L 3 AS 57/06

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 2 AS 1377/05
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 57/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 24. Januar 2006, soweit dem Kläger Verschuldenskosten auferlegt wurden, aufgehoben.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Zahlung der Kosten einer eintägigen Klassenfahrt in Höhe von 14,50 EUR.

Der am ...1989 geborene Kläger ist Schüler und besucht die H ...mittelschule in Z ... Er lebt bei seinen Eltern M ... H ... (M.H.) und B ... H ... (B.H.). M.H. ist erwerbsfähig. Sie bezog bis 28.07.2004 Arbeitslosengeld (Alg) in Höhe von 121,31 EUR wöchentlich (17,33 EUR täglich) und anschließend Arbeitslosenhilfe (Alhi), nämlich vom 29.07.2004 bis 31.08.2004 in Höhe von 48,02 EUR wöchentlich, im November 2004 in Höhe von 442,20 EUR und im Dezember in Höhe von 456,94 EUR. B.H. bezieht seit dem 01.01.2005 Alg, zunächst in Höhe von 1.181,40 EUR monatlich und seit dem 01.01.2005 in Höhe von 1.196,70 EUR monatlich. Der Bruder des Klägers, J1 ... H ..., der ebenfalls bis 31.07.2005 im Haushalt seiner Eltern lebte, bezog Alg in Höhe von wöchentlich 94,78 EUR. Das Kindergeld beträgt insgesamt 308,00 EUR (154,00 EUR für den Kläger und 154,00 EUR für J1 ... H ...). Mit Mietvertrag vom 16.12.2003 mieteten die Eheleute H ... ab dem 01.04.2004 eine 4-Zimmer-Wohnung mit 108 qm für 430,00 EUR zuzüglich 173,00 EUR Betriebskostenvorauszahlung (jeweils 86,50 EUR für Heizungs- und Warmwasserkosten bzw. übrigen Betriebskos-ten) monatlich.

Am 20.12.2004 stellte M.H. Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Mit Bescheid vom 14.01.2005 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da M.H. auf Grund der nachgewiesenen Einkommensverhältnisse nicht hilfebedürftig sei. Das Gesamteinkommen der Bedarfsgemeinschaft (bestehend aus M.H., B.H. und dem Kläger) in Höhe von 1.424,60 EUR übersteige den Gesamtbedarf in Höhe von 1.299,05 EUR.

Mit Bescheid vom 21.01.2005 lehnte die Beklagte den Antrag mit derselben Begründung ab. Zusätzlich wies sie daraufhin, dass die Abtretung des Kindergeldes des volljährigen Sohnes an diesen laut Kindergeldkasse nicht möglich sei. Das Kindergeld sei daher auch weiterhin bei der Klägerin anzurechnen.

Mit Schreiben vom 25.01.2005 legte M.H. gegen den Bescheid vom 14.01.2005 und am 28.01.2005 gegen den Bescheid vom 21.01.2005 Widerspruch ein. Das Zweite Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) verstoße gegen Art. 2, 20, 19 Abs. 4, 80 Abs. 1 sowie Art. 12 Abs. 2 und 3 Grundgesetz (GG). Die Regelleistung des Alg II ent-spreche nicht mehr den tatsächlichen Entwicklungen der allgemeinen Lebenskosten. Hier-zu kämen die erheblichen Belastungen durch die Gesundheitsreform. Bei der 3 % Pauscha-le handle es sich um eine realitätsferne und insofern willkürliche Größe. Die vorhandenen Versicherungen seien angemessen und notwendig: Hausratsversicherung 60,01 EUR Unfallversicherung 327,96 EUR Lebensversicherung 243,18 EUR Private Haftpflichtversicherung 75,60 EUR (83,15 EUR ab 09.03.05 – SG-Akte BL.314) Rechtsschutzversicherung 270,00 EUR Jährlich 976,75 EUR, monatlich 81,3958333 EUR. Es seien die tatsächlich entstandenen Kosten für Unterkunft und Heizung vollständig zu übernehmen.

Mit Bescheid vom 05.04.2005 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 14.01.2005 in der Fassung vom 21.01.2005 als unbegründet zurück. Für die M.H. und ihren Ehepartner ergebe sich eine Regelleistung in Höhe von jeweils 298,00 EUR, für J2 eine solche von 265,00 EUR, insgesamt also 861,00 EUR. Es seien folgende tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung geltend ge-macht worden: Kaltmiete 430, 00 EUR Heizkosten 86,50 EUR Nebenkosten 86,50 EUR Insgesamt 603,00 EUR. Hiervon abzuziehen sei der Bedarf für den Energieaufwand zur Warmwasserzubereitung abzuziehen: Für den Haushaltsvorstand 8,18 EUR Für Haushaltsangehörige 3,58 EUR, insgesamt also 18,92 EUR. Da die Bedarfsgemeinschaft nur aus drei Personen bestehe, würden nur ¾ der Kosten der Unterkunft und Heizung übernommen, so dass für diese insgesamt 438,05 EUR anzuerkennen seien. Der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft betrage demnach 1.299,06 EUR monatlich. Die Bedarfsgemeinschaft verfüge über ein Einkommen in Höhe von 1.424,60 EUR: Bei der Klägerin seien 154,00 EUR Kindergeld für den volljährigen Sohn J1 ... abzüglich 30,00 EUR Pauschbetrag für Versicherungen anzurechnen (§ 11 Abs. 1 SGB II). Der Ehepartner beziehe Alg in Höhe von monatlich 1.176,60 EUR, von dem gleichfalls 30,00 EUR für Versi-cherungen abzugsfähig seien. Bei dem minderjährigen Sohn J2 sei Kindergeld in Höhe von 154,00 EUR ohne Abzug anzurechnen.

Am 12.04.2005 stellte M.H. erneut einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Le-bensunterhaltes nach dem SGB II.

Am 18.04.2005 hat sich M.H. an das Sozialgericht Chemnitz gewandt und beantragt, die Bescheide der Beklagten vom 14.01.2005 und 21.01.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.04.2005 aufzuheben und ihr Arbeitslosengeld II bzw. Leistungen ab 01.01.2005 zu zahlen.

Am 29.04.2005 beantragte der Kläger die Erstattung der Kosten für die Klassenfahrt am 15.06.2005 in Höhe von 14,50 EUR. Dem Antrag war ein Schreiben der H ...-Mittelschule vom 28.04.2005 beigelegt, worin für den Kläger um finanzielle Unterstützung für eine Wanderfahrt nach W ... mit dem Bus am 15.06.2005 zum Besuch der Gedenkstätte B ... einschließlich Führung sowie einer Stadtbesichtigung in Höhe von 14,50 EUR gebeten wurde.

Mit Bescheid vom 19.05.2005 lehnte die Beklagte die Übernahme der Kosten für die Klas-senfahrt ab, da nur mehrtägige Klassenfahrten berücksichtigt werden könnten.

Hiergegen legte der Kläger am 03.06.2005 Widerspruch ein.

Den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 19.05.2005 wies die Beklagte mit Bescheid vom 13.10.2005 als unbegründet zurück. Gemäß § 23 Abs. 3 Nr. 3 SGB II würden nur Leistungen für mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen erbracht. Dem Kläger seien zwar am 10.03.2005 die Übernahme der Kosten für einmalige Sonderleistungen hinsichtlich einer eintägigen Klassenfahrt in Höhe von 12,00 EUR bewilligt worden. In jenem Fall seien jedoch die rechtlichen Bestimmungen fehlerhaft interpretiert worden.

Hiergegen hat der Kläger am 10.11.2005 Klage beim SG erhoben und beantragt, den Be-scheid der Beklagten vom 19.05.2005 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 13.10.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm einen Betrag in Höhe von 14,50 EUR für die Klassenfahrt nach W ... zu zahlen. Die Teilnahme an einer vom Schulleiter genehmigten Klassenfahrt gehöre zum notwendigen Lebensbedarf eines Schülers. Klassenfahrten erweiterten die Möglichkeiten Bildungs- und Erziehungsziele zu verfolgen und den Gruppenzusammenhalt zu fördern. Bei der Klassenfahrt vom 15.06.2005 sei auch die Gedenkstätte B ... besucht worden.

Mit Urteil vom 24. Januar 2006 hat das SG die Klage abgewiesen und dem Kläger die Kosten in Höhe von 150,00 EUR auferlegt. Da der Kläger an einer eintägigen Klassenfahrt teilgenommen habe, sei der Anwendungs-bereich des § 23 Abs. 3 Nr. 3 SGB II nicht eröffnet. Weitere Anspruchsgrundlagen bestün-den nicht. Bei einer offensichtlichen Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung sei ein Un-terfall der Missbräuchlichkeit gegeben.

Gegen dieses am 10.02.2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 09.03.2006 Beschwerde eingelegt und beantragt, die Berufung zuzulassen. Mit Beschluss vom 08.05.2006 hat der Senat die Berufung zugelassen.

Der Kläger beantragt nunmehr, das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz und den Bescheid der Beklagten vom 19.05.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.10.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 14,50 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie beruft sich hierbei auf ihr bisheriges Vorbringen sowie das Urteil des SG.

Zum weiteren Vorbringen der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nach § 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, da der Senat die Berufung mit Beschluss vom 08.05.2006 zugelassen hat.

Das Rubrum war von Amts wegen dahingehend zu ändern, dass als Kläger der minderjäh-rige J2 H ... aufzunehmen war. Der Anspruch auf Leistungen für eine Klassenfahrt kann nur dem minderjährigen Schüler zustehen. J2 H ... ist handlungs- und prozessfähig (vgl. §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II, 36 Abs. 1 SGB I, 71 Abs. 2 SGG). Es liegt kein Fall der gesetzlichen Vertretung durch die Mutter vor.

Die Berufung ist jedoch nur zum Teil begründet. Das Sozialgericht Chemnitz (SG) hat mit dem angefochtenen Urteil zu Recht die Klage als unbegründet abgewiesen. Durch den angefochtenen Bescheid der Beklagten wird der Kläger nicht in seinen Rechten verletzt.

Ein Anspruch auf Zahlung der Kosten für die eintägige Klassenfahrt nach W ... ergibt sich nicht – wie das SG zutreffend festgestellt hat – aus § 23 Abs. 3 Ziff. 3 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Dieser lautet: "Leistungen für mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen sind nicht von der Regelleistung umfasst. Sie werden gesondert erbracht." Relevant sind danach jedoch nur solche Klassenfahrten, die an mindestens zwei Tagen stattfinden.

Zwar hat der Gesetzgeber ? anders als in § 31 SGB XII ? § 23 Abs. 3 Ziff. 1-3 SGB II nicht ausdrücklich als abschließende Regelung über die Anerkennung von Einmalbedarfen be-zeichnet hat. Da es jedoch dessen Absicht war, mit der Neuregelung durch das SGB II und Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) die Gewährung einmaliger bzw. besonderer Bedarfslagen abzuschaffen, ist davon auszugehen, dass keine anderen Bedarfe über Ein-malleistungen gesichert werden können.

Ein Anspruch ergibt sich auch nicht als Sonderbedarf aus § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II: "Kann im Einzelfall ein von den Regelleistungen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes weder durch das Vermögen nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II noch auf andere Weise gedeckt werden, erbringt die Agentur für Arbeit bei entsprechendem Nachweis den Bedarf als Sachleistung oder als Geldleistung und gewährt dem Hilfebedürftigen ein entsprechendes Darlehen."

§ 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II regelt also, wie zu verfahren ist, wenn im konkreten Fall ein von den Regelsätzen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf nicht gedeckt werden kann.

Die Kosten für eine eintägige Klassenfahrt sind dem Grunde nach in der Regelleistung (§ 20 SGB II) enthalten. Zwar fällt die Erstattung dieser Kosten nicht ausdrücklich unter die in § 20 Abs. 1 SGB II genannten Beispiele. Die gesetzliche Aufzählung der Gegenstände des Regelbedarfs ist jedoch nicht abschließend und wegen des Wegfalls der Einmal-leistungen im SGB II weit auszulegen, so dass auch weitere Bedarfslagen erfasst werden.

Der vorliegende Bedarf ist jedoch nicht unabweisbar, da die einmalige Aufbringung der Kosten für die Klassenfahrt in Höhe von 14,50 EUR durch Ausgabenumschichtung innerhalb der Regelleistung aufgefangen werden könnte.

Aufzuheben war demgegenüber die Entscheidung hinsichtlich der Auferlegung von Ver-schuldenskosten, denn die Voraussetzungen des § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGG lagen – entgegen der Ansicht des SG – nicht vor. Hinsichtlich der streitgegenständlichen Frage, ob die Kos-ten für eine eintägige Klassenfahrt gesondert zu erbringen sind, liegt noch keine ständige Rechtsprechung, insbesondere des Sächsischen Landessozialgerichts, vor. Zur Prüfung des geltend gemachten Anspruchs war durchaus eine rechtliche Auslegung der Vorschriften des § 23 Abs. 3 Ziff. 3 SGB II sowie – insbesondere – der §§ 23 Abs. 1 Satz 1 und 20 Abs. 1 SGB II erforderlich. Danach konnte trotz des klaren Wortlauts von § 23 Abs. 3 Ziff. 3 SGB II nicht von Missbräuchlichkeit ausgegangen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben, § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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