S 8 AS 78/06 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 8 AS 78/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 26.07.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.08.2006 wird abgelehnt. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Gründe:

Der "Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Bewilligung von Arbeitslosengeld II" vom 20.09.2006 ist interessengerecht als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG auszulegen. Denn der Antragsgegner hatte zunächst mit Bescheid vom 05.05.2006 Grundsicherungsleistungen ohne Anrechnung von Einkommen bis zum 31.10.2006 bewilligt. Mit Bescheid vom 26.07.2006 hob der Antragsgegner diese Bewilligung gemäß § 48 SGB X ab 01.08.2006 auf. Hiergegen richten sich Widerspruch und die bei Gericht am 21.09.2006 eingegangene Anfechtungsklage (Aktenzeichen: S 0 AS 00/00). Gemäß § 39 SGB II haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet (Nr. 1), keine aufschiebende Wirkung. Statthaftes Mittel des einstweiligen Rechtsschutzes ist damit der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG.

Der statthafte und zulässige Antrag ist indes nicht begründet. Bei der Prüfung der Frage, ob die aufschiebende Wirkung gemäß § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG angeordnet wird, hat das Gericht eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen (ausführlich: Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, Rdnr. 181 f; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 86 b Rdnr. 12 ff). Die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahren sind zu berücksichtigen, die Aussetzung der Vollziehung soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zu Folge hätte.

Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Antragsgegners und keine Anhaltspunkte für eine besondere Härte durch die Vollziehung.

Ermächtigungsgrundlage für die Entscheidung des Antragsgegners sind §§ 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II, 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Hiernach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Bei dem Bewilligungsbescheid vom 05.05.2006 handelte es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, da Grundsicherungsleistungen für 6 Monate bewilligt werden. Gegenüber den Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, ist ab 01.08.2006 eine wesentliche Änderung eingetreten:

Dies ergibt sich aus §§ 9 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, 7 Abs. 3 Nr. 3 c, Abs 3 a SGB II in der durch Artikel 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.07.2006 (BGBl I 1706) mit Wirkung ab 01.08.2006 eingeführten Fassung. Hiernach sind bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Zur Bedarfsgemeinschaft gehört auch eine Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen Haushalt so zusammen lebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird unter anderem dann vermutet, wenn Partner länger als ein Jahr zusammenleben.

Die Antragstellerin und Herr C leben länger als ein Jahr zusammen. Bevor die Antragstellerin gemeinsam mit Herrn C zum 01.11.2004 nach W-T1, Eweg 00, zog, lebte sie nach den von ihr nicht bestrittenen Feststellungen des Antragsgegners mit Herrn C gemeinsam in einer Wohnung im B1 Lweg 0 in T2. B2. Durch den gemeinsamen Umzug liegt ohnehin ein gewichtiges Indiz dafür vor, dass die Antragstellerin und Herr C eine eheähnliche Lebensgemeinschaft bilden, die auch bis zum 31.07.2006 eine Einkommensanrechung ermöglicht hätte (§ 7 Abs. 3 Nr. 3 b SGB II in der bis zum 31.07.2006 geltenden Fassung). Jedenfalls aber greift ab 01.08.2006 die genannte Vermutung des § 7 Abs. 3 a Nr. 1 SGB II).

Die Neuregelung erfasst den Bewilligungsbescheid vom 05.05.2006, weshalb eine Änderung in den rechtlichen Verhältnissen eingetreten ist (anders: SG Aachen, Beschluss vom 22.09.2006 – S 21 AS 143/06 ER). Insbesondere stellt die Anwendung dieser Vorschrift auf laufende Bewilligungen keine Rückwirkung dar. Sinn und Zweck der Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II ist es, den laufenden Lebensunterhalt sicherzustellen. Denn obwohl gemäß § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II die Leistungen jeweils für 6 Monate bewilligt und monatlich im Voraus erbracht werden sollen, besteht gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 SGB II Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts grundsätzlich für jeden Kalendertag. Trotz der regelmäßigen Bewilligung der Leistungen für 6 Monate handelt es sich bei der Bewilligung der Leistungen damit um den aktuellen Verhältnissen anzupassende, zur Deckung des laufenden Bedarfs dienende Leistungen. Eine Gesetzesänderung, die auf eine vom Gesetzgeber angenommene mangelnde Bedürftigkeit Bezug nimmt, erfasst damit auch laufende Bewilligungszeiträume (insoweit anders SG Aachen, Beschluss vom 22.09.2006 a. a. O.).

Auch aus § 68 Abs. 1 SGB II ergibt sich nichts anderes (anders wohl ebenfalls SG Aachen, Beschluss vom 22.09.2006 a. a. O.). Allerdings bestimmt die Vorschrift, dass § 7 SGB II in der bis zum 30.06.2006 geltenden Fassung weiterhin anzuwenden ist für Bewilligungszeiträume, die vor dem 01.07.2006 beginnen. § 68 SGB II wurde mit Wirkung vom 01.04.2006 durch das Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 24.03.2006 (BGBl I, Seite 558) eingefügt. Nach der Gesetzesbegründung (Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales – BT-Drucksache 16/688 vom 15.02.2006 -) soll § 68 Abs. 1 SGB II sicherstellen, dass der Verwaltung ausreichend Zeit für die erforderlichen Umstellungsarbeiten beim Umgang zur neuen Rechtslage bei der Erweiterung der Bedarfsgemeinschaft um Jugendliche, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, eingeräumt wird. Einen weiteren Zweck hat diese Vorschrift nicht. Die Überschrift "Gesetz zur Änderung des Zweiten Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze" ist amtlich und insoweit zur Interpretation der Vorschrift heranzuziehen. Trotz des allgemein gehaltenen Wortlautes von § 68 Abs. 1 SGB II ist diese Vorschrift daher nur auf solche Änderungen von § 7 SGB II anzuwenden, die durch das Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vorgenommen wurden. Änderungen aufgrund des hier maßgeblichen Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.07.2006 werden von § 68 SGB II nicht erfasst. Für diese Änderungen gilt § 69 SGB II, diese Vorschrift enthält für den vorliegenden Fall jedoch keine Übergangsregelung.

Der Annahme einer wesentlichen Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X steht auch nicht entgegen, dass die ursprüngliche Leistungsbewilligung vermutlich rechtswidrig im Sinne des § 45 SGB X gewesen ist. Denn nach Auffassung des Gerichts handelte es sich bereits um eine eheähnliche Lebensgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 b SGB II in der bis zum 31.07.2006 geltenden Fassung. Maßgebliches Indiz hierfür ist, dass die Antragstellerin und Herr C bereits einmal gemeinsam umgezogen sind. Dies ist atypisch für eine reine Wohn- und Zweckgemeinschaft. Da jedoch eine rechtswidrige Leistungsbewilligung nicht stärker geschützt ist, als eine rechtmäßige Leistungsbewilligung, ist die Änderung von § 7 Abs. 3 SGB II und die Einfügung von § 7 Abs. 3 a SGB II durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende auch für vorher bestehende eheähnliche Lebensgemeinschaften als wesentliche Änderung in den rechtlichen Verhältnissen anzusehen.

Die vom Antragsgegner im Bescheid vom 06.12.2005 vorgenommene Berechnung des Einkommens des Herrn C ist plausibel und wurde von der Antragstellerin nicht angegriffen. Damit ist insgesamt von fehlender Bedürftigkeit auszugehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung von § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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