L 16 (5,2) KR 70/00

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 19 KR 197/98
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 (5,2) KR 70/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 11/07 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Auf Revision d.Bekl. Urteil des LSG geändert und das Urteil des SG Köln zurückgewiesen.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 08. November 1999 geändert. Die Beklagten werden unter Aufhebung des Bescheides vom 15.09.1998 verurteilt, das Produkt "Safehip®", bezogen auf die von der Beklagten bislang geprüften Unterprodukte "Safehip Kompakt" und "Safehip Top" in das Hilfsmittelverzeichnis der Spitzenverbände der Krankenkassen aufzunehmen. Die Beklagten tragen die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Instanzen gesamtschuldnerisch. Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagten Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verpflichtet sind, die von der Klägerin unter dem Namen "Safehip®" vertriebenen Hüftprotectoren in das Hilfsmittel- (HM-) Verzeichnis aufzunehmen.

"Safehip®" ist ein mit einer CE-Kennzeichnung versehender Hüftprotector eines dänischen Herstellers. Er besteht aus zwei anatomisch geformten Schalen, die in eine sie fixierende Hose so eingenäht sind, dass die Schalen rechts und links unterhalb des Hüftknochens liegen und den Oberschenkelknochen überdecken. Bestanden die Protectoren, zum Beispiel bei den streitgegenständlichen Unterprodukten "Safehip Kompakt" und "Safehip Top", zunächst aus Hartschaum, so sind im Laufe der Zeit hufeisenförmige Weichschaumprotectoren, beispielsweise getragen in gesondert auswechselbaren Hosen oder in Gürtelform, entwickelt worden. Bei einem Sturz soll die Aufprallenergie vom Trochanter (Rollhügel am Oberschenkelknochen) auf das umliegende Weichteilgewebe abgelenkt und so ein Bruch des Oberschenkelknochens vermieden werden. Zielgruppe sind Patienten, die an manifester Osteoporose leiden, bei denen ein erhöhtes Sturzrisiko besteht oder die bereits eine Oberschenkelhalsfraktur erlitten haben.

Zunächst wurde "Safehip®" durch die Fa. U & Co mbH, I, vertrieben. Mit Bescheiden vom 04.07.1996 und 20.01.1997 lehnten die Beklagten durch die Beklagte zu 3) eine Aufnahme in das HM-Verzeichnis ab. Zur Begründung führten sie aus, es falle in die Eigenverantwortung der betroffenen Versicherten, sich vor weiteren Brüchen zu schützen; eine Leistungsverpflichtung der GKV sei nicht gegeben. Im Übrigen könne der Schutz vor schwerwiegenden Folgen eines Sturzes bei dem oben genannten Personenkreis auch durch wirtschaftlichere Maßnahmen, z. B. durch Einlegen eines handelsüblichen Schaumgummipolsters, erreicht werden. Der Einsatz von Hüftprotectoren stelle keine gezielte Krankenbehandlung dar; denn die Produkte nähmen nicht aktiv auf Funktionsdefizite Einfluss. Auch werde bei Verwendung von Hüftprotectoren keine Behinderung ausgeglichen. Ein therapeutischer Nutzen sei nicht erkennbar.

Mit Wirkung vom 01.10.1997 übertrug die Fa. U & Co mbH die Rechte an dem "Safehip®" auf die Klägerin, die die Produkte in Deutschland und Österreich vertreibt. Mit Schreiben vom 01.12.1997 suchte die Klägerin um Aufnahme des Produktes in das HM-Verzeichnis nach. Sie vertrat die Ansicht, "Safehip®" diene als sog. Kombinationsbehandlung sowohl dem Einsatz zum Zwecke der Krankenbehandlung bei Osteoporose als auch dem Behinderungsausgleich bei einer als Funktionsdefizit bestehenden erhöhten Frakturneigung. Eine bloße Auspolsterung mit Schaumgummipolster sei kein ausreichend erprobtes und damit nicht hinreichend effektives Mittel. Mit Bescheid vom 15.09.1998 lehnten die Beklagten den Antrag wiederum ab. "Safehip®" sei kein HM der gesetzlichen Krankenversicherung und diene nicht dem Ausgleich einer Behinderung. Da dies jedoch eine gesetzliche Voraussetzung für die HM-Eigenschaft sei, habe keine Notwendigkeit bestanden, den therapeutischen Nutzen zu prüfen.

Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin am 30.11.1998 Klage zum Sozialgericht (SG) Köln erhoben und u. a. unter Hinweis auf ein Gutachten von Prof. Dr. N vom 15.11.1995 und Untersuchungsergebnisse von Runge/Schacht vom 24.07.1996 zur Begründung vorgetragen, "Safehip®" diene u. a. der Sicherung des Erfolges der Osteoporosebehandlung und sei ein geeignetes Therapeutikum zur Behandlung des sog. Sturzsyndroms, einer eigenständigen Erkrankung. Neben einem kausalen Beitrag zur Krankenbehandlung sei "Safehip®" auch die Zweckrichtung des Behinderungsausgleichs zu eigen. Bei Versicherten mit einer erheblichen Frakturgefahr ermögliche "Safehip®" deren Teilnahme am normalen gesellschaftlichen Leben, da die Frakturgefahr durch die Protectoren "beherrschbar" werde. Dem stehe nicht entgegen, dass nicht aktiv Einfluss auf Funktionsdefizite genommen werde, da dies nicht zu den Wesensmerkmalen des HM-Begriffs gehöre. Funktionstauglichkeit, Qualität und Wirtschaftlichkeit von "Safehip®" seien zudem nachgewiesen.

Mit Urteil vom 08.11.1999 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klage sei im Wesentlichen zulässig, aber nicht begründet. Zweck des HM-Verzeichnisses sei es, dass ein HM ohne technische und wirtschaftliche Prüfung von den Kassen geleistet werden könne, wenn bei entsprechender Indikation eine Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen sei. Dies läge bei der von der Klägerin angeführten Diagnosen einer Osteoporose oder einer Angststörung bzw. eines Sturzsyndroms nicht vor. Zwar könne "Safehip®" durchaus eine HM-Eigenschaft zukommen, der Indikationsbereich bei den genannten Diagnosen sei jedoch zu unscharf. "Safehip®" diene auch nicht einem möglichen Behinderungsausgleich. Er schütze erst im Falle eines Sturzes, beeinflusse aber die eigentliche Sturzgefährdung nicht. Da ein Oberschenkelhalsbruch bei Frakturgefährdeten nicht das einzige Verletzungsrisiko sei, bleibe für den betroffenen Personenkreis stets eine Unsicherheit.

Gegen das ihr am 10.03.2000 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 03.04.2000 Berufung eingelegt. Unter Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens hat sie ergänzend vorgetragen, die Versorgung mit Hüftprotectoren sei entgegen den Ausführungen des SG für sturzgefährdete Versicherte ein integraler Bestandteil eines ärztlichen therapeutischen Gesamtkonzeptes. So sehe u. a. die Richtlinie der "Deutschen Arbeitsgemeinschaft gegen Osteoporose" unter der Überschrift der "Nicht medikamentöse Therapie" den Einsatz von Hüftprotectoren ausdrücklich vor. Die Wirksamkeit sei durch internationale Studien belegt. Dagegen spreche nicht, dass ein Hüftprotector selbst nicht unmittelbar auf das Funktionsdefizit Einfluss nehme. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG; Sozialrecht -SozR- 3-2500 § 27 Nr. 12) reiche es aus, wenn das HM einer weiteren Verschlimmerung einer Krankheit vorbeuge. Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten sei eine Gangunsicherheit bzw. ein sog. Sturzsyndrom als eigenständige Krankheit anerkannt. Bei diesen Krankheitsbildern sei die starke Beeinträchtigung der Lebensqualität der Betroffenen wissenschaftlich belegt. Häufig bestehe die Versorgung dieser Patienten lediglich in einer Fixierung zu ihrem eigenen Schutz, was durch das Tragen eines Hüftprotectors umgangen werden könne. Zivilrechtlich sei zwischenzeitlich anerkannt, dass die fehlende Versorgung mit Hüftprotectoren von Bewohnern von Pflegeheimen Schadensersatzpflichten auslösen könne (Urt. des Oberlandesgerichts -OLG- Dresden, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht -FamRZ- 2005, 1174). "Safehip®" sei nach seinem bio-mechanischen Wirkprinzip speziell für die von einer Hüftfraktur bedrohten Patienten entwickelt worden und der therapeutische Nutzen in einer Vielzahl von klinischen Prüfungen erprobt worden. Mit der CE-Kennzeichnung sei ein HM im Sinne der Produktsicherheit und Zwecktauglichkeit auch im krankenversicherungsrechtlichen Sinne funktionstauglich, ohne dass dies von den Krankenkassen oder Gerichten noch eigenständig zu prüfen wäre; der CE-Kennzeichnung komme insoweit eine Tatbestandswirkung zu (vgl. BSG SozR 4-2500 § 33 Nr. 8).

Die Aufnahme in das HM-Verzeichnis sei nicht indikationsbezogen. HM, die in der Regel Medizinprodukte im Sinne von § 3 Medizinproduktegesetz (MPG) seien, wirkten in Abgrenzung zu Arzneimitteln gerade nicht pharmakologisch, immunbiologisch oder metabolisch (§ 3 Nr. 1 MPG), sondern physikalisch. Es könne insoweit nur um den Personenkreis derjenigen Versicherten gehen, die von der physikalischen Wirkung eines HM s ausreichend profitierten. Die wesentliche Bedeutung des Protectors liege darin, dass er bei hochkomplexen Krankheitsbildern (Demenz, Parkinson’sche Erkrankung, Zustand nach Schlaganfall und Vorliegen entsprechender neurologischer Defizite, Osteoporose) Anwendung finde, bei denen die Betroffenen einer stark erhöhten Sturzgefahr ausgesetzt seien und die Gefahr eines Hüftbruches bestehe. Der Protector unterstütze zudem das Therapieziel einer Erhaltung und Förderung der Mobilität der Patienten und beuge der angstgesteuerten Passivität und dem damit einhergehenden Verlust von Koordinationsfähigkeit und Muskelschwäche, die das Sturzrisiko weiter vergrößerten, vor. Damit diene der Protector den Zielen des § 23 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), aber auch dem Behinderungsausgleich, indem er die Mobilität zur Schaffung eines körperlichen und geistigen Freiraumes unterstütze und zugleich vor freiheitsbeschränkenden Maßnahmen (Bettgitter; Fixieren) schütze. Der Expertenstandard - Sturzprophylaxe in der Pflege - bewerte Hüftprotectoren als sinnvolle, nicht hinweg zu denkende HM, dies auf der Grundlage ausgewerteter wissenschaftlicher Studien und gefördert durch das Bundesministerium für Gesundheit.

Zur weiteren Begründung bezieht sich die Klägerin auf eine Stellungnahme des Chefarztes der Klinik für Geriatrische Rehabilitation am S-Krankenhaus in T, Dr. C, vom 13.09.2005, der konstatiert, es gebe keinen Biomechaniker, Unfallchirurgen, Geriater oder Endokrinologen, der anzweifele, dass Hüftprotectoren die Wucht des Aufpralls bei Stürzen mindern und damit in vielen Fällen Schenkelhalsfrakturen und Frakturen im Trochanterbereich vermieden werden könnten. In seltener Einmütigkeit hätten dies die nationalen und internationalen Leitlinien der Fachgesellschaften bestätigt. Es handele sich um nicht ersetzbare Therapieoptionen. Die Hamburger Untersuchung von Meyer et al. habe gezeigt, dass es mit einer Beratung der Anwender und einer geeigneten Auswahl der Betroffenen zu einer Tragecompliance von mehr als 60 % komme. Bezüglich der inzwischen hauptsächlich vertriebenen Weichschaumprotectoren sei sogar eine noch deutlich erhöhte Compliance der betroffenen Patienten zu verzeichnen.

Der Auffassung des gerichtlich bestellten Sachverständigen schließt sich die Klägerin in vollem Umfang an.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagten unter Änderung des Urteils des Sozialgerichts Köln vom 08.11.1999 sowie unter Aufhebung des Bescheides vom 15.09.1998 zu verurteilen, das Produkt "Safehip®", bezogen auf die von den Beklagten bislang geprüften Produkte "Safehip Kompakt" und "Safehip Top", in das HM-Verzeichnis der Spitzenverbände der Krankenkassen aufzunehmen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Unter Vorlage von Gutachten des "Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkassen" (MDS) vom 15.07.2003, 02.03.2004, 06.10.2004 und 18.02.2005 sind sie der Auffassung, die Funktion der Hüftprotectoren in Bezug auf die Verhinderung von Schenkelhalsbrüchen sei begrenzt, da wissenschaftlich belegt sei, dass diese von dem betreffenden Personenkreis nicht ständig getragen würden (mangelnde Compliance, ungenügende Akzeptanz). Derartige Hüftprotectoren dienten auch nicht der Krankenbehandlung; denn sie stellten keine gezielte ärztlich durchgeführte oder veranlasste Intervention dar, die den Gesundheitszustand der Betroffenen therapeutisch beeinflusse. Derartige Protektoren dienten auch nicht dem Behinderungsausgleich, da Fähigkeitsstörungen (Beeinträchtigungen der Aktivitäten), wie das Gehen und Stehen, nicht beeinflusst würden. Vielmehr dienten die Protectoren ausschließlich der Vermeidung von Unfallfolgen. Auch diese Schutzfunktion von Hüftprotectoren sei jedoch wissenschaftlich nicht hinreichend belegt. Ebenso fehle ein Nachweis zur Qualität und Wirtschaftlichkeit von "Safehip®". Das Gutachten des zweitinstanzlich beauftragten Sachverständigen sei in sich widersprüchlich. Auch nach dessen eigenen Angaben liege - wie vom MDS bestätigt - keine wissenschaftlich begründbare Studiensituation vor, nach der der therapeutische Nutzen von Hüftprotectoren nachgewiesen wäre. Insbesondere fehlten wissenschaftlich begründete Aussagen zu den Terminanten der Compliance und zu der Frage, in wie vielen Fällen von Hüftfrakturen ein Hüftprotector tatsächlich getragen worden sei. Dennoch beantworte der Sachverständige die gestellten Beweisfragen positiv.

Der beigeladene Bundesausschuss schließt sich hinsichtlich der - aus seiner Sicht fehlenden - HM-Eigenschaft der Rechtsauffassung der Beklagten an. Das Produkt "Safehip®" sei nicht geeignet, den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern. Dies gelte selbst dann, wenn dem "Sturzsyndrom" eigenständiger Krankheitswert beizumessen sei; denn "Safehip®" könne weder Stürze vermeiden noch Verletzungen infolge von Stürzen verhindern, allenfalls Hüftfrakturen. Ebenso wenig sei "Safehip®" in der Lage, Behinderungen auszugleichen. Die Angst vor einer Hüftfraktur stelle keine eigenständige Behinderung dar, zumindest fehle es an der Erheblichkeit der Abweichung von der Norm. Im Hinblick auf die in den wissenschaftlichen Untersuchungen festgestellte weit verbreitete Non-Compliance der Patienten sei das Produkt auch nicht zum Behinderungsausgleich geeignet. Aber auch bei Bejahung des HM-Begriffs liege kein Nachweis des therapeutischen Nutzens im Sinne von § 139 Abs. 2 S. 1 SGB V vor, der auch im Hinblick auf die CE-Kennzeichnung nicht entbehrlich sei. Bei Aufnahme in das HM-Verzeichnis sei gerade die auch von dem Sachverständigen nicht befürwortete Streuversorgung zu befürchten.

Im Übrigen zweifelt der Beigeladene im Hinblick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts -BVerfG- (SozR 3-2500 § 35 Nr. 2) die Zulässigkeit der Klage an und rügt seine Beiladung. Eine Rechtskrafterstreckung auf ihn sei nur sinnvoll, wenn dem HM-Einsatz eine noch nicht zugelassene oder bereits ausgeschlossene Behandlungsmethode zugrunde liege. Dies sei nur bei HM n mit therapeutischer Funktion der Fall, nicht aber bei solchen, die zum Ausgleich oder zur Vorbeugung einer Behinderung eingesetzt werden sollten.

Der Senat hat zur weiteren Aufklärung der Sachlage ein fachinternistisch-geriatrisches und rehabilitativ-medizinisches Gutachten von M M, Chefarzt der Klinik für Geriatrie der Westfälischen X-Universität N eingeholt. In seinem Gutachten vom 05.10.2006 führt der Sachverständige zusammengefasst aus, dass das Sturzsyndrom (Syndrom = Folge unterschiedlicher Ursachen) bzw. die Sturzkrankheit wissenschaftlich hinreichend belegt als eigenständiges Krankheitsbild zu sehen sei mit hieraus entstehender Teilhabestörung, Angst und daraus wiederum folgender Depression als typischer Problematik der Sturzkrankheit. Das Krankheitsbild verursache bereits deutliche Einschränkungen und auch Kosten, Angst, Minderbeweglichkeit, potentielles Pflegerisiko. Mit dem Eintritt von Knochenbrüchen seien finanzielle, aber auch menschliche Auswirkungen (entstehende oder steigende Pflegebedürftigkeit) verbunden. Die häufigsten Knochenbrüche, gerade bei Hochbetagten, seien beckennahe Oberschenkelfrakturen (Hüftfrakturen). Hüftprotectoren könnten, sofern sie getragen werden, entsprechende Knochenbrüche mit hoher Sicherheit vermeiden. Hüftprotectoren dienten darüber hinaus - wissenschaftlich evaluiert - auch dem Behinderungsausgleich. Patienten mit Wissen um ihr Sturzrisiko und entsprechenden Ängsten würden durch Hüftprotectoren selbstbewusster, damit körperlich aktiver und insgesamt mobiler und besser befähigt zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Dies ergebe sich auf der Grundlage der evidenzbasierten Medizin sowie der Expertenmeinung. Soweit die Beklagten über den MDS auf negative Gutachten verwiesen, seien die Fragestellungen der wissenschaftlichen Untersuchungen sehr kritisch zu sehen. Selbstverständlich setze eine HM-Verordnung – bei Hüftprotectoren wie bei jedem anderen HM – eine intensive Abwägung zwischen Nutzen und Kosten auf patientenindividueller Ebene seitens des verordnenden Arztes voraus. Darüber hinaus sei eine intensive, die Compliance fördernde Einweisung und Beratung des Patienten und seines Umfeldes erforderlich, eingebunden in ein multifaktorielles Sturzreduktionskonzept. Eine flächendeckende "Streuversorgung" mit Hüftprotectoren aufgrund von Wohnbedingungen (Pflegeheim) oder Diagnosen (früherer Sturz) sei abzulehnen.

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 09.03.2007 hat der Sachverständige ergänzend ausgeführt, die Studien-Designs seien weitgehend nicht geeignet, die Fragestellung der Wirkung des Hüftprotectors zur Vermeidung von Hüftfrakturen nach einem Sturz sinnvoll zu beantworten. Die tatsächlich beurteilte "Wirksamkeit" werde durch immer individuell zu beeinflussende Compliance in den Studien verfälscht, da keine Individualbetrachtung erfolge. In den Studien belegt sei, dass bei Patienten, die zum Zeitpunkt des Sturzes einen Hüftprotector getragen hätten, keine Hüftfrakturen aufgetreten seien. Die – positive – Wirkung der Hüftprotectoren werde von keiner Seite in Frage gestellt, jedoch seien Studien derzeit nicht der Lage, endgültig zu klären, inwieweit tatsächlich unter Alltagsbedingungen eine Wirksamkeit (beruhend auf dem eingesetzten Modell des Protectors, dem korrekten Anziehen des Protectors und der Compliance) vorhanden sei. Gegebenenfalls eingeschränkte Compliance von Versicherten hätten in der Medizin bisher jedoch noch nie zu einem generellen Verordnungsausschluss geführt. Im Übrigen gebe es kein alternatives HM zu Hüftprotectoren zwecks Vermeidung von Hüftfrakturen in der Sturzsituation.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Sach- und Rechtslage und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der Prozess- sowie der Verwaltungsakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Köln vom 08.11.1999 hat Erfolg.

Zulässigkeitsbedenken gegen die fristgerecht eingelegte Berufung bestehen nicht.

Nach der Entscheidung des BSG vom 31.08.00 (SozR 3 § 139 Nr. 1, siehe auch Urt. vom 28.09.2006, Az.: B 3 KR 28/05 R, www.juris.de, vorgesehen zur Veröffentlichung in SozR 4) bestehen entgegen der nicht näher begründeten Ansicht des Beigeladenen bezüglich der auch in der Berufungsinstanz zu prüfenden Sachurteilsvoraussetzungen keine Bedenken. Die Entscheidung der Spitzenverbände der Krankenkassen nach § 139 SGB V über den Antrag eines HM-Herstellers auf Aufnahme eines neuen medizinischen Produkts in das HM-Verzeichnis (§ 128 SGB V) stellt (unzweifelhaft) einen Verwaltungsakt dar. Über die Entscheidung ist dem Antragsteller ein Bescheid zu erteilen, und zwar unabhängig davon, ob dem Antrag stattgegeben oder ob er abgelehnt wird. Dies hat der Gesetzgeber durch § 139 Abs. 2 S. 5 SGB V in der Fassung des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes (GMG) vom 14. November 2003 (BGBl I 2190) mit Wirkung ab 1. Januar 2004 ausdrücklich normiert, ohne dass damit eine Rechtsänderung verbunden war. Der Gesetzgeber hat lediglich die auch vorher schon bestehende, vom BSG (SozR 3-2500 § 139 Nr. 1) dargestellte Rechtslage bestätigt. Die Beklagten haben den Antrag der Klägerin auf Aufnahme der streitgegenständlichen Produkte in das HM-Verzeichnis durch Verwaltungsakt abgelehnt.

Der Zulässigkeit der Klage steht ferner nicht entgegen, dass das vor Erhebung einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage grundsätzlich erforderliche Vorverfahren (§ 78 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) nicht stattgefunden hat. In Fällen, in denen Spitzenverbände der Krankenkassen einen Verwaltungsakt gemeinsam zu erlassen haben, eine Widerspruchsstelle nicht bestimmt ist und als nächsthöhere Behörde gemäß § 85 Abs. 2 Nr. 1 SGG nur die oberste Bundesbehörde als Aufsichtsbehörde der betroffenen Kassenverbände in Betracht kommt, ist auch der Widerspruchsbescheid von den Spitzenverbänden zu erteilen. Der erstinstanzlich gestellte Antrag auf Abweisung der Klage genügt dann dem Vorverfahrenserfordernis, wenn - wie hier - Klagegegner und Widerspruchsstelle identisch sind (BSG SozR 3-2500 § 139 Nr. 1 m. w. N.). Wegen der unterbliebenen Rechtsbehelfsbelehrung im Bescheid vom 15.09.1998 hat die Klägerin auch die Widerspruchsfrist eingehalten (§§ 84 Abs. 2 S. 3 i. V. m. § 66 Abs. 2 S. 1 SGG), weil der Widerspruch (in Form der Klageerhebung) innerhalb eines Jahres eingelegt worden ist.

Die Berufung der Klägerin ist in dem durch den Antrag in zweiter Instanz eingeschränkten Umfang auch in vollem Umfang begründet. Das SG hat zu Unrecht die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 15.09.1998 ist rechtswidrig, wobei offen bleiben kann, ob es um im Hinblick auf die bereits zuvor ergangene ablehnende Entscheidung gegenüber der Fa. U & Co mbH um die Bescheidung eines Antrages nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) eines Rechtsnachfolgers oder um eine Erstbescheidung gegenüber der Klägerin ging. Der Klägerin steht ein Anspruch gegen die Beklagten zu, dass das Produkt "Safehip®", bezogen auf die von der Beklagten bislang geprüften Unterprodukte "Safehip Kompakt" und "Safehip Top" in das HM-Verzeichnis der Spitzenverbände der Krankenkassen aufgenommen wird.

Materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage für das Begehren der Klägerin ist § 139 Abs. 2 SGB V. Danach setzt die Aufnahme eines neuen HM s in das HM-Verzeichnis voraus, dass der Hersteller die Funktionstauglichkeit, den therapeutischen Nutzen und die Qualität des HM s nachweist (§ 139 Abs. 2 S. 1 SGB V).

An der HM-Eigenschaft von "Safehip®" bestehen hinsichtlich der zu beurteilenden, von der Beklagten bislang geprüften Unterprodukte "Safehip Kompakt" und "Safehip Top" zur Überzeugung des Senates keine Zweifel.

Nach § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V in der (seit dem 01.07.2001 geltenden, bis heute unveränderten) Fassung des Art. 5 Nr. 9 nach Maßgabe des Art. 67 des Gesetzes vom 19.06.2001 (BGBl I 1046) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen HM n, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern (1. Alternative), einer drohenden Behinderung vorzubeugen (2. Alternative) oder eine Behinderung auszugleichen (3. Alternative), soweit die HM nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Der hiermit nur unvollständig umschriebene Begriff des HM s (BSG, Urt. vom 28.09.2006, a. a. O.) wird in § 31 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) konkretisiert, der die "Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen" betrifft und auch für die Krankenkassen als Rehabilitationsträger gilt. Danach umfasst die Versorgung mit HM n (Körperersatzstücke sowie orthopädische und andere HM) im Sinne des § 26 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX (Leistungen zur medizinischen Rehabilitation behinderter und von Behinderung bedrohter Menschen) die technischen Hilfen, die von den Leistungsempfängern getragen oder mitgeführt oder bei einem Wohnungswechsel mitgenommen werden können und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls erforderlich sind, um einer drohenden Behinderung vorzubeugen (Alt. 1), den Erfolg einer Heilbehandlung zu sichern (Alt. 2) oder eine Behinderung bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens auszugleichen (Alt. 3), soweit sie nicht allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens sind.

Ob die Hüftprotectoren im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung (§ 33 Abs. 1 S. 1 - 1. Alt. SGB V) bzw. den Erfolg einer Heilbehandlung zu sichern (§ 26 Abs. 2 Nr. 6 Alt. 2 SGB IX), kann der Senat offen lassen. Ausgehend von den in sich widerspruchsfreien und nachvollziehbaren überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen und mit dessen Begründung neigt der Senat dazu, das Sturzsyndrom bzw. die Sturzkrankheit - wissenschaftlich hinreichend belegt - als ein eigenständiges Krankheitsbild mit hieraus entstehender Teilhabestörung, Angst und daraus wiederum folgender Depression als typischer Problematik der Sturzkrankheit anzusehen. Wie der Sachverständige weiter nachvollziehbar dargelegt hat, spricht viel dafür, dass die Hüftprotectoren der Sicherung des Erfolges der Krankenbehandlung dienen, die bei einer detaillierten Analyse der intrinsischen und extrinsischen Risikofaktoren des jeweiligen Versicherten beginnt und wirksame Interventionen zur Vermeidung von Stürzen im Sinne der Prophylaxe einschließlich des Tragens von Hüftprotectoren umfasst. Der Sachverständige bezieht sich diesbezüglich auf den Expertenstandard (Sturzprophylaxe in der Pflege, Stand: Februar 2006). Eine abschließende diesbezügliche Entscheidung des erkennenden Senates erscheint jedoch im Hinblick darauf entbehrlich, dass - aus Sicht des Senates - ohne jeden Zweifel die weitere Alternative "einer drohenden Behinderung vorzubeugen" (§ 33 Abs. 1 S. 1 - 2. Alt. bzw. § 26 Abs. 2 Nr. 6 - 1. Alt.) gegeben ist. Zur Zeit der streitigen Entscheidung der Beklagten hatte der Gesetzgeber diese Zielrichtung eines HM s noch nicht gesetzlich normiert. Bei der vorliegenden Verpflichtungsklage ist jedoch die aktuelle Gesetzeslage maßgebend. Auch wenn der Senat einräumt, dass der Aspekt der Vorbeugung des Eintritts einer Behinderung im Laufe des gerichtlichen Verfahrens nicht hinreichend gewürdigt worden zu sein scheint, bestehen keine Bedenken, zumal der Aspekt ausführlich in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat diskutiert worden ist, diesen der Entscheidung des Senates zugrunde zu legen. Dass aber Oberschenkelhalsbrüche häufig auftretende Folge eines Sturzes der Personengruppe, für die Hüftprotectoren konzipiert sind - Patienten, die an manifester Osteoporose leiden, bei denen ein erhöhtes Sturzrisiko besteht oder die bereits eine Oberschenkelhalsfraktur erlitten haben - sind und zu erschreckend hohen Anteilen innerhalb eines Jahres zum Tode bzw. zum Eintritt oder Erhöhung von Pflegebedürftigkeit führen, steht aufgrund der von dem Sachverständigen ausführlich gewürdigten wissenschaftlichen Nachweise fest. Weiter erscheint nicht diskutabel, dass die dem oben beschriebenen Personenkreis drohenden Folgen von Oberschenkelhalsbrüchen als Behinderungen im Sinne des SGB XI zu bewerten sind. Gerade der Zielrichtung der Prophylaxe, also der Vorbeugung von schwerwiegenden Behinderungen als Folge von Stürzen, sind die Hüftprotectoren zu dienen bestimmt. Bei den "Safehip®"- Produkten bestehen auch keine Anhaltspunkte für die Annahme als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens im Sinne von § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V.

Ausgehend vom Vorliegen der HM-Eigenschaft ist Aufgabe der Beklagten (vgl. BSG, Urt. vom 28.09.2006, a. a. O.), im Rahmen ihrer Amtsermittlung die Angaben der Klägerin zu Funktionstauglichkeit, therapeutischem Nutzen und Qualität des HM s gemäß § 139 Abs. 2 SGB V anhand vorgegebener Maßstäbe zu überprüfen, die an einen Wirksamkeitsnachweis angelegt sind. Dabei kann der wissenschaftliche Nachweis nach Evidenzstufen oder durch Sachverständigengutachten (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr. 8) erfolgen, wobei die Bindungswirkung der CE-Klassifikation von den Beklagten zu beachten ist.

Bei dem hier gegebenen Verfahrensgang drängt sich der Schluss auf, dass die Beklagten diese Grundsätze bisher nur rudimentär beachtet haben. So ist es schon erstaunlich, dass der MDS erstmals 2003 (Gutachten vom 15.07.03) eingeschaltet worden ist. Im angefochtenen Bescheid vom 15.09.98 haben die Beklagten noch ausdrücklich betont, dass eine Prüfung des therapeutischen Nutzens nicht erfolgt sei. Der Senat hat jedoch (siehe BSG, Urt. vom 28.09.2006, a. a. O.) durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu Recht selbst ermittelt, ob dem Produkt ein therapeutischer Nutzen zukommt. Die Entscheidung der Spitzenverbände der Krankenkassen über die Ablehnung eines Antrages auf Aufnahme in das HM-Verzeichnis ist in vollem Umfang überprüfbar. Das Gericht ist bei der Prüfung weder auf den medizinisch-technischen Erkenntnisstand zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung noch auf die Beurteilung allein der im Verwaltungsverfahren vorgelegten Unterlagen beschränkt. Die Tatsacheninstanzen haben den Sachverhalt umfassend, gegebenenfalls unter Einholung von Sachverständigengutachten, aufzuklären (§ 103 Satz 1, § 106 Abs. 3 Nr. 5 SGG), wobei für die Entscheidung der Sach- und Streitstand sowie der medizinisch-technische Erkenntnisstand zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend ist. Erst wenn sich nach Ausschöpfung aller gerichtlichen Erkenntnismöglichkeiten die Funktionstauglichkeit, die Qualität und/oder der therapeutische Nutzen eines neuen HM s nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen lässt (vgl. BSG SozR Nr. 62 zu § 542 a. F. Reichsversicherungsordnung -RVO-), ist die Klage nach der Beweislastregel des § 139 Abs. 2 S. 1 SGB V abzuweisen (BSG, Urt. vom 28.09.2006, a. a. O.).

Die Anforderungen an den Nachweis der Funktionstauglichkeit, der Qualität und des therapeutischen Nutzens haben sich nach der o. g. Entscheidung des BSG vom 28.09.2006 an den Aufgaben und Zielen der GKV zu orientieren, d. h. sie müssen dazu dienen, die Krankenbehandlung bzw. den Behinderungsausgleich nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse und unter Berücksichtigung des medizinischen Fortschritts (§ 2 Abs. 1 S. 3 SGB V) sicherzustellen (BSG SozR 3-2500 § 139 Nr. 1 m. w. N.). Das Gesetz beschreibt die insoweit maßgebenden Kriterien in § 135 Abs. 1 S. 1 SGB V im Hinblick auf die Bewertung von neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden.

Nach § 135 Abs. 1 SGB V (in der ab 1. Januar 2004 gültigen Fassung durch das Gesundheitsmodernisierungsgesetz vom 14.11.2003, BGBl I 2190) dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien Empfehlungen abgegeben hat über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit - auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkasse erbrachten Methoden - nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung. Der Nutzen einer Methode ist dabei durch qualitativ angemessene Unterlagen zu belegen (§ 20 Abs. 2 S. 1 der Verfahrensordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 20.09.2005 -VerfO-, BAnz Nr.244 vom 24.12.2005, S. 16998). Dies sollen, soweit möglich, Unterlagen der Evidenzstufe 1 mit patientenbezogenen Endpunkten (z. B. Mortalität, Morbidität, Lebensqualität) sein (§ 20 Abs. 2 S. 2 VerfO). Soweit qualitativ angemessene Unterlagen dieser Aussagekraft nicht vorliegen, erfolgt die Nutzen-Schaden-Abwägung einer Methode gemäß § 20 Abs. 2 S. 4 VerfO auf Grund qualitativ angemessener Unterlagen niedrigerer Evidenzstufen. Die Anerkennung des medizinischen Nutzens einer Methode auf Grundlage von Unterlagen einer niedrigeren Evidenzstufe bedarf jedoch - auch unter Berücksichtigung der jeweiligen medizinischen Notwendigkeit - zum Schutz der Patienten umso mehr einer Begründung, je weiter von der Evidenzstufe 1 abgewichen wird. Dafür ist der potentielle Nutzen einer Methode insbesondere gegen die Risiken der Anwendung beim Patienten abzuwägen, die mit einem Wirksamkeitsnachweis geringerer Aussagekraft einhergehen (§ 20 Abs. 2 Sätze 5 und 6 VerfO).

Für die Bewertung von neuen HM n kann nach Auffassung des BSG (Urt. vom 28.09.2006, a. a. O.) jedenfalls dann grundsätzlich nichts anderes gelten, wenn es um ein HM geht, das der Anwendung einer neuen Behandlungsmethode dient. Dann ist zunächst die Anerkennung der neuen Behandlungsmethode durch den Gemeinsamen Bundesausschuss nach § 135 SGB V herbeizuführen, ehe das der Durchführung dieser neuen Methode dienende HM überhaupt in das HM-Verzeichnis aufgenommen werden kann. Etwas anderes gilt jedoch dann – und um einen solchen Fall handelt es sich hier auch nach Auffassung des beigeladenen Gemeinsamen Bundesausschusses -, wenn ein Hersteller ein neues HM auf den Markt bringt, das nicht der Anwendung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode dient, sondern im Rahmen einer eingeführten, anerkannten Behandlungsmethode zum Einsatz kommen soll. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat jedenfalls nicht reklamiert, dass die Sturzprophylaxe eine neue Behandlungsmethode darstelle, sondern im Hinblick auf die von ihm vertretene Gegenansicht seine Beiladung gerügt. Die Beweisanforderungen des § 135 SGB V gelten aber nur für neue Behandlungsmethoden.

Soweit § 139 Abs. 2 SGB V für HM ausdrücklich den Nachweis eines therapeutischen Nutzens verlangt, bedeutet dies nicht, dass für HM jeglicher Art auch die Ergebnisse klinischer Prüfungen vorgelegt werden müssen. Dies hängt vielmehr in erster Linie davon ab, ob es sich um ein HM handelt, welches therapeutischen Zwecken dient, oder ob es sich um ein HM ausschließlich zum bloßen Behinderungsausgleich bzw. der -vorbeugung handelt. Im letzteren Fall ist der Nachweis eines therapeutischen Nutzens, der über die Funktionstauglichkeit zum Ausgleich der Behinderung hinausgeht, schon von der Zielrichtung des HM s nicht geboten und in der Regel auch nicht möglich (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr. 8). Das Gesetz verlangt nur den Nachweis eines "therapeutischen Nutzens" eines neuen HM s, nicht aber einen therapeutischen Zusatznutzen oder Vorteil gegenüber der bisherigen Behandlungsweise.

Die Funktionstauglichkeit und die Qualität der Produkte der Klägerin sind nachgewiesen, ohne dass es insoweit noch einer weiteren Beweisführung durch Anwendungsstudien oder Sachverständigengutachten bedurfte. Im Rahmen der Prüfung zur Aufnahme in das HM-Verzeichnis ist nämlich zu berücksichtigen, dass die meisten HM - wie auch hier - Medizinprodukte im Sinne des MPG sind und deshalb nur in den Verkehr gebracht und in Betrieb genommen werden dürfen, wenn sie mit einer CE-Kennzeichnung versehen sind. Voraussetzung für diese Kennzeichnung ist, dass die grundlegenden Anforderungen nach § 7 MPG erfüllt sind und ein für das jeweilige HM vorgeschriebenes Konformitätsbewertungsverfahren durchgeführt worden ist. Diese Voraussetzungen sind bei dem hier streitigen HM erfüllt. Damit ist davon auszugehen, dass das HM grundsätzlich geeignet ist, den medizinischen Zweck zu erfüllen, den es nach den Angaben des Herstellers besitzen soll, und dass es die erforderliche Qualität besitzt, die notwendig ist, um die Sicherheit seines Benutzers zu gewährleisten (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr. 8). Mit der CE-Kennzeichnung ist ein HM im Sinne der Produktsicherheit und Zwecktauglichkeit auch im krankenversicherungsrechtlichen Sinne funktionstauglich, ohne dass dies von den Krankenkassen oder Gerichten noch eigenständig zu prüfen wäre (vgl. auch Seidel/Hartmann, Neue Zeitschrift für Sozialrecht -NZS- 2006, 511); der CE-Kennzeichnung kommt insoweit eine Tatbestandswirkung zu (BSG, a. a. O.).

Ob und in welchem Umfang in Einzelfällen auf Grund besonderer Umstände über die CE-Kennzeichnung hinaus weitere Prüfanforderungen zu verlangen sind, um den Nachweis der Funktionstauglichkeit und Qualität zu führen (vgl. das "Positionspapier der Spitzenverbände der Krankenkassen/Pflegekassen zu den Anforderungen an Medizinprodukte für die Aufnahme in das HM-Verzeichnis nach § 128 SGB V oder Pflege-HM-Verzeichnis nach § 78 SGB XI" vom 4. April 2006), braucht hier nicht abschließend geklärt zu werden. Dass es dem streitgegenständlichen Produkt trotz CE-Kennzeichnung an der Funktionstauglichkeit oder Qualität im Sinne des § 139 SGB V mangele, machen auch die Beklagten nicht geltend.

Soweit diese allerdings meinen, einer Aufnahme des Hüftprotectors in das HM-Verzeichnis stehe entgegen, dass die Produkte der Klägerin unwirtschaftlich seien, da sie vielfach mangels Compliance der Versicherten ungenutzt blieben und die Tragehäufigkeit im Laufe der Zeit abnehme, ist darauf hinzuweisen, dass die Aufnahme neuer HM in das HM-Verzeichnis nach § 139 Abs. 2 S. 1 SGB V grundsätzlich nur voraussetzt, dass der Hersteller die Funktionstauglichkeit, den therapeutischen Nutzen und die Qualität des HM s nachweist. Anders als § 135 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, wonach der Gemeinsame Bundesausschuss neben dem therapeutischen (bzw. diagnostischen) Nutzen einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode auch deren "medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit" bewertet, kennt § 139 Abs. 2 SGB V einen solchen Prüfauftrag nicht.

Im Rahmen der HM-Versorgung wird dem allgemeinen Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 SGB V) dadurch Rechnung getragen, dass die Beklagten zur Sicherung einer ausreichenden, zweckmäßigen, funktionsgerechten und wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten mit HM n Qualitätsstandards entwickeln sollen (§ 139 Abs. 1 S. 1 SGB V), in die auch die Frage der Sicherstellung entsprechender Compliance des Versicherten einfließen könnte.

Die Aufnahme des streitgegenständlichen HM s in das HM-Verzeichnis bedeutet im Übrigen nicht, dass dem Hersteller bzw. Vertreiber der Produkte kein alleiniges Bestimmungsrecht bei der Preisgestaltung zukäm. Soweit die Produkte im Rahmen der stationären Versorgung eingesetzt werden, gehen ihre Kosten ohnehin in die Pflegesätze oder Fallpauschalen ein (vgl. § 2 Krankenhausentgeltgesetz), die von den Krankenkassen vereinbart werden. Im ambulanten Bereich können die Krankenkassen über HM mit den Leistungserbringern Verträge schließen, soweit sie nicht ohnehin Leistungshöchstgrenzen durch Festbeträge bestimmen (§ 127 SGB V). Einen Rationalisierungseffekt durch Verwendung der Produkte in der vertragsärztlichen Praxis können die Kassen durch Hinwirken auf eine Absenkung der Gebühren Rechnung tragen. Schließlich hat die einzelne Krankenkasse insoweit Einfluss auf die Kosten, als sie jede Verordnung eines HM s genehmigen muss (siehe zu dem Problemkreis: BSG, Urt. vom 28.09.2006, a. a. O.). Die Aufnahme des streitgegenständlichen HM s in das HM-Verzeichnis muss also nicht zwangsläufig zu höheren Kosten bei der Behandlung des Versicherten in den betroffenen Indikationsbereichen führen. Im Übrigen kommt auch dem Beigeladenen über die vom diesem gegebenenfalls zu erstellende Arztinformation (II Nr. 8.3 der HM-Richtlinie) marktsteuernde Funktion zu, ohne dass dieser Aspekt Streitgegenstand wäre (siehe BSG, Urt. vom 28.09.2006, a. a. O.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in der hier noch anwendbaren und bis zum 1. Januar 2002 gültigen Fassung (vgl. § 197a SGG i. V. m. Art 17 Abs. 1 S. 2 des 6. SGG-Änderungsgesetz vom 17.08.2001, BGBl I 2144).

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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