L 9 SO 121/07 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 14 SO 108/07 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 SO 121/07 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Bei der Aufrechnung handelt es sich um die Ausübung eines schuldrechtlichen Gestaltungsrechts durch öffentlich-rechtliche Willenserklärung. Einstweiliger Rechtsschutz gegen die Aufrechnung richtet sich daher regelmäßig nach § 86b Abs. 2 SGG. Offen bleibt, ob die Behörde befugt ist, die Aufrechnung auch durch Verwaltungsakt zu regeln.

2. Die Einbehaltung monatlicher Darlehensrückzahlungsraten für eine Mietkaution und Umzugskosten kann weder auf §§ 29, 37 SGB XII noch auf § 26 SGB XII gestützt werden. §§ 51, 54 SGB I ermöglichen eine Aufrechnung nur, soweit die Ansprüche des Leistungsbrechtigten pfändbar sind. Das ist bei Ansprüchen auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII nicht der Fall.

3. Der Behörde ist es insoweit wegen des Grundsatzes von Treu und Glauben verwehrt, sich auf Tilgungsvereinbarungen in Darlehensverträgen zu berufen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 6.9.2006 - L 13 AS 3108/06 ER - info also 2007, 119 und Hess. LSG - 6. Senat - Beschluss vom 5.9.2007 - L 6 AS 145/07 ER - info also 2007, 268).
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 5. November 2007 aufgehoben.

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig ab 11. August 2007 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) ohne Einbehaltung von Rückzahlungsbeträgen für Mietkautions- und Umzugskostendarlehen zu gewähren.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) von dem Antragsgegner. Er wendet sich gegen die Einbehaltung in Höhe von derzeit noch 34,70 EUR monatlich aufgrund ihm gewährter Darlehen für Umzugskosten und Mietkaution.

Zum 1. November 2006 bezog der Antragsteller die Wohnung A-Straße in A-Stadt. Nach dem am 18. Oktober 2006 geschlossenen Mietvertrag beträgt die Miete einschließlich Betriebskosten für die 38,52 m² große Wohnung 270 EUR monatlich. Im Zusammenhang mit dem Umzug bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller mit Darlehensverträgen vom 23. Oktober 2006 und vom 4. Dezember 2006 Darlehen nach § 37 SGB XII in Höhe von 538 EUR und von 371,20 EUR zur Zahlung der Mietkaution und der Umzugskosten. Nach den Verträgen verpflichtet sich der Antragsteller zur Rückzahlung der Darlehen in Höhe von jeweils 20 EUR monatlich ab 1. November 2006 bzw. ab 1. Januar 2007, die unmittelbar von den Leistungen nach dem SGB XII einbehalten werden. Der Antragsgegner behielt von den dem Antragsteller bewilligten Leistungen mit Änderungsbescheid vom 2. November 2006 20 EUR ab November 2006 und mit weiterem Änderungsbescheid vom 15. Dezember 2006 40 EUR ab Januar 2007 ein. Unter dem 5. Juni 2007 beantragte der Antragsteller die Weiterbewilligung von Leistungen nach dem SGB XII. Dabei gab er u.a. an, über kein Vermögen zu verfügen. Mit Bescheid vom 15. Juni 2007 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung vom 1. Juli 2007 bis zum 30. Juni 2008, wobei von der Grundsicherungsleistung in Höhe von 173,16 EUR weiterhin 40 EUR einbehalten wurden. Mit Änderungsbescheid vom 25. Juni 2007 berechnete der Antragsgegner die Leistungen unter Berücksichtigung der Erhöhungen des Regelsatzes und der Erwerbsunfähigkeitsrente ab 1. Juli 2007 neu. Der Änderungsbescheid enthält folgende Bestimmung: "Dieser Bescheid hebt alle vorhergehenden Bescheide über die Höhe der Gewährung von Hilfe nach dem SGB XII auf, soweit sie sich auf gleiche Zeiträume beziehen. Die übrigen Bestimmungen des Erstbescheides bleiben weiterhin bestehen." Mit anwaltlichem Schreiben vom 10. Juli 2007, bei dem Antragsgegner eingegangen am 11. Juli 2007, hat der Antragsteller Widerspruch gegen den Bescheid vom 25. Juni 2007 eingelegt. Zur Begründung hat er geltend gemacht, er widerspreche den Einbehaltungen wegen Kautions- und Umzugskostendarlehen. Ein Einverständnis zu den Einbehaltungen werde als Verzicht auf Sozialleistungen widerrufen. Zugleich werde ein Überprüfungsantrag (§ 44 SGB X) wegen dieser Punkte hinsichtlich der vorangegangenen bestandskräftigen Bescheide gestellt. Mit Widerspruchsbescheid vom 30. Juli 2007 wies der Antragsgegner den Widerspruch mit der Begründung zurück, die Bescheide vom 2. November 2006 und vom 15. Dezember 2006 seien bestandskräftig.

Der Antragsteller hat am 11. August 2007 beim Sozialgericht Wiesbaden Klage erhoben (S 14 SO 109/07) und gleichzeitig um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.

Mit Änderungsbescheid vom 20. September 2007 nahm der Antragsgegner auf den Überprüfungsantrag des Antragstellers die Bescheide vom 2. November 2006 und vom 15. Dezember 2006 bezüglich der Höhe der Einbehaltungsraten teilweise zurück und setzte diese auf monatlich jeweils 17,35 EUR statt bisher 20 EUR fest. Ein völliges Aussetzen der Darlehenstilgungen sei außer Betracht geblieben. Wohnungsbeschaffungskosten, Mietkautionen und Umzugskosten könnten nach § 29 SGB XII bei vorheriger Zustimmung übernommen werden. Im Rahmen einer Ermessensentscheidung sei im vorliegenden Fall die Gewährung von Darlehen nach § 37 SGB XII gewählt worden. Der Umzug des Antragstellers sei ausschließlich auf seinen eigenen Wunsch erfolgt. Die Kosten der Unterkunft des zuvor genutzten Wohnraumes seien gemäß den Richtlinien des Antragsgegners angemessen, so dass der Umzug nicht notwendig gewesen und auch nicht gefordert worden sei. Von der Möglichkeit der Darlehensgewährung sei jedoch Gebrauch gemacht worden, um den Antragsteller bei seinem Anliegen zu unterstützen. § 37 Abs. 2 SGB XII sehe ausdrücklich vor, dass die Rückzahlung eines Darlehens in monatlichen Teilbeträgen in Höhe von bis zu 5 v. H. des Eckregelsatzes von der Leistung einbehalten werden könne.

Soweit der Antragsgegner dem Begehren des Antragstellers entsprochen hat, hat der Antragsteller das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt. Im Übrigen hat er auch gegen den Bescheid vom 20. September 2007 Widerspruch eingelegt.

Das Sozialgericht hat den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes mit Beschluss vom 5. November 2007 mit der Begründung abgelehnt, der Antragsteller habe einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht, da die Unterdeckung seines Existenzminimums ab Antragstellung im Eilverfahren nicht mehr als 10 v. H. der monatlichen Regelleistungen zum Lebensunterhalt betrage. Der Antragsteller habe auch einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Der Bewilligungsbescheid vom 15. Juni 2007 sei bestandskräftig geworden, die Änderungsbescheide vom 25. Juni 2007 und vom 20. September 2007 enthielten keine den Antragsteller belastenden Regelungen. Die Bestandskraft des Bewilligungsbescheides vom 15. Juni 2007 sei auch nicht durch eine Verwaltungsentscheidung nach § 44 SGB X durchbrochen. Der Überprüfungsbescheid vom 20. September 2007 erfasse den Bescheid vom 15. Juni 2007 ausweislich seines Wortlautes nicht. Der Überprüfungsantrag des Bevollmächtigten des Antragstellers vom 11. Juli 2007 "wegen dieser Punkte hinsichtlich der vorangegangenen bestandskräftigen Bescheide" sei mangels Konkretisierung der zu überprüfenden Bescheide zu unbestimmt und nenne insbesondere den Bescheid vom 15. Juni 2007 nicht. Danach könne es auf inhaltliche Aspekte der Einbehaltung von Darlehensrückzahlungen im vorliegenden Verfahrensstadium nicht ankommen.

Der Antragsteller hat gegen diesen Beschluss am 10. November 2007 beim Sozialgericht Wiesbaden Beschwerde eingelegt, mit der er beantragt, unter Herstellung der aufschiebenden Wirkung seinem Begehren zu entsprechen. Der Antragsgegner ist der Beschwerde entgegengetreten und beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Beschluss vom 12. November 2007).

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde war sinngemäß dahin auszulegen, dass der Antragsteller unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Wiesbaden vom 5. November 2007 den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der Auszahlung der Hilfeleistungen ohne Einbehaltung von Rückzahlungsbeträgen für Mietkautions- und Umzugskostendarlehen ab Eingang des Eilantrages beim Sozialgericht (11. August 2007) begehrt.

Die von dem Bevollmächtigten des Antragstellers beantragte "Herstellung der aufschiebenden Wirkung" scheidet schon deshalb aus, weil das Sozialgerichtsgesetz (SGG) einen solchen Rechtsbehelf nicht kennt. § 86b Abs. 1 Satz 1 SGG ermöglicht nur die Anordnung der sofortigen Vollziehung in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben (Nr. 1), die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben (Nr. 2) und die Wiederherstellung der sofortigen Vollziehung in den Fällen des § 86a Abs. 3 (Nr. 3). Darüber hinaus ist § 86b Abs. 1 SGG entsprechend anzuwenden, wenn die Verwaltung die aufschiebende Wirkung nicht beachtet. In diesem Fall kann das Gericht auf Antrag durch Beschluss aussprechen, dass die Klage aufschiebende Wirkung hat (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 86b Rdnr. 15 m.w.N.).

Ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG liegt hier aber nicht vor. Dies folgt allerdings nicht schon daraus, dass – wie das Sozialgericht meint – der Änderungsbescheid vom 25. Juni 2007 lediglich den Antragsteller begünstigende Regelungen enthält. Zwar wurden dem Antragsteller mit Bescheid vom 15. Juni 2007 ab 1. Juli 2007 Hilfeleistungen in Höhe von 173,16 EUR monatlich und mit Änderungsbescheid vom 25. Juni 2007 Leistungen in Höhe von 173,92 EUR monatlich bewilligt. Der Änderungsbescheid vom 25. Juni 2007 hebt aber ausdrücklich alle vorhergehenden Bescheide über die Höhe der Gewährung von Hilfe nach dem SGB XII auf, soweit sie sich auf gleiche Zeiträume beziehen. Die übrigen Bestimmungen des Erstbescheides bleiben danach weiterhin bestehen. Diese Klausel des Bescheides kann nur dahin verstanden werden, dass die Höhe der auszuzahlenden Leistung unter Aufhebung des Ausgangsbescheides umfassend – also auch hinsichtlich von Einbehaltungen – neu festgesetzt wird. Insoweit enthält der Änderungsbescheid belastende Regelungen, gegen die sich der Antragsteller mit Widerspruch und Klage zur Wehr setzen kann. Daher kann die Frage, ob der Ausgangsbescheid vom 15. Juni 2007 trotz des Schreibens des Bevollmächtigten vom 11. Juli 2007 bestandskräftig geworden ist, ggf., wie es zu bewerten ist, dass dem Bevollmächtigten der Bescheid vom 15. Juni 2007 nicht bekannt war, weil "er in seiner Handakte nicht vorhanden ist" (Schriftsatz vom 10. November 2007), dahingestellt bleiben.

Einstweiliger Rechtsschutz nach § 86b Abs. 1 SGG scheidet im vorliegenden Fall aber deshalb aus, weil die von dem Antragsteller angegriffenen Einbehaltungen zur Tilgung von Darlehen nicht durch Verwaltungsakt erfolgt sind. Die auf § 29 i.V.m. § 37 SGB XII gestützte Entscheidung des Antragsgegners, Teile der laufenden Leistungen nach dem SGB XII zur Tilgung des Darlehens einzubehalten, ist nach Widerruf des Einverständnisses durch den Antragsteller (Schreiben des Bevollmächtigten vom 10. Juli 2007, bei dem Antragsgegner eingegangen am 11. Juli 2007), als Aufrechnung anzusehen (ebenso LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. September 2006 – L 13 AS 3108/06 ER-B – info also 2007, 119; Hess. LSG, Beschluss vom 5. September 2007 – L 6 AS 145/07 ER –). Bei der Aufrechnung handelt es sich um die Ausübung eines schuldrechtlichen Gestaltungsrechts im Wege öffentlich-rechtlicher Willenserklärung (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, Anh. § 54 Rdnr. 4c). In welcher Form diese Willenserklärung abgegeben werden kann und ob die Behörde befugt ist, die Aufrechnung auch durch Verwaltungsakt zu regeln, braucht im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden. Gegen die generelle Einstufung der Aufrechnung als Verwaltungsakt spricht allerdings die neuere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, wonach die wirksame Aufrechnung allein zum Erlöschen von Ansprüchen führt, ohne dass das im Verwaltungsakt festgesetzte Recht (hier: Anspruch auf Sozialhilfeleistungen) verändert oder sonst geregelt wird (BSG, Urteil vom 24. Juli 2003 – B 4 RA 60/02 RSozR 4-1200 § 52 Nr 1; ebenso BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 1982 – 3 C 6/82BVerwGE 66, 218; Beschluss vom 11. August 2005 – 2 B 2/05 – und BFH, Urteil vom 31. August 1995 – VII R 58/94 BB 1995, 2358; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19. September 2007 – L 19 B 72/07 AS ER –; anders die frühere Rechtsprechung des BSG, die die Aufrechnung als Verwaltungsakt angesehen hat – vgl. Urteil vom 16. September 1981 – 4 RJ 107/78BSGE 52, 98, Urteil vom 25. März 1982 – 10 RKg 2/81BSGE 53, 208, 209; Urteil vom 21. Juli 1988 – 7 RAr 51/86BSGE 64, 17, 22; Urteil vom 9. November 1989 – 11 RAr 7/89BSGE 66, 63; Urteil vom 18. Februar 1992 – 13/5 RJ 61/90SozR 3-1200 § 52 Nr 3; vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23. Juli 1997 – 8 B 623/97NJW 1997, 3391, wonach die Aufrechnung nach § 25a BSHG als Verwaltungsakt zu qualifizieren sei; insoweit a.M. Bayer. VGH, Beschluss vom 13. Januar 1997 – 12 CE 95.504 –). Nach den Umständen des vorliegenden Falles kann jedenfalls von einer Regelung durch Verwaltungsakt nicht ausgegangen werden. Für das Vorliegen eines Verwaltungsakts im Sinne des § 31 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist maßgeblich der entsprechend § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu bestimmende objektive Erklärungswert. Dabei ist auf materielle, nicht auf formelle Kriterien abzustellen. Die Einbehaltungen wurden in den Bescheiden vom 15. Juni 2007 und vom 25. Juni 2007 nicht in besonderen Verfügungssätzen geregelt. Die Darlehensraten wurden vielmehr in der als Anlage zu dem jeweiligen Bescheid beigefügten Bedarfsberechnung von der Summe der laufenden Leistung in Abzug gebracht, so dass sich ein entsprechend verminderter Zahlbetrag ergab. Der Antragsgegner begründet die Einbehaltungen mit den zuvor geschlossenen Darlehensverträgen. Damit fehlt es an einer als Verwaltungsakt zu qualifizierenden Regelung. Einstweiliger Rechtsschutz gerichtet auf die ungekürzte Auszahlung der Hilfe kann daher statthaft nur im Wege einer einstweiligen Anordnung erfolgen.

Nach dem Änderungsbescheid des Antragsgegners vom 20. September 2007 und der Teilerledigungserklärung des Antragstellers (Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 24. September 2007) waren nur noch Einbehaltungen in Höhe von zweimal 17,35 EUR monatlich im Streit. Hinsichtlich dieses Betrages liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung für die hier streitentscheidende Zeit ab dem 11. August 2007 (Eingang des Eilantrages beim Sozialgericht) vor.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis getroffen werden, wenn dies zur Abwehr wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies setzt voraus, dass das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) und die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft gemacht werden (§ 86b Abs. 2 Satz 3 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO –).

Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

Die von dem Antragsgegner erklärte Aufrechnung in Höhe von zuletzt noch 34,70 EUR monatlich ist unwirksam, so dass der Anspruch des Antragstellers auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII in dieser Höhe nicht erloschen ist.

Voraussetzungen und Wirkungen einer Aufrechnung beurteilen sich nach § 51 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I), der den Grundgedanken der zivilrechtlichen Regelungen der §§ 387 ff. BGB in das Sozialrecht überträgt. Soweit das SGB XII eine Sonderregelung zur Aufrechnung enthält, findet, sofern einschlägig, diese vorrangig Anwendung. Auf eine solche Sonderregelung kann sich der Antragsgegner im vorliegenden Fall aber nicht berufen.

Der Antragsgegner kann die Einbehaltung monatlicher Darlehensrückzahlungsraten nicht auf § 29 i.V.m. § 37 SGB XII stützen. § 37 Abs. 1 SGB XII ermöglicht es dem Hilfeträger in Fällen, in denen ein von der Regelleistung umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts auf keine andere Weise gedeckt werden kann, auf Antrag hierfür notwendige Leistungen als Darlehen zu erbringen. Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB XII kann bei Empfängern von Hilfe zum Lebensunterhalt die Rückzahlung des Darlehens in monatlichen Teilbeträgen in Höhe von bis zu 5 vom Hundert des Eckregelsatzes von der Leistung einbehalten werden. Es kann im vorliegenden Fall offen bleiben, ob es sich bei dieser Anrechnungsregelung rechtstechnisch um eine Aufrechnung handelt (so LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. September 2006 s.o.). Denn die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind hier nicht gegeben, da die dem Antragsteller gewährten Darlehen für Umzugskosten und Mietkaution keine Darlehen im Sinne des § 37 Abs. 1 SGB XII sind, mit dem ein von der Regelleistung umfasster unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts gedeckt wird. Vielmehr gehören Mietkautionen und Umzugskosten zu den in § 29 SGB XII geregelten Leistungen für Unterkunft und Heizung; dies ergibt sich schon aus der ausdrücklichen Erwähnung dieser Aufwendungen in der Aufzählung des § 29 Abs. 1 Satz 7 SGB XII. Es kann daher nicht zweifelhaft sein, dass jedenfalls der durch eine Mietkaution und Umzugskosten entstehende Bedarf nicht von der Regelleistung abgedeckt wird, sondern es sich um besondere Aufwendungen zur Deckung des Unterkunftsbedarfs handelt. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass nach den Darlehensverträgen die Umzugskosten- bzw. Mietkautionsdarlehen nach § 37 Abs. 1 SGB XII gewährt werden. Denn die in den Verträgen angegebene Rechtsgrundlage ändert nichts an der materiell-rechtlichen Einordnung der hier in Rede stehenden Hilfeleistungen. Damit ist für die Frage der Zulässigkeit der Aufrechnung zunächst auf § 29 SGB XII abzustellen. Diese Vorschrift enthält weder eine § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB XII vergleichbare Regelung noch eine Verweisung auf § 37 SGB XII, so dass die Einbehaltungen auch nicht auf eine Verknüpfung der Regelungen in § 29 SGB XII einerseits und § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB XII andererseits gestützt werden können. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber eine Aufrechnung durch monatliche Tilgung nach Gewährung eines Darlehns nur in den Fällen normiert hat, in denen regelmäßig ein pflichtwidriges Handeln des Hilfeempfängers zugrunde liegt (§ 26 Abs. 2 SGB XII: Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen, Ansprüche auf Kostenersatz wegen schuldhaften Verhaltens bzw. wegen zu Unrecht erbrachte Leistungen; § 26 Abs. 3 SGB XII: Leistungen für einen Bedarf, der durch vorangegangene Leistungen der Sozialhilfe an die leistungsberechtigte Person bereits gedeckt worden war; § 37 SGB XII: Unterlassung der Bildung von Rücklagen). Das trifft aber nicht auf diejenigen zu, die Umzugskosten aufzuwenden haben und sich dem üblichen Verlangen von Vermietern auf Stellung einer Mietkaution ausgesetzt sehen.

Auch die Voraussetzungen des § 26 Abs. 2 und 3 SGB XII sind im vorliegenden Falle nicht erfüllt. Denn der von dem Antragsgegner geltend gemachte Anspruch auf Darlehensrückzahlung betrifft weder die Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen der Sozialhilfe, die die leistungsberechtigte Person oder ihr Vertreter durch vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben oder durch pflichtwidriges Unterlassen veranlasst hat, noch Ansprüche auf Kostenersatz nach den §§ 103 (wegen schuldhaften Verhaltens) und 104 SGB XII (wegen zu Unrecht erbrachte Leistungen) noch den Fall, dass Leistungen für einen Bedarf übernommen wurden, der durch vorangegangene Leistungen der Sozialhilfe an die leistungsberechtigte Person bereits gedeckt worden war.

Die Rechtmäßigkeit der Aufrechnung beurteilt sich daher nach der allgemeinen Vorschrift des § 51 Abs. 1 SGB I. Danach kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf Geldleistungen mit Ansprüchen gegen den Berechtigten aufrechnen, soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs. 2 und 4 pfändbar sind. Der im vorliegenden Fall einschlägige § 54 Abs. 4 SGB I bestimmt, dass Ansprüche auf laufende Geldleistungen wie Arbeitseinkommen gepfändet werden können. Dabei ist selbst beim Bestehen einer Aufrechnungslage der für ein Arbeitseinkommen nach den §§ 850 ff. ZPO geltende Pfändungsschutz zu beachten. Nach § 850c Abs. 1 Satz 1 ZPO ist Arbeitseinkommen unpfändbar, wenn es in dem Zeitraum, für den es gezahlt wird, nicht mehr als 930,00 EUR monatlich beträgt. Da die Grundsicherungsleistungen des Antragstellers diese Höhe offensichtlich nicht erreichen, ist sein gesamter Leistungsanspruch unpfändbar, so dass eine Aufrechnung nicht möglich ist.

Daraus folgt, dass die in den Darlehensverträgen vom 23. Oktober 2006 und vom 4. Dezember 2006 enthaltenen Tilgungsvereinbarungen rechtswidrig sind. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Vereinbarungen nach § 58 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 134 BGB nichtig sind. Dem Antragsgegner ist es jedenfalls in Anwendung des in § 242 BGB geregelten und über § 61 Satz 2 SGB X anwendbaren Grundsatzes von Treu und Glauben verwehrt, sich auf die Tilgungsvereinbarungen als Rechtsgrundlage für die Aufrechnung zu berufen, denn der Antragsgegner hat die Aufnahme der rechtswidrigen Rückzahlungsvereinbarung in die Darlehensverträge veranlasst. Es würde eine unzulässige Rechtsausübung darstellen, wenn er sich nun darauf berufen könnte (ebenso LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. September 2006 s.o, Hess. LSG, Beschluss vom 5. September 2007 s.o.).

Gleiches gilt, wenn man in den Darlehensverträgen einen (Teil-) Verzicht auf Sozialleistungen im Sinne des § 46 Abs. 1 SGB I sehen würde. Soweit auf existenzsichernde Leistungen überhaupt verzichtet werden kann, stünde auch einer Berufung des Antragsgegners auf einen Verzicht der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen. Im Übrigen können eventuelle Verzichtserklärungen mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden. Ein derartiger Widerruf ist hier mit Schreiben des Bevollmächtigten vom 10. Juli 2007 erfolgt.

Fehlt es damit an den Voraussetzungen für eine wirksame Aufrechnung, hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Der Senat hatte daher im vorliegenden Eilverfahren nicht zu entscheiden, ob der Antragsteller einen Anspruch auf die hier in Rede stehenden Leistungen hat, ggf. ob ein Zuschuss oder ein Darlehen beansprucht werden kann, ggf. wann ein gewährtes Darlehen zurückzuzahlen ist. Insoweit weist der Senat aber auf folgende Gesichtspunkte hin: § 10 Abs. 1 SGB XII sieht die Erbringung von Leistungen als Dienstleistung, Geldleistung oder Sachleistung vor. Eine mögliche Art der Geldleistung ist auch das Darlehen. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Bundessozialhilfegesetz – BSHG – (Urteil vom 14. Mai 1969 – V C 167/67BVerwGE 32, 89 und Beschluss vom 12. April 1989 – 5 B 176/88FEVS 38, 397) wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur die Auffassung vertreten, dass aus der Tatsache, dass die Art des Darlehens im SGB XII an wenigen Stellen ausdrücklich genannt sei, nicht geschlossen werden könne, dass in anderen Fällen die Hilfe nicht als Darlehen gewährt werden könne. Zumindest bei den "Kann-Leistungen" der Sozialhilfe müsse auch die Hilfe als Darlehen möglich sein. Denn wenn der Träger der Sozialhilfe berechtigt sei, die Hilfe nach seinem eigenen, weitgehend freien Ermessen zu versagen, erfordere es schon die sozialpolitische Zielsetzung einer Kann-Vorschrift, ihm auch den "Anreiz" einer Darlehensgewährung zu geben (Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 17. Aufl. 2006, § 10 Rdnr. 9). Zu den streitgegenständlichen Ansprüchen wird dagegen die Auffassung vertreten, dass aufgrund der ausdrücklichen Regelung in § 29 Abs. 1 Satz 7, 2. Halbsatz SGB XII Mietkautionen im Bedarfsfall regelmäßig ("sollen") in Form von Darlehen gewährt werden, Wohnungsbeschaffungs- und Umzugskosten in dieser Regelung aber nicht erwähnt würden, so dass diese Leistungen grundsätzlich als Beihilfe zu erbringen seien (Falterbaum in: Hauck/Noftz, SGB XII, Stand: Mai 2007 § 29 Rdnr. 23). Eine abschließende Entscheidung dieser Frage muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Hinsichtlich der von dem Antragsgegner für die Bewilligung der Hilfe als Darlehn mitgeteilten Gründe ist zu bedenken, dass § 29 Abs. 1 SGB XII die Bewilligung einer Umzugskostenbeihilfe nur für sozialhilferechtlich notwendige Umzüge vorsieht. Bei Verneinung der hilferechtlichen Notwendigkeit enthält das SGB XII für die Gewährung einer Hilfe, sei es als Zuschuss oder als Darlehen, keine Rechtsgrundlage, so dass eine Hilfegewährung im Hinblick auf die Regelung des § 31 SGB I nicht in Betracht kommen dürfte. Mietkautionen sollen nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 29 Abs. 1 Satz 7 SGB XII als Darlehn bewilligt werden. Zu den Modalitäten der Darlehensrückzahlung enthält diese Vorschrift anders als etwa § 37 SGB XII keine Regelung. Auch den Gesetzesmaterialien (vgl. Gesetzesbegründung zu § 22 Abs. 3 SGB II, BT-Drucks. 16/1688, S. 14) kann nur entnommen werden, dass der zuständige Leistungsträger eine Mietkaution grundsätzlich in Form eines Darlehens erbringen soll, da sich aus der Natur der Mietkaution bereits ergebe, dass diese im Regelfall an den Mieter zurückfließe. Insofern sei es im Regelfall nicht gerechtfertigt, die Kaution dem Hilfebedürftigen endgültig zu belassen. Die Gesetzesbegründung enthält aber keine ausdrücklichen Hinweise auf die Fälligkeit der Darlehensrückzahlung. Ob derartige Darlehn erst bei Beendigung des Mietverhältnisses bzw. beim Ausscheiden aus dem Hilfebezug zur Rückzahlung fällig werden und der Hilfeträger darauf verwiesen werden kann, sich den Rückzahlungsanspruch abtreten lassen, ist der Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten.

Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung muss für die Abwendung wesentlicher Nachteile nötig sein; d.h. es muss eine dringliche Notlage vorliegen, die eine sofortige Entscheidung erfordert (ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats - vgl. Beschlüsse vom 22. September 2005 – L 9 AS 47/05 ER –, vom 7. Juni 2006 – L 9 AS 85/06 ER – und vom 30. August 2006 – L 9 AS 115/06 ER –; zuletzt Beschluss vom 27. November 2007 – L 9 AS 358/07 ER –; Conradis in LPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, Anhang Verfahren Rdnr. 119). Eine solche Notlage ist bei einer Gefährdung der Existenz oder erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen zu bejahen (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 86b Rdnr. 28). Derartige erhebliche Nachteile sind hier zu bejahen, da nicht ersichtlich ist, aus welchen Mitteln der Antragsteller den nicht gedeckten Bedarf bestreiten kann. Insoweit verfügt der Antragsteller nur über die Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII, auf die seine Erwerbsunfähigkeitsrente als Einkommen angerechnet wird. Die Herabsetzung der laufenden Leistungen nach dem SGB XII im Wege der Aufrechnung zur Tilgung der Darlehen führt dazu, dass das gesetzlich gewährleistete Existenzminimum nicht mehr sichergestellt ist. Bei den hier in Rede stehenden Beträgen von 34,70 EUR monatlich handelt es sich auch nicht um Bagatellbeträge.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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