L 19 B 46/07 AS ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 8 AS 32/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 B 46/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 14.03.2007 geändert. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller ab 01.03.2007 monatlich laufende Leistungen zur Sicherung seines Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von 338,00 EUR bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides, längstens für die Dauer von sechs Monaten, vorläufig zu zahlen. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen.

Gründe:

Der Antragsteller bezog bis zum 23.02.2007 Arbeitslosengeld, das ihm zuletzt am 28.02.2007 ausgezahlt worden ist. Seinen Antrag auf Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) vom 05.02.2007 lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 28.02.2007 ab. Hilfsbedürftigkeit im Sinne des SGB II sei nicht nachgewiesen. Da der Antragsteller und Frau O T bereits seit mehreren Jahren zusammen lebten, werde vermutet, dass sie in einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft lebten. Der Antragsteller habe zwar erklärt, dass dies nicht zutreffe. Nachweise dafür, warum die gesetzliche Vermutung des § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II in der ab 01.08.2006 gültigen Fassung in seinem Falle nicht greife, habe er nicht vorgelegt. Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller nach der Auskunft der Vertreterin der Antragsgegnerin im Erörterungstermin des Senats rechtzeitig Widerspruch eingelegt.

Den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 27.02.2007 hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 14.03.2007 abgelehnt. Ein Anordnungsgrund sei nicht glaubhaft gemacht. Das Sozialgericht habe den Antragsteller mit Schreiben vom 06.03.2007 aufgefordert, zur Aufklärung des Sachverhalts einen beigefügten Fragenkatalog zu beantworten. Dies habe der Antragsteller in der ihm gesetzten Erledigungsfrist bis zum 12.03.2007 12.00 Uhr nicht getan.

Gegen den ihm am 16.03.2007 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 27.03.2007 Beschwerde eingelegt. Er hat auf seine zwischenzeitlich am 19.03.2007 vorgelegte Beantwortung des Fragenkatalogs des Sozialgerichts und die beigefügten Unterlagen Bezug genommen.

Die Antragsgegnerin hat in Auswertung des Berichts ihres Außendienstes über einen am 26.04.2007 durchgeführten Hausbesuch weiterhin die Auffassung vertreten, dass die Vermutungsregel des § 7 Abs. 3 SGB II vorliegend nicht widerlegt sei. Nach Auskunft des Ermittlungsdienstes seien die Wohnbereiche nicht getrennt und es werde gemeinsam eingekauft.

Die Berichterstatterin des Senats hat am 18.05.2007 in einem Erörterungstermin den Antragsteller angehört und Frau O T als Zeugin vernommen. Wegen des Inhalts der Aussagen wird auf das Protokoll der Nichtöffentlichen Sitzung vom 18.05.2007 verwiesen.

Die zulässige Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat, ist begründet.

Die Antragsgegnerin ist im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ohne Anrechnung von Einkommen und Vermögen der Frau O T vorläufig zu erbringen.

Nach § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Anordnungsanspruch, d.h. das Bestehen des materiellen Rechts auf ALG II - Leistungen, das ohne vorläufige Regelung gefährdet sein könnte, und Anordnungsgrund, d.h. eine besondere Eilbedürftigkeit hinsichtlich der Durchsetzung des Begehrens, sind nach § 86b Abs. 2 S. 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen. Zur Überzeugung des Senats sind beide vorstehend genannte Voraussetzungen vorliegend erfüllt. Der Antragsteller gehört zum Kreis der Berechtigten des § 7 SGB II. Mit Ausnahme der hier streitigen Voraussetzung der Bedürftigkeit wird dies von der Antragsgegnerin auch nicht in Frage gestellt. Das von dem Antragsteller erzielte Erwerbseinkommen aus seinem Minijob erreicht nicht die Höhe der ihm zustehenden Leistungen nach dem SGB II. Der Hilfebedürftigkeit des Antragstellers steht auch nicht das Einkommen und Vermögen der Frau O T entgegen.

Aufgrund der glaubhaft gemachten Tatsachen ist der Senat zu der Auffassung gelangt, dass der Antragsteller nicht mit Frau T in eheähnlicher Gemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3b SGB II lebt. Nach der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme ist nicht von einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3c in Verbindung mit Abs. 3a SGB II in der ab dem 01.09.2006 geltenden Fassung (durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.07.2006 - BGBl. I, 1706) auszugehen.

Eine eheähnliche Gemeinschaft ist allein die Lebensgemeinschaft eines Mannes und einer Frau, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehungen in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen (Bundesverfassungsgericht vom 17.11.1992 - 1 BvL 8/87 - BVerfG 87, 234 - 269 zum Recht der Arbeitslosenhilfe nach den §§ 137 Abs. 2a, 138 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 Nr. 9 AFG; BVerfG vom 02.09.2004 - 1 BvR 1962/04 - info also 2004, 260-261 zum Recht der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II in der Fassung des kommunalen Optionsgesetzes vom 30.07.2004 - BGBl. I, 2014). Der Antragsgegnerin ist zuzugeben, dass der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 7 Abs. 3a Kriterien aufgestellt hat, wann ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, vermutet wird. Vorliegend kann dahingestellt bleiben, ob der Gesetzgeber mit dieser Aufzählung die Gesamtheit der Hinweistatsachen, die das Bundesverfassungsgericht für die eheähnliche Gemeinschaft aufgestellt hat, einengt (Brühl, Schoch in LPK - SGB II, 2. Auflage 2007, § 7 Randziffer 69 m.w.N.). Denn nach bisherigem Sachstand sind die vorgenannten Indizien hier nicht festzustellen. Insbeson-dere sind der Antragsteller und Frau T nicht befugt, über Einkommen und Vermögen des Anderen zu verfügen. Nach beider glaubhafter Erklärungen haben sie getrennte Konten und keine Vollmacht über das Konto des Anderen zu verfügen. Die Gestaltung ihrer Situation ist durch eine weitgehend durchgehaltene Trennung der Wohnung und eine seit Bezug dieser Wohnung beibehaltene hälftige Tragung der Fixkosten gekennzeichnet. Die Lebensbereiche sind durch das Vorhandensein von zwei Wohnebenen und die im Erörterungstermin dargelegte Benutzung ausreichend abgegrenzt. Der Senat misst in diesem Zusammenhang dem Umstand besondere Bedeutung bei, dass auch in dem Mietvertrag als Mieter die "Wohngemeinschaft" T und M angeführt ist. Gegenüber der Wohnungsvermietungsgesellschaft sind sie somit nicht als "Paar" aufgetreten. Gegen ein eheähnliches Zusammenleben spricht ferner das Fehlen einer gemeinsamen Lebensgestaltung. Als besonders aussagekräftiges Indiz wertet der Senat in diesem Zusammenhang die glaubhaft gemachte Tatsache, dass kein gemeinsamer Urlaub stattgefunden hat. Dass die kapitalbildende Lebensversicherung in Höhe von 6050,00 EUR im Falle des Ablebens des Antragstellers an Frau T auszuzahlen gewesen wäre, hat der Antragsteller mit dem Umstand erklärt, dass er außer Frau T und seiner Mutter, die hierzu nicht mehr in der Lage wäre, niemanden kennen würde, der sich um seine Beerdigung kümmern könnte. Frau T hat sich nach ihrer Aussage dazu bereit erklärt, um dem Antragsteller ein "Sozialbegräbnis" zu ersparen.

Bei der vorzunehmenden Gesamtschau aller zu wertenden Tatsachen ist nach verständiger Würdigung ein wechselseitiger Wille des Antragstellers und Frau T, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, nicht festzustellen.

Der Anordnungsgrund ergibt sich aus dem glaubhaften Vorbringen des Antragstellers, sein Konto sei bis zur Erschöpfung des Überziehungskredites überzogen und er verfüge über keine weiteren Mittel außer den Einkünften aus seinem Minijob. Das hieraus erzielte Erwerbseinkommen von 400,- EUR rechnet der Senat unter Abzug der Pauschale von 100,- EUR (§ 11 Abs. 2 S. 2 SGB II) in Höhe von 300,- EUR auf den überschlägig berechneten Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung in Höhe von 638,00 EUR an. Hinsichtlich des Leistungsanspruchs ist dabei der Regelsatz von 345,00 EUR und ein hälftiger Mietanteil in Höhe von 293,00 EUR in Ansatz gebracht. Ausgegangen ist dabei von einer Grundmiete von 468,80 EUR + Betriebskosten von 73,00 EUR + berücksichtigungsfähiger Anteil der Heizungskosten von 44,28 EUR (54,00 EUR abzüglich eines Anteils von 18% = 9,72 EUR für Warmwasser, der im Regelsatz bereits enthalten ist), insgesamt also einer Mietbelastung von 568,08 EUR.

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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