S 10 AS 957/06

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 10 AS 957/06
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ausbildungsförderung nach dem BAföG ist eine zweckbestimmte Einnahme im Sinne des § 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchstabe a SGB II und daher nur insoweit als Einkommen zu berücksichtigen, als es nicht für ausbildungsbedingte Ausgaben aufgewendet wird. Schulgeld und nachgewiesene Fahrtkosten sind als ausbildungsbedingte Aufwendungen anzuerkennen, die Einnahmen aus
Ausbildungsförderung sind entsprechend zu reduzieren.
I. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger im Zeitraum.2006 bis 31.08.2006 Leistungen nach dem SGB II ohne Anrechnung von Einkünften aus BAföG zu gewähren.
II. Der Bescheid vom 28.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.05.2006 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.
III. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
IV. Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum.2006 bis 31.08.2006. Der am 1988 geborene Kläger beantragte bei der Beklagten am 02.02.2006 erstmals Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Er absolvierte ab 23.08.2004 bei dem B. (b.) eine Ausbildung zum Staatlich geprüften Assistenten für Softwaretechnologie. Gemäß der Ausbildungsvereinbarung hat er monatlich eine "Systemnutzungsgebühr" in Höhe von 175 EUR zu entrichten. Das Amt für Ausbildungsförderung der Landeshauptstadt Dresden bewilligte dem Kläger seit August 2004 monatlich Ausbil-dungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) in Höhe von 192 EUR. Der Kläger war 2006 Inhaber einer Abo-Monatskarte der Dresdner Verkehrsbetriebe (DVB), für die seine Mutter monatlich 27 EUR zahlte. Bis zum.2006, dem Tag vor der Vollendung seines 18. Lebensjahres, gehörte der Kläger einer Bedarfsgemeinschaft mit seinen Eltern und seinem Bruder an, die seit 01.01.2005 Leistungen nach dem SGB II bezog. Mit Bescheid vom 28.03.2006 bewilligte die Beklagte dem Kläger für den Zeitraum.2006 bis 31.03.2006 Leistungen in Höhe von 220,64 EUR und für den Zeitraum vom 01.04.2006 bis 31.08.2006 in Höhe von monatlich 367,70 EUR. Hierbei legte sie bei den Ko-sten der Unterkunft eine monatliche Grundmiete von 562,42 EUR, monatliche Betriebskosten in Höhe von 114,73 EUR und monatliche Heizkosten in Höhe von 103 EUR abzüglich einer Warmwasserbereitungspauschale in Höhe von 18,92 EUR für die Familie zu Grunde und rechnete ¼ dieser Kosten, insgesamt monatlich 190,30 EUR dem Kläger zu. Auf den zuzüglich der Regelleistung von monatlich 331 EUR so ermittelten Bedarf in Höhe von monatlich 521,30 EUR rechnete die Beklagte Einkünfte in Höhe von 153,60 EUR monatlich aus Ausbildungsförderung an. Die monatlich bezogene BAföG-Leistung verminderte sie hierbei um 20 %. Der Kläger erhob am 25.04.2006 Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15.05.2006 zurückwies. Der Kläger zu 1 hat am 14.06.2006 Klage erhoben. Die Ausbildungsförderung nach dem BAföG sei eine Einnahme im Sinne des § 11 Abs. 2 Nr. 5 SGB II. Sie sei zweckveranlasst. Daher sei das Schulgeld, das zur Verwirklichung des Zweckes der Ausbildungsförderung, nämlich der Ausbildung, gezahlt werden müsse, als notwendige Ausgabe anzurechnen. Auch die Ausgaben für die Monatskarte der DVB seien anrechenbar. Der Kläger beantragt: 1. Der Bescheid der Beklagten vom 28.03.2006 in Gestalt des Widerspruchs-bescheides vom 15.05.2006 wird insoweit aufgehoben, als dem Kläger auf seinen Bedarf 153,60 EUR aus Schüler-BAföG als Einkommen angerechnet werden. 2. Die Beklagte wird verurteilt, für den Zeitraum.2006 bis 31.08.2006 Arbeitslosengeld II in gesetzlicher Höhe zu zahlen. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen und die Sprungrevision zuzulassen. Sie trägt im Wesentlichen vor, nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB II könnten nur die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben vom betreffenden Einkommen abgesetzt werden. Der Bezug von Ausbildungsförderung nach dem BAföG sei nicht notwendig mit einer Studien- und Lehrgebühr verbunden. Nach dem BAföG förderfähige Bildungsabschlüsse könnten auch an kostenfreien staatlichen Einrichtungen erworben werden. Es könne nicht Aufgabe des SGB II-Trägers sein, den Besuch privater Bil-dungseinrichtungen zu finanzieren. Die Aufwendungen für privates Schulgeld stellten keine Werbungskosten im Sinne von § 9 EStG dar. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Akte S 10 AS 1310/05 und der vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Az. 07402BG0058776 und 07402BG0018204 (1 Band und 2 Bände Behelfsakten) Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat im Zeitraum vom.2006 bis 31.08.2006 einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II ohne Anrechnung von Einkünften aus Ausbildungsförde-rung nach dem BAföG. Der Bescheid vom 28.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.06.2006 ist rechtswidrig, soweit er dem Kläger diesen Anspruch versagt, und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Nach § 7 Abs. 1 SGB II erhalten Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben, Leistungen nach dem SGB II. Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einer Bedarfsgemeinschaft leben (§ 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II). Dabei gehören zur Bedarfsgemeinschaft die erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und als Partner des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen dessen nicht dauernd getrennt lebender Ehegatte sowie deren dem Haushalt angehörende minderjährige unverheirateten Kinder (§ 7 Abs. 3 SGB II in der bis 31.07.2006 geltenden Fassung [a.F.]). Der Kläger bildete daher ab der Vollendung des 18. Lebensjahres am.2006 bis zum Ende des Bewilligungszeitraumes aus dem Bescheid vom 28.03.2006 am 31.08.2006 eine eigene Bedarfsgemeinschaft, vgl. § 68 Abs. 1 SGB II. Streitig ist hier ausschließlich die Höhe des Anspruches im Zeitraum.2006 bis 31.08.2006. Der Kläger ist grundsätzlich erwerbsfähig und hat seinen gewöhnlichen Auf-enthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 4 SGB II). Er hat nur Anspruch auf Leistungen, soweit er hilfebedürftig ist (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II). Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält (§ 9 Abs. 1 SGB II). Die Höhe des Anspruches auf Arbeitslosengeld II bemisst sich nach § 19 SGB II. Der Bedarf des Klägers ergibt sich zum einen aus der ihm gemäß § 20 Abs. 2 SGB II zustehenden Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 331 EUR, weil der Kläger seinen Wohnsitz in den neuen Bundesländern hat. Zum anderen gehören dazu die ihm gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zustehenden Leistungen für Unterkunft und Heizung, die hier insgesamt 190,30 EUR monatlich betragen. Anhaltspunkte für eine Unangemessenheit dieser Kosten sind nicht vorgetragen. Insoweit besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit, so dass sich der Rechtsstreit auf die Frage der Höhe der Leistungen der Kosten der Unterkunft und Heizung nicht erstreckt (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 8/06 R –). Damit beträgt der monatliche Bedarf des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum 521,30 EUR. Von dem so ermittelten monatlichen Bedarf war gemäß § 11 SGB II das zu berücksichtigende Einkommen abzuziehen. Die Ausbildungsförderung nach dem BAföG, die der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum bezog, ist nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Gemäß § 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchstabe a SGB II sind Einnahmen, soweit sie als zweckbestimmte Einnahmen einem anderen Zweck als die Leistungen nach dem SGB II dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären, nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Zweckbestimmte Einnahmen in diesem Sinne sind solche, die dazu bestimmt sind, der Finanzierung des laufenden Unterhalts oder der Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit zu dienen. Die Zweckbe-stimmung muss nicht ausdrücklich im Gesetz benannt sein, sie kann sich auch aus der erkennbaren Zweckbestimmung des Gesetzes ergeben (SächsLSG, Urteil vom 25.10.2007 – L 2 AS 43/07 –; Beschluss vom 16.07.2007 – L 3 B 414/06 AS-ER –, jeweils mit weiteren Nachweisen). In diesem Sinne ist die Ausbildungsförderung nach dem BAföG in Höhe des für die Ausbildung gewährten Betrages eine zweckbestimmte Leistung. Dies ergibt sich aus der Zweckbestimmung des § 11 Abs. 1 BAföG. Danach wird sie für den Lebensunterhalt und die Ausbildung geleistet. Dass die Ausbildungsförderung auch noch einem anderen Zweck als die Leistung nach dem SGB II dient, steht ihrer Qualifizierung als zweckbestimmte Einnahme im Sinne von § 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchstabe a SGB II nicht entgegen (vgl. SächsLSG, Urteil vom 25.10.2007 – L 2 AS 43/07 –; Beschluss vom 16.07.2007 – L 3 B 414/06 AS-ER –, jeweils mit weiteren Nachweisen). Ausgehend davon ist der Anteil zu bestimmen, der auf die Ausbildung entfällt und damit nicht als Einkommen zu berücksichtigen ist. Für die generelle pauschalierte Quotelung, wie sie die Antragsgegnerin vorgenommen hat, bietet weder § 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchstabe a SGB II noch § 11 Abs. 1 BAföG eine Stütze. Es ist vielmehr im Einzelfall nach den zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln eine Aufteilung der auf den Unterhalt und auf die Ausbildung entfallenden Anteile vorzunehmen. Als zweckbestimmte Einnahmen im Sinne von § 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchstabe a SGB II ist der Anteil der Ausbildungsförderung zu berücksichtigen, der mit Nachweisen belegt und in angemessenem Umfang auf die Ausbil-dungsförderung entfällt (SächsLSG, Urteil vom 25.10.2007 – L 2 AS 43/07 –; Beschluss vom 16.07.2007 – L 3 B 414/06 AS-ER –). Der Kläger hat im streitgegenständlichen Zeitraum monatlich Ausbildungsförderung nach dem BAföG in Höhe von 192 EUR bezogen. Er hat durch Vorlage des Ausbildungsvertrages nachgewiesen, dass er im gleichen Zeitraum an den ausbildenden Schulträger b. monatlich eine "Systemnutzungsgebühr" in Höhe von 175 EUR entrichtet hat. Dieser Betrag ist eine ausbildungsbedingte Ausgabe und damit in voller Höhe anrechenbar. Der Kläger hat ferner für die Fahrten zur Ausbildungsstätte eine ermäßigte Abo-Monatskarte der DVB für 27 EUR monatlich erworben. Die diesbezüglichen tatsächlichen Aufwendungen sind durch Vorlage der entsprechenden Kontoauszüge belegt. Die für die täglichen Fahrten zur Ausbildungsstätte entstehenden tatsächlichen Kosten sind abzuziehen, wenn sie konkret nachgewiesen sind (SächsLSG, Urteil vom 25.10.2007 – L 2 AS 43/07 –). Somit hat der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum monatliche ausbildungsbedingte Aufwendungen in Höhe von 202 EUR nachgewiesen. Dies ist für die konkrete Ausbildung nicht unangemessen. Damit musste er die vollständige Ausbildungsförderung nach dem BAföG für ausbildungsbedingte Aufwendungen ausgeben, es verblieb ihm kein Anteil, den er zur Bestreitung seines Unterhaltes hätte aufwenden können. Die Ausbildungsförderung nach dem BAföG fällt damit in vollem Umfang unter die Ausschlussvorschrift des § 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchstabe a SGB II, eine Berücksichtigung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II scheidet folglich aus. Der Kläger hat daher einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen in der vollen Höhe seines monatlichen Bedarfes im streitgegenständlichen Zeitraum. Bei der Berechnung des genauen Anspruches des Klägers wird die Beklagte die Rundungsvorschrift des § 41 Abs. 2 SGB II zu beachten haben, BSG, Urteil vom 23.11.2006 – B 11b AS 17/06 R –.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Sprungrevision war gemäß §§ 161 Absatz 2 Satz 1, 160 Absatz 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Frage der Anrechnung von Leistungen nach dem BAföG wird in einer großen Zahl gleichgelagerter Fälle aufgeworfen und ist bislang höchstrichterlich nicht geklärt. Es ist auch bislang noch kein Revisionsverfahren vor dem BSG zu dieser Rechtsfrage bekannt.
Rechtskraft
Aus
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