S 103 AS 10869/06 ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
103
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 103 AS 10869/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerinnen gegen den Bescheid vom 17. November 2006 wird angeordnet. Der Antragsgegner wird im Wege der Aufhebung der Vollziehung verpflichtet, die mit Bescheid vom 12. Juli 2006 bewilligten Leistungen für Dezember 2006 und Januar 2007 auszuzahlen. Der Antragsgegner hat den Antragstellerinnen die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Die verwitwete Antragstellerin zu 1 ist die Mutter der 1991 geborenen Antragstellerin zu 2. Sie bewohnen gemeinsam mit Herrn D C seit Februar 2004 eine Mietwohnung mit drei Zimmern und 70,6 Quadratmetern unter der im Rubrum genannten Anschrift. Bis zum Ende des Monats des Februar 2006 bezog die Antragstellerin zu 1 Arbeitslosengeld. Die Miete beträgt einschließlich Nebenkosten 528,70 Euro monatlich. Die Antragstellerin zu 1 erzielt Einkommen aus einer Nebenbeschäftigung in Höhe von 165,00 Euro brutto monatlich. Für die Antragstellerin zu 2 wird monatlich Kindergeld in Höhe von 154,00 Euro gezahlt.

Auf einen bereits im Januar 2006 bei dem Antragsgegner gestellten Antrag bewilligte dieser Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Antragstellerinnen bis zum 31. Juli 2006 ohne Anrechnung von Einkommen des Herrn C. Nach weiteren Ermittlungen gelangte der Antragsgegner zu der Überzeugung, dass zwischen der Antragstellerin zu 1 und Herrn C eine eheähnliche Lebensgemeinschaft bestehe und sein Einkommen daher auf den Bedarf der Antragstellerin zu 1 anzurechnen sei.

In der Folge erließ der Antragsgegner Aufhebungsbescheide und Änderungsbescheide, die im vorliegenden Verfahren nicht Gegenstand sind. So wurden durch Änderungsbescheid vom 3. Juli 2006 Leistungen nur noch in monatlicher Höhe von 298,23 Euro für Juni und Juli 2006 festgestellt. Der Antragsgegner führte aus, dass Anspruch auf Leistungen nur für die Antragstellerin zu 2 bestehe. Die Leistungen für den Zeitraum vom 1. März bis 31. Mai 2006 wurden durch Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 4. Juli 2006 in Höhe von 1563,72 Euro "teilweise" aufgehoben.

Am 11. Juli 2006 beantragte die Antragstellerin zu 1 die Fortgewährung von Leistungen. Mit Bescheid vom 12. Juli 2006 bewilligte der Antragsgegner den Antragstellerinnen für die Zeit vom 1. August 2006 bis 31. Januar 2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in einer Gesamthöhe von 298,23 Euro monatlich.

Ein wegen höherer laufender Leistungen ab dem 1. Juni 2006 betriebenes Anordnungsverfahren der Antragstellerin zu 1 endete durch für den Zeitraum ab 1. August 2006 abweisenden Beschluss des Landessozialgerichts vom 11. Dezember 2006 (Az. L 14 B 718/06 ER). Ausweislich des Inhalts des dortigen Verfahrens machte Herr C laufende Kreditverbindlichkeiten von insgesamt 798 Euro geltend.

Seit dem 1. November 2006 ist Herr C ebenfalls arbeitslos. Er bezieht Arbeitslosengeld in Höhe von 48,96 Euro täglich.

Mit Bescheid vom 17. November 2006 hob der Antragsgegner den Bewilligungsbescheid vom 12. Juli 2006 mit Wirkung ab dem 1. Dezember 2006 auf. Zur Begründung führte er aus, dass mit Inkrafttreten des SGB II-Fortentwicklungsgesetzes zum 1. August 2006 entschieden worden sei, dass auch das Einkommen und Vermögen von Partnern auf den Bedarf aller zur Bedarfsgemeinschaft zählenden Kinder anzurechnen sei, unabhängig davon, ob es sich um gemeinsame Kinder handele.

Mit Schreiben vom 24. November 2006 legten die Antragstellerinnen vertreten durch ihre Verfahrensbevollmächtigte gegen diesen Bescheid Widerspruch ein, der noch nicht beschieden ist.

Mit dem am 27. November 2006 bei dem Sozialgericht Berlin eingegangenen Antrag verfolgen die Antragstellerinnen ihr Begehren weiter im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes. Sie tragen vor, aufgrund des wegen der Arbeitslosigkeit nunmehr geringeren Einkommens des Zeugen C lägen bereits die tatsächlichen Voraussetzungen für die Ablehnung eines Leistungsanspruchs nicht vor. Zu berücksichtigen sei bei Herrn C aufgrund der bestehenden Kreditverpflichtungen nur der pfändungsfreie Betrag von 950 Euro. Zudem sei die Neuregelung des § 9 Abs. 2 Satz 2 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuches (SGB II) verfassungswidrig. Sie sei mit Art. 1, 2, 3 und 6 des Grundgesetzes nicht vereinbar. Herr C sei nicht unterhaltspflichtig gegenüber der Antragstellerin zu 2. Er könne diese zusätzlichen Belastungen in keiner Art und Weise geltend machen. Es bestehe auch keine vergleichbare Regelung im SGB XII. Unterhaltsrechtlich sei kein Einstehen von Nichtverwandten denkbar. Eine steuerliche Privilegierung des Einstandspartners erfolge nicht. Die Regelung des § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II habe insoweit Familien sprengende Wirkung.

Die Antragstellerinnen beantragen,

die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid vom 17. November 2006 anzuordnen und den Antragsgegner im Wege der Aufhebung der Vollziehung zu verpflichten, die mit Bescheid vom 12. Juli 2006 bewilligten Leistungen für Dezember 2006 und Januar 2007 auszuzahlen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Er hält § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II für verfassungsgemäß. Die Kreditverbindlichkeiten könnten mangels Titulierung nicht abgezogen werden. Mithin sei von einem monatlichen Einkommen von Arbeitslosengeld von Herrn C in Höhe von 1468,80 Euro auszugehen. Unter Berücksichtigung der Miete (528,70 Euro), des bereinigten Einkommens der Antragstellerin zu 1 von 52 Euro monatlich und des Kindergeldes der Antragstellerin zu 2 ergebe sich ein Gesamtbedarf von 1426,70 Euro und ein Gesamteinkommen von 1644,80 Euro. Aus der Einkommensüberschreitung könne auch eine freiwillige Krankenversicherung der Antragstellerin zu 1 gezahlt werden. Die Antragstellerin zu 2 sei dann familienversichert.

Die Antragstellerinnen haben im Termin zur mündlichen Verhandlung eine schriftliche Erklärung von Herrn C vorgelegt, auf die verwiesen wird.

Die Leistungsakte des Antragsgegners und die Gerichtsakte, auf die ergänzend Bezug genommen wird, haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

II.

Der Antrag hat in vollem Umfang Erfolg.

1.

Der Antrag ist zulässig. In der Hauptsache wäre insoweit die Anfechtungsklage gegen den Aufhebungsbescheid statthaft, weshalb sich die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach § 86 b Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) richtet. Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs nach § 86 b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG ist die richtige Verfahrensart, weil nach § 39 Nr. 1 SGB II Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Verwaltungsakte, die über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende entscheiden, keine aufschiebende Wirkung haben. Die Antragstellerinnen erreichen mit einem solchen Antrag auch ihr Rechtsschutzziel. Nach Suspendierung des Aufhebungsbescheides ist der Antragsgegner aus dem Bewilligungsbescheid vom 12. Juli 2006 unmittelbar wieder verpflichtet, die dort festgesetzten Leistungen monatlich für den Zeitraum 1. Dezember bis 31. Januar 2007 zu erbringen. Mit dem Antrag kann ein Antrag auf Anordnung der Aufhebung der Vollziehung, hier durch Auszahlung der einbehaltenen Beträge, zulässig verbunden werden (§ 86 b Abs. 1 Satz 2 SGG).

Der Antrag ist auch zulässigerweise von beiden Antragstellerinnen in subjektiver Antragshäufung gestellt worden. Der Aufhebungsbescheid vom 17. November 2006, der ausdrücklich nur an die Antragstellerin zu 1 adressiert ist, ist dahingehend auszulegen, dass er die beiden Antragstellerinnen mit Bescheid vom 12. Juli 2006 bewilligten Leistungen aufhebt. Entgegen der möglichen Intention des Antragsgegners enthält der Bewilligungsbescheid nicht nur eine Leistungsbewilligung an die Antragstellerin zu 2. Bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II handelt es sich ausschließlich um Individualansprüche der Berechtigten. Hierzu hat das Bundessozialgericht (Urteil vom 7. November 2006 – Az.: B 7 b AS 8/06 R – www.sozialgerichtsbarkeit.de) nunmehr ausgeführt:

Materiellrechtliche Grundlage für die Auslegung des Prozessrechts ist, dass das SGB II keinen Anspruch einer Bedarfsgemeinschaft als solcher, die keine juristische Person darstellt, kennt, sondern dass - außer bei ausdrücklichem gesetzlichen Ausschluss - Anspruchsinhaber jeweils alle einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft sind, selbst wenn dies in den Bescheiden der Beklagten und - soweit ersichtlich - anderer Arbeitsgemeinschaften (§ 44b SGB II) sowie der Leistungsträger iS des § 6 Abs 1 SGB II nicht deutlich zum Ausdruck kommt (einhellige Literaturmeinung: Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 9 RdNr 99, Stand Juli 2006; Spellbrink, Mecke und Eicher in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 7 RdNr 21, § 9 RdNr 29 und § 40 RdNr 107; Hänlein in Gagel, SGB III mit SGB II, § 7 SGB II RdNr 9, Stand Juni 2006; Brühl in LPK-SGB II, § 7 RdNr 37; Hörder und Radüge, juris PraxisKommentar SGB II, § 7 RdNr 26 und § 9 RdNr 52; Peters in Estelmann, SGB II, § 7 Rz 26 und § 9 Rz 48, Stand Oktober 2006; Reinhard in Kruse/Reinhard/Winkler, SGB II, § 7 RdNr 10; Löns in Löns/Herold-Tews, SGB II, § 7 RdNr 5 und § 9 RdNr 6). Dies belegt bereits der Wortlaut des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II ("Leistungen erhalten Personen") und des Abs 2 Satz 1 ("Leistungen erhalten auch Personen"). Systematisch hätte es außerdem der Regelung des § 9 Abs 2 Satz 3 SGB II über die Fiktion der Hilfebedürftigkeit aller Personen in einer Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs 2 S 1 SGB II) nicht bedurft, wenn es sich bei dem Alg-II-Anspruch um einen solchen für die Bedarfsgemeinschaft als solche handeln würde.

Unter Berücksichtigung der Berechnungsanhänge des Bewilligungsbescheides (vgl. BSG aaO.) hat der Antragsgegner durch die Einstellung eines fiktiven Einkommens in Höhe des Bedarfs der Antragstellerin zu 1 im Ergebnis – wohl in Folge einer durch die Software "A2LL" bedingten so genannten "Umgehungslösung" – Leistungsansprüche der Antragstellerin zu 1 und der Antragstellerin zu 2 festgestellt. Der Betrag entspricht insgesamt dem ungedeckten Bedarf der Antragstellerin zu 2 nach dem bis zum 31. Juli 2006 geltenden Recht.

Entsprechend der notwendigen Individualisierung der Ansprüche im Bewilligungsbescheid muss auch ein Rücknahmeverwaltungsakt erkennen lassen, in welcher Höhe welche Bewilligungsverfügungssätze (Regelleistung, Kosten der Unterkunft, Zuschlag nach § 24 SGB II) für welches Mitglied der Bedarfsgemeinschaft aufgehoben werden. Weil die Antragstellerin zu 1 zugleich auch gesetzliche Vertreterin der Antragstellerin zu 2 ist, lässt sich nach Auffassung der Kammer dem Bescheid vom 17. November 2006 noch im Wege der Auslegung entnehmen, dass die beiden bewilligten Leistungen aufgehoben werden sollten. Aus dem Eingriff in die Rechte beider Antragstellerinnen durch den Bescheid ergibt sich dementsprechend die Antragsberechtigung beider.

2.

Der Antrag ist auch begründet.

Das Sozialgericht kann auf Antrag gemäß § 86 b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG die aufschiebende Wirkung anordnen. Dabei ist das Interesse am Vollzug des angefochtenen Verwaltungsaktes mit dem Interesse der Antragstellerinnen an der Aussetzung des Vollzugs abzuwägen. Das Aussetzungsinteresse überwiegt stets, wenn sich der angefochtene Verwaltungsakt im Rahmen der im vorläufigen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung als rechtswidrig erweist oder zumindest ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen (vgl. zu diesem Maßstab § 80 Abs. 4 Satz 3 Verwaltungsgerichtsordnung), weil ein Interesse am Vollzug solcher Verwaltungsakte regelmäßig nicht besteht. Mithin kommt es auf die Erfolgsaussichten einer gedachten Anfechtungsklage in der Hauptsache an.

Die Anwendung dieses Maßstabs ergibt, dass der Aufhebungsbescheid vom 17. November 2006 sich mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit in einem zukünftigen Hauptsacheverfahren – nach Durchführung eines Vorlageverfahrens nach Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) – insgesamt als rechtswidrig erweisen wird und das Aussetzungsinteresse daher überwiegt.

a)

Dies gilt zunächst für die Aufhebung der der Antragstellerin zu 2 gewährten Leistungen. Die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage des § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) werden nach Auffassung der Kammer in einem Hauptsacheverfahren nicht festgestellt werden können. Nach dieser Regelung ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn seit seinem Erlass eine wesentliche Änderung der rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse eingetreten ist, die zu seiner nachträglichen Rechtswidrigkeit führen.

Als solche Änderung der rechtlichen Verhältnisse kommt vorliegend allein das Inkrafttreten des § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II in der ab dem 1. August 2006 geltenden Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende (Gesetz vom 20. Juli 2006, BGBl. I Seite 1706) in Betracht. Auch eine Gesetzesänderung ohne speziellere Übergangsvorschrift kann eine Änderung der rechtlichen Verhältnisse im Sinne des § 48 SGB X darstellen. Der Bewilligungsbescheid ist noch vor Verkündung des ändernden Gesetzes im Bundesgesetzblatt erlassen worden. Nach der bis zum 31. Juli 2006 geltenden Rechtslage war das Einkommen eines eheähnlichen Partners der Mutter oder des Vaters (im Folgenden als "Stiefpartner" bezeichnet) nach der Rechtsprechung der Landessozialgerichte nicht auf den Bedarf des Kindes anzurechnen. Bei (verheirateten) Stiefeltern wurde nach § 9 Abs. 5 SGB II widerleglich vermutet, dass tatsächlich Unterhalt geleistet wird. Seit dem 1. August 2006 hat § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II folgenden Wortlaut:

Bei unverheirateten Kindern, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft leben und die die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus ihrem eigenen Einkommen oder Vermögen beschaffen können, sind auch das Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils und dessen in Bedarfsgemeinschaft lebenden Partners zu berücksichtigen.

Dem Antragsgegner ist zuzugeben, dass bei Anwendung der Neufassung die Antragstellerin zu 2 keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes mehr hätte, weil das Einkommen von Herrn C ausreicht, um dessen sowie den Bedarf beider Antragstellerinnen zu decken. Entgegen der Auffassung der Antragstellerinnen ist das Einkommen des Herrn C nicht um Kreditverpflichtungen zu bereinigen. Hierfür findet sich im Gesetz keine Grundlage. Vielmehr sieht § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB II nur vor, dass titulierte Unterhaltsschulden vom Einkommen abgezogen werden, auch wenn sie freiwillig erfüllt werden. Darüber hinaus sind Schulden für die Ermittlung des Einkommens nur relevant, wenn sie aufgrund einer tatsächlichen Pfändung die Höhe des zufließenden Einkommens mindern. Eine von diesen allgemeinen Grundsätzen der Einkommensermittlung abweichende Berechnung des Einkommens eines Stiefpartners ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Die Kammer macht sich die vom Antragsgegner vorgenommene Berechnung zu eigen.

§ 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II n.F. ist jedoch hinsichtlich der Anrechnung von Einkommen der Stiefpartner mit dem Grundgesetz nach der im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes gewonnenen gegenwärtigen Überzeugung der Kammer nicht vereinbar. Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren hat anders als im Hauptsacheverfahren eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nicht zu erfolgen. Für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist allein die Prognose ausreichend, dass nach Auffassung der Kammer die Antragstellerinnen nach einer Vorlage im Hauptsacheverfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 GG mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit obsiegen werden. Zudem merkt die Kammer an, dass im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens die verfassungsrechtliche Darlegung nicht vertieft geschehen kann, wie sie in einem etwaigen Vorlagebeschluss an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG in einem späteren Hauptsacheverfahren ggf. zu erfolgen hätte.

Die Neufassung der Einkommensanrechnungsvorschrift verletzt das Gebot zur Sicherung des Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot des Art. 20 GG.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Staat aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsgebot des Art. 20 Art. 1 GG verpflichtet, dem mittellosen Bürger die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein erforderlichenfalls durch Sozialleistungen zu sichern (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1990 – Az.: 1 BvL 20/86 u.a. = BVerfGE 82, 60, 85). Das Gebot dieses Sicherungsauftrags wird durch § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II nicht mehr verfassungskonform umgesetzt, weil die Regelung allein die schematische Anrechnung von Einkommen zum Inhalt hat, ohne dass darauf Rücksicht genommen wird, ob das Existenzminimum des jeweiligen Kindes tatsächlich durch entsprechenden Einkommenszufluss durch den Stiefpartner gesichert ist. Soweit tatsächlich die Versorgung auf dem Niveau, das dem verfassungsrechtlichen Existenzminimum entspricht, verweigert wird, stehen dem Kind keinerlei Möglichkeiten zur Verfügung, zu einer tatsächlichen Deckung seines Bedarfs zu gelangen. Durch diese Regelung überschreitet der Gesetzgeber den ihm zustehenden weiten Gestaltungsspielraum. Schließlich ist die Regelung auch nicht einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich.

Die Antragstellerinnen verweisen zunächst zutreffend darauf, dass dem Kind ein zivilrechtlicher Unterhaltsanspruch gegen den neuen Partner seines Elternteils nicht zusteht.

Dem Kind steht auch kein anderer Weg offen, eine tatsächliche Bedarfsdeckung im Fall der Weigerung der Leistung durch den Partner, wie Herr C sie hier erklärt hat, zu erreichen. Insoweit unterscheidet sich die Lage des Kindes von der eines Partners in der (früher so bezeichneten) eheähnlichen Lebensgemeinschaft, weshalb die Anerkennung der Einkommensanrechnung zwischen den Partnern selbst kein Argument für die Erstreckung auf die nicht leiblichen Kinder ist (vgl. zu dieser zu erwartenden Rechtfertigung Wenner NDV Soziale Sicherheit 2006, 146ff., S. 151 ). Eine Partnerschaft setzt nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II den Willen der Partner voraus, füreinander einzustehen. Die Gleichstellung ehe- und lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaften mit Ehegatten rechtfertigt sich aus dem Verbot der Schlechterstellung von Ehen (vgl. Wersig, Die Neudefinition der eheähnlichen Gemeinschaft im SGB II, info also 2006, Seite 246f., 247). Das Bundesverfassungsgericht (Urteil vom 17. November 1992 – Az.: 1BvL 8/87 = BVerfGE 87, 234, 265) hat hierzu ausgeführt:

Nur wenn sich die Partner einer Gemeinschaft so sehr füreinander verantwortlich fühlen, dass sie zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt sicherstellen, bevor sie ihr persönliches Einkommen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse verwenden, ist ihre Lage derjenigen nicht dauern getrennt lebender Ehegatten im Hinblick auf die verschärfte Bedürftigkeitsprüfung vergleichbar.

Hieraus ergibt sich, dass bei endgültiger Verweigerung weiterer Unterstützung die Partnerschaft im Sinne des SGB II nicht mehr fortbesteht und der bedürftige (Ex-)Partner einen Anspruch auf Leistungen ohne Einkommensanrechnung hat. Ist der Partner jedoch bereit zur Erbringung von Leistungen an den anderen Partner, aber nicht an dessen Kind, ist die Partnerschaft nach dem Wortlaut des § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II nicht beendet, weil es allein auf das füreinander Einstehen der Partner ankommt. Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung für die dem Kind insoweit verweigerte Sicherung des Existenzminimums ist der Kammer nicht ersichtlich.

Diesem Ergebnis kann nicht entgegen gehalten werden, dass das Elternteil sich im Interesse des Kindes von dem Partner trennen kann, um so wieder einen staatlichen Leistungsanspruch zu begründen. Ein solcher mittelbarer Zwang, der in seiner Intensität hinter einem unmittelbaren Eingriff nicht zurückbleibt, zur Beendigung einer Beziehung würde das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG des Elternteils beeinträchtigen, ohne dass dies verfassungsrechtlich gerechtfertigt wäre. Es bestehen bereits Zweifel, ob ein solcher Regelungsmechanismus geeignet wäre, die Ziele des Gesetzgebers zu erreichen. Ausweislich der parlamentarischen Beratungsunterlagen war die Erzielung von Einsparungen ein wesentliches Ziel des Gesetzgebers (vgl. etwa Stenographischer Bericht des 16. Deutschen Bundestages 2006 (37. Sitzung) Seite 3279 C). Die Beendigung von Partnerschaften aufgrund der Einbeziehung von Kindern in die Einkommensanrechnung in so genannten Patchworkfamilien würde dazu führen, dass sowohl Kinder als auch einkommenslose Elternteile Leistungsansprüche erwerben würden. Hiermit wären zwingend Mehrkosten für einen Teil der Leistungsberechtigten verbunden. Selbst wenn man insoweit dem Gesetzgeber hinsichtlich der tatsächlichen Auswirkungen eine Einschätzungsprärogative zugesteht, ist die Erzielung von Einsparungen als Rechtfertigung einer Unterschreitung des Existenzminimums eines Kindes ungeeignet. Das Bundesverfassungsgericht hat für die nicht hinreichende Existenzsicherung im Steuerrecht ausgeführt, dass die Dringlichkeit einer Haushaltssanierung als Rechtfertigung nicht in Betracht komme (Beschluss vom 29. Mai 1990 – Az.: 1 BvL 20/86 u.a. = BVerfGE 82, 60, 89).

Dass die theoretische Möglichkeit eines Kindes, alleine den Haushalt seines Elternteils und somit die Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II zu verlassen, jedenfalls bei minderjährigen Kindern mit der objektiven Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1, 2 GG nicht vereinbar ist, liegt auf der Hand.

Die Einkommensanrechnungsvorschrift wird auch nicht durch die vom Gesetzgeber angenommene Beseitigung einer vorherigen Ungleichbehandlung von verheirateten und nicht verheirateten Paaren gerechtfertigt. In der Gesetzesbegründung ist ausgeführt (BT-Drs 16/1410 Seite 20):

Der bisherige Wortlaut des § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II macht nicht hinreichend deutlich, dass Einkommen innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft auch auf den Bedarf nicht leiblicher Kinder anzurechnen ist. Dies hat zur Folge, dass bei nicht miteinander verheirateten Partnern das Einkommen des nicht leiblichen Elternteils nicht auf den Bedarf eines nicht leiblichen Kindes angerechnet wird. Bei verheirateten Partnern entsteht dagegen zum nicht leiblichen Kind eine Schwägerschaft, so dass entsprechend der Regelung des § 9 Abs. 5 vermutet wird, dass das nicht leibliche Kind vom Stiefelternteil Leistungen erhält. Nach derzeitigem Rechtsstand werden daher verheiratete Partner gegenüber unverheirateten Partnern schlechter gestellt. Mit der Änderung wird daher klargestellt, dass – auch entsprechend der ursprünglichen Absicht des Gesetzgebers – Einkommen innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft in beiden Fallgestaltungen auf den Bedarf eines nicht leiblichen Kindes anzurechnen ist und damit die Schlechterstellung von Ehen gegenüber nichtehelichen Partnerschaften aufgelöst.

Die von der Kammer angenommene Unvereinbarkeit mit Art. 1 i.V.m. Art. 20 GG betrifft jedoch sowohl Stiefeltern als auch Stiefpartner. Auch gegenüber einem neuen Ehegatten des Elternteils besteht kein Anspruch des Kindes auf Unterhalt. Hinsichtlich des Gebots, nichteheliche Partner nicht schlechter zu behandeln, bezieht sich der Gesetzgeber erkennbar auf die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtfertigung der Einkommensanrechnung zwischen eheähnlichen Partnern (Urteil vom 17. November 1992 – Az.: 1 BvL 8/87 = BVerfGE 87, 234). Wie bereits aufgezeigt, besteht jedoch insoweit der erhebliche Unterschied, dass das Kind die Partnerschaft nicht auflösen kann bzw. diese nicht durch Verweigerung der Einstandsbereitschaft für das Kind beendet ist.

Die Kammer verkennt nicht, dass dem Gesetzgeber bei der Regelung des Systems der Sicherung des Existenzminimums ein weiter Gestaltungsspielraum zukommt. Prüfungsmaßstab für den Grad der vorgenommen oder unterlassenen Differenzierung ist insoweit Art. 3 Abs.1 GG. Der Gesetzgeber ist dem Grunde nach befugt, im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative typische gesellschaftliche Sachverhalte pauschalisierend seinen Regelungen zu Grunde zu legen. Bereits in einer frühen Entscheidung (Beschluss vom 16. Dezember 1958 – Az.: 1 BvL 3/57 u.a. = BVerfGE 9, 20) zum Arbeitslosenhilferecht hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass die Berechtigung typisierender Regeln bei der Bedürftigkeitsprüfung sich aus praktischen Erfordernissen der Verwaltung ergibt, die einerseits in jedem Einzelfall das Bestehen der Anspruchsvoraussetzung festzustellen, andererseits gerade in der Arbeitslosenhilfe unter Umständen zahlreiche Fälle in kurzer Zeit zu bewältigen hat. In einem solchen Rechts- und Verwaltungsgebiet sei es sachdienlich, der Verwaltung die Möglichkeit zu einer in gewissen Grenzen vereinfachten Bearbeitung zu geben und ihr durch leicht zu handhabende Vorschriften umfangreiche und zeitraubende Prüfungen von Einzelfällen zu ersparen. Der Gesetzgeber ist daher nicht gehalten, jede nur denkbare Einzelfallkonstellation oder Randerscheinung einzubeziehen. Die durch die Typisierung eintretenden Härten dürfen jedoch nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen treffen. Ausgangspunkt der Bedürftigkeitsprüfung muss die faktische wirtschaftliche Lage des Hilfebedürftigen sein und nicht das möglicherweise Bestehen von Ansprüchen gegen andere (BSG, Urteil vom 17. Oktober 1991 – Az.: 11 RAr 125/90 = BSGE 69, 285).

Vorliegend ist bereits fraglich, ob der Gesetzgeber überhaupt eine bestimmte Einschätzung darüber, ob und in welchem Umfang die Versorgung von nicht leiblichen Kindern in Patchworkfamilien durch den Partner des Elternteils tatsächlich üblich ist, getroffen hat. Feststellungen zur gesellschaftlichen Bedeutung und der Anzahl von insoweit konfliktbehafteten Patchworkfamilien sind nicht erkennbar, obwohl im Gesetzgebungsverfahren von verschiedenster Seite auf die Problematik der Regelung in § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II hingewiesen worden ist. Auch die Behandlung im 11. Ausschuss des Deutschen Bundestages, in denen sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (BT-Drs. 16 (11) 258 S. 7), der Deutsche Verein für öffentliche Fürsorge (BT-Drs. 16 (11) 258 S. 55), die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e.V. (BT-Drs. 16 (11) 258 S. 57), die Sachverständige Biehn (BAG-SHI - BT-Drs. 16 (11) 272 S. 2) und in einer schriftlichen Stellungnahme der Schwulen- und Lesbenverband (BT-Drs. 16 (11) 277) kritisch zu der Regelung geäußert hatten, lassen nicht darauf schließen, dass sich der Gesetzgeber mit der Frage tatsächlich befasst hat.

Nach Überzeugung der Kammer handelt es sich bei der fehlenden Bereitschaft zur Versorgung eines Kindes des neuen Partners nicht um einen so selten vorkommenden Sachverhalt, dass der Gesetzgeber diesen als fern liegende Möglichkeit nicht berücksichtigen musste. Diese Überzeugung stützt die Kammer im Rahmen des vorliegenden Verfahrens auf die allgemeine Lebenserfahrung. Die Kammer ist entsprechend der Zielsetzung der §§ 13ff. SGG mit sozial erfahrenen ehrenamtlichen Richtern besetzt, die aufgrund ihrer langjährigen Lebens- und Berufserfahrung der Kammer das Wissen für eine tatsächliche Einschätzung der Lebensverhältnisse in der Großstadt B vermitteln können. Die Kammer hat daher gegenwärtig keine vernünftigen Zweifel, dass Konfliktfälle zwischen Kind und Partner des Elternteils mit der Folge der nicht hinreichenden Versorgung des Kindes keine vernachlässigenswerte Ausnahmekonstellation bilden. Die Ablehnung des Stiefkindes durch einen neuen Partner des Elternteils ist zwar sicherlich nicht der Regelfall, aber bereits seit Generationen ein bekanntes gesellschaftliches Phänomen, das etwa bereits Gegenstand der Grimmschen Märchen war und gebräuchliche Begriffe geprägt hat ("stiefmütterlich"). Dabei ist zu beachten, dass nicht nur die sicherlich seltenen Fälle einer völligen Leistungsverweigerung seitens des Einkommen erzielenden Partners zu berücksichtigen sind, sondern insbesondere auch die zur Überzeugung der Kammer wesentlich häufiger anzutreffenden Fälle der Versorgung des Kindes in einem Umfang, der nicht das Maß des verfassungsrechtlich gesicherten Existenzminimums erreicht.

Ferner ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 17. November 1992 – Az.: 1 BvL 8/87 = BVerfGE 87, 234, 255) für die Zulässigkeit der typisierenden Behandlung wesentlich, ob die eintretenden Härten nur unter Schwierigkeiten vermieden werden können. Wenn die Einkommensanrechnung der Stiefpartner nach § 9 Abs. 5 SGB II durchgeführt würde und so eine Widerlegung der Vermutung der Unterhaltszahlung möglich wäre, könnten die Härten im Einzelfall vermieden werden. Dass eine solche Regelung, wie sie zwischen Verwandten und Verschwägerten in § 9 Abs. 5 SGB II (oder für die Haushaltsgemeinschaft im Sozialhilferecht nach § 36 SGB XII) bisher praktiziert wird, für Fälle von Stiefpartnern mit besonderen Schwierigkeiten im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verbunden wäre, erscheint jedenfalls zweifelhaft.

Daneben bestehen auch erhebliche Zweifel, ob § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II ansonsten mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist. Die noch bestehende steuerrechtliche Ungleichbehandlung von Partnern des Elternteils und neuen Ehegatten hinsichtlich der Möglichkeit, freiwillige Unterhaltsleistungen an das Kind steuerlich geltend zu machen (vgl. Wenner aaO. Seite 150, 151) läst sich allein durch das Bestehen einer Ehe zwischen den Partnern im letzteren Fall jedenfalls nicht offenkundig rechtfertigen. Ein sachlicher Grund der abweichenden Behandlung im Sozialhilferecht (§§ 20, 36 SGB XII), die im Ergebnis § 9 Abs. 5 SGB II entspricht, ist ebenfalls nicht offenkundig ersichtlich.

Schließlich neigt die Kammer auch dazu, dass Art. 6 GG durch eine die Gründung einer neuen Familie hemmende und eine bestehende Beziehungsgemeinschaft sprengende Wirkung (siehe hierzu OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24. November 2003 – Az. 24 A 335/91) der Regelung verletzt sind. Insoweit schließt sich die Kammer den Bedenken der veröffentlichten Beschlüsse des Sozialgerichts Düsseldorf vom 28. September 2006 (Az.: S 24 AS 213/06 ER veröffentlicht auf www.tacheles-sozialhilfe.de) und der 37. Kammer des Sozialgerichts Berlin (Beschluss vom 20. Dezember 2006 – Az. S 37 AS 11401/06 ER – www.sozialgerichtsbarkeit.de) an.

Inwieweit die Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz auch aus diesen anderen Gründen vorliegt, bedarf im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes keiner abschließenden Klärung.

Die Regelung ist auch keiner verfassungskonformen Auslegung zugänglich.

Verfassungsrechtlich unproblematisch möglich wäre eine Regelung gewesen, bei der eine widerlegliche Vermutung der Unterhaltszahlung angenommen wird. Eine solche Regelung hat der Gesetzgeber jedoch gerade nicht getroffen. Auf die erheblichen Unterschiede zwischen der Aufnahme in die Regelungssystematik des § 9 Abs. 2 einerseits und Abs. 5 andererseits ist im Gesetzgebungsverfahren hingewiesen worden, so dass trotz der Behauptung in der ursprünglichen Gesetzesbegründung, es handele sich um eine Klarstellung zur Gleichbehandlung von ehelichen und nicht verheirateten Partnern des Elternteils, von einer bewussten Entscheidung zugunsten der unwiderleglichen Einkommensanrechnung auszugehen ist. Angesichts des eindeutigen Wortlauts der Norm und der inneren Systematik des § 9 SGB II würde eine Umdeutung der Änderung des § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II in eine Ergänzung des § 9 Abs. 5 die Grenzen der Auslegung überschreiten.

Eine grundgesetzkonforme Rechtslage könnte ebenfalls hergestellt werden, wenn der Einstandswille als Voraussetzung einer Partnerschaft zwischen den beiden erwachsenen Partnern dahingehend ausgelegt würde, dass der nicht mit dem Kind verwandte Partner den Willen haben muss, für den eigenen Partner und dessen Kind einstehen zu wollen. Eine solche Verschärfung der Anforderungen an eine ehe- oder lebenspartnerschaftsähnliche Gemeinschaft ist jedoch mit dem Wortlaut des § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II nicht vereinbar. Die ebenfalls am 1. August 2006 in Kraft getretene neue Definition der Partnerschaft fordert gerade (nur) die Bereitschaft zum Einstehen der beiden Partner füreinander.

Zudem darf eine verfassungskonforme Auslegung nicht das erkennbare gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlen oder verfälschen, indem an die Stelle der Gesetzesvorschrift inhaltlich eine andere gesetzt oder ein Regelungsinhalt erstmals geschaffen wird (ständige Rechtsprechung etwa Beschluss vom 11. Juni 1958 – Az.: 1 BvL 149/52 = BVerfGE 8, 28 , 34; Beschluss vom 9. Februar 1988 – Az.: 1BvL 23/86 = BVerfGE 78, 20, 24). Die Verschärfung der Anforderungen an die Annahme einer Partnerschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 SGB II wäre das Gegenteil dessen, was der Gesetzgeber durch die Neuregelung des § 7 Abs. 3, 3 a SGB II im selben Änderungsgesetz erreichen wollte.

Hinsichtlich des Überwiegens des Aussetzungsinteresses ist ergänzend zu der Prognose eines Obsiegens im Hauptsacheverfahren aus verfassungsrechtlichen Gründen zu berücksichtigen, dass die Antragstellerinnen durch Vorlage einer entsprechenden Erklärung glaubhaft gemacht haben, dass Herr C seit Einstellung der Leistungen durch den Antragsgegner Leistungen für die Antragstellerin zu 2 nicht erbracht hat.

b)

Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des an die Antragstellerin zu 1 als Inhaltsadressantin gerichteten Aufhebungsbescheides ist bereits anzuordnen, weil eine Änderung, die für einen Individualanspruch der Antragstellerin zu 1 eingetreten ist, nicht erkennbar ist. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Antragsgegner zur Aufhebung gegenüber der Antragstellerin zu 1 ohne Ausübung von Ermessen nach §§ 45 SGB X, 330 Abs. 2 SGB III berechtigt gewesen wäre. Selbst soweit man die Änderung des § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II für den Anspruch der Antragstellerin zu 1 für relevant hielte, wäre dem Antrag aus den für die Antragstellerin zu 1 ausgeführten Gründen zu entsprechen.

Die Aufhebung der Vollziehung des Aufhebungsbescheides durch Anordnung der Auszahlung beruht auf § 86 b Abs. 1 Satz 2 SGG.

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt maßgeblich das Obsiegen der Antragstellerinnen.
Rechtskraft
Aus
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