L 5 B 1147/06 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 37 AS 9602/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 B 1147/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 01. November 2006 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass im Wege der einstweiligen Anordnung festgestellt wird, dass mit der – am 15. Dezember 2006 erwarteten – Geburt des Kindes der Antragsteller deren Umzug in angemessenen Wohnraum erforderlich ist. Der Antragsgegner hat den Antragstellern ihre notwendigen Kosten auch für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Verfahrens zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes um die Übernahme der Kosten für angemessenen Wohnraum. Die seit Februar 2006 Leistungen zur Grundsicherung nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) beziehenden Antragsteller bewohnen zurzeit eine 54 m² große Wohnung, die nach dem Mietvertrag aus zwei Zimmern nebst Küche, Korridor, Toilette mit Bad und Balkon besteht. Am 05. September 2006 zeigte die Antragstellerin zu 2.) bei dem Antragsgegner an, dass sie schwanger sei und ihr Kind voraussichtlich am 15. Dezember 2006 geboren werde. Am 15. September 2006 stellte sie bei dem Antragsgegner einen Antrag auf Mietkostenübernahme. Die von ihr und ihrem Partner bewohnte 1,5-Zimmer-Wohnung sei für drei Personen zu klein. Die Wohnung bestehe im Wesentlichen aus einem 31,71 m² großen Zimmer, von dem vor ihrem Einzug durch Einziehen einer weiteren Wand ein fensterloser 8 m² großer Raum abgeteilt worden sei, den sie als Schlafzimmer nutzten. Die verbleibenden 23,71 m² würden als Wohnzimmer genutzt. Sie könnten eine 68,37 m² große 2,5-Zimmer-Wohnung im Bweg in B anmieten. Die Bruttowarmmiete belaufe sich auf 514,22 EUR.

Mit Bescheid vom 26. September 2006 lehnte der Antragsgegner die Übernahme der Miete ab. Zur Begründung führte er aus, dass die derzeit bewohnte Wohnung mit zwei Zimmern und 54 m² nicht als unzumutbar beengt anzusehen sei, für drei Personen vielmehr bei zwei Zimmern mit mindestens 50 m² ausreichend Wohnraum vorhanden sei. Hiergegen legten die Antragsteller im Oktober 2006 Widerspruch ein, den der Antragsgegner seinem Vorbringen zufolge inzwischen negativ beschieden haben dürfte.

Am 20. Oktober 2006 haben die Antragsteller beim Sozialgericht Berlin beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung "anzuhalten, ihnen den Umzug in eine passendere Wohnung zu gestatten". Zur Begründung haben sie unter Vorlage einer Wohnungsskizze ihr bisheriges Vorbringen im Wesentlichen wiederholt. Mit Beschluss vom 01. November 2006 hat das Sozialgericht Berlin den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern eine Zusicherung zur Übernahme der Miete für eine neue Wohnung mit einer Bruttomiete von maximal 542,00 EUR zu erteilen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass wegen der generellen, rechtsfehlerhaften Ablehnung einer Zusicherung ein Rechtsschutzbedürfnis für die Feststellung einer im Ergebnis abstrakten Zusicherungsverpflichtung nach § 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II im Rahmen des in Berlin geltenden Angemessenheits-Richtwertes von 542,00 EUR für einen 3-Personen-Haushalt gegeben sei. Die Angemessenheit einer Wohnung sei nach mehreren Faktoren zu beurteilen. Neben der reinen Wohnfläche sei auch der Zuschnitt der Wohnung, gemessen an den individuellen Wohnbedürfnissen der Leistungsberechtigten, von Bedeutung. Lebten Kinder in der Wohnung oder stehe dies unmittelbar bevor, sei deren Bedürfnissen besondere Beachtung zu schenken. Der Wertungsgedanke des früheren § 12 Abs. 2 des Bundessozialhilfegesetzes, der in § 16 des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches (Familiengerechte Leistungen) Eingang gefunden habe, sei im SGB II im Rahmen der Angemessenheitsprüfung zu berücksichtigen. Die Auffassung des Antragsgegners, ein Neugeborenes habe zunächst einen "Null-Wohnbedarf", verletze den Grundsatz der familiengerechten Hilfe. Da die Antragsteller nicht über eine 2-Zimmer-Wohnung, sondern nur über einen angemessenen Wohnraum verfügten, dem ein recht kleines, fensterloses Behelfszimmer angegliedert sei, sei vorliegend der Mindest-Unterkunftsbedarf für ein Paar mit Kind nicht gewährleistet, sodass der Umzug notwendig im Sinne von § 22 Abs. 2 SGB II sei. Sobald den Antragstellern ein konkretes Wohnungsangebot vorliege, müssten sie bezogen auf die Angemessenheit dieser Wohnung eine weitere Zusicherung des Antragsgegners einholen.

Gegen diesen ihm am 07. November 2006 zugestellten Beschluss richtet sich die am 24. November 2006 eingelegte Beschwerde des Antragsgegners. Es bestehe weder ein Anordnungsgrund noch ein Anordnungsanspruch. Die für Mitte Dezember 2006 zu erwartende Geburt des Kindes begründe keine existenzielle Notlage. Ferner sei ein Umzug nicht erforderlich. Für ein Neugeborenes sei kein gesteigerter Wohnbedarf anzunehmen. Eine zumutbare Rückzugsmöglichkeit für das Kind und den jeweils betreuenden Elternteil sei gegeben. Der Wohnraum sei objektiv nicht beengt; die Wohnung verfüge über zwei Zimmer. Im Übrigen erstrebten die Antragsteller hier eine Vorwegnahme der Hauptsache.

II.

Die Beschwerde des Antragsgegners ist gemäß §§ 172 Abs. 1 und 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, kann jedoch im Ergebnis keinen Erfolg haben. Wie zuvor das Sozialgericht Berlin geht auch der Senat davon aus, dass im Falle der Antragsteller mit der Geburt ihres Kindes ein Umzug erforderlich sein wird. Indes sieht er – mangels Konkretisierung des Antrages auf Zusicherung der Übernahme der Kosten für eine bestimmte Wohnung - kein Rechtsschutzbedürfnis für eine Verpflichtung des Antragsgegners zur Erteilung einer Zusicherung. Denn deren Erteilung setzt neben der Erforderlichkeit des Umzuges gerade voraus, dass die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind. Dies aber kann nur beurteilt werden, wenn die neue Unterkunft konkret bezeichnet ist. Allerdings geht der Senat davon aus, dass vorliegend ein entsprechendes – durch die Geburt des Kindes bedingtes - Feststellungsinteresse der Antragsteller besteht. Er hält in Fällen, in denen seitens des Antragsgegners die Erforderlichkeit eines Umzuges pauschal in Abrede gestellt wird, ausnahmsweise im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie eine so genannte Elementenfeststellungsklage für zulässig. Denn die – im Wesentlichen streitige - Erforderlichkeit eines Umzuges muss isoliert festgestellt werden können, um zu gewährleisten, dass im Falle des Vorliegens eines konkreten Wohnungsangebotes allein noch dessen Angemessenheit in der gebotenen Schnelligkeit überprüft wird. Andernfalls würden die Betroffenen immer wieder Gefahr laufen, dass eine ihnen angebotene Wohnung bei Abschluss des Verfahrens über die Frage der Erforderlichkeit des Umzuges bereits vergeben ist. Im Übrigen dürfte mit der Klärung der streitigen Frage der Erforderlichkeit des Umzuges in einer Vielzahl der Fälle der Rechtsstreit in Gänze erledigt sein.

Nach § 86b Abs. 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies ist vorliegend zur Überzeugung des Senats der Fall. Es war hier im Wege der einstweiligen Anordnung die Erforderlichkeit des Umzuges der Antragsteller mit der – für den 15. Dezember 2006 erwarteten - Geburt ihres Kindes als wesentliche Voraussetzung für die Erteilung einer Zusicherung im Sinne des § 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II festzustellen. Soweit der Antragsgegner unter Bezugnahme auf die Verwaltungsvorschriften zur Änderung der Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 SGB II (AV-Wohnen) vom 30. Mai 2006 die Erforderlichkeit des Umzuges verneint hat, vermag der Senat ihm – wie bereits zuvor das Sozialgericht Berlin – nicht zu folgen. Nach Ziffer 9.4 Abs. 5 der AV-Wohnen, an die das Gericht zwar nicht gebunden ist, deren Anwendbarkeit jedenfalls im Rahmen einstweiliger Verfügungsverfahren zur Überzeugung des Senats keine durchgreifenden Bedenken entgegenstehen, kann ein Umzug zum Beispiel erforderlich sein wegen unzumutbar beengter Wohnverhältnisse. Hierbei sind die bei Anerkennung eines dringenden Wohnbedarfs im Rahmen der Beantragung eines Wohnberechtigungsscheines als räumlich unzureichend beschriebenen Wohnverhältnisse zu Grunde zu legen. Dies ist der Fall, wenn in der Regel nicht mindestens folgender Wohnraum (ohne Küche und Nebenräume) zur Verfügung steht: - für 2 Personen 1 Wohnraum mit insgesamt 30 m² Wohnfläche der Wohnung - für 3 Personen 2 Wohnräume mit insgesamt 50 m² Wohnfläche der Wohnung.

Die Antragsteller haben glaubhaft gemacht, dass ihre Wohnung zwar laut Mietvertrag über zwei Zimmer verfügt, es sich hierbei jedoch tatsächlich um einen etwa 23 m² großen Raum sowie eine abgetrennte 8 m² große Kammer handelt, die über kein Fenster verfügt. Zur Überzeugung des Senats kann die Wohnung daher – entgegen der Annahme des Antragsgegners - nicht als 2-Zimmer-Wohnung eingestuft werden. Vor diesem Hintergrund ist die konkrete Wohnung nicht zumutbar und dies, ohne dass es darauf ankäme, ob ein Säugling sofort als dritte Person volle Berücksichtigung finden muss oder nicht. Denn auch seitens des Antragsgegners wird nicht in Abrede gestellt, dass für einen Säugling und den betreuenden Elternteil eine Rückzugsmöglichkeit bestehen muss. Dies aber ist im konkreten Fall nicht gewährleistet. Ein fensterloser Raum kann bereits für Erwachsene kaum als adäquates Schlafzimmer angesehen werden. Ganz sicher aber ist er ungeeignet, als Ruhestätte eines Säuglings während der Anwesenheit beider - hier wegen Mutterschutzes bzw. offenbar ab dem 16. Dezember 2006 wegen Arbeitslosigkeit - jeweils zuhause verweilender Elternteile zu dienen.

Schließlich ist es den Antragstellern hier auch unter Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen der Beteiligten nach den Umständen des Einzelfalles unzumutbar, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Die Geburt des Kindes ist innerhalb der nächsten Tage zu erwarten. Um eine angemessene Lebenssituation des Kindes zu gewährleisten, ist das öffentliche Interesse, eine Vorwegnahme der Hauptsache zu verhindern, bei für die Antragsteller günstiger Prognose für den Ausgang eines Hauptsacheverfahrens als nachrangig anzusehen. Im Gegenteil muss das Interesse der Allgemeinheit, keine Rechtsverhältnisse festzustellen, aufgrund derer - sich möglicherweise nachträglich als unberechtigt herausstellende - Forderungen aus steuerlichen Mitteln zu befriedigen sind, zurücktreten.

Der Senat geht davon aus, dass der Antragsgegner den Antragstellern bei Vorlage eines konkretes Wohnungsangebotes, das nach den Maßstäben der vom Antragsgegner regelmäßig angewendeten AV-Wohnen angemessen ist, umgehend eine Zusicherung nach § 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II erteilen wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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