S 22 AS 508/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
22
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 22 AS 508/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 218/06
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger die Zahlung von Arbeitslosengeld II (Alg II) zu Recht wegen fehlender Mitwirkung verweigert hat.

Mit Bescheid vom 25.05.2005, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 25.07.2005, lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Zahlung von Alg II vom 22.04.2005 wegen fehlender Mitwirkung ab. Der Kläger habe trotz Belehrung über seine Mitwirkungspflichten nicht alle von ihm geforderten Unterlagen, insbesondere nicht Kontoauszüge der letzten drei Monate vor Antragstellung im Original, vorgelegt.

Hiergegen richtet sich die Klage vom 22.08.2005. Der Kläger vertritt den Standpunkt, er habe alle erforderlichen Unterlagen vorgelegt. Durch die weitergehende Anforderung von Belegen seitens der Beklagten werde er in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Beschluss der Kammer vom 10.04.2006 im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (S 22 AS 510/05 ER Blatt 24 ff. Gerichtsakte) verwiesen.

Trotz der ablehnenden Entscheidung des Gerichts in dem vorgenannten Beschluss, der vom Kläger nicht mit der Beschwerde angefochten wurde, hält dieser an der Klage fest. Seine Ausführungen sind Blatt 38 bis 41 der Gerichtsakte zu entnehmen.

Der Kläger beantragt sinngemäß, den Bescheid der Beklagten vom 25.05.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.07.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ab 22.04.2005 Arbeitslosengeld II zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Kammer lag die Verwaltungsakte der Beklagten (96 Blatt) bei ihrer Entscheidung vor.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht hat den Rechtsstreit gem. § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden hierzu gehört.

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Die Kammer hält an ihrer in dem Beschluss vom 10.04.2006 vertretenen Auffassung fest, wonach es sich bei den von der Beklagten geforderten Unterlagen, insbesondere den Kontoauszüge der letzten drei Monate vor Antragstellung im Original, um Beweismittel für leistungserhebliche Tatsachen im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 3 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) gehandelt hat und die Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden somit die beantragten Leistungen zu Recht gem. § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I versagt hat. Dementsprechend war die Kenntnis der betreffenden Sozialdaten gem. § 67 a Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zur Erfüllung der Aufgaben der Beklagten erforderlich. Die hiervon abweichende, insbesondere vom Hessischen Landessozialgericht (LSG) in seinem Beschluss vom 22.08.2005 (L 7 AS 32/05 ER) vertretene Auffassung vermag die Kammer nach wie vor nicht nachzuvollziehen, da eine so enge Auslegung der genannten Vorschriften, wie in dieser Entscheidung vorgenommen, als lebensfern und der vorliegenden Fallkonstellation nicht angemessen erscheint.

Für die Kammer stellt es weiterhin keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eines Antragstellers auf steuerfinanzierte Grundsicherungsleistungen dar, wenn dieser aufgefordert wird, seine finanziellen Verhältnisse vollständig und lückenlos offenzulegen, und dabei auch in moderatem Umfang Unterlagen für einen gewissen Zeitraum vor Antragstellung gefordert werden. Dem kann insbesondere nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, das Herbeiführen von Bedürftigkeit schließe einen Anspruch auf Alg II nicht aus (Schriftsatz des Klägers vom 30.07.2006), da es hier auch um eine mögliche Verschleierung von Einkünften oder von vorhandenem Vermögen durch gezielte finanzielle Transaktionen geht, was sehr wohl die Frage der Hilfebedürftigkeit des Antragstellers gem. § 9 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) als Voraussetzung für den geltend gemachten Anspruch auf Alg II gem. § 19 Satz 1 SGB II betrifft. Das Rousseau sche Menschenbild" des Hessischen LSG, das sich offensichtlich nicht vorstellen kann, dass Personen, die Alg II beantragen, so etwas tun könnten (oder meint, dies müsse im Interesse des Datenschutzes in Kauf genommen werden), teilt die Kammer nicht. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bleibt dabei gewahrt: Der mit der Vorlage der genannten Unterlagen verbundene Eingriff in rechtlich geschützte Interessen des Betroffenen ist verhältnismäßig gering, die Gefahr einer ungerechtfertigten Vergabe steuerfinanzierter Leistungen dagegen beträchtlich, sodass letztere eindeutig schwerer wiegt.

Für die Beurteilung der Tragweite des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung für Eingriffe, durch welche der Staat die Angabe personenbezogener Daten vom Bürger verlangt, kann nicht allein auf die Art der Angaben abgestellt werden; entscheidend sind vielmehr ihre Nutzbarkeit und Verwendungsmöglichkeit. Diese hängen einerseits von dem Zweck, dem die Erhebung dient, und andererseits von den der Informationstechnologie eigenen Verarbeitungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten ab (Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15.12.1983 BVerfGE 65, 1). Im vorliegenden Fall werden die geforderten Daten allein zur Prüfung der Hilfebedürftigkeit gem. § 9 SGB II verwendet. Was den Umgang der Mitarbeiter der Beklagten mit den erhobenen Daten betrifft, ist der Kläger durch die Vorschriften über das Sozialgeheimnis gem. § 35 SGB I in Verbindung mit §§ 67 ff. SGB X hinreichend geschützt. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass diese Daten zweckentfremdet oder in einer für den Kläger nachteiligen Weise verwendet werden. Eine beabsichtigte oder drohende Verknüpfung mit sensiblen Daten, die ggf. anderen öffentlichen Stellen zugänglich sind, ist für die Kammer nicht ersichtlich. Die vom Kläger insoweit in seinem Widerspruchsschreiben vom 23.06.2005 genannten Beispiele sind nicht überzeugend. Die Überweisung eines Mitgliedsbeitrags für eine politische Partei würde ebenso gut aus den aktuellen Kontoauszügen hervorgehen, deren Vorlage der Kläger nicht verweigert hat. Erkenntnisse über Einkaufsgewohnheiten wären nur von Bedeutung, wenn sie kommerziellen Anbietern von Waren oder Dienstleistungen zugänglich wären, was aus der Sicht der Kammer hier ausgeschlossen werden kann. Der Einkauf von Artikeln bei einem Erotikversand" müsste dem Kläger nach den heute allgemein verbreiteten Anschauungen kaum peinlich sein. Zudem würden dies allenfalls die mit der Bearbeitung betrauten Sachbearbeiter zur Kenntnis nehmen und diese sind gem. § 35 Abs. 1 Satz 5 SGB I über das Ende ihres Beschäftigungsverhältnisses hinaus zur Verschwiegenheit verpflichtet. Nach alledem schießt der Kläger aus der Sicht der Kammer mit seinen Befürchtungen, wenn sie denn ernst gemeint und nicht nur vorgeschoben sind, weit über das Ziel hinaus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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