L 1 R 99/06

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
SG Schleswig (SHS)
Aktenzeichen
6 RJ 75/03
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 1 R 99/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1) § 46 Abs. 2a SGB VI enthält die gesetzliche Vermutung einer Versorgungse-he.

2) Diese Vermutung ist nur durch den Vollbeweis des Gegenteils zu widerlegen.

3) Heiratet ein seit 22 Jahren eheähnlich zusammenlebendes Paar zwischen zwei in engem zeitlichen und kausalen Zusammenhang stehenden Operatio-nen des Mannes, ist der Vollbeweis für eine Liebesheirat nicht erbracht – auch wenn zu der Zeit die Lebensbedrohlichkeit der Krebserkrankung medizinisch noch nicht eindeutig prognostiziert war und die spätere Witwe wirtschaftlich abgesichert erschien.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 17. November 2005 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die die Gewährung großer Witwenrente. Die am 1943 geborene Klägerin ist die Ehefrau des am 1942 geborenen und am 2003 verstorbenen Versicherten Carl-Ernst K. Der Versicherte war als Fleischer versicherungspflichtig beschäftigt. Am 6. September 2002 wurde bei ihm ein Darmtumor festgestellt. Am 12. September 2002 wurde er mit der Diagnose "Sarkom am anorektalen Übergang" in das M -Kran¬ken¬haus S zur weiteren Diagnose eingewiesen. Ausweislich des Entlassungsberichts erfolgte am 25. September 2002 ein erster Eingriff, in dessen Verlauf der Tumor aufgrund eines ausgeprägten Stuhlverhaltes nicht exidiert werden konnte. In einer weiteren operativen Behandlung am 9. Oktober 2002 wurde dann die transanale Discexcision vorgenommen. Aufgrund des lokal fortgeschrittenen Befundes ergab sich die Notwendigkeit einer abdomino-perinealen Rektumamputation. Vor diesem Eingriff wollte der Versicherte jedoch noch private Angelegenheiten regeln. Er wurde daraufhin am 23. Oktober 2002 aus dem M -Krankenhaus S entlassen.

Am 24. Oktober 2002 meldeten der Versicherte und die Klägerin die Eheschließung bei dem Standesamt Sa an (sog. "Aufgebot"). Am 28. Oktober 2002 erfolgte die standesamtliche Trauung. Am 4. November 2002 wurde der Versicherte erneut in das M -Krankenhaus S aufgenommen. Hier wurde am 5. November 2002 die abdomino-perineale Rektumexstirpation mit Anlage eines künstlichen Darmausgangs durchgeführt. Im Rahmen der pathologisch-anatomischen Begutachtung wurde ein wenig-differenziertes, herdförmig ulzeriertes Leiomyosarkom im Rektoanalbereich mit Tumorausläufern bis zum perirektalen Präparatrand sowie Sarkomabsiedlungen in 23 der 26 perirektalen und mesokolischen Lymphknoten diagnostiziert. Am 21. November 2002 wurde der Versicherte erneut aus dem M -Krankenhaus entlassen. In der Zeit vom 4. bis zum 25. Dezember 2002 nahm er an einer von der Beklagten bewilligten Rehabilitationsmaßnahme teil. Vom 3. bis zum 10. Januar 2003 wurde er wegen Verdachts eines Lokalrezidivs erneut stationär im M -Krankenhaus behandelt. Der Entlassungsbericht vom 10. Januar 2003 gibt eine umfangreiche Metastasierung an: Es seien ein Lokalrezidiv eines Leiomysarkoms des Rektums mit Lebermetastasen und Lymphknotenmetastasen diagnostiziert worden. Ein kurativer Ansatz bestehe nicht mehr, der Versicherte sowie die Klägerin seien über die aussichtslose Prognose informiert. Am 12. Januar 2003 wurde der Versicherte abermals in das M -Krankenhaus aufgenommen, wo er noch am selben Tag verstarb. Am 21. Januar 2003 beantragte die Klägerin die Gewährung von Witwenrente. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 20. Februar 2003 ab. Zur Begründung führte sie aus: Anspruch auf Witwenrente gemäß § 46 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) in der Fassung des Altersvermögensergänzungsgesetzes (AVmEG) vom 21. März 2001 hätten u. a. die Witwen nicht, deren Ehe mit dem Verstorbenen nicht mindestens 1 Jahr gedauert habe, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt sei, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat gewesen sei, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen (§ 46 Abs. 2a SGB VI). Die Rechtsprechung zum Begriff "besondere Umstände" im Unfallversicherungsrecht (§ 65 Abs. 6 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches) sowie im Gesetz der Kriegsopferversorgung (§ 38 Abs. 2 Bundesversorgungsgesetz) sei im Wesentlichen auf § 46 Abs. 2a SGB VI übertragbar. Gegen eine Versorgungsehe spreche insbesondere ein plötzlicher, unvorhersehbarer Tod. Im Fall der schweren Erkrankung des Versicherten sei eine erste Diagnose mit nachfolgenden ersten Behandlungen bereits im September 2002 erfolgt. Es müsse demnach davon ausgegangen werden, dass die möglichen Folgen der Erkrankung zum Zeitpunkt der Heirat nicht unvorhersehbar gewesen seien. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und führte aus: Sie habe den Versicherten nach der Scheidung ihrer ersten Ehe, aus der die Kinder Jutta (geb. 1969) und Bernd (geb. 1966) hervorgegangen seien, kennen gelernt. Die Kinder habe sie auf ihrer Steuerkarte gehabt und somit den Haushaltsfreibetrag nach dem Einkommenssteuergesetz erhalten. Der Kindesvater habe nur 150,- DM pro Kind an Unterhalt gezahlt, sich ansonsten aber nicht um die Kinder gekümmert. 1980 habe sie gemeinsam mit dem Versicherten eine Wohnung in der Osterstraße 46 in Sa bezogen und seither mit ihm zusammen gelebt. Eine Heirat zu diesem Zeitpunkt sei aufgrund der mit dem Wegfall des Haushaltsfreibetrages zusammenhängenden finanziellen Nachteile nicht erfolgt. Sie selbst habe als Schlachtereifachverkäuferin damals etwa 500,- DM netto verdient. Mit dem Versicherten habe sie eheähnlich zusammen gewohnt und dergestalt gewirtschaftet, dass man von einem Familienbund sprechen könne. Im September 1991 seien sie gemeinsam in den Lürschauer Weg 31 in Sa umgezogen, wo sie bis zum Ableben des Versicherten gemeinsam gewohnt hätten. Das Ableben des Versicherten sei für sie nicht vorhersehbar gewesen. Von Seiten der Ärzte im M -Krankenhaus seien "gute Heilungsdiagnosen" gestellt und ausgeführt worden, der Versicherte könne auch mit dem Seitenausgang alt werden. Im Übrigen habe er die Operation sehr gut "weggesteckt". Die Heirat sei aus Liebe erfolgt. Vor der Heirat habe das Paar bereits 23 Jahre zusammengelebt und schon lange über eine Heirat gesprochen. Der "Ledigenbund" habe verfestigt werden sollen. Auch sei zwar das Hausgrundstück Lürschauer Weg 31 in Sa auf den alleinigen Namen ihres Ehemannes eingetragen gewesen, sie selbst habe jedoch erhebliche Geldbeträge in das Grundstück investiert, ohne dass es einer schriftlichen Absicherung bedurft hätte. Das Zusammenleben habe auf Vertrauensbasis stattgefunden. Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 20. Mai 2003 als unbegründet zurück. Sie führte aus: Die Ehe zwischen der Klägerin und dem Versicherten habe nicht mindestens ein Jahr gedauert. Der Versicherte sei nach dem Ergebnis der durchgeführten Ermittlungen an seiner Darmkrebserkrankung verstorben. Die Eheleute K hätten ausweislich eingeholter Meldebescheinigungen tatsächlich seit Oktober 1980 in einer gemeinsamen Wohnung gelebt. Die Ehe sei noch während der erst kurz zuvor aufgenommenen Erstbehandlung und vor einer bevorstehenden Operation eingegangen worden, obgleich eine langjährige eheähnliche Lebensgemeinschaft anzunehmen sei. Gerade dieser Umstand begründe den Schluss, dass die Ehe der Versorgung der Klägerin bei einem eventuellen Ableben des Versicherten habe dienen sollen. Es seien keine besonderen Gesichtspunkte ersichtlich, die die Annahme einer Versorgungsehe nicht gerechtfertigt erscheinen ließen. Mit ihrer am 22. Mai 2003 gegen den Widerspruchsbescheid bei dem Sozialgericht Schleswig erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt. Ergänzend hat sie vorgetragen: Sie bestreite mit Nachdruck, ihren Ehemann nur geheiratet zu haben, um an die Witwenrente zu kommen. Richtig sei vielmehr das Gegenteil. Der behandelnde Stationsarzt habe damals im Beisein ihrer Tochter erklärt, alles werde gut verlaufen und ihr Ehemann könne noch sehr lange leben. Dass dieser sterbenskrank gewesen sei, habe sie nicht gewusst. Auch aus den Umständen ergebe sich, dass sie aus Liebe geheiratet habe. Denn sie sei wirtschaftlich selbständig, habe selbst gearbeitet und immer ihren eigenen Lebensunterhalt verdient. Ihr Ehemann habe beim Hauskauf ohne ihr Wissen eine Lebensversicherung auf sie abgeschlossen. Das Haus sei im Februar 1996 auf sie überschrieben worden. Die Klägerin hat beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 20. Februar 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. Mai 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr große Witwenrente aus dem Versicherungsverhältnis des am 12. Ja¬nuar 2003 verstorbenen Carl-Ernst K zu gewähren. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Zur Begründung hat sie sich im Wesentlichen auf die angefochtenen Bescheide bezogen. Das Sozialgericht hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts Kopien der den Versicherten betreffenden Krankenakten des M -Krankenhauses S , einen Befundbericht des Arztes für Innere Medizin H , eine Auskunft der Gemeinde Sa nebst Anlagen sowie eine schriftliche Zeugenaussage des Oberarztes am M -Krankenhaus Dr. Sb beigezogen und in dem Erörterungstermin am 20. September 2005 den Oberarzt der allgemeinchirurgischen Abteilung am M -Krankenhaus Dr. F sowie in der mündlichen Verhandlung am 17. November 2005 den Arzt am M -Krankenhaus Dr. Sc und die Kinder der Klägerin Jutta A und Bernd B als Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschriften vom 20. September und 17. November 2005 Bezug genommen. Mit Urteil vom 17. November 2005 hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 20. Februar 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. Mai 2003 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin große Witwenrente aus dem Versicherungsverhältnis des verstorbenen Carl-Ernst K zu gewähren. In den Entscheidungsgründen hat es im Wesentlichen ausgeführt: Gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI hätten Witwen, die nicht wieder geheiratet hättet, nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt habe, Anspruch auf große Witwenrente, wenn sie das 45. Lebensjahr vollendet hätten. Dieser Anspruch scheitere bei der Klägerin auch nicht an § 46 Abs. 2a SGB VI. Denn die Ehe zwischen der Klägerin und dem Versicherten habe zwar nicht mindestens ein Jahr gedauert, vorliegend lägen jedoch nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens besondere Umstände im Sinne des § 46 Abs. 2a 2. Halbsatz SGB VI vor. Für die Widerlegung der Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI reiche es zwar nicht aus, dass es sich bei der am 28. Oktober 2002 erfolgten Eheschließung um eine "Liebesheirat" gehandelt habe. Denn auch bei einer solchen "Liebesheirat" könnten dann, wenn ein langjähriges uneheliches Zusammenleben im Hinblick auf das in Kürze zu erwartende Ableben eines der Partner in ein eheliches Zusammenleben überführt werde, allein Versorgungsgesichtspunkte im Vordergrund stehen. Andererseits müsse das langjährige Zusammenleben der Klägerin und des Versicherten vorliegend auch nicht unberücksichtigt bleiben. Insofern stelle sich die Heirat nach langjährigem eheähnlichem Zusammenleben als konsequente Fortführung der bereits gelebten Beziehung dar, was einer Versorgungsehe entgegenstehe. Jedoch seien in einem derartigen Fall die nach langer Zeit des Zusammenlebens zur Eheschließung zum konkreten Zeitpunkt führenden Umstände genau dahingehend zu beleuchten, ob es neben einem Versorgungsanspruch andere plausible Gründe für die Eheschließung gegeben habe. Dabei sprächen die ermittelten Umstände vorliegend dafür, dass die Eheschließung nicht allein und nicht überwiegend zum Zweck der Versorgung der Klägerin erfolgt sei. Die Klägerin sei auch für den Fall des Ablebens des Versicherten finanziell abgesichert gewesen. Zwischen ihr und dem Versicherten habe auch nicht lediglich eine Wohngemeinschaft, sondern eine Wirtschaftsgemeinschaft bestanden, zu deren Unterhalt beide Partner beigetragen hätten. Das Haus in Sa hätten die Partner letztlich gemeinsam erworben. Auch sei eine Eheschließung nicht an grundsätzlichen Erwägungen der Klägerin oder des Versicherten gescheitert. Vielmehr hätten zunächst finanzielle Gesichtspunkte gegen eine Eheschließung gesprochen, eine spätere Heirat sei immer vorgesehen gewesen. Zuletzt sei geplant gewesen zu heiraten, wenn beide Partner im Rentenalter seien. Demnach sprächen sowohl die wirtschaftliche Situation der Klägerin wie auch die gemeinsame Lebensplanung gegen die Eheschließung nur oder überwiegend zu dem Zweck der Begründung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung der Klägerin. Dem stehe auch nicht die im September 2002 diagnostizierte Krebserkrankung des Versicherten entgegen. Zwar habe die Krankheit den Zeitpunkt der Eheschließung beeinflusst. Jedoch habe die Vorverlegung der ohnehin beabsichtigten Eheschließung gleichwohl nicht im Zusammenhang mit der Begründung eines Versorgungsanspruchs gestanden. Denn weder die Klägerin noch der Versicherte hätten zum Zeitpunkt der Eheschließung mit dem Eintritt des Versorgungsfalls in naher Zukunft gerechnet oder rechnen müssen. Für eine derartige Annahme reiche nicht aus, dass die Klägerin und der Versicherte bereits am 28. Oktober 2002 von der bösartigen Darmerkrankung des Versicherten gewusst hätten, da nicht jede bösartige Erkrankung innerhalb kurzer Zeit oder überhaupt zum Tod führe. Allein das Bestehen einer solchen Krankheit stehe der Widerlegung der Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI nicht entgegen, was auch aus dem systematischen Zusammenhang der Regelung über die Widerlegung der Vermutung mit der Grundregelung in § 46 Abs. 2a 1. Halbsatz SGB VI abzuleiten sei. Daraus folge, dass die subjektive Vorstellung der Ehegatten über die verbleibende Lebensdauer für die Beurteilung des der Eheschließung zugrunde liegenden Zwecks zentrale Bedeutung habe. Sei nämlich ein kurzfristiges Ableben des Versicherten nicht zu erwarten, so sei von vornherein nicht ersichtlich, warum es der alleinige oder überwiegende Zweck einer Heirat gewesen sein solle, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Dies sei erst bei derart schlechter Prognose nahe liegend, dass mit einem baldigen Ableben zu rechnen sei. Nur so lasse sich das für die Regelung zentrale Kriterium der absehbar begrenzten Lebensdauer, aus dem sich die Vermutung einer Versorgungsehe ableite, sinnvoll handhaben. Andernfalls müsse jede auf lange Sicht lebensbedrohende Erkrankung der Widerlegung der Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI entgegenstehen, was dem systematischen Zusammenhang der Regelung in Halbsatz 2 der Vorschrift und dem Gesetzeszweck nicht entspreche. Für die Widerlegung der Vermutung bedeute dies, dass eine Krankheit des Versicherten nur dann zu berücksichtigende besondere Umstände, wie das langjährige Zusammenleben in einer eheähnlichen Gemeinschaft und bestehende Heiratspläne entkräften könne, wenn in der subjektiven Vorstellung der Eheschließenden das Ableben des Versicherten binnen eines Jahres zu erwarten gewesen sei. Gerade dies sei aber zum Zeitpunkt der Eheschließung am 28. Oktober 2002 nicht der Fall gewesen. Bezogen auf diesen Zeitpunkt sei eine kurzfristige negative Prognose seitens der behandelnden Ärzte weder gegenüber der Klägerin noch gegenüber dem Versicherten gestellt worden. Dies sei auch zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht möglich gewesen. Erst nach der im November 2002 durchgeführten Operation habe sie gestellt werden können. Zur Überzeugung des Gerichts stehe fest, dass die Eheschließung am 28. Oktober 2002 zwar in zeitlichem Zusammenhang mit der Erkrankung des Versicherten erfolgt sei, nicht jedoch in der Vorstellung eines kurzfristig tödlichen Ausgangs der Erkrankung. In der Gesamtschau lägen "besondere Umstände" im Sinne des § 46 Abs. 2a SGB VI vor, die die Annahme zuließen, dass die Eheschließung nicht oder nicht überwiegend zu dem Zweck der Begründung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung erfolgt sei. Gegen dieses am 21. Februar 2006 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, welche am 13. März 2006 bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangen ist. Zur Begründung trägt die Beklagte im Wesentlichen vor: Weder die Beweisaufnahme noch die Urteilsbegründung rechtfertigten die Annahme, dass besondere Umstände im Sinne des § 46 Abs. 2a 2. Halbsatz SGB VI vorlägen. Ausschlaggebend hierfür sei, dass der Tod des Versicherten bereits kurz nach der Eheschließung eingetreten sei. Nach der Lebenserfahrung sei in einem solchen Fall die Ehe meist aus Versorgungsgründen geschlossen worden. Der Anspruch könne nur bejaht werden, wenn der Versorgungsgedanke ausgeschlossen werden könne. Einen besonderen Umstand stelle es nicht dar, wenn der Ehe ein langjähriges Zusammenleben vorangegangen sei. Vielmehr sei auffallend, dass der Versicherte und die Klägerin viele Jahre zusammengelebt hätten, ohne zu heiraten und dies schließlich noch vor dem beabsichtigten Zeitpunkt erfolgt sei. Hierfür sei die Erkrankung des Versicherten ausschlaggebend gewesen. Dies, sowie der zeitliche Ablauf der maßgeblichen Ereignisse (operativer erster Eingriff, Entlassung aus dem Krankenhaus, Aufgebotsbestellung und Eheschließung), lege die Vermutung einer Versorgungsehe nahe. Es sei davon auszugehen, dass zumindest dem Versicherte der Versorgungsgedanke bewusst gewesen sei. Auch die Klägerin habe angesichts der diagnostizierten Krebserkrankung von einer grundsätzlich lebensbedrohlichen Erkrankung des Versicherten ausgehen müssen. Ungeachtet der Prognose über den weiteren Krankheitsverlauf zum Zeitpunkt der Kenntnisnahme habe die Erkrankung zur Verwirklichung der Heiratsabsicht geführt. Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 17. November 2005 aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen. Die Klägerin beantragt, Die Berufung zurückzuweisen. Sie verweist auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils, welche sie für zutreffend hält sowie auf ihren Vortrag in der ersten Instanz und im Verwaltungsverfahren. Ergänzend trägt sie vor: Ein Arbeitsgericht habe dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob die - § 46 Abs. 2a SGB VI entsprechende – Ausschlussfrist im Recht der betrieblichen Altersvorsorge mit europäischem Recht vereinbar sei. Dies müsse auch für das Sozialrecht gelten. Im übrigen beziehe sie inzwischen seit dem 01. Juli 2006 Altersrente für Frauen. Die Verwaltungsakten der Beklagten, die Krankenakten des M -Krankenhauses sowie die Gerichtsakten haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen. Auf ihren Inhalt wird wegen weiterer Einzelheiten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist statthaft (vgl. § 143 Sozialgerichtsgesetz - SGG) und bedarf keiner Zulassung, weil sie laufende Rentenleistungen für mehr als ein Jahr betrifft (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG), deren Wert 500,00 EUR übersteigt (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Frist und Form (vgl. § 151 Abs. 1 und 3 SGG) sind gewahrt. Die Berufung ist auch begründet. Das angefochtene Urteil hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist der Bescheid der Beklagten vom 20. Februar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Mai 2003 rechtmäßig. Die Beklagte hat zutreffend entschieden, dass der Klägerin keine Witwenrente zu gewähren ist. 1. Gemäß § 46 Abs. 2 SGB VI haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große Witwenrente. Die Klägerin ist die Witwe des am 12. Januar 2003 verstorbenen Versicherten. Dass dieser die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, ist nicht streitig. Die Klägerin hat auch nicht wieder geheiratet. Die Anspruchsvoraussetzungen des § 46 Abs. 2 SGB VI sind somit erfüllt. 2. Gemäß § 46 Abs. 2a SGB VI, welcher durch Art. 1 Nr. 6 Buchst. b des AVmEG vom 21. März 2001 (BGBI. I, S. 403) bzw. durch Bekanntmachung vom 19. Februar 2002 (BGBl. I, S. 754) mit Wirkung vom 1. Januar 2002 in das SGB VI eingefügt wurde, besteht der Anspruch jedoch nicht, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. a) Die Vorschrift begründet mithin - für alle seit seinem Inkrafttreten am 1. Januar 2002 geschlossenen Ehen - die gesetzliche Vermutung, dass bei Tod des Versicherten innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung die Erlangung einer Versorgung Ziel der Eheschließung war. Die Ehe zwischen der Klägerin und dem Versicherten hat weniger als 1 Jahr gedauert (vom 28. Oktober 2002 bis zum 12. Januar 2003). Die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI greift also ein. b) Diese Vermutung ist allerdings widerlegbar ("es sei denn"). Sie ist widerlegt, wenn besondere Umstände (insbesondere Unfalltod des Versicherten, vgl. BT-Drucks. 14/4595, S. 44) vorliegen, aufgrund derer trotz kurzer Ehedauer die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Die Widerlegung der Vermutung erfordert nach § 202 SGG in Verbindung mit § 292 der Zivilprozessordnung (ZPO) den vollen Beweis des Gegenteils. Der Vollbeweis erfordert zumindest einen der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit. Die nur denkbare Möglichkeit reicht nicht aus. Eine Tatsache ist danach bewiesen, wenn alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon oder einen so hohen Grades an Wahrscheinlichkeit zu begründen, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt (vgl. BSG SozR 3-3900 § 15 Nr. 3 m. w. N.; Meyer-Ladewig, SGG, § 103 Rz 6a und § 118 Rz 5 m. w. N.). Das Urteil des Sozialgerichts hätte mithin nur bestätigt werden können, wenn die gerichtliche Sachaufklärung zur vollen Überzeugung des Senats oder zumindest mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit ergeben hätte, dass die Eheschließung zwischen der Klägerin und dem Versicherten nicht allein oder überwiegend der Begründung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung gedient hat. Das ist indes nicht der Fall. Die von der Klägerin geltend gemachten Umstände lassen andere Motive zwar durchaus möglich erscheinen, stehen jedoch – was das Sozialgericht verkannt hat - der Vermutung einer die Begründung eines (zusätzlichen) Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezweckenden Eheschließung nicht mit der zur Führung des Vollbeweises erforderlichen Evidenz entgegen. Denn besondere Umstände im Sinne des § 46 Abs. 2a SGB VI sind nur solche, die eine Versorgungsabsicht eindeutig ausschließen (vgl. LSG BW, Urteil vom 24. März 1999 – L 2 U 2125/96). Der Senat hat wie das Sozialgericht keinen Anlass, die in der mündlichen Verhandlung nochmals bekräftigte Einlassung der Klägerin in Frage zu stellen, es habe sich um eine Liebesheirat gehandelt. Auch mag die Wertung des Sozialgerichts zutreffen, dass ein dringender Versorgungsbedarf der Klägerin nicht bestand, weil sie als Inhaberin einer eigenen Rentenanwartschaft, Alleinerbin des Hauses und Begünstigte einer von dem Versicherten abgeschlossenen Lebensversicherung auf andere Weise finanziell abgesichert war. Schließlich geht auch der Senat davon aus, dass zum Zeitpunkt der Eheschließung den behandelnden Ärzten und deshalb erst recht der Klägerin und dem Versicherten dessen schon auf nur noch wenige Wochen begrenzte Lebenserwartung noch nicht bekannt war. Denn hätte die bereits aussichtslose Erkrankung festgestanden, so wäre der Eingriff vom 5. November 2002 unterlassen worden. Aufgrund der Operation am 9. Oktober 2002 sowie einer Computertomografie stand jedoch lediglich fest, dass der Mastdarm entfernt werden und der Versicherte einen künstlichen Darmausgang erhalten musste. Die zu dieser Zeit mögliche Prognose war günstig im Sinne einer guten Aussicht, dass der Versicherte eine deutliche Überlebenszeit bis hin zur Heilungsbewährung erreichen könne. Dies reicht jedoch entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht aus, um die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI mit Gewissheit oder zumindest hinreichender Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Denn für die den Versicherten behandelnden Ärzte stand nach deren glaubhaften Angaben im erstinstanzlichen Verfahren ferner fest, dass die endgültige Prognose von den Ergebnissen des Eingriffs vom 5. November 2002 abhängig sein werde. Demzufolge kann auch der Versicherte selbst bei Eheschließung nicht sicher erwartet haben, seine Krebserkrankung um zumindest mehr als 1 Jahr zu überleben. Die medizinische Situation stellte sich zu dem Zeitpunkt als offen dar. Hinzu kommt das allgemeine Operationsrisiko eines Eingriffs dieses Ausmaßes, welches auch der Klägerin und dem Versicherten vor Augen gestanden haben muss. Nach alledem erscheint es lebensfern, dass sich beide über die grundsätzliche Lebensbedrohlichkeit des Zustandes des Versicherten nicht im Klaren gewesen sind (vgl. hierzu Bay. VGH, Urteil vom 1. Dezember 1998 – 3 B 95.3050). Der erkennbare sachliche und zeitliche Zusammenhang zwischen der Terminierung der Eheschließung und den Operationen vom 9. Oktober und 5. November 2002 bestätigt dies ebenfalls. Die Klägerin und der Versicherte hatten bereits seit 1980, also seit 22 Jahren eheähnlich zusammengelebt. Die Heirat war immer erst für die Zeit in Aussicht genommen worden, wenn beide das 60. Lebensjahr vollendet hätten (also ab März 2003). Statt dessen wurde sie nun ausdrücklich (um persönliche Dinge zu regeln) und konsequent auf einen Zeitpunkt vor dem schweren operativen Eingriff vorgezogen (Krankenhausentlassung am 23. Oktober, Aufgebot am 24. Oktober, Eheschließung am 28. Oktober, Darmoperation am 5. November 2006). Dies indiziert eine eindeutige kausale Verknüpfung (vgl. SG Koblenz vom 18. September 2001 – S 2 U 393/00; LSG SH vom 11. November 1999 – L 5 U 112/98). Ob diese dahin zu interpretieren ist, dass der gesetzlich unterstellte Versorgungsgedanke auch im vorliegenden Falle obwaltete, kann dahinstehen. Entscheidend ist, dass sie jedenfalls nicht geeignet ist, um – wie erforderlich - den Vollbeweis des Gegenteils zu erbringen. Die sich hieraus ergebenden Nachteile hat die Klägerin zu tragen. Denn nach den auch im Rentenversicherungsrecht geltenden Regeln der objektiven Beweislast fallen die Folgen der Nichtfeststellbarkeit einer Tatsache demjenigen Beteiligten zur Last, der aus der Tatsache ein Recht herleiten will. Die Klägerin muss sich folglich so behandeln lassen, als ob sie die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI nicht widerlegt hat. Ein Anspruch auf Witwenrente gegen die Beklagte stehen ihr aus diesem Grunde nicht zu. Den von der Klägerin angedeuteten Verstoß des § 46 Abs. 2a SGB VI gegen europäisches Recht vermag der Senat nicht zu erkennen. Die Klägerin hat auch keine substantiierten Angaben zu dem behaupteten, die betriebliche Altersvorsorge betreffenden Vorlageverfahren und der diesem zugrundeliegenden Rechtsproblematik machen können. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 und 4 SGG. Ein Revisionszulassungsgrund gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegt nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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