L 12 AS 2/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 15 AS 24/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AS 2/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7b AS 30/07 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Bemerkung
sowie Gerichtsbescheid vom 27.03.2006
NZB d.Kl. als unzulässig verworfen
Die Berufung des Klägers gegen die Gerichtsbescheide des Sozialgerichts Köln vom 10.01. und 27.03.2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Umstritten ist die Höhe des für die Zeit vom 01.01. - 30.11.2005 zu bewilligenden Arbeitslosengeldes II (AlgII).

Der Kläger hatte bis 23.12.2003 Arbeitslosengeld bezogen und danach bis 31.12.2004 Arbeitslosenhilfe. Bereits am 02.09.2004 beantragte er die Gewährung von Alg II und gab dabei an, eine Miete in Höhe von monatlich 244,55 EUR, Nebenkosten in Höhe von 80 EUR und eine Heizkostenpauschale in Höhe von 38,35 EUR entrichten zu müssen.

Mit Bescheid vom 08.12.2004 bewilligte die Beklagte für die Zeit vom 01.01. - 31.05.2005 Alg II in Höhe von monatlich 787,90 EUR. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und machte geltend, das SGB II sei verfassungswidrig. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.03.2005 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und führte aus, dem Kläger stehe unter Berücksichtigung der Regelleistung in Höhe von 345,00 EUR, der von ihm selbst geltend gemachten Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 362,90 EUR, sowie eines Zuschlages nach dem Bezug von Arbeitslosengeld in Höhe von 80,00 EUR kein höherer Leistungsanspruch zu. Die vorgebrachten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des SGB II wurden von der Beklagten nicht geteilt.

Hiergegen hat der Kläger am 16.03.2005 Klage vor dem Sozialgericht Köln erhoben, die unter dem Aktenzeichen S 15 (10) AS 167/05 eingetragen worden ist. Der Kläger hat weiterhin die Auffassung vertreten, das SGB II sei verfassungswidrig, zumindest aber insoweit, als es die Leistungshöhe der Regelleistung bestimme. Diese Regelleistung sei viel zu niedrig und reiche zum leben nicht aus.

Vor dem Sozialgericht hat der Kläger sinngemäß beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 08.12.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.03.2005 zu verurteilen, ihm höhere Leistungen nach dem SGB II zu gewähren.

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat an ihrer Auffassung festgehalten, die Festsetzung des Regelsatzes im SGB II begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Mit Gerichtsbescheid vom 10.01.2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, dass die dem Kläger bewilligte Leistung in Höhe von 787,90 EUR rechnerisch zutreffend ermittelt worden sei. Ein höherer Leistungsanspruch stehe dem Kläger nicht zu. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Festsetzung der Regelleistung im SGB II hat das Sozialgericht nicht gesehen.

Auf den Fortzahlungsantrag des Klägers hin bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 22.06.2005 für die Zeit vom 01.06. - 30.11.2005 weiter Alg II in Höhe von unverändert monatlich 787,90 EUR. Auch hiergegen legte der Kläger mit gleicher Begründung wie zuvor Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15.12.2005 ebenfalls mit gleicher Begründung zurückwies.

Gegen den Widerspruchsbescheid vom 15.12.2005 hat der Kläger am 16.12.2005 Klage vor dem Sozialgericht Köln erhoben, die unter dem Aktenzeichen S 15 AS 167/05 eingetragen worden ist. Der Kläger hat erneut die Verfassungswidrigkeit der Vorschriften des SGB II geltend gemacht.

Das Sozialgericht ist von dem Antrag des Klägers ausgegangen,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 22.06.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2005 zu verurteilen, ihm höhere Leistungen nach dem SGB II zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Auch die Beklagte hat erneut an ihrer Auffassung festgehalten, dass keine verfassungsrechtlichen Bedenken die die Regelungen des SGB II bestünden.

Mit Gerichtsbescheid vom 27.03.2006 hat das Sozialgericht auch diese Klage abgewiesen und dies in gleicher Weise begründet, wie in dem zuvor genannten Verfahren S 15 (10) AS 24/05.

Gegen den Gerichtsbescheid vom 10.01.2006, dem Kläger zugestellt am 12.01.2006 hat der Kläger am 12.01.2006 Berufung eingelegt, gegen den Gerichtsbescheid vom 27.03.2006, dem Kläger zugestellt am 30.03.2006, hat er am 30.03.2006 ebenfalls Berufung eingelegt.

Mit Beschluss vom 10.11.2006 hat der Senat die beiden Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung und Verhandlung miteinander verbunden und das verbundene Verfahren unter dem Aktenzeichen L 12 AS 2/06 fortgeführt.

Der Kläger hält an seiner Auffassung fest, dass die Höhe des Regelsatzes in verfassungsrechtlich nicht mehr hinzunehmender Weise zu niedrig festgesetzt worden sei. Seiner Auffassung nach müsse die monatliche Regelleistung mindestens um 67,00 EUR erhöht werden.

Nach der amtlichen Begründung der Bundesregierung für das SGB II solle durch das Arbeitslosengeld II jedenfalls das "soziokulturelle" Existenzminimum gesichert werden. Von einem Betrag von 345,00 EUR im Monat könne man aber nicht nur für die eigene Existenz wie Bekleidung und Verpflegung sorgen, sondern man solle auch noch am kulturellen Leben teilnehmen können. Dies werde mit einem Betrag von 345,00 EUR in keiner Weise gewährleistet.

Wegen der genauen Begründung seines Vortrages wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 12.01. und 30.03.2006 sowie auf die seiner Bevollmächtigten vom 07.08., 08.09. und 31.10.2006 Bezug genommen.

Die Beteiligten sind auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 23.11.2006 (B 11 b AS 1/06 R) hingewiesen worden. Dieses Urteil ist in der mündlichen Verhandlung mit den Beteiligten besprochen worden. Der Kläger hält auch dieses Urteil nicht für überzeugend. Er begehrt eine um jedenfalls 67,00 EUR höhere monatliche Regelleistung.

Der Kläger beantragt,

die Gerichtsbescheide des Sozialgerichtes Köln vom 10.01.2006 und 27.03.2006 zu ändern und nach seinen erstinstanzlichen Klageanträgen zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält an ihrer Auffassung fest, dass verfassungsrechtliche Bedenken nicht bestehen und sieht sich in dieser Auffassung durch das Urteil des BSG vom 23.11.2006 bestätigt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Streitig ist die Zeit vom 01.01. - 30.11.2005. Der Kläger begehrt eine jedenfalls um 67,00 EUR höhere monatliche Regelleistung, so dass der Streitwert mindestens 11 x 67 = 737,00 EUR beträgt und die Streitwertgrenze des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG von 500,00 EUR überschritten wird.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet.

Dem Kläger steht keine höhere Regelleistung zu. Die monatlich festgesetzte Bewilligung von 787,90 EUR begegnet keinen Bedenken. Sie setzt sich aus dem Regelsatz von 345,00 EUR und den vom Kläger selbst angegebenen Kosten für Miete und Nebenkosten, sowie der Zahlung eines Zuschlages nach § 24 SGB II zusammen. Die rechnerische Richtigkeit des Zahlbetrages nach den angewandten Vorschriften wird vom Kläger auch selbst nicht in Abrede gestellt. Die vom Kläger geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Höhe des Regelsatzes werden vom Senat nicht geteilt.

Das BSG hat sich mit den vorgebrachten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Regelsatzes, die auch der Kläger vorträgt, in seinem Urteil vom 23.11.2006 - B 11 b AS 1/06 R - beschäftigt. In diesem Urteil führt das BSG wörtlich wie folgt aus: " ... 3. Der Senat ist auch nach Würdigung des Vorbringens der Revision nicht der Überzeugung, dass die einschlägigen, einen Leistungsanspruch der Klägerin verneinenden Vorschriften verfassungswidrig sind.

a)
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Regelungskompetenz des Gesetzgebers und speziell hinsichtlich der Organisationsform der Arbeitsgemeinschaft hat der Senat nicht.

Der Bund konnte sich bei der Einführung des SGB II auf seine Gesetzgebungs-kompetenzen aus Art 74 Abs 1 Nr 7 GG ("öffentliche Fürsorge") und Art 74 Abs 1 Nr 12 GG ("Arbeitsvermittlung sowie die Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung") stützen. Der Bund hat in diesem Bereich das Gesetzgebungsrecht, soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht (Art 72 Abs 2 GG). Die Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung ist gegeben. Denn die Schaffung der Grundsicherung für Arbeitssuchende musste auf Bundesebene erfolgen, um die Einheitlichkeit der Leistungsberechnung für das gesamte Bundesgebiet zu gewährleisten (vgl BT-Drucks 15/1516 S 49).

Die organisationsrechtliche Konsequenz der Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, insbesondere die in § 44b SGB II geregelte Pflicht zur Bildung von Arbeitsgemeinschaften, stellt keine unzulässige bundesunmittelbare Inpflichtnahme der Kommunen dar (vgl insbesondere Ruge/Vorholz, DVBl 2005, 403, 404 ff). Bei der Aufgabenzuweisung zu den kommunalen Trägern gemäß § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II handelt es sich (noch) um eine zulässige punktuelle Annexkompetenz, die zum wirksamen Vollzug der materiellen Bestimmungen des SGB II notwendig ist. Der erkennende Senat schließt sich insoweit der Auffassung des 7b. Senats des BSG an (Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 6/06 R - mwN). Auch bestehen Bedenken weder im Hinblick auf die durch Art 28 Abs 2 GG garantierte kommunale Selbstverwaltung noch unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen Mischverwaltung (BSG aaO). Entscheidend ist dabei aus Sicht des erkennenden Senats, dass bei einem rechtserheblichen Handeln der Arbeitsgemeinschaft die Zuordnung der jeweiligen Kompetenzen zum jeweils sachlich zuständigen Verwaltungsträger erhalten bleibt, dh nur eine organisatorische Wahrnehmungszuständigkeit (vgl oben unter 1c) ausgeübt wird. Letzteres zeigt sich auch in der Ausgestaltung der Aufsicht, die keine monistischen Strukturen aufweist (vgl § 44b Abs 3 Satz 4 SGB II).

b)
Es ist ferner nicht verfassungswidrig, dass der Gesetzgeber die Ansprüche auf Alhi nach den Vorschriften des SGB III in der bis 31. Dezember 2004 geltenden Fassung ohne Übergangsregelung abgeschafft und durch andersartige Ansprüche nach dem SGB II ersetzt hat.

Die Klägerin kann sich insoweit nicht auf die Eigentumsgarantie des Art 14 Abs 1 GG berufen. Denn die Alhi ist keine beitragsfinanzierte Leistung, sondern eine aus Steuermitteln finanzierte Fürsorgeleistung (vgl BSGE 85, 123, 130 = SozR 3-4100 § 136 Nr 11 mwN; SozR 3-4300 § 427 Nr 2 S 13; SozR 4-4300 § 434c Nr 3 RdNr 16). Selbst wenn im Übrigen der Anspruch auf Alhi dem Eigentumsschutz unterläge, wäre ein Verstoß gegen Art 14 Abs 1 GG zu verneinen, da der Gesetzgeber mit den Vorschriften zur Abschaffung der Alhi und zur Einführung des SGB II seine Befugnis zur Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums nicht überschritten hätte. Insoweit ergäbe sich bei diesem Prüfungsmaßstab hier nichts anderes, als wenn die angegriffenen Regelungen am Maßstab des Rechtsstaatsprinzips des Art 20 Abs 3 GG geprüft werden (vgl BVerfG SozR 3-4100 § 242q Nr 2 S 10, 12 sowie BVerfG SozR 4-2600 § 237a Nr 1 RdNr 24 ff).

Der Senat vermag nicht zu erkennen, dass mit der Abschaffung der Alhi und der Einführung des SGB II bzw des Alg II eine Verletzung des aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (vgl Jarass/Pieroth, GG, 8. Auflage 2006, Art 20 RdNr 80 ff) verbunden war. Zu beachten ist insoweit, dass der Gesetzgeber bei der vorgenommenen Umgestaltung und Zusammenführung bisheriger getrennter staatlicher Fürsorgesysteme zu einem einheitlichen System der Grundsicherung für Arbeitssuchende wichtige Gemeinwohlinteressen im Sinne der Anpassung der Sozialausgaben an eine geänderte Wirtschaftslage verfolgt hat (vgl ua BT-Drucks 15/1516 S 1 ff, 41 ff). Zu beachten ist weiter die in § 1 Abs 1 Satz 1 SGB II zum Ausdruck kommende Absicht des Gesetzgebers, mit der Einführung der Grundsicherung für Arbeitssuchende die Eigenverantwortung erwerbsfähiger Hilfebedürftiger und mit diesen in einer Bedarfsgemeinschaft lebender Personen zu stärken und dazu beizutragen, dass sie ihren Lebensunterhalt unabhängig von der Grundsicherung aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten können. Außerdem hat der Gesetzgeber vor dem Hintergrund der Abschaffung der (Anschluss-)Alhi für ehemalige Alg-Bezieher, die - bereits unter 2a aa erwähnte - Regelung über den befristeten Zuschlag in § 24 SGB II vorgesehen, mit der ein Teil der Einkommenseinbußen abgefedert werden soll, die in der Regel beim Übertritt in die Grundsicherung für Arbeitsuchende entstehen (BT-Drucks 15/1516 S 57 f, zu § 24). Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist nicht ersichtlich, dass die Einführung der neuen gesetzlichen Bestimmungen Betroffene wie die Klägerin bei Abwägung ihrer Interessen mit den verfolgten Gemeinwohlbelangen unverhältnismäßig belasten würde oder dass der Gesetzgeber den ihm zustehenden weiten Gestaltungsspielraum in unverhältnismäßiger Weise überschritten hätte.

Der Gesetzgeber hat nach der Überzeugung des Senats auch nicht die Anforderungen des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzprinzips verletzt (vgl BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2006 - 1 BvL 9/00 ua; dazu auch Schlegel, jurisPR-SozR 19/2006 und Wenner, SozSich 2006, 316). Denn abgesehen von der seit Jahren öffentlich geführten Diskussion über die Zusammenführung von Alhi und Sozialhilfe sind die Bestimmungen zur Aufhebung der §§ 190 ff SGB III und zur Einführung des SGB II bereits am 24. Dezember 2003 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden, die Änderungen aber erst am 1. Januar 2005 in Kraft getreten. Die Betroffenen hatten somit ausreichend Gelegenheit, sich auf die neue Rechtslage einzustellen. Im Übrigen stand die Alhi wegen ihres Charakters als Fürsorgeleistung von jeher unter der Prämisse der jederzeitigen Änderbarkeit, wie wiederholte Reduzierungen der letzten Jahre belegen (ua zeitliche Anspruchsbegrenzung der originären Alhi durch Gesetz vom 21. Dezember 1993, BGBl I 2353, und deren Abschaffung durch Gesetz vom 22. Dezember 1999, BGBl I 2624; ferner zB Minderung des Bemessungsentgelts durch § 201 Abs 1 Satz 1 SGB III in der Fassung des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes vom 24. März 1997, BGBl I 594). Insofern lässt sich ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand der bis Ende 2004 geltenden Rechtslage nicht begründen. Jedenfalls ist einem Vertrauen betroffener Arbeitsloser nicht größeres Gewicht beizumessen als dem Gemeinwohlinteresse an der Änderung der Rechtslage (vgl BVerfG SozR 3-4100 § 242q Nr 2 S 11). Der Senat hat im Übrigen einen Verstoß gegen das rechtsstaatliche Vertrauensschutzprinzip durch die Abschaffung der Alhi sogar für Arbeitslose, die eine Erklärung nach § 428 SGB III abgegeben hatten, verneint (BSG, Urteil vom 23. November 2006 - B 11b AS 9/06 R -).

Ein Anspruch der Klägerin auf Leistungen in Höhe der bisherigen Alhi folgt auch nicht aus Art 1 Abs 1 GG iVm dem insbesondere auf Art 20 Abs 1 GG beruhenden Sozialstaatsprinzip (zu letzterem vgl Jarass/Pieroth aaO Art 20 RdNr 112). Die genannten Verfassungsnormen begründen zwar für den Gesetzgeber einen Gestaltungsauftrag; dieser ist jedoch nicht geeignet, eine Verpflichtung des Staates zur Gewährung sozialer Leistungen in einem bestimmten Umfang zu begründen (vgl etwa BVerfGE 94, 241, 263 = SozR 3-2200 § 1255a Nr 5). Vielmehr sind dem Gesetzgeber im Rahmen der Entscheidung, in welchem Umfang soziale Hilfe unter Berücksichtigung vorhandener Mittel und anderer gleichwertiger Staatsaufgaben gewährt werden kann, weite Gestaltungsmöglichkeiten eingeräumt (vgl BVerfGE 82, 60, 80 f = SozR 3-5870 § 10 Nr 1; BVerfGE 98, 169, 204 = NJW 1998, 3337; O’Sullivan SGb 2005, 370).

c)
Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken bestehen ferner nicht gegen die in § 20 Abs 2 und 3 SGB II gesetzlich festgeschriebene Höhe der Regelleistungen. Der Senat folgt insbesondere nicht dem Vorbringen der Revision, die genannten Vorschriften gewährleisteten nicht das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum und verstießen gegen die Menschenwürde sowie gegen fürsorgerechtliche Strukturprinzipien.

aa)
Eine genaue Bestimmung der Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins begegnet angesichts sich ständig ändernder gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Verhältnisse und Entwicklungen erheblichen Schwierigkeiten, wie ua zahlreiche Entscheidungen des BVerfG zum steuerrechtlichen Existenzminimum belegen (vgl etwa BVerfGE 87, 153, 169 ff = NJW 1992, 3153; BVerfGE 99, 246, 259 ff = NJW 1999, 561). Demgemäß hat der Gesetzgeber in den jeweiligen Gesetzen, die sich mit der Bestimmung des Existenzminimums befassen (zB Wohngeldgesetz, Einkommensteuergesetz), keineswegs eine einheitliche Definition gewählt (vgl Wunder/Diehm, SozSich 2006, 195, 197). Soweit dem Begriff der Sicherung der "Mindestvoraussetzungen" die Forderung nach einem Schutz vor Existenznot im Sinne einer Sicherung der physiologischen Existenz des Bürgers zu entnehmen ist (vgl Martinez Soria JZ 2005, 644, 648 mwN), bestehen keine Bedenken, dass der Gesetzgeber des SGB II diese Forderung erfüllt, indem er die in den §§ 14 ff SGB II vorgesehenen Leistungen zur Verfügung stellt und darüber hinaus Regelungen zur Einbeziehung der Hilfebedürftigen in den Schutz der Sozialversicherung trifft (zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung - s §§ 5 Abs 1 Nr 2a, 251, 252 SGB V; §§ 20 Abs 1 Satz 2 Nr 2a, 59 Abs 1 Satz 1 SGB XI; vgl hierzu auch Urteil des LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. Mai 2006 - L 10 AS 1093/05 -, juris, RdNr 29; Mrozynski, Praxishandbuch zu SGB II und SGB XII, unter II.8 RdNr 102 ff).

Allerdings ist in der Rechtsprechung des BVerwG zur Sozialhilfe anerkannt, dass die staatliche Gewährleistungspflicht nicht nur auf die bloße Sicherung der körperlichen Existenz beschränkt ist, sondern auch die Gewährleistung eines "soziokulturellen Existenzminimums" sowie einen Schutz vor Stigmatisierung und sozialer Ausgrenzung umfasst (vgl BVerwGE 87, 212 = NJW 1991, 2304; BVerwGE 94, 326 = NVwZ 1994, 1214). Auch diesen Anforderungen wird der Gesetzgeber bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende grundsätzlich gerecht. Denn er hat die in der Rechtsprechung zur Sozialhilfe entwickelten Erwägungen mit der Regelung in § 20 Abs 1 SGB II aufgegriffen und präzisiert. Die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst schon nach dem Gesetzeswortlaut ua (neben zB Ernährung und Kleidung) "in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben".

bb)
Die Revision vermag auch nicht mit ihren Einwendungen gegen die Höhe der in § 20 Abs 2 SGB II festgelegten Regelleistung von 345 EUR pro Monat für ua allein stehende und allein erziehende Personen durchzudringen. Die vom Gesetzgeber gewählte Art der Bedarfsermittlung und deren Ergebnis sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn es ist grundsätzlich zulässig, Bedarfe gruppenbezogen zu erfassen und eine Typisierung bei Massenverfahren vorzunehmen.

Durchgreifende Bedenken lassen sich entgegen verschiedenen Äußerungen im Schrifttum (etwa Rothkegel in Gagel, aaO, § 20 RdNr 31 f; Ockenga ZfSH/SGB 2006, 143, 144 ff) nicht aus dem Gesetzgebungsverfahren und nicht aus dem nachfolgenden Verfahren zur Vorbereitung der Verordnung zur Durchführung des § 28 SGB XII - Regelsatzverordnung (RSV) - herleiten. Der Senat hat insoweit berücksichtigt, dass nach der Begründung des Gesetzentwurfs (vgl BT-Drucks 15/1516 S 56) für die Leistungshöhe eine vom Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung in Zusammenarbeit mit dem Statistischen Bundesamt erhobene Auswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) 1998 mit Hochrechnung auf den Stand 1. Juli 2003 maßgebend sein und dass sich die Regelleistung hinsichtlich Höhe und Neubemessung auch an der RSV orientieren sollte (vgl auch § 20 Abs 4 Satz 2 SGB II iVm § 28 Abs 3 Satz 5 SGB XII). Der Senat hat auch berücksichtigt, dass die RSV bis zur Verabschiedung des SGB II durch den Bundestag im Dezember 2003 noch nicht erlassen war und dass erst mit Schreiben der Bundesregierung vom 10. März 2004 der RSV-Entwurf und dessen Begründung dem Bundesrat übermittelt wurde (BR-Drucks 206/04; vgl Ockenga, aaO, S 144), ferner, dass vor dem Gesetzesbeschluss zum SGB II der Vorentwurf einer RSV (Stand 21. Juli 2003, vgl im Internet unter www.sozialpolitik.de, Themenfelder "Sozialstaat, Soziale Sicherung") vorlag, der im Detail von der späteren RSV vom 3. Juni 2004 (BGBl I 1067) abweicht. Grundsätzliche Einwände gegen die Festsetzung der Regelleistungen lassen sich aus diesem zeitlichen Ablauf jedoch nicht ableiten, da der Gesetzgeber bei der Ermittlung der - typisierten - Bedarfe wie schon bei der Sozialhilfe auf das Statistikmodell zurückgegriffen hat (vgl Martens SozSich 2006, 182, 184) und erkennbarer Bezugspunkt für die Bemessung der Regelleistung mit 345 EUR die Höhe der bis dahin geltenden Regelsätze (ca 297 EUR) zuzüglich eines an der damaligen Bewilligungspraxis bezüglich einmaliger Leistungen gemessenen Anteils in Höhe von ca 16 vH war (vgl hierzu ua LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 24. August 2006 - L 8 AS 467/05 -, Revision anhängig unter B 11b AS 39/06 R; Brünner in LPK-SGB II § 20 Nr 4; Berlit info also 2003, 195, 202; Bieback NZS 2005, 337, 338).

Auch im Übrigen kann der Senat nicht feststellen, dass die Höhe der Regelleistung nach § 20 Abs 2 SGB II höherrangigem Recht widerspricht. Bereits die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zur Sozialhilfe hat die Kontrolle für die Regelsatzfestsetzung durch Rechtsverordnung unter der Geltung des § 22 Abs 2 Satz 1 BSHG auf die Prüfung beschränkt, ob die den Bedarf bestimmenden Faktoren auf ausreichenden Erfahrungswerten beruhen und ob die der Festsetzung zu Grunde liegenden Wertungen vertretbar sind (vgl BVerwGE 94, 326 = NVwZ 1994, 1214; BVerwGE 102, 366 = NVwZ 1998, 285). Diese Prüfungsmaßstäbe zur Vereinbarkeit einer Rechtsverordnung mit dem ermächtigenden Gesetz können denknotwendigerweise nicht gleichermaßen für die Überprüfung des § 20 Abs 2 SGB II gelten. Denn hierin hat der parlamentarische Gesetzgeber, der allein an das GG gebunden ist, die Höhe der Regelleistung unmittelbar bestimmt. Der Senat kann jedoch offen lassen, inwieweit sich die oben genannten Maßstäbe nicht nur aus dem BSHG, sondern auch aus dem GG herleiten lassen (vgl BVerfGE 82, 60, 80; Rothkegel, SGb 2006, 74, 76; gegen die Übertragbarkeit der Rechtsprechung des BVerwG: LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29. November 2005 - L 3 AS 3/05 -, Revision anhängig unter B 11b AS 5/06 R). Denn selbst auf der Grundlage dieser Maßstäbe bestehen keine Bedenken. Die Prüfung des Senats ergibt unter Berücksichtigung der im Gesetzgebungsverfahren und im Zusammenhang mit dem Erlass der RSV dokumentierten Erwägungen, dass der Bestimmung der Regelleistung ausreichende Erfahrungswerte zu Grunde liegen und dass der dem Gesetzgeber zuzubilligende Einschätzungsspielraum nicht in unvertretbarer Weise überschritten ist.

Eine Unvertretbarkeit der Festsetzung der Regelleistung durch den Gesetzgeber ergibt sich nicht etwa daraus, dass im Schrifttum mangelnde Transparenz gerügt oder auf die angebliche Ausgrenzung einzelner Bevölkerungsgruppen hingewiesen wird (vgl ua: Berlit info also 2003, 195, 202; derselbe info also 2005, 181-182; Frommann NDV 2004, 248, 252; Rothkegel ZfSH/SGB 2004, 396, 403 ff; Däubler, NZS 2005, 225, 228; Ockenga, ZfSH/SGB 2006, 143, 144 ff). Denn angesichts der offenkundigen Schwierigkeiten, die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein auch unter Einbeziehung eines "soziokulturellen Existenzminimums" sachgerecht zu bestimmen, können Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Angemessenheit und der Gewichtung einzelner Größen keine entscheidende Rolle spielen (vgl auch BSG SozR 3-4100 § 138 Nr 14 S 83 f; vgl zusammenfassend Mrozynski, Praxishandbuch zu SGB II und SGB XII, unter II.8 RdNr 21 ff, 25, Stand 1. März 2006).

Bei der Vertretbarkeitsprüfung ist auch zu bedenken, dass die gegenwärtige Situation durch die Zunahme niedrig entlohnter Tätigkeiten und durch Einkommenseinbußen in breiten Bevölkerungskreisen geprägt ist, weshalb dem Gesichtspunkt des Lohnabstandsgebotes maßgebliche Bedeutung zukommen muss (so zutreffend LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. Mai 2006 - L 10 AS 1093/05 - juris, RdNr 31). Diesem Gebot entspricht, dass in der Konsequenz der Festlegung der Regelleistung in § 20 Abs 2 SGB II der Hilfeempfänger weniger konsumieren kann als die untersten 20 % der nach ihrem Nettoeinkommen geschichteten Haushalte der EVS ohne Einbeziehung der Hilfeempfänger (vgl § 2 Abs 3 RSV; Däubler NZS 2005, 225, 228). Vor allem ist aber im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu beachten, dass der Gesetzgeber des SGB II den Hilfebedürftigen nicht nur die Regelleistung, sondern in nicht unwesentlichem Umfang weitere Leistungen zur Verfügung stellt (vgl ua §§ 16, 21, 22, 23 SGB II; zur Möglichkeit, in Ausnahmefällen auch Leistungen nach Maßgabe des SGB XII zu beanspruchen, vgl Urteil des 7b. Senats des BSG vom 7. November 2006 - B 7b AS 14/06 R). Unter Berücksichtigung all dieser Gesichtspunkte vermag der Senat deshalb eine Unvertretbarkeit der Höhe der Regelleistung nicht zu erkennen. Ob und inwieweit den Gesetzgeber über die Anpassungsregelungen in § 20 Abs 4 SGB II hinaus eine besondere Beobachtungspflicht (vgl BSG SozR 3-2200 § 551 Nr 13; BVerfGE 87, 348, 358; 88, 203, 309 ff) bei der praktischen Umsetzung des Gesetzes trifft, kann der Senat schon im Hinblick auf den hier streitigen Zeitraum dahingestellt sein lassen ..."

Diesen überzeugenden Ausführungen des BSG schließt sich der Senat an und überträgt sie auf den Fall des Klägers. Das BSG hat sich ausführlich mit allen verfassungsrechtlich relevanten Fragen beschäftigt, auch mit der vom Kläger in den Vordergrund gestellten Frage, ob das soziokulturelle Existenzminimum gesichert ist. Da die verfassungsrechtlichen Bedenken des Klägers vom Senat nicht geteilt werden, bestand kein Anlass, dass Verfahren auszusetzen und das Bundesverfassungsgericht gem. Artikel 100 Abs. 1 GG anzurufen.

Klage und Berufung konnten somit keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG nicht erfüllt sind. Insbesondere nach der Entscheidung des BSG vom 23.11.2006 kann man nicht mehr von einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage oder von einer Rechtssache mit grundsätzlicher Bedeutung ausgehen. Der Senat weicht nicht von der Rechtsprechung des BSG ab, sondern hat sie im Gegenteil zur Grundlage seiner eigenen Entscheidung gemacht.
Rechtskraft
Aus
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