L 8 AS 1503/07 ER

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 13 AS 2372/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 AS 1503/07 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Eine Grundurteil iSd § 130 Satz 1 iVm § 54 Abs. 4 SGG kann nach § 201 SGG vollstreckt werden.
Der Antrag des Beklagten, die Vollstreckung aus dem Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 28.11.2006 - Az. S 13 AS 2372/06 - bis zur Erledigung des Rechtsstreits in der Berufungsinstanz auszusetzen (§ 199 Abs. 2 Satz 1 SGG), wird abgelehnt.

Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte (§ 193 SGG).

Gründe:

Der Antrag des Beklagten/Beschwerdeführers, den Vollzug der Entscheidung des SG einstweilen auszusetzen, ist zulässig, aber unbegründet.

Da die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG vom 28.11.2006 keine aufschiebende Wirkung hat (§ 154 Abs. 1 SGG iVm § 86a Abs. 1 SGG), kann der Vorsitzende des Gerichts, das über die Berufung zu entscheiden hat, die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung aussetzen (§ 199 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Anordnung der Vollstreckungsaussetzung ist eine Ermessensentscheidung (Ruppelt in Hennig SGG § 199 Rn 20; aA BSG SozR 3-1500 § 199 Nr. 1). Bei der Entscheidung sind alle Umstände des Falles zu berücksichtigen und die Belange des durch die Entscheidung Begünstigten gegen das öffentliche Interesse, eine offensichtliche Fehlentscheidung nicht zu vollstrecken, gegeneinander abzuwägen (Ruppelt aaO mwN). Sind die Erfolgssaussichten des Rechtsmittels - hier der Berufung - nicht überschaubar, kommt es auf die Abwägung der betroffenen Interessen unter Berücksichtigung ihrer Bedeutung und Dringlichkeit sowie der Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer etwaigen späteren Rückgängigmachung des Ausspruchs an (Ruppelt aaO; BSG 26.11.1999 - USK 91155; Zeihe NZS 1994, 505). Dazu gehört auch die Aussicht des Leistungsträgers, bei Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die inzwischen gewährten Entscheidungen zurückzuerhalten (Ruppelt aaO; zum Ganzen vgl. Beschluss des Senats vom 26.01.2006 - L 8 AS 403/06/ER -).

Mit Urteil vom 28.11.2006 hat das SG den Beklagten unter Aufhebung des die Gewährung von Leistungen ablehnenden Bescheides verurteilt, dem Kläger ab dem 10.01.2006 bis zum 30.06.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II dem Grunde nach zu gewähren. Bei diesem Urteil handelt es sich nach Ansicht des Senats um ein Grundurteil iSd § 130 Satz 1 iVm § 54 Abs. 4 SGG, das nach § 201 SGG vollstreckt werden kann, obwohl die Beklagte nicht zur Zahlung eines bestimmten Geldbetrages verurteilt worden ist. Dieses Grundurteil ist aber hinsichtlich des Erlasses eines ausführenden Verwaltungsakts vollstreckbar (Ruppelt aaO § 199 Rn 5 und § 201 Rn 5).

Bei der hier vorzunehmenden Abwägung ist zunächst zu berücksichtigen, dass offen ist, ob die Berufung des Beklagten Erfolg hat. Es ist eher davon auszugehen, dass die Berufung nicht begründet ist.

Erwerbsfähige Hilfebedürftige erhalten als Arbeitslosengeld II u.a. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 19 Satz 1 Nr. 1 SGB II in der bis zum 31.07.2006 geltenden Fassung - aF -). Leistungen für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II aF). Soweit die Aufwendungen für Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf des allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft so lange zu berücksichtigen, wie es dem allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate (§ 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II aF). Zuständig für die Erbringung dieser Leistungen ist der beklagte Landkreis der nach § 6a Abs. 2 SGB II iVm der Anlage zur Kommunalträger-Zulassungsverordnung vom 24.09.2004 (BGBl I S. 2349) als kommunaler Träger für die Leistungen nach § 6 Abs. Satz 1 Nr. 1 SGB II (Regelleistung nach § 20 SGB II) zugelassen worden ist. Für die Gewährung von Leistungen für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II) besteht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II eine Zuständigkeit des Beklagten kraft Gesetzes.

Im vorliegenden Fall stellt sich der unstreitige monatliche Mindestbedarf für den Kläger im allein streitbefangenen Zeitraum vom 10.01.2006 bis 30.06.2006 wie folgt dar:

Regelleistung 345,00 EUR Müllgebühren 5,33 EUR Kaminfeger 11,46 EUR Grundsteuer 5,14 EUR Gebäudeversicherung 13,10 EUR Heizkosten 36,75 EUR Wasserverbrauch 9,87 EUR Summe 426,65 EUR

Diesem Bedarf steht nach insoweit übereinstimmender Ansicht des Klägers (siehe Klageschrift vom 15.05.2006) und des Beklagten ein monatliches Einkommen des Klägers in Höhe von mindestens 501,28 EUR gegenüber.

Da bei diesem Sachverhalt das Einkommen des Klägers seinen Bedarf übersteigt, hatte der Beklagte die Gewährung von Leistungen abgelehnt. Demgegenüber vertritt das SG die Ansicht, dass sich der Bedarf des Klägers im vorliegenden Fall um den befristeten Zuschlag nach § 24 SGB II erhöhe. Der Kläger habe für die Zeit vom 27.08.2005 bis zum 09.10.2005 Arbeitslosengeld von der Agentur für Arbeit Offenburg erhalten. Der Zuschlag nach § 24 SGB II könne, ohne dass zunächst ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II bestehen müsste, den Anspruch auf diese Leistung begründen. Der Kläger wiederum bringt vor, auch die monatliche Zins- und Tilgungsbelastung für den Einbau einer Heizung müssten bedarfserhöhend berücksichtigt werden.

Im vorliegenden Fall besteht ungeachtet der zunächst im Vordergrund stehenden Rechtsfrage im Zusammenhang mit der Gewährung eines Zuschlags nach § 24 SGB II mit großer Wahrscheinlichkeit aus anderen Gründen ein Anspruch des Klägers auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende, so dass die Berufung des Beklagten unbegründet wäre.

Die Aussage, dass Tilgungsleistungen für ein Darlehen keine Kosten der Unterkunft sind, sondern der Vermögensbildung dienen, ist in dieser Allgemeinheit unzutreffend. Zwar ist auch der erkennende Senat der Ansicht, dass Tilgungen für ein Darlehen der Vermögensbildung dienen, allerdings nur, wenn es sich dabei um die Rückzahlung eines Darlehens für den Erwerb von Grundeigentum handelt. Im hier zu beurteilenden Fall ist das Darlehen aber (wohl) für die Sanierung der Heizungsanlage aufgenommen worden. Sollte es sich dabei nicht um eine reine Modernisierungsaktion handeln, die nur dazu dient, den Wert des Hauses zu steigern, sondern um eine Maßnahme der Instandhaltung, müsste davon ausgegangen werden, dass auch die Tilgungsbeträge zum Bedarf des Klägers dazuzurechnen sind. Denn zu den Kosten der Heizung gehören auch Reparatur- und Instandhaltungskosten, die zum Erhalt der Funktionsfähigkeit einer Heizung erforderlich sind. Dies gilt erst recht für die Zinsen, die nach der Rechtsprechung selbst bei einem Darlehen, das für den Erwerb eines Hauses aufgenommen worden ist, zum Bedarf rechnen.

Auch bei der Berücksichtigung der Kosten für die Brennstoffe (Öl, Gas) dürfte von den tatsächlichen Kosten auszugehen sein. Es ist nicht erkennbar, dass dies hier in ausreichendem Maße geschehen ist.

Ferner wird der Beklagte verpflichtet sein, das konkrete monatliche Einkommen des Klägers unter Berücksichtigung der Alg II-V vom 20.20.2004 der Bedarfsermittlung zugrunde zu legen und nicht von irgendwelchen Durchschnittswerten auszugehen.

Bei dieser Sachlage kommt den Belangen des Klägers am Vollzug der Entscheidung des SG ein deutliches Übergewicht zu gegenüber dem Interesse des Beklagten, das Risiko einer Überzahlung möglichst zu vermeiden. Die Abwägung der betroffenen Interessen rechtfertigt es deshalb im vorliegenden Fall, die Aussetzung der Vollstreckung abzulehnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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