L 11 KR 3761/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 8 KR 4433/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3761/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die ständige Anwesenheit einer Pflegekraft als häusliche Krankenpflege nach SGB V ist nicht notwendig, soweit dies bereits durch die Grundpflege nach SGB XI erbracht wird. Die Kostenaufteilung kann sich am jeweiligen Zeitaufwand orientieren.
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 10. Juli 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger Kosten für häusliche Krankenpflege in der Zeit vom 8. August 2006 bis 14. September 2007 zu erstatten sind.

Der 1951 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Als Folge eines Reitunfalls am 4. September 2005 ist er unterhalb des zweiten Halswirbel gelähmt und muss künstlich beatmet werden. Seit seiner Entlassung aus dem Krankenhaus am 8. August 2006 wird er zu Hause gepflegt. Wegen möglicher Komplikationen der Beatmung muss immer eine ausgebildete Pflegeperson anwesend sein und zur Durchführung einiger Maßnahmen der Grundpflege bedarf es der Anwesenheit mindestens einer weiteren Pflegeperson. Die Einbindung der im Haushalt des Klägers lebenden, berufstätigen Ehefrau in den Pflegedienst ist nicht möglich. Die Pflegekasse gewährt (Bescheid vom 29. September 2006) Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach Pflegestufe III bei Vorliegen eines außergewöhnlich hohen Pflegeaufwands (sog. Härtefallregelung).

Der Vertragsarzt Dr. B. verordnete für die Zeit ab 8. August bis 31. Dezember 2006 die Gewährung häuslicher Krankenpflege zur Sicherung der ambulanten ärztlichen Behandlung. Auf den entsprechenden Antrag des Klägers und Vorlage eines Behandlungsplanes des C.-Pflege-dienstes gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 21. Juli 2006 häusliche Krankenpflege. Von den notwendigen 24 Stunden (= 1.440 Minuten) könne jedoch nur der auf die Behandlungspflege entfallende Anteil von 1.120 Minuten (77,78 %; entspricht bei einer Einheit von 60 Minuten zu 31 EUR einem Betrag von monatlich 17.360,10 EUR) und nicht der Anteil der von der Pflegeversicherung zu gewährenden Grundpflege von voraussichtlich 320 Minuten übernommen werden. Nach Vorlage eines neuen Behandlungsplanes gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 29. September 2006 ab 1. Oktober 2006 einen auf 1.050 Minuten (72,92 %; Betrag von 16.275,00 EUR) begrenzten Anteil. Die Widersprüche des Klägers wurden mit Widerspruchsbescheid vom 23. November 2006 zurückgewiesen. Der C.-Pflegedienst rechnete die von der Beklagten gewährten Leistungen der Behandlungspflege unmittelbar mit der Beklagten ab und stellte darüber hinaus gehende Kosten der Behandlungspflege dem Kläger in Rechnung.

Der Kläger hat Klage bei dem Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Er ist der Ansicht, dass die Beklagte die Kosten der häuslichen Krankenpflege vollständig übernehmen müsse. Hier lasse sich zwischen Behandlungspflege, Grundpflege und hauswirtschaftlicher Versorgung unterscheiden und die Gewährung - jedenfalls durch entsprechende Vereinbarungen - zwischen der Beklagten und der Pflegekasse regeln.

Nach der Verordnung der Fortführung der häuslichen Krankenpflege durch Dr. B. bis 30. Juni 2007 hat die Beklagte mit Bescheid vom 8. Januar 2007 und Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 2007 die Fortführung ihrer Leistungen ab 1. Januar 2007 im bisherigen, zeitlich beschränkten Umfang gewährt. Der Kläger hat seine Klage dementsprechend erweitert.

Mit Gerichtsbescheid vom 10. Juli 2007 hat das SG die Klage abgewiesen. Zwar bestehe ein Anspruch des Klägers auf häusliche Krankenpflege zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung (§ 37 Abs. 2 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB V]) für die erforderliche Überwachung der Beatmung. Allerdings sei die Vorgehensweise der Beklagten, von der zu leistenden Behandlungspflege den (Zeit-)Anteil abzuziehen, der auf die Leistungen der Pflegeversicherung entfalle, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG; Urteile vom 28. Januar 1999, B 3 KR 4/98 R, SozR 3-2500 § 37 Nr. 1, und vom 10. November 2005, B 3 KR 38/04 R, SozR 4-2500 § 37 Nr. 6) nicht zu beanstanden. Die über die pauschalierten Leistungen der Pflegeversicherung hinausgehenden Kosten müsse der Kläger aus eigenen Mitteln, erforderlichenfalls aus Leistungen der Sozialhilfe bezahlen.

Mit seiner am 1. August 2007 erhobenen Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren fort. Zur Begründung führt er ergänzend an, dass es vorrangig nicht um die Krankenbeobachtung gehe, sondern die Notwendigkeit der unter Umständen manuellen Beatmung.

Der Kläger beantragt - teilweise sinngemäß -,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 10. Juli 2007 aufzuheben, die Bescheide der Beklagten vom 21. Juli 2006 und 29. September 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. November 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Februar 2007 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der Leistungen der häuslichen Krankenpflege für die Zeit vom 8. August 2006 bis 14. September 2007 vollumfänglich (24 Stunden täglich) zu erstatten, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier vom Kläger begehrte häusliche Krankenpflege dargelegt und zutreffend ausgeführt, dass die Voraussetzungen für eine zeitlich weitergehende Gewährung nicht erfüllt sind. Der Senat sieht deshalb gem. § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Der Kläger kann keine weitergehenden Ansprüche nach § 37 i.V.m. § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V geltend machen.

Versicherte erhalten nach § 37 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 SGB V in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist. Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.

Die Pflegeversicherung deckt in der häuslichen Pflege grundsätzlich den gesamten Bereich der Grundpflege und der häuslichen Versorgung ab (vgl. § 36 Abs. 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB XI]). Allerdings handelt es sich nur um "ergänzende" Leistungen (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 1 SGB XI); den Leistungen der Pflegeversicherung kommt insoweit nur eine Ergänzungsfunktion gegenüber familiärer, nachbarschaftlicher oder sonstiger ehrenamtlicher Pflege und Betreuung zu. Das hat zur Folge, dass insoweit notwendige Leistungen der Pflege teilweise vom Versicherten selbst oder - bei Bedürftigkeit - von der Sozialhilfe zu finanzieren sind.

Zwar bleiben die Leistungen der häuslichen Krankenpflege von den Leistungen der Pflegeversicherung unberührt (§ 13 Abs. 2 SGB XI). Auch ruht der Anspruch auf Leistungen der häuslichen Pflege, soweit im Rahmen des Anspruchs auf häusliche Krankenpflege Anspruch auf Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung besteht (§ 34 Abs. 2 Satz 1 SGB XI), wobei letzteres hier gerade nicht der Fall ist, denn gewährt werden bei der Sicherungspflege nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V allein Leistungen der Behandlungspflege (vgl. § 37 Abs. 2 Satz 5 SGB V). Hier ist aber zeitweise bereits für die Durchführung der Leistungen der Pflegeversicherung - im Wesentlichen also der Grundpflege - eine Pflegeperson anwesend, manchmal sogar mehrere, die die notwendige Überwachung der Atmungsfunktionen und die Intervention im Notfall übernehmen kann bzw. können. Dieser Zeitaufwand kann nicht erneut im Rahmen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V Berücksichtigung finden. Insoweit ist die häusliche Krankenpflege nicht notwendig. Ein Anspruch gegen die Beklagte würde daher gegen § 12 Abs. 1 Satz 1 SGB V verstoßen, wonach Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürfen. Die Behandlungspflege tritt, wie es das BSG im zitierten Urteil vom 28. Januar 1999 ausgeführt hat, während der Zeit der Erbringung der Hilfe bei der Grundpflege in den Hintergrund.

Der vom Kläger mit der Berufung unter Hinweis auf den Beschluss des Bayerischen LSG vom 17. November 2006 (L 4 B 817/06 KR ER) vorgetragenen Einwendung, hier gehe es vorrangig nicht um die der Behandlungspflege zuzurechnende Krankenbeobachtung, folgt der Senat nicht. Der Sachverhalt stellt sich im Fall des Klägers anders dar. Nach dem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung vom 11. September 2006 bedarf es der ständigen Anwesenheit einer Fachkraft, um jederzeit notfallmäßig eingreifen zu können (z. B. Absaugen, Wechsel der Trachealkanüle bei Verlegung). Dies ist als Maßnahme eventuell erforderlicher, aber konkret nicht voraussehbarer Krisenintervention klar der Überwachung der Beatmungsfunktion zuzuordnen, nicht hingegen als Maßnahme der Grundpflege anzusehen (so auch BSG, Urteil vom 10. November 2005, a. a.O.).

Für die Abgrenzung der Kosten zwischen der - grundsätzlich von der Pflegeversicherung zu erbringenden - Grundpflege einerseits und der - in den Bereich der häuslichen Krankenpflege fallenden - Behandlungspflege andererseits hat das BSG in den vom SG zitierten Urteilen eine am Zeitaufwand orientierte Aufteilung vorgeschlagen, der die Beklagte hier auch gefolgt ist. Für die genaue Zuordnung der Zeiteinheiten haben mit den beiden Behandlungsplänen des C.-Pflegedienstes geeignete Unterlagen zu Grunde gelegen. Eine weitergehende Differenzierung hält der Senat bei den hier teilweise ineinander übergehenden Bereichen der Pflege für nur schwer möglich, jedenfalls nicht für rechtlich geboten. Die vom Kläger aus der Entscheidung des BSG vom 28. Januar 1999 a.a.O. zitierte Möglichkeit einer Abgrenzung im Wege der Vereinbarung zwischen Kranken- und Pflegekasse, stellt keine zwingende Voraussetzung dar. Dies zeigt die vom BSG in der genannten Entscheidung unmittelbar danach vorgeschlagene Abgrenzung nach Zeitanteilen, die im Fall des Klägers ja auch vorgenommen worden ist. Im Übrigen hat auch der Kläger nicht aufgezeigt, welchen anderen, ihm günstigeren Inhalt eine vertragliche Regelung haben sollte.

Die genaue Zuordnung der Zeitanteile zu den beiden Bereichen anhand der beiden Behandlungspläne, die zu einer Begrenzung auf 77,78 % bzw. (ab 01. Oktober 2006) 72,92 % des Zeitaufwands führen, ist für den Senat nachvollziehbar und vom Kläger auch nicht in Zweifel gezogen worden.

Da der Anspruch schon dem Grunde nach nicht besteht, kann der Senat die genaue Höhe einer möglichen Kostenerstattung offen lassen. Der Kläger müsste seine Forderung genau beziffern (BSG, Urteil vom 28. Januar 1999, a.a.O.). Insoweit würde weiterer Klärungsbedarf bestehen, weil einerseits nach dem Schreiben des C.-Pflegedienstes vom 5. März 2007 dem Kläger die "Sondervereinbarung" einer Begrenzung der monatlichen Kosten auf 1.000 EUR ab März 2007 angeboten und auf den Anspruch aus den vergangenen Monaten verzichtet wurde, andererseits nach dem Vortrag des Klägers und dem Schreiben des C.-Pflegedienstes vom 21. März 2007 dies keinen Verzicht, sondern "eine Stundung bis zur Klärung des Rechtsstreites" gewesen sein soll.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind. Insbesondere fehlt es an der grundsätzlichen Bedeutung der Sache, nachdem die hier maßgebliche Rechtsfrage in den genannten Entscheidungen des BSG geklärt worden ist.
Rechtskraft
Aus
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