S 14 KA 215/06 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
14
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 14 KA 215/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Antragsgegnerin die von der Antragstellerin vertriebenen Medikamente Cipralex und Parkinsan als sog. "Me-Too-Präparate" bezeichnen, auf einer im Internet zugänglichen Liste führen und die Vertragsärzte unter Androhung eines Honorarabzuges dazu auffordern darf, diese Präparate nur noch im Rahmen einer bestimmten Quote zu verordnen.

Die Antragstellerin vertreibt seit dem Jahre 2003 das patentgeschützte Präparat Cipralex mit dem Wirkstoff Escitalopram (Zulassung 08.04.2003). Nach ihren Angaben handelt es sich um das für sie in Deutschland wichtigste Produkt, welches 2005 zu einem Anteil von 40,5% (inkl. Reimporte) zum Gesamtunternehmensumsatz beigetragen hat und sich in der Marktdurchdringungsphase mit steigenden Umsätzen befindet. Das Arzneimittel gehört zur Gruppe der Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), deren Hauptanwendungsgebiet die Behandlung der Depression von klinisch bedeutsamem Schweregrad (depressive Episode, Major Depression) ist. Bei Parkinsan handelt es sich um ein Antiparkinsonmedikament mit dem Wirkstoff Budipin.

Am 21.11.2005 schloss die Antragsgegnerin mit den Krankenkassen gemäß § 84 SGB V eine "Vereinbarung über das Arznei- und Verbandmittelausgabenvolumen für das Kalenderjahr 2006" (Rheinisches Ärzteblatt 1/2006, 82ff). Hiernach wurde das Ausgabenvolumen auf 2,68 Mrd. EUR festgelegt (§ 2). Eine flankierende Zielvereinbarung sieht die Erhöhung des durch den jeweiligen Vertragsarzt verursachten arztgruppenbezogenen Versorgungsanteils des Brutto-Generikaumsatzes am generikafähigen Markt um 5 Prozentpunkte und die Reduzierung des durch den jeweiligen Vertragsarzt verursachten arztgruppenbezogenen Versorgungsanteils der Me-Too-Präparate ohne relevanten höheren therapeutischen Nutzen, aber mit höheren Kosten, am Gesamtmarkt um 5 Prozentpunkte vor (§ 4). Für die Arztgruppe der Allgemeinmediziner bestimmt die Vereinbarung einen Zielwert von 79,0% bei den Generika und von 8,0% bei den Me-Too-Präparaten (§ 4 Abs. 2). Eine individuelle Verantwortlichkeit des einzelnen Vertragsarztes tritt ein, wenn das vereinbarte Ausgabenvolumen insgesamt überschritten wird, der einzelne Vertragsarzt sein für das Kalenderjahr 2006 maßgebliches Richtgrößenvolumen überschritten hat und der einzelne Vertragsarzt mindestens einen der nach § 4 vereinbarten Zielwerte nicht erreicht hat. In diesem Falle erhalten die nordrheinischen Krankenkassen/-verbände gegenüber den einzelnen Vertragsärzten jeweils einen Zielerreichungsbeitrag in Höhe von 4% des für das Kalenderjahr 2006 für den jeweiligen Vertragsarzt anerkannten GKV-Gesamthonorars (§ 7 Abs. 2). Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Vereinbarung verwiesen.

Auf ihrer Internet-Website (http://www.kvno.de/importiert/me too.pdf; Stand: 16.08.2006) veröffentlicht die Antragsgegnerin eine Liste sog. patentgeschützter Analogpräparate ("Me-Too-Liste"), in der auch die Präparate Cipralex und Parkinsan enthalten sind.

Am 05.05.2006 hat die Antragstellerin bei dem Sozialgericht (SG) I den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt.

Das SG I hat sich mit Beschluss vom 24.05.2006 für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das SG Düsseldorf verwiesen.

Die Antragstellerin ist der Ansicht, dass das Präparat Cipralex kein Me-Too-Präparat sei. Das Präparat stelle unter den SSRI ein modernes Präparat mit verbessertem Nutzen-Risiko-Profil dar. Cipralex habe einen statistisch signifikanten und klinisch relevanten Vorteil gegenüber SSRI wie Citalopram, Fluoxetin, Paroxetin oder Sertralin. Ferner verfüge das Präparat neben der Major Depression über weitere Anwendungsgebiete wie die Panikstörung mit und ohne Agoraphobie, die soziale Angststörung und die generalisierte Angststörung. Dies führe dazu, dass bei Verwendung von Cipralex in diesen Fällen eine Substitution auf Basis der Substitutionsempfehlung der Antragsgegnerin nicht möglich sei, die Verordnung aber dennoch in die Me-Too-Quote einfließe und damit die Regressgefahr für den Verordner steige. Auch Parkinsan sei kein Me-Too-Präparat. Durch die gleichzeitige Wirkung auf viele betroffene Transmittersysteme helfe der Wirkstoff Budipin, das Transmitter-Gleichgewicht wiederherzustellen. Das gebe es bei keinem anderen Parkinsonpräparat. Darüber hinaus sei die Einordnung von Parkinsan im Arzneiverordnungsreport 2005 als Anticholinergikum falsch. In der aktuellen Ausgabe des amtlichen deutschen ATC-Index von 2006 werde es unter N04BX03 in der Kategorie "Andere dopaminerge Mittel" geführt. Schließlich sei der Patentschutz für das Präparat bereits am 01.04.1987 abgelaufen. Durch die Bezugnahme auf die Me-Too-Liste und die Androhung eines Honorarabzuges für Vertragsärzte würden die Verordnungsfähigkeit und damit die Umsatzmöglichkeit der von ihr vertriebenen Präparate widerrechtlich eingeschränkt, so dass die Antragsgegnerin das Recht der Antragstellerin am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb verletze (Art. 12 Abs. 1 GG). Für die Me-Too-Liste gebe es weder eine vertragliche noch eine gesetzliche Rechtsgrundlage. Nach § 5 Abs. 2 der Arzneimittelvereinbarung sei die Antragsgegnerin nur zur gezielten Information an Vertragsärzte über die therapeutische Bewertung einzelner Arzneimittel und zur Substitution bestimmter Arzneimittelgruppen durch andere Arzneimittel verpflichtet. Auf welche Weise dies erfolgen solle, sei nicht geregelt. Ferner genügten weder § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V noch § 73 Abs. 8 SGB V als Ermächtigungsgrundlage für die Erstellung der Me-Too-Liste als Teil der Arzneimittelvereinbarung. Darüber hinaus seien die von der Antragsgegnerin in der Substitutionsliste angegebenen Tagestherapiekosten objektiv unzutreffend. Zudem eigneten sich die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ermittelten DDD-Kosten nicht für einen Vergleich zur Bewertung der Wirtschaftlichkeit. Die Bewertung des Nutzens von Arzneimitteln liege allein beim Gemeinsamen Bundesausschuss bzw. bei dem zu diesem Zweck eingerichteten Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Der Dringlichkeitsgrund ergebe sich daraus, dass die konkrete Gefahr bestehe und sich zum Teil auch bereits verwirklicht habe, dass sie durch die weitere Veröffentlichung der Me-Too-Liste und die regelmäßigen Arzneimittelschnellinformationen (GamSi) deutliche Umsatzeinbußen erleiden wird bzw. auch bereits erlitten hat. Der Umsatz des Produkts Parkinsan werde sich voraussichtlich nicht ändern können, da eine Umstellung der etwa 100 im Bereich der Antragsgegnerin behandelten Patienten aus medizinischen Gründen kaum wahrscheinlich sei. Insofern könne die Auflistung nicht den von der Antragsgegnerin intendierten Zweck erfüllen.

Die Antragstellerin beantragt, folgenden Beschluss zu erlassen:

Der Antragsgegnerin wird untersagt, 1. die von der Antragstellerin vertriebenen Präparate Cipralex und/oder Parkinsan als Me-Too-Präparate (Analog-Präparat, Schritt-, Scheininnovation) mit keinem oder marginalem Unterschied zu bereits eingeführten Wirkstoffen zu bezeichnen, insbesondere, wenn dies erfolgt wie in der Liste "Patentgeschützte Analogpräparate", 2. die ihr als Mitglieder angehörenden betroffenen Ärzte unter Androhung eines Abzugs in Höhe von 4% vom Jahreshonorar dazu aufzufordern, die Präparate Cipralex und/oder Parkinsan maximal nur noch im Rahmen einer "Me-Too-Quote" zu verordnen, 3. Substitutionsvorschläge zu dem Präparat Cipralex auf einer Basis von DDD-Kosten in Höhe von 1,17 EUR für den Wirkstoff Escitalopram zu veröffentlichen. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet: Die Änderung der Me-Too-Liste sofort durch Veröffentlichung eines diesbezüglichen ausdrücklichen Hinweises auf der Internetseite der Antragsgegnerin – http://www.kvno.de – sowie spätestens bis zum 31.05.2006 in einem Rundschreiben an sämtliche betroffenen niedergelassenen Ärzte im KV-Bezirk der Antragsgegnerin bekannt zu machen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung vom 05.05.2006 zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund gegeben sei. Die für den Anordnungsgrund gemachten Ausführungen seien hinsichtlich der zu erwartenden Entwicklung im Verordnungsbereich rein spekulativ und hinsichtlich der konkreten Existenzgefährdung und/oder Rechtsbeeinträchtigung der Antragstellerin äußerst dürftig. Eine Eilentscheidung würde auch eine Entscheidung in der Hauptsache vorweg nehmen. Bei jeglichem Eingriff in das dargestellte Konzept sei die Einhaltung des Arzneimittelausgabenvolumens im Jahre 2006 nachhaltig gefährdet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.

II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zurückzuweisen.

Der Antrag ist zwar zulässig. Insbesondere ergibt sich die örtliche Zuständigkeit des SG Düsseldorf aus einer Bindung an die Verweisung des SG I mit Beschluss vom 24.05.2006 nach § 98 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 17a Abs. 2 Satz 3 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). Es handelt sich ferner um eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts (§ 31 Abs. 2 SGG), für die sich nach dem Geschäftsverteilungsplan des SG Düsseldorf für das Jahr 2006 die Zuständigkeit der 14. Kammer ergibt. §§ 10 Abs. 2, 31 Abs. 2 SGG begründen eine Sonderzuständigkeit für Streitigkeiten, die materiell dem Krankenversicherungsrecht zuzuordnen sind, aber die besonderen Beziehungen zwischen Krankenkassen und Vertragsärzte betreffen (LSG NRW, Beschluss vom 09.07.2004 – L 10 B 6/04 KA ER –). Nach der Legaldefinition des § 10 Abs. 2 SGG erfasst der Begriff des Vertragsarztrechts alle Streitigkeiten aufgrund der Beziehung zwischen Krankenkassen und Vertragsärzten. Eine solche Streitigkeit liegt hier vor. Insoweit wird auf die Entscheidungen des LSG NRW vom 27.06.2006 (L 11 B 30/06 KA ER und L 11 B 31/06 KA ER) verwiesen, dessen Begründungen hierzu sich die Kammer nach eigener Prüfung vollumfänglich anschließt (a.A.: SG Wiesbaden Beschluss vom 14.08.2006 – S 17 KR 182/06 ER).

Der Antrag ist jedoch unbegründet.

Nachdem die Voraussetzungen des § 86 b Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ersichtlich nicht gegeben sind, kommt als Rechtsgrundlage für den Erlass einer einstweiligen Anordnung allein § 86 b Abs. 2 SGG in Betracht.

Nach § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind hiernach auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Danach ist zwischen einer Sicherungs- (§ 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG) und einer Regelungsanordnung (§ 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG) zu unterscheiden. Unter eine Regelungsanordnung fallen die praktisch häufigen Fälle eines Verpflichtungs- oder eines Leistungsbegehrens, in denen es um die vorläufige Begründung oder Erweiterung einer Rechtsposition geht (vgl. LSG NRW Beschluss vom 09.07.2004 – L 10 B 6/04 KA ER). Sowohl für die Sicherungs- als auch für die Regelungsanordnung entspricht es einer verfassungsrechtlich unbedenklichen verwaltungsgerichtlichen Praxis, die Gewährleistung vorläufigen Rechtsschutzes davon abhängig zu machen, dass der Antragsteller einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft macht (LSG NRW a.a.O.). Droht danach dem Antragsteller bei Versagung des einstweiligen Rechtschutzes eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, so ist – erforderlichenfalls unter eingehender tatsächlicher und rechtlicher Prüfung des im Hauptsacheverfahrens geltend gemachten Anspruchs – einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 –), es sei denn, dass ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen. Andererseits müssen die Gerichte unter Umständen wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit Rechtsfragen nicht vertiefend behandeln und ihre Entscheidung maßgeblich auf der Grundlage einer Interessenabwägung treffen können (LSG NRW Beschluss vom 09.08.2006 – L 10 B 6/06 KA ER –).

In Anwendung der obigen Grundsätze ergibt sich, dass weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund gegeben sind.

§ 84 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) stellt nach Auffassung der Kammer eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Vereinbarung der Antragsgegnerin mit den Landesverbänden der Kranken-/Ersatzkassen über das Arznei- und Verbandmittelausgabenvolumen für das Kalenderjahr 2006 und die anschließende Veröffentlichung der sog. Me-Too-Liste dar. Mit diesen gesetzlichen Regelungen wird den Vertragspartnern der Vereinbarung aufgegeben, zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln bis zum 30. November für das jeweils folgende Kalenderjahr eine Arzneimittelvereinbarung zu treffen. Die Vereinbarung umfasst Versorgungs- und Wirtschaftlichkeitsziele und konkrete, auf die Umsetzung dieser Ziele ausgerichtete Maßnahmen, sog. Zielvereinbarungen, insbesondere zur Information und Beratung. Die Zielvereinbarungen sind die Grundlage für konkrete in ihrem Ergebnis messbare Steuerungsmaßnahmen zur Einhaltung des vereinbarten Ausgabenvolumens. Diese erfordern konkret indikationsbezogen und/oder arzneimittelgruppenbezogen quantitativ und/oder qualitativ definierte Versorgungs- und Wirtschaftlichkeitsziele, konkrete Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele, eine Messbarkeit der Ergebnisse und deren Evaluation (vgl. Kasseler-Kommentar-Hess, § 84 SGB V, Rz. 16). Dabei beziehen sich Wirtschaftlichkeitsziele auf die Kostengünstigkeit der Versorgung. Die Messbarkeit der Zielerreichung erfolgt über die Vereinbarung von prozentualen Anteilen, um die sich ein bestimmtes Versorgungssegment verändern soll. Das Wirtschaftlichkeitsziel kann sich demnach auch auf eine Absenkung der Anteile der Me-Too-Präparate/Analogpräparate beziehen (Kasseler-Kommentar-Hess § 84 SGB V, Rz. 18).

Zieht man nun die Vereinbarung vom 21.11.2005 heran, wird deutlich, dass sie diesen Vorgaben – insbesondere auch im Hinblick auf die Festlegung der Wirtschaftlichkeitsziele, die es zu erreichen gilt – entspricht. In § 4 Abs. 1 verweisen die Vereinbarungspartner zunächst auf die zur Weiterentwicklung des Arzneimittelvolumens durchgeführte Arzneimittelstudie 2002 und die dort aufgezeigten Einsparpotentiale, insbesondere im Bereich der in Absatz 2 genannten Wirtschaftlichkeits- und Versorgungsziele, um eine nach gemeinsamer Beurteilung qualifizierte und wirtschaftliche Arznei- und Verbandmittelversorgung im Kalenderjahr 2006 zu erreichen. In § 4 Abs. 2 der Vereinbarung sind die Wirtschaftlichkeits- und Versorgungsziele für die betroffenen Arztgruppen – messbar – festgelegt. Ferner sind Maßnahmen vereinbart worden, die dem Erreichen der festgelegten Wirtschaftlichkeits- und Versorgungsziele dienen. Teil der Vereinbarung ist demgemäss die Verpflichtung der Antragsgegnerin nach § 5 Abs. 2 der Vereinbarung, zur Erreichung der festgelegten Ziele die Vertragsärzte gezielt über die therapeutische Bewertung einzelner Arzneimittel und zur Substitution bestimmter Arzneimittelgruppen durch nicht medikamentöse Maßnahmen oder andere Arzneimittel zu informieren. Dementsprechend ist die Me-Too-Liste zu bewerten, die den Vertragsärzten eine gezielte Information darüber gibt, welche Arzneimittel – aus Sicht der Antragsgegnerin bzw. der weiteren Vertragspartner – Me-Too-Präparate im Sinne von § 4 Abs. 2 Nr. 2 der Vereinbarung darstellen. Nach Ansicht des Gerichts besteht daher sowohl eine gesetzliche als auch eine vertragliche Grundlage für die Erstellung der Me-Too-Liste. Die Vorgaben des § 84 Abs. 1 SGB V dienen der Einhaltung und Erfüllung des Wirtschaftlichkeitsgebots. Bei der Neufassung des § 84 Abs. 1 SGB V durch das Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetz (ABAG) vom 19.12.2001 (BGBl. I, 3773) hat der Gesetzgeber ausdrücklich die Vereinbarung von Wirtschaftlichkeitszielen in Bezug auf die bevorzugte Verordnung von Generika und Analogpräparaten gefordert (BT-Drucksache 14/6309, S. 7). Somit stellt § 84 Abs. 1 SGB V eine ausreichende Rechtsgrundlage für die zur Umsetzung der hier getroffenen Arzneimittelvereinbarung dienenden Maßnahmen der Antragsgegnerin dar (LSG NRW Beschluss vom 27.06.2006 – L 11 B 31/06 KA ER –).

Dem stehen das auf der Grundlage des § 139a SGB V eingerichtete Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) sowie § 35b SGB V nicht entgegen. Das IQWiG ist ein unabhängiges wissenschaftliches Institut, das den Nutzen medizinischer Leistungen für Patienten untersucht. Nach der Gesetzesbegründung zu § 35b SGB V ist es Aufgabe des Instituts, Nutzenbewertungen zu erarbeiten, die eine Aussage über den Beitrag neuer Arzneimittel zur Verbesserung der medizinischen Behandlung von Patienten beinhalten (BT-Drucksache 15/1525, S. 88). Durch eine stärkere Ausrichtung der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung an der Ergebnisqualität sollen Anreize dafür geschaffen werden, dass die pharmazeutischen Unternehmen ihre Anstrengungen vermehrt auf echte Innovationen mit therapeutischem Mehrwert konzentrieren (BT-Drucksache 15/1525 S. 88). Die Aufgabenstellung des Instituts schließt es jedoch nicht aus, dass derartige Bewertungen auch von anderen Stellen vorgenommen werden können; insbesondere ist der Gesetzesbegründung keine "wissenschaftliche Monopolstellung" des Instituts zu entnehmen. Die Bildung eines unabhängigen wissenschaftlichen Instituts hat vielmehr den Zweck, den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) bei dessen Aufgabenerfüllung zu unterstützen. Demgemäss entfalten die Nutzenbewertungen des Instituts auch unmittelbar keine rechtlichen Wirkungen. Diese treten erst durch die Umsetzung der Bewertungen durch den G-BA für die gesetzliche Krankenversicherung ein. Deswegen soll eine Überprüfung der Bewertungen des Instituts erst anhand der diese umsetzenden Entscheidungen erfolgen (BT-Drucksache 15/1525, S. 89). Auch für den G-BA selbst ergibt sich im Hinblick auf die gesetzlich normierten Zuständigkeiten des G-BA keine Ausschließlichkeit in Fragen der Wirtschaftlichkeit der Versorgung. Vielmehr hat der Gesetzgeber mit der Schaffung des § 84 Abs. 1 SGB V das Erreichen der von ihm verfolgten Wirtschaftlichkeitsziele auf verschiedene Handlungsebenen verlagert.

Zur Vermeidung von Wiederholungen – insbesondere auch hinsichtlich der Anträge der Antragstellerin zu 2 und 3 – wird im Übrigen auf die Ausführungen des LSG NRW in den Beschlüssen vom 27.06.2006 – L 00 B 00/00 KA ER und L 00 B 00/00 KA ER –, denen sich die Kammer nach eigener Prüfung vollumfänglich anschließt verwiesen. Für den Antrag zu 2) gilt dies auch, soweit es nach der Zielvereinbarung bereits ausreicht, dass nur eine der vorgegebenen Quoten – entweder Generika oder Me-Too – neben den weiter genannten Voraussetzungen nicht erreicht wird, um einen Honorarabzug auszulösen. Denn wesentlich ist, dass die Antragsgegnerin eine dem Antrag zu 2) entsprechende Äußerung nicht kundgetan hat.

Darüber hinaus kann die Einstufung des Arzneimittels Cipralex als Me-Too-Präparat nicht als offensichtlich rechtswidrig angesehen werden, selbst wenn im günstigsten Fall davon auszugehen wäre, dass die Bewertung als Me-Too-Präparat als umstritten anzusehen ist.

Präparate, deren Wirkstoffe denen bereits zugelassener Medikamente sehr ähnlich sind, werden seit ca. 2 Jahrzehnten als Analogpräparate (Schrittinnovationen, Me-Too-Präparate) bezeichnet. Nach der Klassifikation von Fricke/Klaus werden neue Arzneimittel nach dem angestrebten therapeutischen Effekt wie folgt unterschieden: -Neuartige Wirkstoffe oder neuartige Wirkprinzipien mit therapeutischer Relevanz (Kategorie A), -Verbesserung pharmakodynamischer oder pharmakokinetischer Qualitäten bereits bekannter Wirkprinzipien (Kategorie B), -Analogpräparate mit keinen oder nur marginalen Unterschieden zu bereits eingeführten Präparaten (Kategorie C) und -eingeschränkter therapeutischer Wert bzw. nicht ausreichend gesicherte Therapieprinzipien (Kategorie D).

Nach der Me-Too-Liste werden als patentgeschützte Analogpräparate alle patentgeschützten Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen bezeichnet, die basierend auf der Methode von Fricke und Klaus (Arzneiverordnungsreport 1986 bis 2005) als Analogpräparate mit keinen oder nur marginalen Unterschieden zu bereits eingeführten Präparaten klassifiziert wurden.

Der vorgenannten Klassifizierung fehlt es nicht an einer ausreichenden Bestimmtheit. Zwar wird der Begriff des Me-Too-Präparats in der Vereinbarung nicht selbst definiert. Es handelt sich aber um einen seit Jahren in der Diskussion um die Arzneimittelversorgung eingeführten Begriff, der nicht nur dem seit Jahren erscheinenden Arzneiverordnungsreport, sondern auch den nach § 84 Abs. 5 Satz 4 SGB V erstellten GamSi zugrunde liegt. Für die interessierten Kreise ist die Einstufung ausreichend transparent (vgl. LSG NRW Beschluss vom 27.06.2006 – L 11 B 31/06 KA ER –). Der gegenteiligen Auffassung des SG Wiesbaden im Beschluss vom 14.08.2006 – S 17 KR 182/06 ER – folgt die Kammer aus den vorgenannten Gründen nicht, zumal das SG Wiesbaden die geäußerten Zweifel an der Bestimmtheit der Einstufung vor dem Hintergrund der Besonderheiten des dortigen Sachverhaltes – die für das hier anhängige Verfahren nicht gegeben sind, weil keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Cipralex kein wirkstoffpatentgeschütztes Präparat ist – im Ergebnis offen lässt.

Cipralex gehört zur Arzneimittelgruppe der Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI). Hierbei handelt es sich um Antidepressiva, die am Serotonin-Transporter ihre Wirkung entfalten und dabei die Serotonin-Konzentration im Plasma erhöhen. Zu dieser Gruppe zählen die Wirkstoffe Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin, Sertralin, Citalopram und Escitalopram. Cipralex enthält den Wirkstoff Escitalopram, das aus dem wirksamen S-Enantiomer des Razemats Citalopram besteht (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Serotonin-Wiederaufnahmehemmer bzw. Escitalopram). Als therapeutischen Mehrwert für den Wirkstoff Escitalopram reklamiert die Antragstellerin unter Berufung auf verschiedene wissenschaftliche Beiträge im Wesentlichen die schnellere Wirksamkeit, das breitere Anwendungsgebiet und die bessere Verträglichkeit. Inwieweit dies genügt, die bisherige Klassifikation als rechtswidrig anzusehen, ist zweifelhaft. Die vorgelegten Aufsätze und Studien deuten zwar auf eine schnellere Wirksamkeit und eine gegenüber Citalopram bzw. den übrigen SSRI bessere Verträglichkeit hin. Demgegenüber beinhalten die von der Antragstellerin vorgelegten Fachinformationen jedoch für beide Wirkstoffe gleichermaßen den Hinweis, dass bis zum Ansprechen auf die Behandlung in der Regel 2 bis 4 Wochen erforderlich sind (Cipralex) bzw. eine antidepressive Wirkung nicht vor Ablauf von mindestens zwei Wochen nach Behandlungsbeginn erwartet werden kann (Citalopram-ratiopharm). Zweifelhaft ist auch, ob das breitere Anwendungsgebiet als entscheidend angesehen werden kann. Das Anwendungsgebiet bestimmt sich u.a. daran, für welche Anwendungsgebiete die Zulassung beantragt worden ist. Zudem ist die sehr gute Wirksamkeit hinsichtlich der Besserung der Panikattacken und der agoraphobischen Symptomatik sowie weiterer panikassoziierter Angstsymptome offenbar für beide Wirkstoffe, Citalopram und Escitalopram, in Studien belegt worden (vgl. Boerner, Citalopram und Escitalopram in der Therapie der Panikstörung mit und ohne Agoraphobie, Psychopharmakotherapie, 11. Jahrgang 2004, S. 110ff). Darüber hinaus werden die Präparate Cipralex und Cipramil in der Roten Liste 2004 im Kapitel Psychopharmaka/SSRI/Wirkstoff Citalopram geführt. Als Anwendungsgebiete finden sich für Cipralex Episoden einer Major Depression und Panikstörungen mit oder ohne Agoraphobie und für Cipramil Depressive Erkrankungen und Panikstörungen mit und ohne Agoraphobie. Hinsichtlich der besseren Verträglichkeit wird darauf hingewiesen, dass auch für Citalopram bereits eine erheblich verbesserte Verträglichkeit gegenüber anderen SSRI nachzulesen ist (vgl. Boerner a.a.O.). Aus diesem Grund ist zu fragen, ob die Anzahl der Fälle, in denen sich die verbesserte Verträglichkeit des Wirkstoffs Escitalopram gegenüber dem Wirkstoff Citalopram auswirkt, verlangt, von einer Einordnung als Me-Too-Präparat und damit auch von einer Quotierung völlig abzusehen. Denn letztlich hat der Arzt über den Austausch des Wirkstoffs zu entscheiden, wozu ihm aufgrund der Quote auch die Möglichkeit verbleibt (siehe auch LSG NRW Beschluss vom 27.06.2006 – L 11 B 31/06 KA ER –).

Auch ein Anordnungsgrund liegt nicht vor. Dieser setzt voraus, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist. Entscheidend ist dabei, ob nach den Umständen des Einzelfalles für den Betroffenen zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, wobei es auf eine Interessenabwägung ankommt. Grundsätzlich können auch erhebliche wirtschaftliche Nachteile ausreichen (vgl. Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 8. Auflage, § 86b Rz. 28). Die erforderliche Interessenabwägung führt hier dazu, dass eine einstweilige Regelung nicht zu erlassen ist. Zwar hat die Antragstellerin auf erhebliche wirtschaftliche Nachteile verwiesen, die ihr bei Belassung des Produkts Cipralex auf der Me-Too-Liste der Antragsgegnerin entstehen bzw. bereits entstanden sind. Die Angaben der Antragstellerin sind jedoch wenig konkret. So gibt sie an, dass Cipralex im Jahre 2005 einen Anteil von 40,5% (inkl. Reimporte) zum Gesamtunternehmensumsatz beigetragen hat. Gleichzeitig verweist sie aber darauf, dass das Produkt noch in der Marktdurchdringungsphase mit steigenden Umsätzen sei, die sich insbesondere im übrigen Bundesgebiet, d.h. außerhalb des Bezirks der Antragsgegnerin, auch noch realisieren lassen. Stellt man aber die dargelegte Entwicklung im übrigen Bundesgebiet und im Bezirk der Antragsgegnerin gegenüber, so wird schon nicht hinreichend deutlich, ob die Umsätze für das Jahr 2006 bezogen auf das gesamte Bundesgebiet gegenüber den Umsätzen des Jahres 2005 im Ergebnis tatsächlich einbrechen werden. Auch wenn eine wirtschaftliche Härte darin zu sehen sein mag, dass sich Umsatzsteigerungen nicht wie geplant im Bezirk der Antragstellerin realisieren lassen und zudem eventuelle Umsatzeinbrüche in diesem Bezirk erwartet werden, führt die Interessenabwägung vorliegend dazu, dass dem Interesse der Antragsgegnerin an der Umsetzung der Arzneimittelvereinbarung und dem Erreichen der Wirtschaftlichkeitsziele der Vorrang zu geben ist. Denn es ist ein besonderes Anliegen des Gesetzgebers, die Arzneimittelausgaben zu steuern. Im Jahre 2005 sind die Arzneimittelausgaben – bereinigt um die Rückführung des Herstellerrabatts – um rund 2,5 Milliarden Euro gestiegen (s. die Begründung zum Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung BT-Drucksache 16/194, 6). In dieser Steigerung der Arzneimittelausgaben sieht der Gesetzgeber einen Verstoß gegen den Grundsatz der Beitragssatzstabilität (a.a.0.). Wie § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V zeigt, erwartet der Gesetzgeber auch ein sofortiges Reagieren der Kassenärztlichen Vereinigungen auf sich abzeichnende Überschreitungen des vereinbarten Ausgabenvolumens. Hiermit wäre nicht zu vereinbaren, wenn Steuerungsinstrumenten auch schon vorläufig ihre Wirkung genommen wird. Im Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung vom 26.04.2006 (BGBl. I, 984) hat der Gesetzgeber nunmehr in § 84 Abs. 7a SGB V den Spitzenverbänden der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung aufgegeben, Durchschnittskosten je definierter Dosiereinheit auf Bundesebene zu vereinbaren, die Bestandteil der Vereinbarung nach § 84 Abs. 1 SGB V sind, wenn nicht die regionalen Vertragspartner eine abweichende adäquate Regelung zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung treffen (§ 84 Abs. 4a SGB V i.d.F. des Gesetzes vom 26.04.2006). Der Gesetzgeber geht bei dieser Regelung von erheblichen Wirtschaftlichkeitsreserven insbesondere bei der therapiegerechten Auswahl von Wirkstoffen und Wirkstoffklassen aus. Dies zeigt die Bedeutung der Einhaltung der in der Arzneimittelvereinbarung getroffenen Wirtschaftlichkeitsziele. Die Erhaltung der finanziellen Stabilität der GKV ist ein Gemeinwohlbelang von hohem Rang (BVerfG 68, 193, 218; 82, 201, 230). Von daher wiegt das Interesse der Antragsgegnerin an der Umsetzung der Vereinbarung und der damit verfolgten Wirtschaftlichkeitsziele schwer (LSG NRW, Beschluss vom 27.06.2006 – L 11 B 31/06 KA ER –).

Für das Präparat Parkinsan scheidet ein Anordnungsgrund bereits nach dem eigenen Vortrag der Antragstellerin aus, weswegen die Kammer auch auf die Prüfung eines Anordnungsanspruchs zu diesem Präparat verzichtet hat. Nach Darstellung der Antragstellerin wird sich der Umsatz des Produkts Parkinsan durch die Erwähnung auf der Me-Too-Liste voraussichtlich nicht ändern können, da eine Umstellung der etwa 100 im Bereich der Antragsgegnerin behandelten Patienten aus medizinischen Gründen kaum wahrscheinlich sei. Allein die vermutete Verunsicherung von Ärzten und Patienten kann eine Eilbedürftigkeit nicht begründen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Rechtskraft
Aus
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