L 3 AS 1740/07 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AS 1933/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AS 1740/07 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Allein der Umstand, dass sich bei der in § 7 Abs. 3 Nr. 3 lit. c i. V. m. Abs. 3a SGB II vorgesehenen Prüfung ein Wille der Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft ergibt, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, lässt - jedenfalls - nicht ausnahmslos den Schluss zu, dass dieser Wille auch die Kinder des Partners umfasst.
2. Im Falle einer zwingenden Anrechnung von Einkommen und Vermögen des Partners des Elternteils lässt sich daher nicht mit der nötigen Sicherheit ausschließen, dass einem Kind ausreichende Leistungen zur Sicherung seines Existenzminimums weder vom Partner des Elternteils noch von Seiten des Leistungsträgers gewährt werden.
3. Zur Sicherstellung der grundgesetzlichen Gewährleistung des materiellen Existenzminimums ist es daher im Wege verfassungskonformer Auslegung des § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II erforderlich, vor einer Einkommens- und Vermögensanrechnung jedenfalls die in § 7 Abs. 3 Nr. 3 lit. c i. V. m. Abs. 3a SGB II vorgesehene Prüfung (auch) im Verhältnis zwischen dem Partner des Elternteils und jedem einzelnen Kind gesondert durchzuführen.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat den Antragstellern die außergerichtlichen Kosten auch des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig, jedoch nicht begründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Sozialgericht die Antragsgegnerin mit Beschluss vom 20.03.2007 im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, den Antragstellern näher bezifferte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 12.03. bis zum 30.06.2007 zu gewähren.

Nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1; sog. Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2; sog. Regelungsanordnung).

Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist dabei nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 ZPO sowohl für die Sicherungsanordnung als auch für die Regelungsanordnung, dass der Antragsteller die Gefährdung eines eigenen Individualinteresses (Anordnungsgrund) und das Bestehen eines Rechts (Anordnungsanspruch) glaubhaft macht. Außerdem darf eine stattgebende Entscheidung die Hauptsache grundsätzlich nicht - auch nicht zeitlich befristet - vorwegnehmen, es sei denn, dass dies zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes unerlässlich ist.

In Anwendung dieser Grundsätze sind die Voraussetzungen für den Erlass einer Regelungsanordnung erfüllt. Denn den Antragstellern steht mit einer für die erstrebte teilweise Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen Wahrscheinlichkeit sowohl ein Anordnungsgrund als auch ein Anordnungsanspruch zur Seite.

Zum einen droht den Antragstellern angesichts der ihnen nicht (mehr) zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel aus der im Oktober 2006 erfolgten Steuerrückerstattung und des nach ihren glaubhaften Angaben bereits überzogenen Kontokorrentkreditlimits des Antragstellers Ziff. 2 eine Unterschreitung des verfassungsrechtlich gewährleisteten materiellen Existenzminimums. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern (BVerfG, 1. Senat 3. Kammer, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -, NVwZ 2005, 927 ff. = Breith. 2005, 803 ff. = info also 2005, 166 ff.).

Zum anderen ist auch das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs der Antragsteller hinreichend glaubhaft gemacht.

Anders als die Antragsgegnerin meint, scheidet zunächst eine Anrechnung der oben genannten Steuerrückerstattung als Einkommen des Antragstellers Ziff. 2 bereits deshalb aus, weil der in Rede stehende Betrag i. H. v. EUR 1.430,10 nicht nur im Oktober 2006 und mithin mehr als zwei Monate vor Beginn des Bewilligungszeitraums (vom 01.01. bis zum 30.06.2007) ausbezahlt, sondern nach den glaubhaften Angaben der Antragsteller - zur Tilgung fälliger Schulden - zugleich auch verbraucht worden ist. Demgemäß standen den Antragstellern diese Geldmittel während des Bewilligungszeitraums und insbesondere dem hier streitigen Zeitraum ab dem 12.03.2007 nicht mehr zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts - bedarfsmindernd - zur Verfügung.

Darüber hinaus teilt der Senat die vom Sozialgericht dargelegten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine zwingende Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen des in Bedarfsgemeinschaft mit einem Elternteil lebenden Partners bei der Berechnung des Hilfebedarfs der in derselben Bedarfsgemeinschaft lebenden unverheirateten Kinder nach der seit dem 01.08.2006 geltenden Regelung des § 9 Abs. 2 Satz 2 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (- SGB II - i. d. F. des Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes 20.7.2006, BGBl. I 1706). Eine solche zwingende Anrechnung von Einkommen und Vermögen des nicht mit den Kindern verwandten oder verschwägerten Partners des Elternteils im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 lit. c i. V. m. Abs. 3a SGB II dürfte nämlich in Ansehung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Einkommens- und Vermögensanrechnung zwischen den - eigentlichen - Partnern einer eheähnlichen Gemeinschaft im Rahmen der Arbeitslosenhilfe (vgl. hierzu Urteil vom 17.11.1992 - 1 BvL 8/87 -, BVerfGE 87, 234 ff. = SozR 3-4100 § 137 Nr. 3 = info also 1992, 173 ff. = NJW 1993, 643 ff.) zu einer Verletzung der bereits oben angeführten grundgesetzlichen Gewährleistung des materiellen Existenzminimums der Kinder führen. Denn allein der Umstand, dass sich bei der in § 7 Abs. 3 Nr. 3 lit. a i. V. m. Abs. 3a SGB II vorgesehenen Prüfung ein Wille der Partner ergibt, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, lässt - jedenfalls - nicht ausnahmslos den Schluss zu, dass dieser Wille auch die Kinder des Partners umfasst. Demgemäß lässt sich im Falle einer zwingenden Anrechnung von Einkommen und Vermögen des Partners des Elternteils auch nicht mit der nötigen Sicherheit ausschließen, dass einem Kind ausreichende Leistungen zur Sicherung seines Existenzminimums weder vom Partner des Elternteils noch von Seiten des Leistungsträgers gewährt werden. Zur Sicherstellung der in Rede stehenden grundgesetzlichen Gewährleistung ist es mithin im Wege verfassungskonformer Auslegung des § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II erforderlich, vor einer Einkommens- und Vermögensanrechnung jedenfalls die in § 7 Abs. 3 Nr. 3 lit. c i. V. m. Abs. 3a SGB II vorgesehene Prüfung (auch) im Verhältnis zwischen dem Partner des Elternteils und jedem einzelnen Kind gesondert durchzuführen.

Diese Prüfung ergibt vorliegend mit für das Eilverfahren hinreichender Sicherheit, dass entgegen der gesetzlichen Vermutung des § 7 Abs. 3a SGB II ein Wille des Antragstellers Ziff. 2, für die Antragsteller 3 bis 5 auch finanziell einzustehen, nicht (mehr) besteht. Denn die Antragsteller haben ausreichend dargetan und glaubhaft gemacht, dass das Nettoeinkommen des Antragstellers Ziff. 2 i. H. v. monatlich EUR 1.441,07 angesichts seiner insoweit nicht nach den Bedarfsermittlungsgrundsätzen des SGB II zu beurteilenden persönlichen Bedürfnisse - insbesondere mit Blick auf seine Kreditverpflichtung i. H. v. EUR 188,00 im Monat (aus einem im Jahre 2005 aufgenommenen Kredit mit einem Gesamtumfang von EUR 15.776,15) und sein am 08.03.2007 trotz gerade gutgeschriebenen Eingangs seines Monatseinkommens mit EUR 3.557,25 im Soll befindliches Girokonto (bei einer Kreditlinie von EUR 3.700,00) - lediglich ausreicht, um neben seinen eigenen Lebenshaltungskosten auch den Bedarf der Antragstellerin Ziff. 1 zu decken.

Ist das Einkommen und Vermögen des Antragstellers Ziff. 2 nach alledem voraussichtlich nicht bei der Klärung der Bedürftigkeit der Antragsteller 3 bis 5 zu berücksichtigen, so sind den Antragstellern vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in der vom Sozialgericht errechneten Höhe zu gewähren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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