S 7 AS 63/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 7 AS 63/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 18.10.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2005 wird aufgehoben. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Absenkung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) in der Zeit von November 2005 bis Januar 2006.

Der Kläger wurde am 26.09.1951 geboren und ist verheiratet. Seine Ehefrau, mit der er in häuslicher Gemeinschaft wohnt, übt eine Teilzeitbeschäftigung bei der Firma Deutsche Woolworth GmbH & Co OHG aus. Der Kläger selbst absolvierte keine Berufsausbildung und war zuletzt von 1987 bis 1993 als Entroster beschäftigt. Danach wurde er arbeitslos und bezog Leistungen von der Agentur für Arbeit (AA); zuletzt in Form von Arbeitslosenhilfe (Alhi). Am 04.08.2004 beantragte er für sich und seine Ehefrau bei der Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Alg II). Daraufhin gewährte die Beklagte ab Januar 2005 laufend Leistungen; mit Bescheid vom 10.05.2005 für den Zeitraum von Juli bis Dezember 2005.

Im Juli 2005 übersandte sie dem Kläger eine Meldeaufforderung zum 03.08.2005. In diesem Termin wurden zwischen dem Sachbearbeiter der Beklagten und dem Kläger die Vermittlungsaussichten sowie die Möglichkeiten der Teilnahme an beruflichen Wiedereingliederungsmaßnahmen besprochen. Dabei machte der Kläger deutlich, dass er möglichst in eine Vollzeitstelle vermittelt werden wolle. Demgegenüber hielt der Sachbearbeiter der Beklagten vor dem Hintergrund der bereits lang andauernden Arbeitslosigkeit des Klägers, der fehlenden Ausbildung und seines Alters die Zuweisung in eine Gemeinwohlarbeit ("Ein-Euro-Job") für die einzig mögliche Alternative. Hierzu erklärte sich der Kläger jedoch nicht bereit. Zu den weiteren Einzelheiten des Gesprächs am 03.08.2005 wird auf den Aktenvermerk des Sachbearbeiters vom gleichen Tage (Bl. 5/6 der Verwaltungsakte) Bezug genommen. In einem weiteren Gespräch am 12.08.2005 wurden nochmal die verschiedenen Möglichkeiten sowie die unterschiedlichen Standpunkte des Sachbearbeiters der Beklagten und des Klägers diskutiert. In diesem Rahmen äußerte sich der Sachbearbeiter der Beklagten dahingehend, dass zunächst versucht werden solle, eine gemeinsame Lösung durch den einvernehmlichen Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung (EGV) zu finden. In diesem Gespräch wurde der Kläger darauf aufmerksam gemacht, dass er im Falle seiner Weigerung durch Verwaltungsakt einer entsprechenden Tätigkeit zugewiesen werden könne. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Gesprächs wird auf Bl. 13/14 der Verwaltungsakte Bezug genommen. Nach einer erneuten Meldeaufforderung kam es dann zu einem weiteren Gespräch zwischen dem Kläger und dem Sachbearbeiter der Beklagten am 14.09.2005. In diesem Gespräch wurde dem Kläger die Teilnahme an einer Trainingsmaßnahme oder an einer Gemeinwohlarbeit für die Dauer von sechs Monaten angeboten. Gleichzeitig legte man ihm eine vorformulierte EGV vor, in der sich die Beklagte verpflichtete, ihm ein Angebot zur Teilnahme an einer Gemeinwohlarbeit für die Dauer von sechs Monaten zu machen. Die weiteren Einzelheiten der Vereinbarung ergeben sich aus Bl. 22-25 der Verwaltungsvorgänge der Beklagten. Die EGV unterzeichnete der Kläger in diesem Termin nicht. Daraufhin übersandte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom gleichen Tage ein weiteres Exemplar der EGV gemeinsam mit einem Formular "Erklärung zur Nichtunterzeichnung der Eingliederungsvereinbarung nach § 15 SGB II". In dem Anschreiben führte die Beklagte aus, der Kläger habe sich in dem Termin am 14.09.2005 geweigert, die EGV abzuschließen. Ebenso habe er sich geweigert, den Vordruck "Nichtunterzeichnung der Eingliederungsvereinbarung nach § 15 SGB II" zu unterschreiben. Beide Schriftstücke würden ihm nunmehr mit der Aufforderung zugesandt, die Eingliederungsvereinbarung zu unterschreiben. Sollte er dazu weiterhin nicht bereit sein, gebe die Beklagte ihm die Gelegenheit, den ebenfalls beiligenden Vordruck zur Nichtunterzeichnung der EGV mit Angabe von Gründen zu unterschreiben. Beide Schriftstücke seien bis zum 28.09.2005 zurückzusenden. Am Ende des Schreibens findet sich folgender Absatz: "Besonders weise ich auf § 31 Abs 1 Nr 1a Sozialgesetzbuch II (SGB II) hin, der die Absenkung des Arbeitslosengeldes II vorsieht, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, eine ihm angebotene Eingliederungsvereinbarung abzuschließen". Zusätzlich enthält das Formular zur Nichtunterzeichnung der EGV folgenden Passus: "Auf mögliche Rechtsfolgen nach § 31 Abs 1 Nr 1a Zweites Sozialgesetzbuch (SGB II) wurde ich hingewiesen". Darauf folgt grau unterlegt der Gesetzestext mit einem Abdruck des Wortlautes des § 31 Abs 1 Nr 1a sowie Abs 3 SGB II. Die Unterlagen sandte der Kläger mit Schreiben vom 25.09.2005 ohne Unterschrift zurück. In dem Anschreiben führte er aus, er sei grundsätzlich bereit, eine Arbeit in Teilzeit, Minijob und Vollzeit anzunehmen. Er bemühe sich auch darum durch Bewerbungen und Anrufe. Es sei jedoch allgemein bekannt, dass die Maßnahme "Ein-Euro-Job" nicht zu einer dauerhaften Arbeit führe. Es sei denn mit einer Garantie des Beklagten sowie des Anbieters. Ferner bat er um die Übersendung von Jobangeboten. Unter dem 18.10.2005 erteilte die Beklagte dann zwei Bescheide. In dem einen wies sie den Kläger gestützt auf § 15 Abs 1 SGB II für den Zeitraum vom 02.11.2005 bis 31.03.2006 einer konkreten Maßnahme der Gemeinwohlarbeit zu. Mit weiterem Bescheid vom gleichen Tage kürzte sie den dem Kläger zustehenden Anteil an der Regelleistung des Alg II für die Zeit vom 01.11.2005 bis 31.01.2006 gemäß § 31 SGB II um 30 % bzw. 93,00 EUR. Zur Begründung machte sie geltend, der Kläger habe sich am 14.09.2005 trotz Belehrung über die Rechtsfolgen geweigert, eine ihm angebotene EGV abzuschließen. Sein Verhalten habe er damit erklärt, es sei allgemein bekannt, dass Gemeinwohlarbeit nicht zu einem dauerhaften Arbeitsplatz führe. Diese Gründe könnten bei Abwägung der persönlichen Einzelinteressen mit denen der Allgemeinheit nicht als wichtig im Sinne des § 31 Abs 1 S 2 SGB II anerkannt werden.

In einem weiteren Schreiben vom 18.10.2005 lud die Beklagte den Kläger zur Teilnahme an der durch Bescheid auferlegten Maßnahme ein. Dieser nahm in der Folgezeit während des gesamten Zeitraumes ohne Beanstandungen an der Maßnahme teil. Gegen den Absenkungsbescheid legte der Kläger Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, er habe sich nicht geweigert, eine EGV abzuschließen. Ein Vertragsabschluss setze Verhandlungen voraus. Diese seien aber erst am 14.09.2005 begonnen worden. Keinesfalls hätte das Thema schon abgeschlossen werden dürfen. Die Beklagte hätte auf das Vorbringen des Klägers vielmehr reagieren müssen. Zudem habe der Absenkungsbescheid aus formalen Gründen nicht erlassen werden dürfen, weil die Rechtsfolgenbelehrung nicht korrekt erteilt worden sei. Insbesondere sei er über den genauen Zeitraum und die konkreten Folgen der Absenkung nicht informiert worden. Schließlich sei die Absenkung auf der Grundlage der Regelungen des § 31 Abs 1 Nr 1a SGB II aber auch nicht verhältnismäßig und damit rechtswidrig. Sanktioniert werde die "Weigerung" des Klägers zum Abschluss einer EGV. Die Sanktion habe damit Zwangsgeldcharakter. Gleichzeitig sei der Abschluss der EGV zulässigerweise durch den Erlass eines Verwaltungsaktes nach § 15 Abs 1 S 6 SGB II ersetzt worden. Vor diesem Hintergrund stelle sich aber die Frage nach dem Sinn der Sanktion nach § 31 Abs 1 Nr 1a SGB II. Denn durch den Ersatz des Abschlusses der EGV mittels Heranziehungsverwaltungsakt habe die Beklagte bereits alles erreicht, was sie mit der EGV habe erreichen wollen. Deswegen sei die Sanktion nicht mehr geeignet, das Ziel - den Abschluss einer EGV - zu erreichen. Die Verhängung der Sankion sei gegenüber dem von der Beklagten gewählten Weg des Heranziehungsverwaltungsaktes das weniger milde Mittel und deswegen nicht mehr verhältnismäßig im engeren Sinne. Mit Widerspruchsbescheid vom 30.11.2005 wies die Beklagte den Widerspruch unter Hinweis auf den genauen Ablauf der Gespräche zwischen dem Kläger und der Beklagten sowie unter Hinweis darauf, dass die Rechtsfolgenbelehrung nach den Aktenvermerken des zuständigen Mitarbeiters sowie den aktenkundigen Unterlagen mehrfach korrekt erfolgt sei, zurück.

Auf einen Fortzahlungsantrag des Klägers vom 14.11.2005 erging dann unter dem 29.11.2005 ein Bescheid, mit dem die Beklagte dem Kläger und seiner Ehefrau Leistungen für den Zeitraum von Januar bis Juni 2006 in Höhe von 692,49 EUR zuerkannte. In diesem Leistungsbetrag wurde die in dem angefochtenen Bescheid vorgenommene Absenkung des Anteils des Klägers an der Regelleistung rechnerisch nicht berücksicht. Ferner erging unter dem 29.11.2005 ein Korrekturbescheid im Hinblick auf eine Änderung des Einkommens der Ehefrau des Klägers für den Monat Dezember 2005, in dem die Absenkung der Regelleistung für den Kläger ebenfalls rechnerisch nicht berücksichtigt wurde. Das gleiche gilt für einen weiteren Änderungsbescheid betreffend die Leistungen für den Monat Dezember 2005 vom 11.08.2006. Tatsächlich erhielt der Kläger in der Zeit vom 01.11.2005 bis 31.01.2006 monatlich 93,00 EUR weniger, als in den für diese Zeiträume ergangenen vorgenannten Leistungsbescheiden festgelegt worden war.

Am 08.12.2005 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Duisburg erhoben, mit der er sein Begehren weiter verfolgt.

Ergänzend macht er geltend, eine Weigerung zum Abschluss der EGV im Sinne des § 31 Abs 1 Nr 1a SGB II könne schon deswegen nicht angenommen werden, weil der Geschehensablauf komplex gewesen sei und er unterschiedliche Hinweise erhalten habe. Er habe daher nicht wissen können, wozu er sich habe konkret äußern sollen. Zudem habe die EGV ohnehin nur als Zwischenschritt zur eigentlichen Verpflichtung, nämlich der Teilnahme an der Gemeinwohlarbeit dienen sollen. Von daher habe als milderes Mittel die Möglichkeit bestanden, die Nichtteilnahme an dieser Maßnahme zu sanktionieren. Ferner vertritt er unter Hinweis auf einen Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 31.08.2005 (Az.: S 37 AS 7807/05 ER) die Auffassung, dass der Sanktionsgrund des "Nichtabschlusses einer EGV" verfassungsrechtlichen Bedenken begegne. Eine Sanktionierung komme daher nur dann in Betracht, wenn der Leistungsträger nachweise, dass die Festsetzung der Eingliederungsbemühungen durch Verwaltungsakt die Arbeitsmarktintegration erheblich erschwere.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 18.10.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2005 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich im Wesentlichen auf die Ausführungen in dem Widerspruchsbescheid. Nach ihrer Auffassung war die Verhandlungsphase betreffend den Abschluss der EGV im Zeitpunkt des Erlasses des Sanktionsbescheides eindeutig abgeschlossen. Sie habe nach Maßgabe der §§ 15 und 16 SGB II von dem gesetzlichen Instrumentarium Gebrauch gemacht. Die Sanktionierung sei zu Recht erfolgt, weil die Tatbestandsvoraussetzungn des § 31 Abs 1 S 1 Nr 1a SGB II vorgelegen hätten und eine vollständige Belehrung über die Rechtsfolgen stattgefunden habe.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird verwiesen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger nicht schon deswegen zumindest für die Monate Dezemberr 2005 und Januar 2006 einen Anspruch auf ungekürzte Leistungen hat, weil die Beklagte noch nach Erlass des hier angefochtenen Sanktionsbescheides Leistungsbescheide gegenüber dem Kläger erlassen hat, die die Sanktion rechnerisch nicht erfassen und damit letztlich eine nachträgliche Regelung dahingehend enthalten, dass dem Kläger wiederum ungekürzte Leistungen zustehen.

Denn der Bescheid vom 18.10.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2005 ist rechtswidrig und der Kläger deswegen beschwert im Sinne von § 54 Abs 2 S 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), sodass die Bescheide aufzuheben sind.

Die Voraussetzungen für eine Sanktion auf der Grundlage des § 31 Abs 1 S 1 Nr 1a SGB II liegen nach Auffassung der Kammer nicht vor. Zwar stellt das Verhalten des Klägers aus Sicht der Kammer auf der Grundlage der insoweit unstreitigen Umstände des Falles eine "Weigerung" zum Abschluss einer EGV dar. Denn dem Kläger hätte spätestens auf der Grundlage des Schreibens der Beklagten vom 14.09.2005 und der dort unter Fristsetzung aufgezeigten Alternativen klar sein müssen, dass die Beklagte hierdurch nunmehr eine abschließende Entscheidung darüber herbeiführen wollte, ob der Kläger nunmehr bereit sei, die EGV in der angebotenen Form abzuschließen oder nicht. Dies ergibt sich allein schon aus der gleichzeitigen Übersendung der Erklärung zur Nichtunterzeichnung der EGV nach § 15 SGB II.

Gleichwohl hat die Beklagte die umstrittene Sanktion zu Unrecht verhängt.

Zunächst spricht einiges für die Behauptung des Klägers, dass eine ordnungsgemäße Belehrung über die Folgen für den Fall einer Weigerung des Abschlusses der EGV nicht erfolgt ist. Denn nach § 31 Abs 6 S 4 SGB II muss ein Betroffener unter anderem auch darüber belehrt werden, dass die Absenkung mit Wirkung des Kalendermonats eintritt, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsaktes, der die Absenkung der Leistung feststellt, folgt. Ferner muss der Hinweis enthalten sein, dass die Absenkung drei Monate dauert und während der Absenkung kein Anspruch auf ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt nach den Vorschriften des SGB XII besteht. Eine diesbezügliche Belehrung lässt sich den aktenkundigen Unterlagen insbesondere der Erklärung zur Nichtunterzeichnung der EGV nicht entnehmen, da diese lediglich Passagen des Gesetzestextes ohne die Vorschrift des § 31 Abs 6 SGB II zitiert. Ob den mehrfachen Hinweisen des Sachbearbeiters der Beklagten in den Aktenvermerken, der Kläger sei über die Rechtsfolgen ausführlich belehrt worden, entnommen werden kann, dass dies auch eine Belehrung entsprechend der Vorschrift des § 31 Abs 6 SGB II enthielt, erscheint zweifelhaft, weil dies von dem Kläger bestritten wird. Vor diesem Hintergrund wäre zur abschließenden Klärung ggf. eine zeugenschaftliche Vernehmung des Sachbearbeiters der Beklagten, Herrn D., erforderlich gewesen (vgl. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.03.2006, Az.: L 20 B 49/06 AS-ER).

Hiervon hat die Kammer jedoch abgesehen, weil bereits aus Rechtsgründen die Sanktionsentscheidung jedenfalls im vorliegenden Fall nicht auf § 31 Abs 1 S 1 Nr 1a SGB II gestützt werden konnte. Denn die Kammer teilt die in der Literatur (vgl. insbesondere Berlit in: LPK -SGB II 1. Auflage 2005 § 31 Rd.Ziffer 14, 22 ff; Hauck/Haines-Valgolio § 31 Rd.-Ziffer 11; O´Sullivan, SGb ´05, 369 ff. (373 f.)) und Rechtsprechung (vgl. Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 31.08.2005, Az.: S 37 AS 7807/05 ER) vertretene Auffassung, dass der Sanktionsgrund des "Nichtabschlusses einer EGV" verfassungsrechtlichen Bedenken unter dem Gesichtspunkt der grundgesetzlich geschützten Vertragsautonomie (Artikel 2 Abs 1 des Grundgesetzes - GG -) begegnet. Eine befriedigende rechtssystematische Einordnung des Instituts der EGV ist aus Sicht der Kammer bisher noch nicht gelungen (vgl. Eicher/Spellbrink, SGB II 1. Aufl. 2005, § 15 Rz. 2/3). Unabhängig davon, d. h. der Frage, ob es sich insoweit um einen "echten" öffentlich-rechtlichen Vertrag oder ein Institut eigener Art mit eigenen Grundsätzen handelt, macht die Einrichtung nur dann Sinn, wenn die Beteiligten dieser Vereinbarung gleichermaßen zumindest in einem gewissen Rahmen selbst darüber bestimmen können, ob bzw. mit welchem Inhalt eine solche Vereinbarung zustande oder nicht zustande kommen soll. Dies bringt es nach Auffassung der Kammer zwingend mit sich, dass insbesondere den betroffenen Leistungsberechtigten das Recht eingeräumt werden muss, auch wegen bestimmten Inhalten eine EGV nicht abzuschließen und zwar gerade in solchen Fällen, in denen die Leistungsträger ohnehin aufgrund der Vorschriften der § 15 Abs 1 S 6 SGB II die Möglichkeit haben, die von ihnen für sinnvoll und erforderlich gehaltenen Maßnahmen durchzusetzen.

Die verfassungrechtlichen Bedenken führen nicht dazu, dass das Gericht das Verfahren aussetzen und nach Art. 100 Abs 1 GG dem Bundesverfassungericht zur Beurteilung über die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift des § 31 Abs 1 S 1 Nr 1a SGB II vorlegen müsste. Denn die Vorschrift kann verfassungskonform einschränkend dahingehend ausgelegt werden, dass für eine solche Sanktion nur dann Raum ist, wenn der Leistungsträger den Nachweis führt, dass die alternative Möglichkeit, die Erwerbsobliegenheit mittels Verwaltungsakt festzulegen, zur Erfüllung des Förderungszweckes unzureichend ist (vgl. SG Berlin a.a.O.). Die Sanktionsmöglichkeit nach § 31 Abs 1 S 1 Nr 1a SGB II steht damit unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit. Mit diesem Grundsatz ist es nicht zu vereinbaren, dass einerseits der Nichtabschluss der EGV durch eine Absenkung der Regelleistung gegenüber dem Kläger sanktioniert und gleichzeitig die wesentliche mit der EGV beabsichtigte Folge nämlich die Teilnahme des Klägers an einer bestimmten Maßnahme der Gemeinwohlarbeit durch Verwaltungsakt festgelegt wird. Hier wäre übereinstimmend mit der von dem Kläger vertretenen Auffassung ein abgestuftes Vorgehen in Form der vorrangigenen Ersetzung der EGV durch einen Verwaltungsakt, d.h. die Anwendung des milderen Mittels, angezeigt gewesen.

Schließlich könnte den genannten verfassungsrechtlichen Bedenken auch dadurch Rechnung getragen werden, dass im Hinblick auf die Regelung des Art 2 Abs 1 GG die Anforderungen an die Annahme eines wichtigen Grundes im Sinne von § 31 Abs 1 S 2 SGB II hinsichtlich der Sanktion nach § 31 Abs 1 S 1 Nr 1a SGB II herabgesetzt werden.

Vor diesem Hintergrund war die Sanktionsentscheidung der Beklagten, selbst wenn man von einer ordnungsgemäßen Rechtsfolgenbelehrung ausgehen würde, trotz des Vorliegens der wortlautgemäßen Voraussetzungen des § 31 Abs 1 S 1 Nr 1a SGB II rechtswidrig. Sie war daher aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Kammer hat die Berufung im Hinblick auf die Regelung des § 144 Abs 2 Nr 1 SGG zugelassen, weil die hier für entscheidend gehaltene Rechtsfrage verfassungrechtliche Relevanz hat und noch nicht als abschließend geklärt angesehen werden kann.
Rechtskraft
Aus
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