S 116 AS 21638/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
116
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 116 AS 21638/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid des Beklagten vom 19. Juli 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2007 und des Änderungsbescheides vom 7. September 2007 wird insoweit aufgehoben, als die maßgebliche Regelleistung von 347,00 Euro für August 2007 in Höhe von 121,45 Euro und für September 2007 in Höhe von 20,24 Euro gekürzt wurde. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin den einbehaltenen Betrag von 141,69 Euro auszuzahlen. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Kürzung von Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1. August 2007 bis zum 30. September 2007 während einer stationären Rehabilitationsmaßnahme der Klägerin.

Die Klägerin bezieht seit 2005 Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 21. März 2007 bewilligte der Beklagte der allein lebenden Klägerin für die Zeit vom 1. Mai 2007 bis zum 31. Oktober 2007 monatliche Leistungen in Höhe von 591,00 Euro, davon Regelleistungen von 345,00 Euro und anerkannte monatliche Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 246,00 Euro. In der Zeit vom 25. Juli 2007 bis zum 5. September 2007 befand sich die Klägerin in einer von der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) bewilligten medizinischen stationären Rehabilitationsmaßnahme in Bad W. Die DRV bat den Beklagten, das Arbeitslosengeld II während der Rehabilitation weiterzuzahlen, sofern hierfür die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt seien. Ein Anspruch auf Übergangsgeld werde noch geprüft.

Mit Änderungsbescheid vom 19. Juli 2007 bewilligte der Beklagte der Klägerin für die Zeit vom 1. August 2007 bis zum 31. Oktober 2007 insgesamt noch einen Betrag von 471,55 Euro monatlich und hob "die bisher in diesem Zusammenhang ergangenen Entscheidungen auf". Er führte im Bescheid aus: "Folgende Änderungen sind eingetreten: aufgrund der Rehabilitationsmaßnahme Abzug der häuslichen Ersparnis". Im Berechnungsbogen, als Anlage dem Bescheid beigefügt, ergibt sich eine Anrechnung als "sonstiges Einkommen" in Höhe von 121,45 Euro. Dagegen erhob die Klägerin den bei dem Beklagten am 13. August 2007 eingegangenen Widerspruch, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. August 2007 zurückwies. Der Beklagte führte zur Begründung aus, dass ein Betrag von 35 von Hundert der für die Klägerin maßgeblichen Regelleistung entsprechend der Bewertung in der Sachbezugsverordnung, was hier einem Betrag von 121,45 Euro entspreche, als bedarfsmindernde Leistung anzurechnen und die Regelleistung um diesen Betrag unmittelbar zu mindern gewesen sei, weil Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nur insoweit zu erbringen seien als eine Hilfebedürftigkeit auch tatsächlich bestehe. Die Bezeichnung "Sonstiges Einkommen" sei lediglich aus programmtechnischen Gründen erfolgt. Es handele sich aber tatsächlich um die Regelleistung unmittelbar vermindernde ersparte Aufwendungen. Eine Gegenrechung mit etwaigen weiteren durch den stationären Aufenthalt bedingten Kosten sei nicht vorzunehmen, weil diese bei der Bemessung des Regelsatzes bereits mitberücksichtigt worden seien. Die Klägerin hat am 7. September 2007 bei dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben.

Mit Änderungsbescheid vom 7. September 2007 hat der Beklagte der Klägerin für die Zeit vom 1. September 2007 bis zum 30. September 2007 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 572,76 Euro, davon 326,76 Euro zur Sicherung des Lebensunterhalts und vom 1. Oktober 2007 bis 31. Oktober 2007 in Höhe von 593,00 Euro bewilligt. Nach dem als Anlage beigefügten Berechnungsbogen berücksichtigte der Beklagte für September eine Regelleistung von 347,00 Euro auf die "sonstiges Einkommen" in Höhe von 20,24 Euro angerechnet wurden.

Die Klägerin macht geltend, dass die Kürzung ihrer Regelleistung unzulässig sei, da es dafür weder eine Rechtsgrundlage gebe noch nach dem SGB II anrechenbares Einkommen vorliege.

Die Klägerin beantragt,

1. den Bescheid des Beklagten vom 19. Juli 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2007 und des Änderungsbescheides vom 7. September 2007 insoweit aufzuheben, als die maßgebliche Regelleistung von 347,00 Euro für den Monat August 2007 in Höhe von 121,45 Euro und für September 2007 in Höhe von 20,24 Euro gekürzt wurde und 2. den Betrag von 141,69 Euro unverzüglich an sie auszuzahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte bezieht sich auf seine Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und auf den Inhalt seiner Verwaltungsakte.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Akten des Beklagten Bezug genommen. Die Akten haben der Kammer vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Entscheidung und Beratung der Kammer gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und begründet. Gegenstand des Klageverfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 19. Juli 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2007, mit dem der Beklagte die zuvor bis Ende Oktober in Höhe von 345,00 Euro bewilligte Regelleistung ab August 2007 um den Betrag von 121,45 monatlich aufgehoben hat. Nach § 96 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist außerdem Gegenstand des Verfahrens geworden der Änderungsbescheid vom 7. September 2007, mit dem einerseits ab September 2007 eine Regelleistung von nunmehr 347,00 Euro zugrunde gelegt wurde und andererseits die Kürzungen wegen der Beendigung der Rehabilitationsmaßnahme für September 2007 teilweise und für Oktober 2007 vollständig wieder aufgehoben wurden.

Die angefochtenen Bescheide sind insoweit rechtswidrig, als mit ihnen die ursprünglich bewilligte Regelleistung um "sonstiges Einkommen" für August 2007 in Höhe von 121,45 Euro und für September 2007 in Höhe von 20,24 Euro gekürzt wurde. Der Bewilligungsbescheid vom 13. November 2006, mit welchem der Klägerin Leistungen bis einschließlich Oktober 2007 unter Berücksichtigung einer Regelleistung von 100 v. H. zugesprochen worden sind, kann nur bei Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 45 ff. Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch (SGB X) zu ihren Lasten geändert werden. Nach dem allein hier in Betracht kommenden § 48 SGB X ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft oder bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. An einer solchen wesentlichen Änderung der rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse fehlt es hier jedoch. Die rechtlichen Verhältnisse haben sich nicht zu Lasten der Klägerin geändert, vielmehr steht der Klägerin aufgrund von § 20 Abs. 2 S. 1 SGB II in Verbindung mit der Bekanntmachung über die Höhe der Regelleistung nach § 20 Abs. 2 S. 1 für die Zeit ab dem 1. Juli 2007 ein Regelsatz von 347,00 Euro zu. Die tatsächlichen Verhältnisse haben sich zwar durch die stationäre Aufnahme in der Rehabilitationsklinik geändert, wesentlich im Sinne des § 48 SGB X wäre diese Änderung jedoch nur, wenn sie Auswirkungen auf die Anspruchsvoraussetzungen für die schon bewilligten Leistungen nach dem SGB II hätte. Eine Kürzung oder Minderung des Leistungsanspruchs ergibt sich jedoch aufgrund des stationären Aufenthalts in der Rehabilitationsklinik nicht.

Im Falle einer medizinischen Rehabilitation der Rentenversicherung hat wegen § 25 SGB II der Beklagte die bisherigen Leistungen als Vorschuss auf die etwaigen Leistungen der Rentenversicherung weiter zu erbringen.

Eine pauschale Minderung der bisherigen Leistungen ergibt sich nicht aufgrund einer teilweisen Bedarfsdeckung durch die Bereitstellung von Verpflegung in der Rehabilitationsklinik. Die Klägerin hat weiterhin Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II mindestens in der bisher bewilligten Höhe

Eine Kürzung der Regelleistung wegen fehlenden Bedarfs sieht das Gesetz nicht vor. Nach § 7 Abs. 1 SGB II erhält Leistungen nach dem SGB II wer u. a. hilfebedürftig ist. Dies ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen erhält. Der sicherzustellende Lebensunterhalt umfasst dabei den Regelbedarf nach § 20 SGB II und die tatsächlichen und angemessenen Unterkunfts- und Heizungskosten nach § 22 SGB II. Bei der in einer stationären Einrichtung zur Verfügung gestellten Ernährung handelt es sich grundsätzlich um von den Regelleistungen nach § 20 Abs. 1 SGB II umfassten Bedarf. Eine leistungsschädliche Berücksichtigung kommt dennoch nicht in Betracht. Denn § 20 Abs. 1 und 2 SGB II legt die Höhe der monatlichen Regelleistung auf einen absoluten Betrag gesetzlich fest und regelt, welche wesentlichen Bedarfe mit der Regelleistung abgedeckt werden sollen. Der Gesetzgeber hat die Regelleistungen nach dem SGB II (anders als im SGB XII, vgl. dort § 28) ausdrücklich als strikte Pauschalleistungen ausgestaltet und nur in den abschließend normierten Fällen des § 23 Abs. 3 SGB II zusätzliche Leistungen vorgesehen. Er hat damit zum Ausdruck gebracht, dass der Betrag nach § 20 Abs. 2 SGB II dem Hilfebedürftigen ohne Berücksichtigung der individuellen Belange zustehen soll, so dass die Herabsetzung der Regelleistung durch eine wie auch immer geartete Ersparnis ausscheidet (vgl. auch SG Berlin Urteil vom 24. April 2007, S 93 AS 9826/06). Im Gegensatz zu den Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, die nach § 22 Abs. 1 SGB II "tatsächlich" anfallen müssen, kommt es vor dem Hintergrund der gesetzlichen Regelung eines pauschalen Regelbedarfsbetrages zur Verwendung verschiedener individueller Bedarfe auf die tatsächliche Verwendung hier nicht an. Der mit Wirkung vom 1. August 2005 vom Gesetzgeber noch einmal ausdrücklich durch die Einführung des § 3 Abs. 3 S. 2 SGB II SGB II bekräftigte Pauschalierungsgrundsatz führt nicht nur zu einem Verbot, zusätzliche Leistungen nach dem SGB II zu erbringen, sondern gleichzeitig zu einem Rechtsanspruch des Hilfebedürftigen auf die volle pauschalierte Regelleistung. Dem Hilfebedürftigen steht es frei, wie er sich die durch die Regelleistung abgedeckten Dinge des täglichen Lebens beschafft (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 30. Juli 2007, L 8 AS 186/07).

Die während der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme zur Verfügung gestellte Ernährung kann auch nicht als zu berücksichtigendes Einkommen nach § 11 SGB II zur Kürzung der der Klägerin zustehenden Regelleistung führen. Als Einkommen sind gemäß § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II Einnahmen in Geld oder Geldeswert zu berücksichtigen. Einnahmen in Geldeswert sind Sacheinnahmen einschließlich Dienst- und Naturalleistungen, die einen bestimmten, in Geld ausdrückbaren Wert besitzen (vgl. Brühl in LPI-SGB II, § 11 Rn. 11). Bei diesem Geldwert muss es sich um einen Marktwert handeln, da nur solche Leistungen geeignet sind, die aktuelle Hilfebedürftigkeit zu beseitigen. Ein Marktwert liegt erst dann vor, wenn die Möglichkeit besteht, den Sachwert in Geld zu tauschen. Eine solche Möglichkeit der Verwertung der ihr zur Verfügung gestellten Verpflegung stand der Klägerin nicht zur Verfügung (vgl. auch LSG Niedersachsen-Bremen, a. a. O; a. A. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juli 2007, L 7 AS 1431/07). Die Nichtabnahme der vollen oder teilweisen Verpflegung, z. B. aus krankheitsbedingten oder religiösen Gründen, führt auch nicht zu einer letztlich der Klägerin Vorteile verschaffenden Reduzierung der Rehabilitationskosten des Rentenversicherungsträgers oder wirkt sich in irgendeiner Weise auf den ggf. bestehenden Übergangsgeldanspruch aus. Außerdem würde die Berücksichtigung als Einkommen zu einer – vom Gesetzgeber nicht gewollten - Umgehung des Grundprinzips der Pauschalierung führen.

Eine Berücksichtigung als Einkommen kann sich auch nicht aufgrund § 2 Abs. 4 der Arbeitslosengeld II Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) ergeben. Eine direkte Anwendung der Vorschrift scheitert bereits daran, dass § 2 Alg II-V nur für Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit gilt. Für eine analoge Anwendung bleibt unter Berücksichtigung des fehlenden Marktwertes der in der Rehabilitationsklinik zur Verfügung gestellten Ernährung kein Raum. Freie Kost (oder Logis) eines Arbeitgebers (worauf sich § 2 Alg II-V i. V. m. der Sachbezugsverordnung bezieht) besitzen dagegen einen geldwerten – ggf. zu versteuernden - Vorteil und würden bei Nichtinanspruchnahme einen höheren Lohnanspruch bedingen. Auch wäre eine Regelung der Alg II-VO (wie § 2 Abs. 5 des Entwurfs des BMAS zur Neuregelung der Alg II-V, Stand 27. November 2007), mit der "bereitgestellte Verpflegung" überhaupt erst zum "Einkommen" erklärt wird, nicht von der Ermächtigungsgrundlage des § 13 SGB II gedeckt. Nach § 13 SGB II kann durch Rechtsverordnung bestimmt werden, 1. welche weiteren Einnahmen nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind und wie das Einkommen im Einzelnen zu berechnen ist, 2. welche weiteren Vermögensgegenstände nicht als Vermögen zu berücksichtigen sind und wie der Wert des Vermögens zu ermitteln ist; und 3. welche Pauschalbeträge für die von dem Einkommen abzusetzenden Beträge zu berücksichtigen sind. Was dagegen Einkommen ist und als solches überhaupt berücksichtigen ist, bestimmt sich ausschließlich nach § 11 Abs. 1 SGB II und kann nicht zusätzlich durch Rechtsverordnung geregelt werden. Es kann daher im Sinne der beabsichtigten Neuordnung davon ausgegangen werden, dass dort weiterhin ausschließlich Sachbezüge eines Arbeitgebers im Rahmen nichtselbständiger Tätigkeit gemeint sein werden.

Da es daher insgesamt an einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse fehlt, war die Aufhebung der ursprünglich vollständig bewilligten Regelleistung rechtswidrig. Der Klägerin sind die einbehaltenen Beträge für August und September 2007 auf der Grundlage des Bewilligungsbescheides vom 21. Mai 2007 und des Änderungsbescheides vom 7. September 2007 nachzuzahlen. Weiterhin wird der Beklagte für die Monate Juli und August 2007 die Erhöhung des Regelsatzes auf 347,00 Euro zu berücksichtigen haben. Da hierüber jedoch noch keine Entscheidung des Beklagten ergangen ist, konnte die Kammer darüber nicht mitentscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Unterliegen des Beklagten.

Die Berufung bedurfte der Zulassung, da weder die Beschwer bei der streitigen Kürzung der Regelleistung in Höhe von insgesamt 141,69 Euro den Wert nach § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG von 500,00 Euro überschreitet noch laufende Leistungen für mehr als ein Jahr im Streit stehen (§ 144 Abs. 1 S. 2 SGG). Das Gericht hat die Berufung jedoch zugelassen, da die Frage der Anrechnung von zur Verfügung gestellter Verpflegung bei stationärer Unterbringung grundsätzliche Bedeutung hat und noch nicht höchstrichterlich entschieden wurde (§ 144 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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