst weitgehend zum Tragen kommt. Die Behörde hat alle auf Grund des Sachverhalts zu seinen Gunsten in Betracht kommenden rechtlichen Möglichkeiten zu erwägen und notfalls auf eine Klärung des Verfahrensgegenstandes durch den An-tragsteller hinzuwirken (BSG, Urteil vom 4. April 2006 B 1 KR 5/05 R - Rz. 14 m. w. N.).

Eine solche notwendige Beratungssituation lag hier vor. Durch seinen Kostenübernahmeantrag machte der Kläger deutlich, dass er zwar eine bestimmte Behandlung wünschte, dies jedoch unab-hängig davon, ob ambulant oder stationär. Gleichwohl hat die Beklagte in dem Anhörungsschreiben vom 14. April 2004, dem Ab-lehnungsbescheid vom 29. April 2004 und in dem Widerspruchsbe-scheid vom 22. Juni 2004 umfassend eine Kostenübernahme der Brachytherapie abgelehnt, ohne zwischen ambulanter und statio-närer Behandlung zu differenzieren. Jedenfalls handelte die Beklagte rechtswidrig, den Antrag auf Gewährung einer statio-nären interstitiellen Brachytherapie abzulehnen, obwohl diese zum Zeitpunkt der ablehnenden Entscheidung der Beklagten als stationäre Leistung nach dem GRG-Fallpauschalensystem bzw. der hierzu ergangenen Verordnung vom 13. Oktober 2003 (BGBl. I S. 1995) unter der GRG-Ziffer "M 07 Z" vorgesehen war. Der Se-nat kann es in diesem Zusammenhang offenlassen, ob die Ent-scheidung, die Brachytherapie als ambulante Leistung nicht zu gewähren bzw. eine Kostenübernahme abzulehnen, rechtmäßig war - zwar fehlt es an einer positiven Empfehlung des Bundesaus-schusses, gleichwohl wurde und wird diese Therapie in Kranken-häusern bereits zur Anwendung gebracht und die Kosten dafür auch von den Krankenkassen übernommen, wobei der Mindestauf-enthalt in dem DRG Fallpauschalen-Katalog mit einem Tag ange-geben wird und damit insoweit nicht wesentlich von der ambu-lanten Behandlung abweicht.

Durch diese Ablehnung sind dem Kläger auch, wie es § 13 Abs. 3 Satz 1 Alternative 2 SGB V voraussetzt, Kosten entstanden, weil er sich die begehrte Leistung - als ambulante Behand-lung - selbst beschafft hat. Dabei schließt sich der Senat der bereits zitierten Rechtsprechung in dem Urteil des BSG vom 4. April 2006 (B 1 KR 5/05 R) an, wonach der Erstattungsan-spruch des § 13 Abs. 3 SGB V einen sozialrechtlichen Herstel-lungsanspruch verdrängt. Dies folgt aus der Vorrangigkeit des § 13 Abs. 3 SGB V gegenüber dem gesetzlich nicht geregelten Herstellungsanspruch und, worauf das BSG zutreffend hinweist, aus dem Ausnahmecharakter der Kostenerstattung gegenüber dem grundsätzlich im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung geltenden Sachleistungsprinzip.

Die bei dem Kläger entstandenen und von ihm geltend gemachten Kosten in Höhe von 8.275,00 EUR beruhen auf der Inanspruchnah-me der streitigen Therapie als ambulante Leistung und damit auf der rechtswidrigen Entscheidung der Beklagten, eine Kos-tenübernahme umfassend abzulehnen. Es ist kein Grund ersicht-lich, warum der Kläger sich nicht einer stationären anstelle der ambulanten Operation unterzogen hätte, insbesondere vor dem Hintergrund, dass eine solche stationäre Behandlung nur zu einem kurzen Aufenthalt im Krankenhaus geführt hätte. So wird der Vortrag des Klägers, der Patient bleibe lediglich pro for-ma für eine Übernachtung im Krankenhaus, durch den DRG Fall-pauschalen-Katalog in der genannten Verordnung vom 13. Oktober 2003 bestätigt, in der als untere Grenzverweildauer ein Tag angegeben wird.

Die Kosten in Höhe von 8.275,00 EUR sind nach Auffassung des Senats auch nicht zu hoch gegriffen. So ist dieser Betrag auch Gegenstand der vom Senat am gleichen Tag entschiedenen Kosten-erstattung ebenfalls einer Brachytherapie (L 5 KR 70/05). In der Entscheidung des BSG vom 4. April 2006 (B 1 KR 12/05 R) ging es um Kosten in Höhe von 9.064,94 EUR. Kostenermittlungen der vom BSG im Urteil vom 4. April 2006 (B 1 KR 12/05 R) zi-tierten HTA Studie der Bundesärztekammer und der Kassenärztli-chen Bundesvereinigung vom 29. Oktober 2005 (Rz. 35) ergaben Behandlungskosten von bis zu 26.320 US-Dollar. Fiktiv errech-nete die Studie eine Vergütung nach dem DRG-System in Höhe von 6.090 EUR. Im Übrigen hat die Beklagte gegen die Höhe der gel-tend gemachten Kosten Einwände auch nicht erhoben.

Zutreffend sieht der Kläger eine Verletzung der Aufklärungs-pflicht des behandelnden Arztes im Hinblick auf eine mögliche stationäre Behandlung als nicht gegeben an. Eine solche Ver-letzung der Aufklärungspflicht könnte allerdings zur Folge ha-ben, dass der Vergütungsanspruch des Behandlers ausgeschlossen ist (BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 11). Von einer solchen Aufklä-rungspflicht ist dann auszugehen, wenn Behandlungsverfahren regelmäßig auch im stationären Bereich erfolgen. Das war indes bei der hier streitigen Brachytherapie nicht der Fall. Viel-mehr war diese gerade durch die Verordnung vom 13. Oktober 2003 in das System der stationären Behandlung aufgenommen wor-den. Von dem behandelnden Arzt kann, anders als von dem Versi-cherungsträger, nicht erwartet werden, dass er über solche Um-stände außerhalb des Therapiebereiches umfassend Kenntnis hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.

Der Senat lässt im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) die Revision zu.
Rechtskraft
Aus
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