L 8 R 6/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 22 R 388/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 6/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 05.12.2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für den Berufungsrechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Hinterbliebenenrente unter Berücksichtigung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Getto (ZRBG).

Die Klägerin ist am 00.00.1935 geboren. Sie lebt in Israel und besitzt die israelische Staatsangehörigkeit. Ihr am 00.00.1933 geborener Ehemann J (J) F (im folgenden: J.F.) verstarb am 00.12.2002. Er war als Verfolgter im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) anerkannt und erhielt Leistungen wegen Schaden an Freiheit (vom 19.09.1941 bis 08.05.1945) nach diesem Gesetz.

Aus den vom Amt für Wiedergutmachung in Saarburg beigezogenen Entschädigungsakten des J.F. ergibt sich folgendes:

Im Entschädigungsantrag vom 03. März 1955 gab J.F. an, im Februar 1943 in Prag verhaftet worden und danach bis zur Befreiung am 09.05.1945 im Ghetto und KZ Theresienstadt gewesen zu sein. In einer eidlichen Erklärung vom 01.03.1957 gab er ferner an, bis 1940 habe er bei seinen Eltern in Pisek gelebt und sei dann in ein jüdisches Kinderheim in Prag gekommen. Am 16. Februar 1943 sei er mit einem Sondertransport mit seinen Geschwistern in das Ghetto Theresienstadt gebracht und dort im Jugendblock (Qu 318) untergebracht worden. In der letzten Zeit habe er im Krematorium arbeiten und die Asche der Toten in Büchsen füllen müssen. Er habe eigene Zivilkleidung mit dem Judenstern getragen. Das Ghetto Theresienstadt sei mit einer hohen Mauer umgeben und von SS bewacht gewesen. Im Inneren des Gettos habe jüdische Miliz für Ordnung gesorgt.

Die Verhaftung durch die Gestapo in Prag und der Aufenthalt in Theresienstadt wurde durch eine ITS-Bescheinigung vom 25.05.1955 bestätigt.

J.F. erhielt ferner eine Entschädigung aus dem Art. 2 Fond der Claims Conference. Ihr gegenüber gab er nach den von der Beklagten beigezogenen Unterlagen am 02.02.1993 an, dass er im Februar 1943 von Prag nach Theresienstadt deportiert worden sei bei Zwangsarbeit unter schrecklichsten Lebensbedingungen bis zur Befreiung durch die russische Armee. Im Oktober 2002 stellte J.F. einen Antrag auf Altersrente aufgrund von Gettobeitragszeiten bei der Beklagten. Die Beklagte lehnte diesen mit Bescheid vom 05.07.2004 ab, da mangels weiterer Angaben keine Feststellung getroffen werden könne.

Mit einem am 19.11.2004 bei der Beklagten eingegangenen Antrag begehrte die Klägerin Hinterbliebenenrente auf Grund von Ghettobeitragszeiten. Im Fragebogen der Beklagten gab sie an, ihr Ehemann habe im Ghetto mit Pferd und Wagen Leichen transportieren müssen. Auf dem Weg von und zur Arbeit und während der Arbeit sei er bewacht gewesen durch bewaffnete Soldaten. Das Lager habe die Zwangsarbeit vermittelt, die Zuweisung sei durch bewaffnete Soldaten erfolgt. Die Frage, ob Einfluss auf die Aufnahme der Arbeit und die Wahl der Arbeitsstelle hätte genommen werden können, verneinte sie. Als Tätigkeitsbeschreibung gab sie an, "Pferdeversorgung morgens und abends und Leichentransport". Die Befehle seien stundenlang, je nach Kommando ausgeführt worden. Eine Entlohnung durch Ghettogeld, Lebensmittel oder sonstige Zuwendungen verneinte die Klägerin.

Nach Beiziehung der Unterlagen aus dem Entschädigungsverfahren und der Claims-Conference lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 07.03.2005 ab. Zur Begründung führte sie aus, bei der Tätigkeit des J.F. im Ghetto Theresienstadt habe es sich um Zwangsarbeit gehandelt. Bei unfreiwilligem und unentgeltlichem Arbeitseinsatz komme eine Anerkennung als Beitragszeit nicht in Betracht.

Mit Widerspruchschreiben vom 22. 03. 2005 trug die Klägerin vor, der Fall ihres Ehemannes sei durch eine einmalige Zahlung anerkannt worden, insbesondere, dass er gezwungen gewesen sei, mit Pferden und Toten zu arbeiten. Ob er einen Lohn bekommen habe oder nicht, sei ihr als Witwe unbekannt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 09.06.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Anwendung des ZRBG scheitere bereits am Charakter des Arbeitseinsatzes. In Theresienstadt sei die Aufnahme einer Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss unmöglich gewesen. Es habe Arbeitspflicht bestanden und in Erfüllung dieser hätten die Betroffenen keinen Einfluss auf den Arbeitsprozess gehabt. Ob Theresienstadt ein Ghetto gewesen sei, bedürfe keiner Prüfung.

Mit Schreiben vom 22.06. 2005 (bei der Beklagten eingegangenen am 14.7.2005) hat die Klägerin Klage erhoben. Sie hat vorgetragen, J.F. sei mit acht Jahren gezwungenerweise beschäftigt worden, Tote im Pferdewagen zu transportieren. Ein Junge in dem Alter gehöre in die Schule. Von Entlohnung könne keine Rede sein und auch nicht von Freiwilligkeit mit acht Jahren. Bei dieser Arbeit habe er obendrein noch einen Schlag auf dem Kopf mit dem Gewehr bekommen. Nach der Befreiung habe er für sechs Monate wegen Tuberkulose in ein Schweizer Hospital überführt werden müssen.

Die Klägerin hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 07.03.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.06.2005 zu verurteilen, ihr unter Berücksichtigung der von ihrem verstorbenen Ehemann in der Zeit von Februar 1943 bis Mai 1945 erlangten Ghetto-Beitragszeiten sowie unter Berücksichtigung von Ersatzzeiten -ggf- nach Entrichtung freiwilliger Beiträge- eine Hinterbliebenenrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Sozialgericht hat nach Beiziehung der Entschädigungsakten die Klage mit Urteil vom 05.12.2005 abgewiesen. Es könne dahinstehen, ob in Theresienstadt ein Ghetto im Sinne des ZRBG oder vielmehr ein Konzentrationslager existiert habe. Denn die Voraussetzungen des ZRBG, die Ausübung einer freiwilligen und entgeltlichen Beschäftigung, seien nicht erfüllt. Vielmehr sei nach den Angaben des J.F. im Entschädigungsverfahren und den Angaben der Klägerin davon auszugehen, dass es sich bei den Arbeiten des J.F. in Theresienstadt um Zwangsarbeit gehandelt habe. Die Arbeit sei durch bewaffnete Soldaten zugewiesenen worden und es habe auf dem Arbeitsweg Bewachung bestanden. Eine Entlohnung habe er nicht erhalten. Die Angaben der Klägerin deckten sich insoweit mit den eigenen Angaben des J.F. im Entschädigungsverfahren. Nach diesen habe er im Krematorium arbeiten und die Asche der Toten in Büchsen füllen müssen. Es sei deshalb davon auszugehen, dass der Ehemann keine freiwillige Beschäftigung gegen Entgelt sondern Zwangsarbeit ausgeübt habe. Zwangsarbeit aber führe nicht zu Beitragszeiten in der deutschen Rentenversicherung.

Gegen das am 19.12.2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 06.01.2006 Berufung eingelegt. Sie führt aus, die Klageabweisung sei ihr sehr unverständlich. Der Ehemann habe jahrelang unentgeltlich Zwangsarbeit verrichteten müssen und seine Tuberkulose durch fehlendes Essen bekommen. Welches Kind sei mit acht bis neun Jahren verpflichtet gewesen, Totentransporte zum Krematorium zu verrichteten. Dazu ohne Essen und Trinken, bewacht bei Tag und Nacht und mit Schlägen auf den Kopf. Wie könne behauptet werden, dass es sich um freiwilligen Dienst gehandelt habe. Es sei ihr gut bekannt, dass ihr Ehemann keinerlei Entgelt bekommen habe. Denn dies habe er während seiner Ehe dauernd erwähnt. Deshalb sei das Urteil unverständlich und ungerecht.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 05.12.2005 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 07.03.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.06.2005 zu verurteilen, ihr unter Berücksichtigung der von ihrem verstorbenen Ehemann in der Zeit von Februar 1943 bis Mai 1945 zurückgelegten Ghettozeiten als Beitragszeiten sowie unter Berücksichtigung von Ersatzzeiten -ggf. nach Entrichtung freiwilliger Beiträge- eine Hinterbliebenenrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das sozialgerichtliche Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten sowie der vom Amt für Wiedergutmachung in Saarburg beigezogenen Entschädigungsakte des J.F. (Az.: 000) Bezug genommen. Der jeweilige Inhalt war Gegenstand der Beratung.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte im Termin vom 30.08.2006 ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil sich die Beteiligten zuvor mit dieser verfahrensrechtlichen Möglichkeit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid vom 07.03.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.06.2005 nicht im Sinne von § 54 Absatz 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da der Bescheid nicht rechtswidrig ist. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung von Witwenrente nach ihrem verstorbenen Ehemann.

Die für den Rentenanspruch erforderliche Wartezeit von 60 Kalendermonaten (§§ 46, 50, 51 SGB VI) ist nicht erfüllt, weil auf die Wartezeit anrechenbare Versicherungszeiten nicht vorliegen. Mangels Vorliegens von Beitragszeiten scheidet auch die Berücksichtigung von Ersatzzeiten (§§ 51 Abs. 1 und 4, 55 SGB VI) und eine Nachentrichtungsberechtigung aus. Nach § 2 ZRBG gelten Beiträge nur dann als gezahlt, wenn ein Verfolgter eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung im Sinne des § 1 Abs. 1 ZRBG in einem Ghetto, in dem er sich zwangsweise aufhielt, ausgeübt hat. Bei der Tätigkeit des J.F. im Ghetto / Konzentrationslager Theresienstadt handelte es sich jedoch nicht um eine rentenversicherungspflichtige Tätigkeit, sondern um Zwangsarbeit, so dass der Anwendungsbereich des ZRBG nicht eröffnet ist.

Zur Begründung verweist der Senat zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts, denen er sich aus eigener Überzeugung anschließt und auf die er zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt (§ 153 Abs. 2 SGG). Zutreffend ist das Sozialgericht nach der Art der Tätigkeit, der angegebenen Bewachung durch Soldaten und der fehlenden Entlohnung von einer unfreiwilligen Zwangsarbeit des J.F. ausgegangen. Ergänzend spricht hierfür auch, das J.F., der zuvor in einem Kinderheim untergebracht war und deshalb nicht unter dem Schutz eines Familienverbandes stand, nicht von einer ghettointernen Verwaltung, sondern der SS zur Arbeit herangezogen wurde.

Wegen des weiteren Vorbringens der Klägerin sei ferner darauf hingewiesen, dass J.F. -worauf die Klägerin zutreffend verweist- zwar anerkannter Verfolgter des Nationalsozialismus ist und auch eine einmalige Entschädigung erhalten hat. Er erfüllt damit aber nur eine Voraussetzung des § 1 Abs. 1 ZRBG und nicht die weiteren Voraussetzungen einer aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen und entgeltlichen Beschäftigung. Der Begriff der versicherungspflichtigen Beschäftigung ist für Fälle von Tätigkeiten in einem Ghetto durch die sog. Ghetto-Rechtsprechung des Bundessozialgerichts näher konkretisiert worden (z.B. BSG vom 23.08.2001 - B 13 RJ 59/00 R m.w.N.). Danach ist eine von den Merkmalen der Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit bestimmte Beschäftigung, die grundsätzlich der Versicherungspflicht unterliegt, von nichtversicherungspflichtiger Zwangsarbeit abzugrenzen. Wurde die Tätigkeit unfreiwillig unter Zwang und ohne Entgelt -wie von der Klägerin vorgetragen- ausgeübt, ist die Anerkennung einer rentenberechtigenden Beitragszeit ausgeschlossen.

Ohne Zweifel war der Ehemann der Klägerin als nationalsozialistisch Verfolgter von der ihm als Kind auferlegten Zwangsarbeit besonders schwer und leidvoll betroffen. Seine Darstellung im Entschädigungsverfahren und die ergänzenden Angaben der Klägerin sieht der Senat auch als in jeder Hinsicht zutreffend an. Sie entsprechen den historischen Erkenntnissen über Theresienstadt für die Zeit des dortigen Aufenthaltes des J.F ... So wurde in dem Ende 1942 in Theresienstadt errichteten Krematorium, das unter Aufsicht der SS stand, die Asche der Toten getrennt in Urnen bis Ende 1944 in einem Kolumbarium aufbewahrt. Verbrannt wurden dort nicht nur Tote aus Theresienstadt, sondern auch Tote aus dem Lager in Litomerice. Bis Anfang April 1945 brachten Fuhrwerke die toten Häftlinge nach Theresienstadt. (vgl. http://de.wikipedia.org/KZ-Theresienstadt). Vor diesem Hintergrund ist das Unverständnis der Klägerin über die von der Beklagten getroffenen und vom Sozialgericht bestätigten Entscheidung zwar nachvollziehbar. Auch ist zuzugestehen, dass das Erfordernis einer freiwilligen und entgeltlichen Beschäftigung im Ghetto zur Erfüllung von Rentenansprüchen aus ihrer bzw. der Sicht eines von der Verfolgung Betroffenen als ungerecht empfunden wird. Die Anerkennung einer rentenrechtlichen Beitragszeit beruht jedoch auch bei Beschäftigungen in einem Ghetto im Kern nicht auf entschädigungsrechtlichen Gründen, sondern auf der Ausübung einer vom Typus her "normalen" rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung, wenn auch unter den besonderen, schweren Bedingungen eines Ghettos, so dass die ablehnende Entscheidung der geltenden Gesetzeslage entspricht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache.

Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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