S 2 KA 104/07 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 104/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen die Durchführung eines Vertrages.

Die Antragstellerin ist ein deutsches Tochterunternehmen eines Arzneimittel-Herstellers mit Hauptsitz in C/Schweiz. Zu den von ihr in der Augenheilkunde vertriebenen Präparaten gehört u.a. Lucentis mit dem Wirkstoff Ranibizumab, einem sog. VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor)-Inhibitor (auch: VEGF-Hemmer, VEGF-Blocker). Arzneimittelrechtlich zugelassenes Anwendungsgebiet ist die Behandlung der neovaskulären (feuchten) altersabhängigen Makuladegeneration (AMD).

Demselben arzneimittelrechtlich zugelassenen Anwendungsgebiet dient auch das Arzneimittel Macugen des Herstellers Pfizer mit dem Wirkstoff Pegaptanib.

Der in Lucentis verwendete Wirkstoff Ranibizumab wird von dem Biotechnologie-Unternehmen Genentech Inc., South San Francisco/USA, produziert. Er ist entwickelt worden aus dem ebenfalls von diesem Unternehmen hergestellten Wirkstoff Bevacizumab, der in dem Arzneimittel Avastin der Fa. S verwendet wird. Avastin ist arzneimittelrechtlich für die Anwendungsgebiete der First-Line-Behandlung von Patienten mit metastasierendem Kolon- oder Rektumkarzinom und mit metastasierendem Mammakarzinom zugelassen. Eine Zulassung für die Behandlung der AMD ist seitens der Fa. S weder beantragt noch beabsichtigt.

Die Fa. S ist mit über 50 % Geschäftsanteilen an der H Inc. beteiligt; das Mutterunternehmen der Antragstellerin hält eine Beteiligung an der S Holding AG von knapp einem Drittel des stimmberechtigten Kapitals von S.

Bei den Antragsgegnern handelt es sich um Partner eines "Vertrages zur Behandlung der feuchten Maculadegeneration mittels intravitrealer Eingabe von VEGF-Hemmern", geschlossen am 03.05.2007. Die Antragsgegner zu 1) und 2) sind Verbände operierender Augenärzte auf der Seite der ärztlichen Leistungserbringer, die Antragsgegner zu 3) bis 5) gesetzliche Krankenkassen auf der Kostenträgerseite.

Gegenstand des vertraglichen Versorgungsauftrages ist die Diagnostik und Behandlung einer feuchten Maculapathie mit intravitrealer Medikamenteneingabe nach näher bestimmten Qualitätsstandards. Die an dieser Versorgung teilnehmenden Ärzte enthalten nach Anlage 3 zum Vertrag eine Leistungskomplexpauschale incl. Anästhesie und VEGF-Hemmer in Höhe von 450,- EUR.

Anlage 1 zum Vertrag enthält ein vom Arzt zu verwendendes Textmuster zur Aufklärung und Erklärung von Patienten. In der von der Antragstellerin zu den Akten gereichten Entwurfsfassung werden die Medikamente Avastin (Bevacizumab), Macugen (Pegaptanib) und Lucentis (Ranibizumab) kurz vorgestellt und bewertet. Das Formblatt endet mit einer von dem Patienten zu unterschreibenden Erklärung, nach welcher dieser mit der Therapie mit Avastin und der damit verbundenen Operation einverstanden sei. Diese Entwurfsfassung ist nicht verbindlicher Vertragsinhalt geworden. Nach Überarbeitung durch die Qualitätssicherungskommission ist sie durch eine Anlage 1a (Aufklärung und Einverständniserklärung) ersetzt worden. Diese stellt die drei Wirkstoffe mit ihren Medikamentennamen wiederum dar und bewertet sie auch unter Kostenaspekten. Hierzu listet sie die zu erwartenden durchschnittlichen jährlichen Medikamentenmindestkosten auf, die sich für Macugen auf 9.350,- EUR, für Lucentis auf 14.100,- EUR und für Bevacizumab auf 650,- EUR belaufen sollen. Das Formblatt schließt mit einer vom Patienten zu unterzeichnenden Erklärung, nach der er schriftlich und mündlich über die verschiedenen therapeutischen Möglichkeiten aufgeklärt worden sei. Für den Fall, dass sich der Patient für die Behandlung mit Bevacizumab entscheide, sei er darüber aufgeklärt worden, dass es sich bei diesem Medikament um ein für diese Behandlung nicht zugelassenes Medikament handele. Die Einverständniserklärung des Patienten zur Therapie und den damit verbundenen Operationen enthält keine vorgedruckte Therapie mit einem bestimmten Präparat oder Wirkstoff, sondern einen individuell auszufüllenden Leerraum.

Am 13.07.2007 hat die Antragstellerin bei dem Sozialgericht Nürnberg den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Mit Beschluss vom 13.08.2007 - S 6 KA 12/07 ER - hat sich dieses Gericht für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Düsseldorf verwiesen.

Die Antragstellerin sieht in dem Vertragswerk im Ergebnis die Vereinbarung der faktischen Favorisierung einer rechtswidrigen Off-Label-Use-Behandlung mit Avastin. Dies führe faktisch zu dem wirtschaftlichen Totalboykott des anerkannten, zugelassenen und nachweislich überragend wirksamen Medikaments Lucentis und verletze die Antragstellerin zivilrechtlich, wettbewerbsrechtlich und kartellrechtlich in ihren Rechten.

Die Antragstellerin beantragt,

den Antragsgegnern im Wege der einstweiligen Anordnung - der Dringlichkeit halber ohne mündliche Verhandlung - bei Meidung der üblichen Ordnungsmittel vorläufig zu untersagen, den zwischen ihnen geschlossenen "Vertrag zur Behandlung der feuchten Maculadegeneration mittels intravitrealer Eingabe von VEGF-Hemmern" vom 3. Mai 2007 durchzuführen und/oder zu vollziehen, insbesondere den als Anlage zu diesem Beschluss (gemeint: Vertrag) beigefügten Patienten-Einwilligungsbogen zu verwenden, verwenden zu lassen und/oder zu empfehlen.

Die Antragsgegner/-innen beantragen:

1.Der Antrag wird zurückgewiesen. 2.Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens und die außergerichtlichen Kosten der Antragsgegner/-innen. 3.

Sie sehen weder Anordnungsgrund noch -anspruch.

Der Vertrag regele die Behandlung der AMD durch das Verfahren der sog. intravitrealen operativen Medikamenteneinbringung (IVOM), einem in der GKV nicht zugelassenen Verfahren. Angesichts der alternativlosen Behandlungsmöglichkeiten der AMD mit IVOM liege insofern ein Systemversagen vor. Diesem Zustand hätten die meisten Krankenkassen Rechnung getragen und ab Anfang 2006 die Behandlungskosten der IVOM mit Avastin im Wege der Kostenerstattung übernommen. Mit dem nunmehr geschlossenen Vertrag sei die Kostenerstattung patientenfreundlich, leicht praktikabel und standardmäßig abzuwickeln.

Durch die arzneimittelrechtliche Zulassung von Lucentis im Januar 2007 habe sich an der fehlenden Anerkennung der Behandlungsmethode der IVOM im Rahmen der GKV nichts geändert.

Der Vertrag ermögliche darüber hinaus, Bevacizumab (Avastin) und Lucentis (Ranibizumab) wegen der identischen Wirkprinzipien in wissenschaftlichen Studien zu vergleichen.

Die Behandlung mit Lucentis werde durch den Vertrag nicht ausgeschlossen; die Therapiefreiheit verbleibe bei dem Arzt. Im Hinblick auf die Kostenunterschiede zwischen Avastin und Lucentis liege der pauschalen Vergütungshöhe eine realitätsnahe Mischkalkulation zugrunde. Verändere sich das Verhältnis des Einsatzes von Lucentis zu Avastin, sei eine Anpassung der Vergütung möglich.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung war zurückzuweisen.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung sind die Erfolgsaussicht des Begehrens (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund).

Danach besteht keine Veranlassung zum Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Es ist bereits ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Entscheidend ist allein, in welchen eigenen rechtlichen und wirtschaftlichen Positionen die Antragstellerin durch ein Abwarten auf eine Entscheidung in der Hauptsache schwer und unzumutbar beeinträchtigt sein kann. Soweit sie darauf hinweist, bei Verwendung des Mittels Avastin werde die Gesundheit hunderter von Patienten Tag für Tag einem unvertretbaren Risiko ausgesetzt und es steige das Haftungsrisiko der Ärzte, nimmt die Antragstellerin jedoch im Sinne einer Popularklage die Rolle einer Sachwalterin fremder Interessen ein. Denkbar wären wirtschaftliche Nachteile dadurch, dass bereits mit den ersten Operationen eine Weichenstellung für die Zukunft vorgenommen wird, da nur geringe Neigung besteht, einmal eingeschlagene Therapiewege wieder aufzugeben. Soweit die Antragstellerin dabei vorträgt, das von ihr vertriebene Medikament Lucentis werde in Nordrhein-Westfalen seit dem Vertragsschluss nicht mehr oder deutlich geringer verwendet, hat sie substantiierte Angaben hierzu, ggf. unter Vorlage entsprechender Umsatzstatistiken, jedoch nicht gemacht. Der behauptete Umsatzrückgang wäre dabei notwendigerweise in eine Relation zum Gesamtumsatz zu bringen, um das Vorliegen einer möglichen Beeinträchtigung, die ohne Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht abzuwenden wäre, bewerten zu können. Somit sind schwere und unzumutbare Nachteile nicht ersichtlich, sondern ist ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache zumutbar.

Auch ein Anordnungsanspruch ist bei summarischer Prüfung nicht gegeben.

Der Vertrag bezweckt die Einführung einer bisher in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht zugelassenen Behandlungsmethode. Er gewährt die Therapiefreiheit der Ärzte und damit ihre Entscheidungsfreiheit zur Behandlung mit Avastin, Lucentis oder Macugen ohne wettbewerbsrechtlich zu beanstandenden Druck oder ähnliche Einflüsse. Der als Anlage 1a zum Vertrag verwendete Vordruck weist wahrheitsgemäß darauf hin, dass es sich bei Bevacizumab um ein für diese Behandlung nicht zugelassenes Medikament handelt. Die Einverständniserklärung des Patienten zur Therapie und den damit verbundenen Operationen enthält nicht (mehr) eine vorgedruckte Therapie mit einem bestimmten Präparat oder Wirkstoff, sondern einen individuell auszufüllenden Leerraum. Damit haben Arzt und Patient die Entscheidungsfreiheit für eines der drei Präparate.

Dass dabei die Willensbildung von Arzt und Patient durch die Bezifferung der Kosten für die Medikamente gesteuert werden soll, ist ein legitimes Anliegen der Vertragspartner. Die Erhaltung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung ist ein Gemeinwohlbelang von hohem Rang (BVerfGE 68, 193, 218; 82, 201, 230). Dabei ist es ein besonderes Anliegen des Gesetzgebers, die Arzneimittelausgaben zu steuern. Im Jahre 2005 sind die Arzneimittelausgaben - bereinigt um die Rückführung des Herstellerrabatts - um rund 2,5 Mrd. EUR gestiegen (s. die Begründung zum Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung, BT-Drucks. 16/194, 6). In dieser Steigerung der Arzneimittelausgaben sieht der Gesetzgeber einen Verstoß sowohl gegen das Wirtschaftlichkeitsprinzip in der gesetzlichen Krankenversicherung als auch gegen den Grundsatz der Beitragssatzstabilität. Der Gesetzgeber erwartet dabei von allen Akteuren entsprechende Reaktionen. Dazu gehören z.B. gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V Sofortmaßnahmen auf sich abzeichnende Überschreitungen des vereinbarten Ausgabenvolumens. Im Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung vom 26.04.2006 (BGBl. I, 984) hat der Gesetzgeber in § 84 Abs. 7a SGB V den Spitzenverbänden der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung aufgegeben, Durchschnittskosten je definierter Dosiereinheit auf Bundesebene zu vereinbaren, die Bestandteil der Vereinbarung nach § 84 Abs. 1 SGB V sind, wenn die nicht die regionalen Vertragspartner eine abweichende adäquate Regelung zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung treffen (§ 84 Abs. 4a SGB V). Der Gesetzgeber geht bei dieser Regelung von erheblichen Wirtschaftlichkeitsreserven insbesondere bei der therapiegerechten Auswahl von Wirkstoffen und Wirkstoffklassen aus (vgl. LSG NRW, Beschlüsse vom 27.06.2006 - L 11 B 30/06 und 31/06 KA ER -). Solche Aspekte der Kostendämpfung bei den Arzneimitteln beanspruchen auch und gerade im Bereich neuer Behandlungsmethoden - wie hier - Geltung. Angesichts vergleichbarer Wirkstoffe in Avastin und Lucentis kann es deshalb im Rahmen der gebotenen summarischen Prüfung nicht beanstandet werden, wenn die Vertragspartner der gesetzgeberischen Zielsetzung entsprechend preiswertere Alternativen gegenüber einem Quasi-Monopolprodukt in den Vordergrund stellen.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 183 SGG in Verbindung mit Art. 17 Abs. 1 Satz 2 des 6. SGG-ÄndG sowie § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 VwGO.
Rechtskraft
Aus
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