S 9 AS 1899/06 ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Leipzig (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 9 AS 1899/06 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die Feststellung einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft erfordert das
Vorliegen bestimmter Merkmale und Indizien. Hierbei reicht es aus, wenn im
Einzelfall genügend Anhaltspunkte vorhanden und festgestellt sind, die trotz
des Fehlens anderer Merkmale den Schluss auf das Bestehen einer ehe- typischen Verantwortungs- und Ein-stehensgemeinschaft rechtfertigen.
I. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, der Antragstellerin für die Zeit vom 01.09.2006 bis 31.01.2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch monatlich einen Betrag von 240,00 EUR zu zahlen.
II. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin deren außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin (Ast) begehrt im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozial-gesetzbuch (SGB II) ab 01.09.2006.

Die im Jahre ... geborene Ast bezog in der Zeit vom 01.07.2005 bis 31.08.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von monatlich 470,28 EUR. In ihrem Antrag auf Gewährung von Leistungen gab sie an, ledig zu sein und mit B. , geboren im Jahre ..., in einer Wohngemeinschaft zu leben. Sie legte der Antragsgegnerin (Ag) den Mietvertrag vom 08.05.2003 vor. Dieser Mietvertrag wurde zwischen der L. Wohnungs- und Bauge-sellschaft mbH und der "Wohngemeinschaft B. und der Ast" abgeschlossen und begann am 01.06.2003. Die Wohnung besteht danach aus 2 Zimmern, Küche, Bad, Flur und einem Balkon sowie einem Keller. Der Mietzins beträgt monatlich 198,08 EUR zuzüglich der Nebenkosten einschließlich Warmwasser in Höhe von monatlich 96,85 EUR, zusammen somit 294,93 EUR/Monat.

In der Zeit vom 01.09.2005 bis 31.08.2006 bezog die Ast Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (Bafög).

Am 04.07.2006 beantragte die Ast erneut die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Sie gab wieder an, ledig zu sein und mit B. – wie bisher – in einer Wohngemeinschaft zu leben. Im Zusatzblatt zur Überprüfung einer eheähnlichen Gemeinschaft gab die Ast an, es bestehe keine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft; sie sei Mitmieterin und habe einen Raum als Schlaf- und Wohnraum für sich alleine. Die Miete werde von jedem anteilig gezahlt. Einkäufe des täglichen Bedarfes erledige jeder für sich allein. Es bestehe kein gemeinsames Konto oder eine wechselseitige Einzugs- oder Verfü-gungsermächtigung. Gemeinsame Vermögenswerte (z.B. gemeinsames Sparbuch, Bausparvertrag) oder gemeinsame Versicherungen bzw. Begünstigung des Partners in der Ver-sicherung gebe es nicht.

Da die Ag den Verdacht hegte, die Ast lebe mit B. in eheähnlicher Gemeinschaft, suchte ein Mitarbeiter die Wohnung der Ast auf. In dem daraufhin angefertigten Protokoll wurde im Wesentlichen festgestellt, dass alle Zimmer und Möbel gemeinsam genutzt werden würden.

Mit Bescheid vom 28.09.2006 lehnte es die Ag ab, der Ast Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II zu gewähren. Die Ast lebe mit B. in einer Bedarfs-gemeinschaft. Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, werde vermutet, wenn Personen länger als ein Jahr zusammenlebten. Dies sei im vorliegenden Fall gegeben, da die Ast mit B. seit 01.06.2003 in einer gemeinsamen Wohnung lebten. Der am 12.09.2003 durchgeführte Hausbesuch habe nicht ergeben, dass es sich lediglich um eine Wohngemeinschaft handele.

Hiergegen erhob die Ast Widerspruch, weil sie mit B. nicht in eheähnlicher Gemeinschaft lebe.

Ohne weitere Ermittlungen wies die Ag den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 17.10.2006). Der am 12.09.2006 durchgeführte Hausbesuch habe die gesetzliche Vermutung, wonach das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft vermutet werde, wenn Partner länger als ein Jahr länger zusammenlebten, keineswegs widerlegt, sondern eher sogar noch untermauert, da sich in allen Räumen gemeinsam genutztes Mobiliar befinden würde. Deren Ausstattung und Nutzung widerspreche somit den Angaben der Ast zum Bestehen einer klassischen Wohngemeinschaft. Im Ergebnis werde festgestellt, dass zwischen der Ast und B. keine Wohngemeinschaft bestehe.

Dagegen erhob die Ast rechtzeitig Klage, über die noch nicht entschieden ist.

Am 16.11.2006 stellte die Ast einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz, mit dem sie die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ab 01.09.2006 begehrt.

Im Erörterungstermin vom 19.12.2006 gab die Ast im Wesentlichen zu Protokoll, sie habe etwa ein bis zwei Jahre vorher zeitweise mit B. in der B. in L. gewohnt. Zeitweise deshalb, weil sie einen Teil ihrer Zeit bei ihrem Bruder gelebt habe. Sie sei deshalb mit B. zusammengezogen, weil dieser ein Freund ihres Bruders war und ist; daher kenne sie B ... Sie habe nicht mit einer ihr unbekannten Person in eine Wohnung ziehen wollen. Jeder kaufe die Lebensmittel für sich. Die Mahlzeiten würden meist nicht gemeinsam eingenommen wer-den, weil sie zu unterschiedlichen Zeiten zu essen pflegten. Jeder wasche seine Wäsche selbst. Sie hätten kein gemeinsames Konto. Sie zahle die Hälfte der Miete. R.B. zahle zwar die Gesamtmiete per Dauerauftrag an den Mieter. Sie erstatte ihm aber die Hälfte der Mietkosten. Die Ast belegte dies durch Vorlage von Kontoauszügen, aus denen ersichtlich ist, dass die Überweisungen auch schon vor dem Jahre 2005 erfolgten. Des Weiteren er-klärte die Ast, die Wohnung verfüge über 2 Zimmer. Jeder habe sein eigenes Zimmer. Der Schrank im Flur sei gemeinsam angeschafft worden. R.B. habe diesen Schrank gekauft und ihr angeboten, dass sie ein Drittel von diesem Schrank nutzen könne. Sie habe dieses An-gebot angenommen und deshalb auch ein Drittel der Kosten für den Schrank übernommen. Sie habe mit B. noch nie einen gemeinsamen Urlaub verbracht. Die Wohngemeinschaft soll voraussichtlich bis Sommer 2007 bestehen. Dies komme darauf an, ob sie eine Prakti-kumstelle in der Lehrrettungswache bekomme. Sie kenne zwar die Kumpels von B.; sie sei mit ihnen aber nicht enger befreundet. Sie und B. hätten keine gemeinsamen Interessen. Eine engere Beziehung zu einem Mann habe sie derzeit nicht. Ob B. derzeit in einer enge-ren Beziehung mit einer Frau lebe, könne sie nicht hundertprozentig sagen; dieser habe schon mehrere Beziehungen hinter sich. Auch hätten sie und B. das letzte Weihnachtsfest bzw. Silvester nicht gemeinsam gefeiert. Sie habe bisher keine Arbeitslosenhilfe (Alhi) bezogen.

Diese Angaben versicherte die Ast an Eides statt. Über die Folgen einer falschen Versicherung an Eides statt (§ 156 Strafgesetzbuch) und deren Strafbarkeit war sie vor Beginn ihrer Anhörung belehrt worden.

Die Ast wies noch darauf hin, dass sie jetzt nebenbei jobbe und maximal 400,00 EUR netto im Monat verdiene. Die erste Lohnzahlung habe sie im September 2006 erhalten.

Die Antragstellerin beantragt,

ihr im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II ab 01.09.2006 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Sie vertritt nach wie vor die Auffassung, dass die Ast mit B. in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebe.

II.

Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist zulässig und begründet.

Die Ast hat Anspruch auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 01.09.2006 bis 31.01.2007 in Höhe von monatlich 240,00 EUR.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufiges Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwehr wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Eine Regelungsanordnung kann nach allgemeiner Ansicht (vgl. Binder u.a. SGG, Handkommentar, § 86 b Rdnr. 32, 33) nur getroffen werden, wenn ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund sowie keine Vorwegnahme der Hauptsache gegeben sind.

Ein Anordnungsanspruch ist gegeben, wenn die Ast einen materiell-rechtlichen Anspruch auf Gewährung der begehrten Leistung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit hat. Ein Anordnungsgrund liegt hingegen dann vor, wenn eine besondere Eilbedürftigkeit gegeben ist und deshalb ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache der Ast nicht zumutbar ist.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung scheidet grundsätzlich dann aus, wenn diese die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen würde. Von diesem Grundsatz ist allerdings dann abzuweichen, wenn nur die Befriedigung des von der Ast geltend gemachten Anspruches in der Lage ist, einen irreparablen Schaden zu verhindern (Krasnay/Udsching, Handbuch des Sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Aufl., V, Rdnr. 41).

Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 120 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)). Diese sind glaubhaft gemacht, wenn sie überwiegend wahrscheinlich sind. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn trotz der Möglichkeit des Gegenteils die Zweifel nicht überwiegen. Für die Glaubhaftmachung genügt grundsätzlich die Versicherung an Eides statt.

Unter Anwendung dieser Grundsätze sind sowohl der Anordnungsanspruch als auch der Anordnungsgrund gegeben.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Personen Leistungen zur Sicherung des Lebensun-terhaltes, die 1. das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige).

Streitig ist hier allein, ob die Ast hilfebedürftig ist.

Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II nur, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln sichern kann, wobei nach § 9 Abs. 2 SGB II bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen ist. Nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 b) SGB II gehört zur Bedarfs-gemeinschaft als Partner die Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in eheähnlicher Lebensgemeinschaft lebt. Dies ist allein die Lebensgemeinschaft eines Mannes und einer Frau, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindung auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehungen in einer reinen Haus-halts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 02.09.2004 – 1 BvR 1962/04). Eine eheähnliche Gemeinschaft ist somit dann gegeben, wenn eine ehetypische Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft vorliegt (BVerfG, Urteil vom 17.11.1992 – 1 BvR 8/87). Ob eine Gemeinschaft von Mann und Frau diese besonderen Merkmale der eheähnlichen Gemeinschaft aufweist, lässt sich in der Verwaltungspraxis nur anhand von Indizien feststellen. Als solche Hinweistatsachen, die sich nicht erschöpfend aufzählen lassen, kommen etwa in Betracht die Dauer des Zusammenlebens, die Versorgung von Kindern und Angehörigen im gemeinsamen Haushalt und die Befugnis, über Einkommen und Vermögensgegenstände des anderen Partners zu verfügen (BVerfG a.a.O.).

Indizien für das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft sind demnach u.a.:

• Kontovollmacht und/oder gemeinsame Kassenführung,
• Abschluss von Versicherungen für den Partner,
• Begünstigung in Lebensversicherungsverträgen,
• der gemeinsame Kauf eines dann gemeinsam genutzten Einfamilienhauses oder ei-ner Eigentumswohnung,
• das gemeinsame Gestalten der Freizeit (Urlaub, Hobbys),
• das gemeinsame Auto,
• das regelmäßige Waschen und Kochen für den anderen Partner,
• das Zahlen der Miete durch einen der Partner,
• das vorherige Zusammenleben in einer anderen Wohnung,
• eine wechselseitige Einzugs- oder Verfügungsermächtigung für die bestehenden Konten,
• gemeinsame Vermögenswerte (z.B. gemeinsames Sparbuch, Bausparvertrag)
• sowie der Umstand, dass die Partner einen gemeinsamen Freundeskreis haben.

Die Erziehung der Kinder, insbesondere der gemeinsamen Kinder, sind ein gewichtiges Indiz für eine eheähnliche Gemeinschaft, weil Kinder in größerem Maße eine gemeinsame Lebensgestaltung und -planung voraussetzen und Abhängigkeiten unterschiedlicher Art auch der Partner voneinander schaffen.

Allein das Zusammenleben unter einer Wohnanschrift reicht demnach für die Bewertung einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft nicht aus. Hinzu kommen muss die Bereitschaft, auch in Zeiten der Not miteinander zu leben und füreinander zu sorgen.

Zur Feststellung einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft müssen nicht sämtliche in Betracht kommenden Merkmale und Indizien vorliegen. Vielmehr ist es ausreichend, wenn im Einzelfall genügend Anhaltspunkte vorhanden und festgestellt sind, die trotz des Fehlens anderer Merkmale den Schluss auf das Bestehen einer ehetypischen Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft rechtfertigen.

Die maßgeblichen Merkmale und Indizien, die es ermöglichen im konkreten Fall eine Be-wertung vorzunehmen, sind im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes zumindest glaubhaft zu machen. Diese sind von der Beklagten festzustellen (Wenner in Soziale Si-cherheit 2006, S. 148). Erst wenn solche Feststellungen durch die Ag getroffen sind, setzt die Vermutungswirkung des § 7 Abs. 3 a) SGB II ein (Wenner a.a.O. S. 149). Denn nur wenn so konkrete und leicht nachprüfbare tatsächlichen Umstände gegeben und von der zuständigen Behörde festgestellt sind, kann darauf die Vermutung einer "eheähnlichen" Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft gestützt werden. Diese deutliche Konkretisierung von weitgehend wertungsfreien Tatsachen ist unerlässlich, damit dem Betroffenen die verfassungsrechtlich zwingend erforderliche Chance bleibt, die Vermutung zu widerlegen.

Dies wird besonders deutlich, wenn ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, dadurch vermutet wird, dass Partner länger als ein Jahr zusammenleben (§ 7 Abs. 3 a) Nr. 1 SGB II). Denn dieses "Zusammenleben" eignet sich ohne nähere Präzisierung kaum als Anknüpfungspunkt für eine Vermutung zugunsten der eheähnlichen Lebensgemeinschaft, weil auch eine Wohngemeinschaft erfasst würde.

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze lebt die Ast in keiner eheähnlichen Lebensgemeinschaft.

Allein die Feststellung, die Ast habe mit B. schon länger als ein Jahr zusammengelebt, reicht entgegen dem Gesetzeswortlaut nicht aus, um daraus eine eheähnliche Gemeinschaft zu vermuten. Denn dann würde jede Wohngemeinschaft – die keinerlei Indizien für eine eheähnliche Gemeinschaft aufweist – nach einem Jahr des Zusammenlebens automatisch zur eheähnlichen Gemeinschaft. Dass dies nicht zutreffen kann, ist einleuchtend.

Deshalb ist es trotz des (eindeutigen) Wortlauts des Gesetzes nach wie vor notwendig, dass entsprechende Indizien und Merkmale, die für eine eheähnliche Gemeinschaft sprechen, von der Behörde festgestellte werden. Eine Feststellung solcher Indizien und Merkmale konnte im vorliegenden Fall so gut wie nicht getroffen werden.

Die Ast hat glaubhaft dargelegt, dass sie im Großen und Ganzen für sich lebt und wirt-schaftet. Sie hat mit B. kein gemeinsames Konto oder bestehende wechselseitige Einzugs- oder Verfügungsermächtigung. Sie hat mit B. keine gemeinsamen Vermögenswerte, wie z.B. gemeinsames Sparbuch oder Bausparvertrag und keine gemeinsamen Versicherungen bzw. Begünstigung des Partners in einer dieser Versicherungen. Sowohl die Ast als auch B. führen jeweils einen eigenen Haushalt. Der Mietvertrag, den die Ast und B. bereits im Juni 2003 – also lange vor dem Inkrafttreten des SGB II – abgeschlossen haben, wird ausdrücklich vermerkt, dass es sich um eine Wohngemeinschaft handelt.

Somit ergeben sich so gut wie keine Anhaltspunkte dafür, dass die Ast und B. in einer Ve-rantwortungs- und Einstehungsgemeinschaft und damit in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft leben. Daran ändert sich auch nicht, dass die Ast mit B. bereits vor Anmietung der jetzigen Wohnung 1 bis 2 Jahre in einer anderen Wohnung gelebt haben. Zwar ist die Dauer des Zusammenlebens ein nicht unerhebliches Indiz für die Bewertung einer Lebens-gemeinschaft als eheähnlich, jedoch spielt die Dauer des Zusammenwohnens dann keine Rolle, wenn die Bewohner getrennt wirtschaften und in das Leben des anderen nicht ein-gebunden sind. Hinzu kommt, dass die Wohngemeinschaft, der die Ast angehört, voraus-sichtlich im Sommer 2007 aufgelöst, also zeitlich begrenzt wird. Auch der Umstand, dass sich die Ast mit einem Drittel an dem von B. gekauften Schrank beteiligt hat und diesen auch nutzt, kann eine eheähnliche Lebensgemeinschaft, ohne dass dies nun näher zu be-gründen wäre, nicht hergeleitet werden. Die gemeinsame Nutzung aller Zimmer und Möbel – sofern die tatsächlich zutreffen sollte – spricht zwar für eine eheähnliche Gemein-schaft. Sie gewinnt aber im Hinblick auf die anderen Umstände, die dagegen sprechen, nur eine geringe Bedeutung und kann deshalb außer Betracht bleiben.

Nachdem nun feststeht, dass die Ast in keiner eheähnlichen Lebensgemeinschaft lebt, ist zu klären, ob sie, die Ast, – als Einzelperson – hilfebedürftig ist. Das ist dann der Fall, wenn die Ast ihren Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln sichern kann. Deshalb sind zunächst das zu berücksichtigende Einkommen (§ 11 SGB II) und das Vermögen (§ 12 SGB II) der Ast zu ermitteln. Im Anschluss daran ist der Bedarf der Ast zu bestimmen.

Nach den Angaben der Ast erzielt sie seit September 2006 durch eine Tätigkeit monatlich maximal 400,00 EUR netto. Zu berücksichtigendes Vermögen hat die Ast nicht (vgl. Bl. 44/45 der Ag-Akte). Von dem maximalen monatlichen Einkommen sind gem. § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II 100,00 EUR abzuziehen. Außerdem ist ein Freibetrag gem. § 30 Satz 1 SGB II in Höhe von 60,00 EUR/Monat abzusetzen.

Somit ergibt sich ein zu berücksichtigendes Einkommen von: Einkommen netto monatlich 400,00 EUR
abzüglich des Betrages gem. § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II 100,00 EUR abzüglich des Freibetrages gem. § 30 SGB II 60,00 EUR

zu berücksichtigendes Einkommen pro Monat 240,00 EUR.

Dem ist der Bedarf der Ast gegenüberzustellen:
a) Regelleistung gem. § 20 Abs. 2 SGB II 345,00 EUR
b) Anteil an der Miete, der Heizkosten und der laufenden Nebenkosten (294,93 EUR: 2 abzüglich 8,18 EUR für die Warm- Wasserzubereitung) 139,28 EUR
Gesamtbedarf pro Monat 484,28 EUR

Hiervon ist das zu berücksichtigende Einkommen
abzuziehen 240,00 EUR
Anspruch auf Alg II pro Monat 244,28 EUR.

Die Ast hat damit einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 244,28 EUR monatlich; davon sind im vorliegenden Verfahren monatlich 240,00 EUR zu gewähren.

Auch der Anordnungsgrund ist gegeben. Die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsu-chende nach dem SGB II dienen der Sicherung eines menschenwürdigen Lebens, mithin der Erfüllung einer verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates, die aus dem Gebot zum Schutz der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot folgt (BVerfG, Be-schluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05). Ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung bliebe das Existenzminimum der Ast noch für Monate nicht gedeckt. Dabei handele es sich um eine erhebliche Beeinträchtigung, die auch nachträglich bei einem erfolgreichen Ab-schluss des Klageverfahrens nicht mehr bzw. nur mit längerer Verzögerung ausgeglichen werden kann. Denn der elementare Lebensbedarf eines Menschen kann grundsätzlich nur in dem Augenblick befriedigt werden, in dem er zusteht. Damit ist ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache der Ast nicht zumutbar.

Aus demselben Grund ist die Vorwegnahme der Hauptsache zulässig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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