L 20 B 184/07 AS ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
20
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 7 AS 149/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 B 184/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 09.08.2007 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt auch die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin G aus C beigeordnet.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin vom 06.09.2007, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Nichtabhilfebeschluss vom 07.09.2007), ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Antragsgegnerin zu Recht im Wege der einstweiligen (Regelungs-) Anordnung gemäß § 86 b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) dem Grunde nach verpflichtet, der Antragstellerin Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) zu gewähren. Der Senat verweist zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts im angefochtenen Beschluss (§ 142 Abs. 2 S. 3 SGG). Der Senat teilt insbesondere die Auffassung, dass für die Antragstellerin als polnische Staatsangehörige der Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II in der jeweils geltenden Fassung wegen der ausgeübten geringfügigen Beschäftigung im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) nicht greift.

Nach der bis zum 27.08.2007 geltenden Fassung des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II waren Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergab, ihre Familienangehörigen sowie Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Nach der seit dem 28.08.2007 und damit für einen Zeitpunkt nach Beschlussfassung des Sozialgerichts geltenden Fassung des Art. 6 Absatz 9 Nr. 2 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (Bundesgesetzblatt I S. 1970) sind gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen

1. Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbstständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate Aufenthalts,

2. Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, und ihre Familienangehörigen,

3. Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylberwerberleistungsgesetzes.

Die Gesetzesänderung ist im Ergebnis für die Antragstellerin ohne Bedeutung.

Der Aufenthalt der Antragstellerin ergibt sich nicht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche. Ohne Belang ist insoweit, ob die Antragstellerin ursprünglich allein zur Arbeitssuche in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Nach den mit der Beschwerdebegründung nicht angegriffenen Ausführungen des Sozialgerichts geht die Antragstellerin einer geringfügigen Beschäftigung im Umfang von bis zu 14 Wochenstunden bei einem Lohn von 286,10 EUR monatlich nach. Die Antragstellerin hat daher als Staatsangehörige Polens gemäß § 2 Abs. 1 und 2 Nr. 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU unabhängig von der Arbeitssuche ein Aufenthaltsrecht. Denn sie ist als Arbeitnehmerin im Sinne dieser Vorschrift anzusehen. Im Freizügigeitsgesetz/EU findet sich eine Definition des Begriffs "Arbeitnehmer" im Sinne des Gesetzes nicht. Demzufolge fehlt auch eine Bestimmung, wonach "Arbeitnehmer" im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU nur ein mehr als geringfügig Beschäftigter wäre (vgl. auch Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14.11.2006, L 14 B 936/06 AS ER). Die Begriffsbestimmung gebietet unter Berücksichtigung der Zielrichtung des Gesetzes als Umsetzung der Richtlinie 2004/38/EG vom 29. April 2004 eine gemeinschaftsrechtliche Auslegung (vgl. etwa Waltermann/Kämpfer, Der Betrieb 2006,893). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) fällt jeder Arbeitnehmer, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, mit Ausnahme derjenigen Arbeitnehmer, deren Tätigkeit einen so geringen Umfang hat, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellt, unter die Vorschriften über Freizügigkeit (vgl. u.a. EuGH, Urteil vom 23.03.1982, Levin, 53/81, Slg. 1982, 1035, RdNr. 17).

Die von der Antragstellerin ausgeübte Tätigkeit erweist sich in diesem Sinne entgegen der Rechtsauffassung der Antragsgegnerin nicht als völlig untergeordnet und unwesentlich. Dies gilt sowohl bei wirtschaftlicher (Monatslohn von 286,10 EUR) als auch bei zeitlicher Betrachtung (bis zu 14 Wochenstunden). Dass die Antragstellerin weniger verdient, als zur Sicherung ihres Lebensunterhalts im Sinne einer Existenssicherung erforderlich ist, ändert an dieser Beurteilung nichts (vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O.). Unter die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer fällt auch, wer eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausübt, mit der er weniger verdient, als in dem Mitgliedsstaat, in dem er sich aufhält, als Exixtenzminimum angesehen wird (vgl. EuGH, Urteil vom 23.03.1982, a.a.O.).

Der Senat hält somit eine Festlegung dahingehend, wann das vom EuGH formulierte Ausschlusskriterium greift, insoweit im vorliegenden Fall nicht für erforderlich. Der Senat weist im Übrigen darauf hin, dass der EuGH in gefestigter Rechtsprechung davon ausgeht, dass auch geringfügig Beschäftigte im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV Arbeitnehmer im Sinne des Artikel 39 EG (ehedem Art. 48), der in Abs. 1 die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet, sein können (vgl. zuletzt EuGH, Urteil vom 18.07.2007, Geven, C-213/05).

Ein Leistungsausschluss ergibt sich für die Zeit ab dem 28.08.2007 auch nicht aus dem neu gefassten Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II. Nach der Gesetzesbegründung betrifft dieser Leistungsausschluss vor allem Unionsbürger, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen. Nach Ablauf der ersten drei Monate ihres Aufenthalts ist das weitere Aufenthaltsrecht - wie nach der Vorgängerregelung - vom Aufenthaltszweck abhängig (vgl. BT-Drs. 16/5065 S. 234).

Für die bereits 2005 eingereiste Antragstellerin ist die Neuregelung ohne Bedeutung.

Dem Hauptsacheverfahren kann es vorbehalten bleiben, die Konsequenzen der vorbehaltenen Gewährung von Leistungen mit Bescheid vom 22.08.2007 zu überprüfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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