L 9 SO 24/06 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 5 SO 267/05 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 SO 24/06 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Auch ein Kranker bzw. Behinderter ohne Grundpflegebedarf ("Pflegestufe 0") hat allein zur Deckung seines nicht nur vorübergehenden Hilfebedarfs bei hauswirtschaftlichen Verrichtungen, deren Kosten er nicht aufzubringen vermag, insoweit Anspruch auf Hilfe zur Pflege.

2. Leistungen der "Großen Haushaltshilfe" wie der "Kleinen Haushaltshilfe" sind gegenüber Leistungen der Hilfe zur Pflege hinsichtlich der Gewährung von Hilfe bei hauswirtschaftlichen Verrichtungen an einen Kranken bzw. Behinderten nachrangig.

3. Bezieher von Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende sind von der Gewährung von Hilfe zur Pflege nicht ausgeschlossen (Anschluss an LSG Baden-Württemberg vom 07.03.2006 - L 7 SO 509/06 ER-B).
I. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 9. Februar 2006 wird zurückgewiesen.

II. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.

Gründe:

I.

Streitgegenstand ist die Gewährung der Kosten für eine Haushaltshilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) in Höhe von monatlich 186,25 Euro ab 1. Dezember 2005 im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.

Die 1968 geborene Antragstellerin hat einen Sohn (N., geboren 1991), ist schwerbehindert nach dem Schwerbehindertenrecht mit einem Grad der Behinderung von 80 (Hessisches Amt für Versorgung und Soziales K., Bescheid vom 2. Dezember 2005: Funktionsbeeinträchtigungen: Morbus Crohn, Hirnanfallsleiden, Wirbelsäulensyndrom, Osteoporose) und benötigt Hilfe bei hauswirtschaftlichen Verrichtungen im Umfang von 7 Stunden pro Woche ohne Grundpflege (Gutachten des Gesundheitsamts der Stadt K. vom 7. Oktober 1996: Einkaufen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln/Waschen der Wäsche/Kleidung). Sie bezog zusammen mit ihrem Sohn von der Antragsgegnerin vor dem 1. Januar 2005 Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG), darunter Kosten der Haushilfe in Höhe von 186,22 Euro (7,00 Stunden wöchentlich à 6,14 Euro) sowie Mehrbedarf bei kostenaufwendiger Ernährung (Stufe 6) in Höhe von 26,00 Euro (Bescheid vom 25. Juni 2004).

Die Antragsgegnerin gewährte der Antragstellerin und ihrem Sohn ab dem Monat 1/2005 Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII zuletzt in Höhe von 1.067,41 Euro monatlich, darin Mehrbedarf wegen Ernährung in Höhe von 26,00 Euro (§ 30 Abs. 5) sowie Haushaltshilfe als sonstiger laufender Bedarf (§ 27 Abs. 3) in Höhe von 186,25 Euro (Bescheide vom 19. Januar 2005, 20. Juli 2005 sowie vom 23. August 2005 und vom 23. September 2005). Durch Gutachten des Gesundheitsamtsamts der Stadt K., Ärztin R. B., vom 19. Februar 2005, wurde eine Leistungsfähigkeit der Antragstellerin von täglich 3 bis unter 6 Stunden festgestellt. Dauerhafte Erwerbsunfähigkeit bestehe nicht. Bis Ende Oktober 2005 bestehe Arbeitsunfähigkeit nach Operation, danach eingeschränkte Arbeitsfähigkeit; sie sei voraussichtlich bis zu 6 Monaten vermindert oder nicht leistungsfähig. Mit entsprechender Therapie sei die Verbesserung der Belastbarkeit in den nächsten 12 Monaten denkbar. Die Antragsgegnerin stellte darauf durch Bescheid vom 17. Oktober 2005 die laufenden Leistungen nach dem SGB XII mit Wirkung ab dem 1. Dezember 2005 ein und begründete dies damit, dass die Antragstellerin nicht mehr unter den Personenkreis der Leistungsberechtigten gemäß § 19 SGB XII falle, sondern ab dem 1. Dezember 2005 einen vorrangigen Anspruch auf die Gewährung von Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II habe.

Die Antragstellerin erhob gegen die Einstellung der laufenden Leistungen nach dem SGB XII am 27. Oktober 2005 Widerspruch mit der Begründung, sie sei nach ihrer Krankheitsgeschichte auf Dauer erwerbsunfähig, und beantragte am 25. Oktober 2005 bei der Arbeitsförderungsgesellschaft K.-Stadt GmbH (AFK-S) die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung des Roten Kreuz Krankenhauses vom 18. Oktober 2005, wonach sie absehbar für die nächsten 2 Jahre nicht arbeitsfähig sei. Die AFK-S ging danach – im Gegensatz zur Antragsgegnerin - von dem Fehlen einer Erwerbsfähigkeit aus, leitete das Einigungsstellenverfahren nach § 45 SGB II ein und gewährte der Antragstellerin und ihrem Sohn durch Bescheid vom 14. November 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für den Zeitraum 1. November 2005 – 30. April 2006 in Höhe von 692,49 Euro monatlich; sie berücksichtigte bei der Leistungsbemessung weder ernährungsbedingten Mehrbedarf noch Haushaltshilfebedarf. Die Antragstellerin erhob dagegen mit Schreiben vom 23. November 2005 Widerspruch und forderte die Weitergewährung der bisher gewährten Leistung in gleicher Höhe unabhängig vom Zuständigkeitswechsel der Leistungsträger bis zur Entscheidung der Einigungsstelle. Die AFK-S lehnte durch Bescheid vom 1. Dezember 2005 den Antrag der Antragstellerin auf Anerkennung eines Mehrbedarfs für kostenaufwendige Ernährung ab, weil nicht wissenschaftlich erwiesen sei, dass eine Diät bei Morbus Crohn zu einer Besserung oder Heilung führen würde.

Die Antragstellerin hat am 12. Dezember 2005 bei dem Sozialgericht (SG) Kassel beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Zahlung von monatlich 186,25 Euro als Kosten für eine Haushaltshilfe sowie von monatlich 26,00 Euro als Kosten wegen Ernährungsmehrbedarf ab 1. Dezember 2005 zu verpflichten. Sie hat zum Anordnungsgrund geltend gemacht, sie sei auf diese Leistungen angewiesen, nachdem die Antragsgegnerin die Leistungsgewährung insoweit eingestellt und die AFK-S ihrerseits eine Leistungsgewährung insoweit abgelehnt habe und sie selbst die Kosten für die begehrten Leistungen nicht aufbringen könne. Sie hat zum Anordnungsanspruch auf die begehrte Leistung geltend gemacht, es sei davon auszugehen, dass sie wegen weiterer Arbeitsunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit bei Morbus Crohn auch weiterhin Leistungen nach dem SGB XII erhalten werde. Die geltend gemachten Ansprüche beruhten hinsichtlich der Haushaltshilfe auf § 27 Abs. 3 Satz 1 SGB XII und hinsichtlich des Ernährungsmehrbedarf auf § 30 SGB XII. Die Leistungen müssten bis zur Entscheidung der Einigungsstelle nach dem SGB XII weiter gewährt werden, weil insoweit im SGB II eine gesetzliche Lücke bestehe. Die Antragstellerin hat dazu die ärztliche Bescheinigung von Dr. M. aus K. vom 25. Oktober 2005 beigefügt, wonach Frau K. eine Haushaltshilfe benötige.

Die Antragsgegnerin hat dagegen die Auffassung vertreten, die AFK-S sei der ab 1. Dezember 2005 für die Antragstellerin zuständige Leistungsträger für Leistungen nach dem SGB II, weil die Antragstellerin nach dem amtsärztlichen Gutachten vom 19. September 2005 eingeschränkt erwerbsfähig sei. Nachdem die AFK-S in Bezug auf die Einschätzung der Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin eine andere Auffassung vertrete und deshalb gemäß § 45 SGB II die gemeinsame Einigungsstelle angerufen habe, habe sie bis zu deren Entscheidung gemäß § 44a Satz 3 SGB II Grundsicherung für Arbeitsuchende im Rahmen des SGB II zu erbringen. Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige dem Grunde nach leistungsberechtigt seien, erhielten nach dem Grundsatz des § 21 SGB XII keine Leistungen für den Lebensunterhalt im Rahmen des SGB XII. Die Übernahme der Kosten einer Haushaltshilfe komme bei Personen, die als erwerbsfähig i. S. des SGB II gelten, durch den Träger der Sozialhilfe nach dem SGB XII mangels gesetzlicher Anspruchsgrundlage nicht in Betracht (Bezugnahme auf Sozialgericht Kassel vom 10. Oktober 2005 – S 23 SO 106/05 ER -).

Das Sozialgericht Kassel hat durch Beschluss vom 9. Februar 2006 die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Kosten für eine Haushaltshilfe in Höhe von monatlich 186,25 Euro als Darlehen vorläufig ab 12. Dezember 2005 bis längstens 31. Mai 2006 zu bewilligen, und hat im Übrigen den Antrag wegen ernährungsbedingten Mehrbedarfs abgelehnt. Es hat das Vorliegen eines Anordnungsgrundes in der anhängigen eiligen Sozialhilfesache als auf der Hand liegend betrachtet, das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs indes lediglich in Bezug auf die Kosten einer Haushaltshilfe bejaht. Es spreche Vieles dafür, dass eine Leistungspflicht der Antragsgegnerin hinsichtlich der Haushaltshilfe in Höhe von monatlich 186,25 Euro bestehe. Personen mit eigenem Haushalt sollten nach § 70 Abs. 1 SGB XII Leistungen zur Weiterführung des Haushalts erhalten, wenn keiner der Haushaltsangehörigen den Haushalt führen könne und die Weiterführung des Haushalts geboten sei. Diese auf die gesamte Haushaltsführung bezogene sog. große Haushaltshilfe sei gegenüber der auf einzelne für den Lebensunterhalt erforderliche Tätigkeiten bezogenen sog. kleinen Haushaltshilfe nach § 27 Abs. 3 SGB XII abzugrenzen. Eine solche enge Auslegung von § 70 SGB XII lasse jedoch in den Fällen eine Bedarfslücke entstehen, in denen § 27 Abs. 3 Satz 1 SGB XII wegen § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB II nicht anwendbar sei. Deshalb sei in Fällen streitiger Leistungsträger-Zuständigkeit nach Anrufung der Einigungsstelle eine erweiternde Auslegung des § 70 Abs. 1 SGB XII dahingehend geboten, unter diese Vorschrift auch einzelne Haushaltsverrichtungen zu subsumieren (Bezugnahme auf LSG Nordrhein-Westfalen vom 16. September 2005 – L 20 B 9/05 SO ER). Hingegen sei kein Anordnungsanspruch in Bezug auf einen Mehrbedarf wegen kostenaufwendiger Ernährung gegen die Antragsgegnerin gegeben; denn für eine entsprechende Leistungsgewährung nach § 21 Abs. 5 SGB II sei die AFK nach Anrufung der Einigungsstelle gemäß § 44a Satz 3 SGB II grundsätzlich zuständig. Eine Verurteilung der AFK nach § 45 Abs. 5 SGG komme nicht in Betracht.

Die Antragsgegnerin hat gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 9. Februar 2006 am 13. März 2006 Beschwerde bei dem SG eingelegt, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat und die es dem Landessozialgericht (LSG) vorgelegt hat. In dem seit 27. März 2006 bei dem Hessischen LSG fortgeführten Beschwerdeverfahren wendet sich die Antragsgegnerin gegen ihre Verpflichtung zur Bewilligung der Kosten für eine Haushaltshilfe durch das Sozialgericht und begehrt die Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung insgesamt. Zur Begründung hat die Antragsgegnerin geltend gemacht, ein Anordnungsanspruch in Bezug auf die Kosten für eine Haushaltshilfe komme mangels einer gesetzlichen Anspruchsgrundlage nach dem SGB XII nicht in Betracht; insbesondere sei § 70 Abs. 1 SGB XII nicht erweiternd auf einzelne Haushaltsverrichtungen auszulegen. Nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers sei in § 70 Abs. 1 SGB XII nur der Tatbestand der gesamten Haushaltsführung erfasst, während der Tatbestand einzelner Haushaltsverrichtungen ausdrücklich unter § 27 Abs. 3 SGB XII subsumiert sei. Aufgrund dieser spezialgesetzlichen Vorschrift für Fälle, in denen nur einzelne Tätigkeiten nicht verrichtet werden könnten, sei für eine erweiternde Auslegung kein Raum (Bezugnahme auf SG Hamburg vom 13. Juni 2005 – S 51 SO 267/05 ER -; SG Stuttgart vom 29. September 2005 – S 21 SO 5122/05 ER -). Auch erfasse § 70 Abs. 1 SGB XII grundsätzlich nur einen plötzlich eintretenden und vorübergehenden Hilfebedarf; der Hilfebedarf der Antragstellerin habe jedoch bereits in der Vergangenheit bestanden und sei dauerhaft. Die mit der Einführung von SGB XII und SGB II eingetretene gesetzliche Regelungslücke habe der Gesetzgeber mit der Schaffung des § 70 SGB XII nicht beabsichtigt, sondern bewusst in Kauf genommen. Die Finanzierung der benötigten Haushaltshilfe könne im vorliegenden Fall ausschließlich über § 27 Abs. 3 SGB XII erfolgen, die Vorschrift finde hier jedoch wegen § 5 Abs. 2 Satz 1 SGB II keine Anwendung. Die Antragsgegnerin hat darüber informiert, dass die Einigungsstelle am 22. März 2006 beschlossen habe, dass für die Antragstellerin zunächst weiterhin Leistungen im Rahmen des SGB II gewährt würden. Die Antragsgegnerin hat den Widerspruch der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 17. Oktober 2005 durch Widerspruchsbescheid vom 28. April 2006 als unbegründet zurückgewiesen, weil die Entscheidung der Einigungsstelle vom 22. März 2006 gemäß § 8 Abs. 1 Satz 5 der Einigungsstellen-Verfahrensverordnung für den Sozialhilfeträger bindend sei.

Die Antragsgegnerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 9. Februar 2006 insoweit aufzuheben, als die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet wurde, vorläufig bis längstens 31. Mai 2006 die Kosten der Antragstellerin für eine Haushaltshilfe in Höhe von monatlich 186,25 Euro als Darlehen zu bewilligen, und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung insgesamt abzulehnen.

Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Antragstellerin hält den angefochtenen Beschluss des Sozialgerichts für zutreffend. Es bestehe ganz offensichtlich eine Regelungslücke. Es sei jedoch nicht der Wille des Gesetzgebers, den Leistungsempfänger während eines schwebenden Verfahrens von der benötigten Haushaltshilfe fernzuhalten. Es könne nicht sein, dass eine bisher für richtig erachtete und gewährte Leistung bis zur Klärung der Leistungsträger-Zuständigkeit eingestellt werde. Ohnehin sei die Leistung lediglich darlehensweise zugesprochen worden. Die Antragstellerin hat bei dem Sozialgericht Kassel Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. Oktober 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. April 2006 erhoben (S 5 SO 84/06).

Der Berichterstatter hat mit den Beteiligten im Erörterungstermin am 4. Juli 2006 den Sach- und Streitstand erörtert.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstands sowie des Vorbringen der Beteiligten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin verwiesen.

II.

Das Gericht kann nach § 155 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im Einverständnis mit den Beteiligten durch den bestellten Berichterstatter entscheiden; vorliegend haben beide Beteiligte ihr diesbezügliches Einverständnis am 4. Juli 2006 erklärt.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist statthaft (§ 172 Abs. 1 SGG) und insbesondere form- und fristgerecht (§ 173 SGG). Das SG hat der Beschwerde am 17. März 2006 nicht abgeholfen (§ 174 SGG). – Die Beschwerde hat indes keinen Erfolg. Der Beschluss des SG Kassel vom 9. Februar 2006, soweit er die Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin beschwert, ist rechtmäßig. Das Vorliegen der Voraussetzungen für den Erlass der einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung des zwischen den Beteiligten streitigen Rechtsverhältnisses und zur Abwendung wesentlicher Nachteile für die Antragstellerin war und ist nach derzeitigem Sach- und Rechtsstand glaubhaft gemacht.

Das Gericht kann auf Antrag nach § 86b Abs. 2 SGG eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1); es kann eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Satz 2). Neben dem Anordnungsgrund, das ist: der Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, setzt die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz nach herrschender Meinung (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, Kommentar, 8. Auflage, Rdnr. 26c zu § 86b) den Anordnungsanspruch, das ist: der materiell-rechtliche Anspruch auf die Leistung, voraus, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System gegenseitiger Wechselbeziehung: Ist etwa die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an einen Anordnungsgrund (wie vor, Rdnr. 29). Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden, wenn die grundrechtlichen Belange des Antragstellers berührt sind, weil sich die Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen müssen (Bundesverfassungsgericht – BVerfG -, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05).

Alle Voraussetzungen des einstweiligen Rechtsschutzes sind – unter Beachtung der Grundsätze der objektiven Beweislast – glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO -); die richterliche Überzeugungsgewissheit in Bezug auf die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes erfordert insoweit eine lediglich überwiegende Wahrscheinlichkeit (Meyer-Ladewig, a. a. O., Rdnr. 16b). Sind Grundrechte tangiert, ist die Sach- und Rechtslage allerdings nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (BVerfG, a. a. O.).

Die Antragstellerin hat den Anordnungsgrund für die Eilbedürftigkeit ihres Antragsbegehrens glaubhaft gemacht; denn sie benötigt eine Haushaltshilfe zur Fortführung ihres Haushalts als Voraussetzung eines menschenwürdigen Daseins. Sie selbst vermag die in Rede stehenden hauswirtschaftlichen Verrichtungen aus gesundheitlichen Gründen nicht zu erbringen, wie aufgrund der Bescheinigung des Facharztes für Allgemeinmedizin und Sportmedizin Dr. M. aus K. vom 25. Oktober 2005 überwiegend wahrscheinlich ist. Sie vermag auch die Kosten einer Haushaltshilfe aus eignem Einkommen und Vermögen nicht zu tragen, wie sich indirekt aus dem Umstand ergibt, dass sie bereits zur Sicherung ihres Lebensunterhalts im Übrigen der Gewährung von Leistungen nach dem SGB II bedarf, zu denen Haushaltshilfe laut Bescheid der AFK S vom 14. November 2005 nicht zählt. Auch der nicht dauernd im Haushalt der Antragstellerin wohnende minderjährige Sohn der Antragstellerin vermag weder die Haushaltsführung zu leisten, noch die Kosten einer Haushaltshilfe aufzubringen. Der Umstand des Überlebens ohne die verweigerte Hilfe ist Hilfesuchenden nicht entgegenzuhalten (Hessisches Landessozialgericht vom 7. Dezember 2005 – L 7 AS 81/05 ER sowie 102/05 ER).

Der Anordnungsanspruch auf die vorläufige Gewährung der Kosten der begehrten Haushaltshilfe in Höhe von monatlich 186,25 Euro ist gleichfalls glaubhaft gemacht. Hilfe zur Pflege ist nach § 61 Abs. 1 Satz 2 SGB XII auch kranken und behinderten Menschen zu leisten, die einen geringeren Bedarf als nach Satz 1 haben. Dieser spezielle sozialhilferechtliche erweiterte Pflegebegriff trägt den vorliegend streitbefangenen Haushaltshilfeanspruch als Teilleistung der Hilfe zur Pflege. Die Antragstellerin hat einen geringeren Pflegebedarf als nach § 61 Abs. 1 Satz 1 SGB XII; denn sie ist krank und behindert (Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund von Morbus Crohn, Hirnanfallsleiden und Wirbelsäulensyndrom und Osteoporose, laut Hessisches Amt für Versorgung und Soziales K., Bescheid vom 2. Dezember 2005; vgl. Rotes Kreuz Krankenhaus K., Chirurgische Klinik, Prof. Dr. R. H., Arztbrief vom 18. November 2005) und benötigt "für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich mindestens 6 Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe" nicht. Diese einfache Pflegebedürftigkeit ("Pflegestufe 0") der Antragstellerin ergibt sich aus dem Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach BSHG der Stadt K. (Gesundheitsamt/Ärztin U. V., Gutachten vom 7. Oktober 1996. Die Pflegestufenzuordnung ergibt sich nachvollziehbar aus dem Umstand, dass die Klägerin Leistungen der Grundpflege gar nicht benötigt und die Voraussetzungen der Pflegestufe 1 (vgl. § 64 Abs. 1 SGB XII; § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 3 Nr. 1 SGB XI: Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung, deren wöchentlicher Zeitaufwand im Tagesdurchschnitt mindestens 90 Minuten beträgt, wovon auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen). Im Bereich der einfachen Pflegebedürftigkeit ("Pflegestufe 0") ist ein zeitlicher Mindestaufwand als Leistungsvoraussetzung nicht erforderlich; jeder messbare Bedarf ist relevant. Der bei der Antragstellerin festgestellte hauswirtschaftliche Bedarf (Einkaufen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln/Waschen der Wäsche/Kleidung, laut Gutachten des Gesundheitsamts, wie vor) entspricht den tatbestandlichen Voraussetzungen der entsprechenden gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen nach § 61 Abs. 5 Nr. 4 SGB XII.

Die Antragstellerin und ihr Sohn N. vermögen die Kosten für die benötigte Haushaltshilfe nicht aus eigenen Mitteln aufzubringen, weil sie zur Sicherung ihres Lebensunterhalts im Übrigen der Gewährung von Leistungen nach dem SGB II bedürfen, zu denen Haushaltshilfe laut Bescheid der AFK-S vom 14. November 2005 nicht zählt. Der 1991 geborene Sohn ist nicht nach § 1619 BGB zur persönlichen Erbringung von hauswirtschaftlichen Verrichtungen heranzuziehen; denn er lebt nicht dauernd im Haushalt der Antragstellerin.

Das Fehlen eines messbaren Grundpflegebedarfs (nach Aktenlage) schließt die Zuordnung des Bedarfs zur Hilfe zur Pflege nach § 61 Abs. 1 Satz 2 SGB XII in Abgrenzung zur "großen Haushaltshilfe" nach § 70 SGB XII einerseits und zur "kleinen Haushaltshilfe" nach § 27 Abs. 3 SGB XII andererseits, was im Schrifttum als Problem angesprochen wird (Grube/Wahrendorf, SGB XII, Kommentar, § 61 Rdnr. 31), nicht von vornherein aus. Das wirtschaftlich einheitliche Begehren auf Übernahme der Kosten für eine Haushaltshilfe ist vielmehr nach allen drei im SGB XII normierten Anspruchsgrundlagen zu prüfen (vgl. Krahmer in LPK-SGB XII, § 61 Rdnr. 26; so bereits zum BSHG, Oberverwaltungsgericht des Saarlandes vom 4. Dezember 2000 – 3 R 35/99 ). In Verfolgung dieses Ansatzes ergibt die Prüfung zu § 70 SGB XII, dass die dort geregelte Hilfe zur Weiterführung des Haushalts auf den Haushalt als Ganzes zur Vermeidung seiner Auflösung bezogen ist und eine vorübergehende Notlage voraussetzt. Beide Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt, weil die Antragstellerin lediglich bei vereinzelten Verrichtungen (Einkaufen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln/Waschen der Wäsche/Kleidung laut Gutachten vom 7. Oktober 1996) und auch nicht vorübergehend (Erkrankung seit 1979 an Morbus Crohn und seit 1992 an Osteoporose laut Gutachten vom 19. September 2005) Hilfe benötigt und auch in der Vergangenheit benötigte. Die Prüfung zu § 27 Abs. 3 SGB XII ergibt, dass die erweiterte Hilfe zum Lebensunterhalt Personen erfassten, die einen geringen Unterstützungsbedarf haben, welchen sie – auch trotz ausreichendem Einkommen oder Vermögen - aufgrund ihrer persönlichen Verfassung in eigener Verantwortung nicht organisieren können. Bei atypischen Bedarfslagen ist zu prüfen ist, ob der Bedarf durch speziellere Anspruchsgrundlagen erfüllt werden kann (Grube/Wahrendorf, a. a. O., § 28 Rdnr. 11); zu erbringen ist die Leistung, die den Bedarf wirksamer deckt (Schoch in LPK-SGB XII, § 27 Rdnr. 41). Für Personen, die wegen Krankheit oder Behinderung grundsätzlich berechtigt sind, Leistungen der Hilfe zur Pflege in Anspruch zu nehmen, sind Leistungen zur Pflege die umfassenderen Leistungen. Die Gewährung von Haushaltshilfe nach § 61 Abs. 1 SGB XII geht deshalb derjenigen nach § 27 Abs. 3 SGB XII vor (Hauck/Noftz SGB XII, Kommentar, Loseblatt, Grundwerk XII/04, § 27 Rdnr. 29 und § 70 Rdnr. 3 unter Bezugnahme auf OVG Hamburg vom 19. März 1996 – Bs IV 266/95).

Die Antragstellerin ist von der Hilfe zur Pflege nach § 61 Abs. 1 Satz 2 SGB XII auch nicht ausgeschlossen, weil sie und ihr Sohn für den Zeitraum 1. November 2005 - 30. April 2006 Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nach dem SGB II von der AFK-S beziehen (Bescheid vom 14. November 2005). Der gegen die Leistungshöhe seitens der Antragstellerin am 23. November 2005 erhobene Widerspruch beseitigt die Leistungszuständigkeit der AFK-S nicht. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet, haben nach § 39 SGB II keine aufschiebende Wirkung. Auch die Entscheidung der am Einigungsstellenverfahren beteiligten Träger (§ 45 SGB II; Einigungsstellen-Verfahrensordnung vom 23. November 2004 – BGBl. I Seite 2916) auf der Sitzung der Einigungsstelle am 22. März 2006 änderte die Leistungszuständigkeit der AFK-S nicht. Ist die Antragstellerin danach Inhaberin eines Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, ist sie nach § 5 Abs. 2 SGB II und § 21 Satz 1 SGB XII lediglich von Leistungen nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buches (§§ 27 - 40 SGB XII) ausgeschlossen, zu denen die Hilfe zur Pflege (§§ 61 - 66 SGB XII) nicht zählt (LSG Baden-Württemberg vom 7. März 2006 – L 7 SO 509/06 ER-B ). Demnach hat die Antragstellerin - neben Leistungen nach dem SGB II - Anspruch auf Hilfe zur Pflege nach § 61 Abs. 1 Satz 2 SGB XII.

Danach kommt es für die Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz nicht darauf an, ob die Klägerin von der Antragsgegnerin, bestätigt durch die Einigungsstelle, zutreffend als behinderte Erwerbsfähige eingestuft worden ist. Die Antragsgegnerin hat durch Bescheid vom 17. Oktober 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. April 2006 die Hilfegewährung nach dem SGB XII an die Antragstellerin zum 30. November 2005 eingestellt, nachdem sie deren Erwerbsfähigkeit festgestellt hatte, wogegen Klage bei dem Sozialgericht Kassel anhängig ist (S 5 SO 84/06). Widerspruch und Klage gegen die Einstellung der Sozialhilfe in den Fällen, in denen – wie hier - die Aufhebung eines Bewilligungsbescheides nicht stattfindet, entfalten keine aufschiebende Wirkung (Armborst/Conradis in LPK-SGB XII, Anhang Verfahren, Rdnr. 48). Das Gutachten des Gesundheitsamts der Stadt K. vom 19. September 2005, welches die Erwerbsfähigkeit festgestellt hat, ist als Mittel der Glaubhaftmachung jedenfalls überzeugender als der Arztbrief des Rotes Kreuz Krankenhaus K. vom 18. Oktober 2005, welcher Arbeitsunfähigkeit in den nächsten zwei Jahren prognostiziert; denn sozialrechtlich ist ein Schluss von Arbeitsunfähigkeit auf Erwerbsunfähigkeit – wie von der Antragstellerin geltend gemacht - nicht tragfähig. Die abschließende Klärung der Rechtslage insoweit bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nach § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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