L 1 B 37/07 AS

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
1
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 35 AS 389/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 1 B 37/07 AS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Kläger wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 04.09.2006 im Hinblick auf die Versagung von Prozesskostenhilfe aufgehoben. Den Klägern wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Dortmund für die Zeit ab 11.10.2005 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt E, M beigeordnet. Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

In der Hauptsache nehmen die Kläger die Beklagte auf Übernahme einer Mietsicherheit in Form eines Zuschusses in Anspruch.

Die Kläger beziehen von der Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II). Die Beklagte veranlasste den Umzug der Kläger in eine andere Wohnung. Gleichzeitig erklärte sie sich zur darlehnsweisen Übernahme einer Mietkaution in Höhe von 850,00 Euro bereit. Unter dem 16.08.2005 erklärten die Kläger gegenüber der Beklagten schriftlich, dass sie für die Rückzahlung des Darlehns in Höhe von monatlich 30,00 Euro als Gesamtschuldner hafteten. Die Beklagte teilte daraufhin dem Kläger zu 1) mit, dass sie die Kosten für die Mietsicherheit in Höhe von 850,00 Euro übernehme. Gleichzeitig erklärte sie die Aufrechnung in monatlichen Raten von 30,00 Euro (Bescheid vom 17.08.2005). Den hiergegen vom Kläger zu 1) erhobenen Widerspruch wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 21.09.2005).

Die am 11.10.2005 erhobene Klage hat das Sozialgericht abgewiesen und den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt (Gerichtsbescheid vom 04.09.2006). Gegen den am 08.09.2006 zugestellten Gerichtsbescheid ist am 29.09.2006 Berufung eingelegt worden.

II.

Der Senat hat nach Anhörung auch die Ehefrau des Klägers zu 1) als Klägerin zu 2) in das Aktivrubrum aufgenommen. Denn die Erklärung vom 16.08.2005 bezieht auch die Klägerin zu 2) in die gesamtschuldnerische Haftung gegenüber der Beklagten ein; gleichermaßen wird wird sie als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft von der - wenn auch ausdrücklich nur gegenüber dem Kläger zu 1) erklärten - Aufrechnung betroffen, da sich diese auch auf ihre individuellen Leistungsansprüche nach dem SGB II bezieht.

Die Beschwerde ist gemäß § 172 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Entscheidet ein Sozialgericht - wie hier - über ein Gesuch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abweichend von der im Gesetz vorgesehenen Form, die eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss vorsieht (vgl. nur Keller/Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar SGG, 8. Auflage 2005, § 73a, Rn. 12a, m.w.N.; Hüßtege in Thomas/Putzo, Kommentar ZPO, 25. Auflage 2004, § 127, Rn. 1), durch Urteil bzw. Gerichtsbescheid, ist die Beschwerde das zulässige Rechtsmittel (vgl. Bayrisches Landessozialgericht [LSG], Beschluss vom 19.10.2004 - Az.: L 17 B 258/04, sozialgerichtsbarkeit.de). Der Zulässigkeit der Beschwerde steht vorliegend nicht entgegen, dass diese erst am 03.07.2007 - und damit mehrere Monate nach Zustellung des Gerichtsbescheides am 06.09.2006 - eingelegt worden ist. Denn eine Rechtsmittelbelehrung im Hinblick auf die Möglichkeit der Beschwerde war dem angefochtenen Gerichtsbescheid nicht beigefügt, so dass sich die Beschwerdefrist auf ein Jahr verlängert hat (vgl. § 66 Abs. 2 SGG). Ob die Versagung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Sozialgericht Dortmund bereits mit der am 29.09.2006 eingelegten Berufung wirksam angefochten worden ist (Grundsatz der Meistbegünstigung - vgl. Bayrisches LSG, a.a.O.; Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 05.02.1993 - Az.: 2 A 11776/92, NVwZ-RR 1993, 668-669, m.w.N.), könnte zweifelhaft sein, weil sich der schriftsätzlich gestellte Berufungsantrag nur auf die Gewährung des geltend gemachten Zuschusses, nicht jedoch auf die Versagung von Prozesskostenhilfe bezogen hat. Dies kann jedoch angesichts der vorstehenden Ausführungen letztlich dahinstehen.

In der Sache ist die Beschwerde begründet. Nach § 73a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die Annahme einer hinreichenden Erfolgsaussicht genügt eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit (Keller/Leitherer, a.a.O, § 73a Rn. 7, m.w.N.). Danach ist eine hinreichende Erfolgsaussicht gegeben, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und/oder in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer a.a.O. Rdn. 7a).

Der Senat lässt im Beschwerdeverfahren ausdrücklich dahinstehen, ob die Kläger gegen die Beklagte Anspruch auf Übernahme der Mietkaution in Form eines Zuschusses haben. Hinreichende Erfolgsaussicht ist jedenfalls mit Blick auf die von der Beklagten erklärte und mit der Darlehnsgewährung in einem untrennbaren Zusammenhang stehende Aufrechnung des Rückzahlungsanspruchs in Höhe von 850,00 Euro gegen die den Klägern gewährten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes mit monatlichen Raten von 30,00 Euro anzunehmen. Auch wenn man davon ausgehen will, dass die Möglichkeit einer Darlehnsgewährung vom Gesetzgeber bereits vor dem Inkrafttreten des SGB II-Änderungsgesetzes vom 26.03.2006 (BGBl. I, 558) zugelassen worden ist, weil die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II ihrem Sinn und Zweck nach nicht der Vermögensbildung dienen darf (vgl. Bayrisches LSG, Urteil vom 26.10.2006 - Az.: L 7 AS 99/06, sozialgerichtsbarkeit.de; Sozialgericht [SG] Lüneburg, Beschluss vom 16.06.2005 - Az.: S 25 AS 251/05 ER; Berlit in LPK-SGB II, 1. Auflage 2005, § 22, Rn. 62), muss sich hieraus für den Leistungsträger nicht zwangsläufig eine Aufrechnungsbefugnis ergeben. Insbesondere § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II dürfte nicht als Ermächtigungsgrundlage für eine Aufrechnung in Betracht kommen, weil es sich bei einer Mietsicherheit nicht um einen Bedarf handelt, der von den Regelleistungen erfasst wird, sondern vielmehr um Kosten der Unterkunft im Sinne des § 22 SGB II (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 06.09.2006 - Az.: L 13 AS 3108/06 ER-B, Juris; Berlit in LPK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 22, Rn. 101, m.w.N.).

Einer Erfolgsaussicht im Sinne des § 114 ZPO steht nicht entgegen, dass die Kläger vor Erlass des angefochtenen Bescheides am 16.08.2005 eine Erklärung unterzeichnet haben, mit der sie sich bereit erklärt haben, als Gesamtschuldner mit monatlichen Raten in Höhe von 30,00 Euro für die Rückzahlung zu haften. Zwar dürften sie sich durch diese Erklärung konkludent mit einer Aufrechnung einverstanden erklärt haben. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass sich die Zustimmung zu einer Aufrechnung gleichzeitig als Verzicht auf Sozialleistungen im Sinne des § 46 Abs. 1 des Ersten Buchs des Sozialgesetzbuches (SGB I) darstellen dürfte, der jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden kann (vgl. Oberverwaltungsgericht [OVG] Lüneburg, Beschluss vom 27.03.2003 - Az.: 12 ME 52/03, Juris; SG Lüneburg, a.a.O.). Der am 19.08.2005 eingelegte Widerspruch könnte mithin als Widerruf im Sinne des § 46 Abs. 1 SGB I auszulegen sein.

Nachdem die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen ebenfalls erfüllt sind, war Prozesskostenhilfe für die Zeit ab 11.10.2005 (Antragstellung und Eingang der Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen bei dem Sozialgericht) zu bewilligen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.

Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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