S 8 KR 377/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 8 KR 377/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KR 106/07
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Frage der Kostenübernahme einer beinverlängernden Operation bei Kleinwuchs.

Bei der 1987 geborenen Klägerin besteht bei einer Körpergröße von 1,43 m ein dysproportionaler Minderwuchs und eine Selbstwertstörung.

Anfang 2006 beantragte die Klägerin die Übernahme der Kosten für eine beinverlängernde Operation unter Vorlage einer entsprechenden Verordnung des Orthopäden C, Arztbriefen der Orthopädischen Universitätsklinik N, des Psychiaters H1 sowie von Fotografien. Nach Anhörung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 19.07.2006 ab. Nach den vorgelegten Fotografien läge keine Dysproportionalität vor. Auch mit einem erreichbaren Längenzuwachs um 8 cm sei die Klägerin noch unterdurchschnittlich klein. Insgesamt liege keine Rechtfertigung für einen operativen Eingriff in prinzipiell gesunde Glieder vor.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein unter Hinweis auf die ärztlich attestierte Dysproportionalität des Minderwuchses unter Beifügung eines Attestes des Orthopäden H2 und eines weiteren Arztbriefes der Universitätsklinik N. Nach erneuter Anhörung des MDK wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21.11.2006 zurück. Es liege keine behandlungsbedürftige Krankheit vor.

Gegen die ablehnenden Bescheide hat die Klägerin Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt. Entgegen dem Standpunkt der Beklagten sei nach den vorgelegten Arztberichten eine medizinische Indikation für die begehrte Operation gegeben. Ungeachtet der psychischen Seite resultiere die medizinische Indikation aus dem vorliegenden Kleinwuchs und der ärztlich attestierten Dysproportionalität. Die Klägerin hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung auf persönliches Befragen hin geltend gemacht, dass sie sich mit der Beinverlängerung Erleichterung bei ihren alltäglichen Einschränkungen (z.B. kein Erreichen höherer Regale, z.B. beim Einkaufen; Unmöglichkeit, einen Stuhl unter Ausnutzen der Rückenlehne benutzen zu können) und bessere Aussichten auf das Erlangen eines Arbeits- oder Ausbildungsplatzes verspreche. So scheide für sie die Tätigkeit als Verkäuferin aus, da sie bereits Schwierigkeiten habe, hinter einer Verkaufstheke wahrgenommen zu werden und höhere Regale zu erreichen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19.07.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.11.2006 zu verurteilen, die Kosten einer operativen Beinverlängerung zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Bescheide aus den dort ausgeführten Gründen für rechtmäßig und weist zusätzlich darauf hin, dass nach den im Schwerbehindertenrecht geltenden Anhaltspunkten ein Grad der Behinderung (GdB) erst bei einer Größe von unter 1,40 m gegeben sei.

Zur weiteren Sachdarstellung wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten und beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Kostenübernahme der begehrten operativen Beinverlängerung zu, § 27 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V).

So besteht nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) ein Anspruch auf Krankenbehandlung in Form körperlicher Eingriffe nicht, wenn diese Maßnahme nicht durch Fehlfunktionen oder Entstellung, also nicht durch einen regelwidrigen Körperzustand im Sinne der krankenversicherungsrechtlichen Grundsätze veranlasst ist (Urteil vom 19.10.2004 - B 1 KR 9/04 R - , 09.06.1998 - B 1 KR 18/96 R - , Beschluss vom 20.06.2005 - B 1 KR 28/04 B - ; in: www.bundessozialgericht.de und juris.de). Eine Fehlfunktion der Beine der Klägerin ist nicht gegeben. Es handelt sich hier um gesunde, funktionierende Gliedmaßen. Insoweit die Klägerin insbesondere auf die ärztlich attestierte Dysproportionalität zwischen Rumpf und Beinen hinweist, ist mit dieser ebenfalls keine körperliche Fehlfunktion verbunden. Es wird von den Ärzten keine Fehlfunktion aufgrund dieser rein rechnerisch ermittelten Dysproportionalität beschrieben und ist dem Gericht eine solche auch nicht ersichtlich. Darüber hinaus ist dem MDK darin beizupflichten, dass sowohl ausweislich der im Verwaltungsverfahren vorgelegten Fotografien als auch im persönlichen Kontakt mit der Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung keine augenfällige Dysproportionalität - etwa im Sinne einer Entstellung - vorliegt. Dementsprechend hatte das Universitätsklinikum N im Arztbrief vom 15.04.2005 auch von einer Dysproportion von "leichtem" Ausmaß berichtet. (vgl. zur Bewertung einer Dysproportion auch: BSG, Urteil vom 19.10.2004 - B 1 KR 9/04 R - , Rn. 14).

Soweit die unterdurchschnittliche Größe der Klägerin bei ihr einen psychischen Leidensdruck verursacht, kann auch dieser einen Anspruch gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung nicht begründen. Selbst wenn der Leidensdruck bereits eine psychische Störung von Krankheitsausmaß darstellen sollte, beschränkt sich der Heilbehandlungs- anspruch deshalb im Allgemeinen auf eine Behandlung mit Mitteln der Psychiatrie und Psychotherapie (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, a.a.O.). Diesen Aspekt hat die Klägerin im Rahmen des Klageverfahrens zu Recht auch nicht weiterverfolgt.

Eine behandlungsbedürftige Entstellung liegt ebenfalls nicht vor. Die Größe der Klägerin mit einem deutlichen Unterschreiten der Durchschnittsgröße könnte zwar möglicherweise als anatomische Abweichung gewertet werden, stellt aber keinesfalls eine Entstellung dar. Davon konnte sich die Kammer sich sowohl im persönlichen Kontakt mit der Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung als auch durch Betrachten der im Verwaltungsverfahren eingereichten Fotografien überzeugen.

Soweit die Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung Beeinträchtigungen geschildert hat, die sie im Alltag aufgrund ihrer unterdurchschnittlichen Größe erleidet (kein Erreichen höherer Regale, z.B. beim Einkaufen; Unmöglichkeit, über höhere Verkaufsstheken hinwegblicken zu können; Unmöglichkeit, einen Stuhl unter Ausnutzen der Rückenlehne benutzen zu können), kann auch dies nicht den Eingriff in ein gesundes, funktionstüchtiges Körperteil rechtfertigen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bedarf der operative Eingriff in ein gesundes und funktionstüchtiges Körperorgan einer besonderen Rechtfertigung. Vorliegend hat das Gericht unter Abwägung der mit dem operativen Eingriff verbundenen erheblichen Risiken (Infektionen, Hautnarben, Überkorrektur, Achsenfehler, ausbleibende Callusbildung; siehe Arztbrief der Universitätsklinik N vom 26.08.2005 - Bl. 7 VA -) mit einer beabsichtigten und erreichbaren Verlängerung der Körpergröße um 8 cm keine besondere Rechtfertigung gesehen. Die von der Klägerin zu erleidenden Beeinträchtigungen mögen durch die aufwändige und risikoreiche Operation in gewisser Weise gelindert werden. Die begehrte Behandlung ist dagegen nicht geeignet, sie zu beheben. Unter Berücksichtigung dieses Abwägungungsergebnisses kann es dahingestellt bleiben, ob es die von der Beklagten zitierten Anhaltspunkten zum Schwerbehindertenrecht als Bewertungsmaßstab zur Behandlungsbedürftigkeit von Kleinwuchs angesehen werden kann, mit der hieraus resultierenden Konsequenz, dass (erst) bei einer Körpergröße von weniger als 1,40 m oder 1,20 m eine Behandlungsbedürftigkeit gegeben ist. Ebensowenig hat es für die Entscheidung eine Rolle gespielt, dass von einem Kleinwuchs im streng definitorischen Sinne bei Frauen erst bei einer Körpergröße von unter 1,40 m auszugehen ist (www.wikipedia.de, Stichwort: Minderwuchs).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Rechtskraft
Aus
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