L 19 B 33/08 AS ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 16 (8) AS 169/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 B 33/08 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Bemerkung
Auf die Beschwerden des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 08.01.2008 geändert. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig für den Zeitraum vom 01.11.2007 bis 31.01.2008 weitere 280,80 Euro zu zahlen. Dem Antragsteller wird für das Antragsverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt T bewilligt. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der Beschwerde gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu erstatten. Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt T bewilligt.

Gründe:

Die Antragsgegnerin, die dem Antragsteller, dessen Leistungsvermögen nach einem für die Deutsche Rentenversicherung Bund erstellten Gutachten vom 14.09.2006 (Dr. S) lediglich schwere körperliche Tätigkeiten nicht mehr zulässt, laufend Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bewilligt hat, bot diesem mit Heranziehungsbescheiden vom 05. und 10.07.2007 einen Brückenjob in Form "Unterstützung des Gärtners" mit einer Arbeitszeit von 30 Stunden pro Woche an. Der Antragsteller widersprach diesen Bescheiden, weil er sich für die Tätigkeit körperlich als nicht geeignet ansah. Daraufhin senkte die Antragsgegnerin die dem Antragsteller zustehende Regelleistung um 30 % (93,60 Euro) für den Zeitraum vom 01.11.2007 bis 31.01.2008 (Bescheid vom 22.10.2007).

Der Kläger hat gegen die Heranziehungsbescheide Klage erhoben und am 28.11.2007 beim Sozialgericht (SG) Münster die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 22.10.2007 sowie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt.

Mit Beschluss vom 08.01.2008 hat das SG die Anträge abgelehnt, weil die Interessenabwägung zum Nachteil des Antragstellers ausgehe.

Die dagegen gerichteten Beschwerden, denen das SG nicht abgeholfen hat, sind zulässig, auch wenn durch die zum 01.04.2008 in Kraft getretene Bestimmung des § 172 Abs. 3 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des SGG und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.03.2008 (BGBl. I 444) die Beschwerde in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeschlossen worden ist, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre. Letzteres ist hier der Fall, weil der streitige Leistungsbetrag nicht die für die zulassungsfreie Berufung erforderliche Beschwer erreicht (§ 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG). Zwar erfassen Änderungen des Prozessrechts im allgemeinen auch schwebende Verfahren, dies gilt aber nicht, soweit es sich um unter Geltung des alten Rechts abgeschlossene Prozesshandlungen und abschließend entstandene Prozesslagen handelt (BGHZ 114, 1, 3f m.w.N.). Letzteres ist hier der Fall, weil die Beschwerden schon zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung eingelegt gewesen sind.

Die Beschwerden sind auch begründet. Das SG hat weder den Sachverhalt zutreffend erfasst, noch sich mit den rechtlichen Aspekten des Falles in der erforderlichen Weise auseinander gesetzt. Von der an sich gebotenen Zurückverweisung sieht der Senat im Hinblick auf die Entscheidungsreife der Sache jedoch ab.

Entgegen der Auffassung der Beteiligten und des SG richtet sich der begehrte einstweilige Rechtsschutz nicht nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG, weil die Antragstellerin nicht in eine laufende Leistung mit ihrer Absenkungsentscheidung eingegriffen hat. Der letzte Bewilligungszeitraum vor der streitigen Absenkung endete am 31.10.2007 (Bescheid vom 14.04.2007). Die Absenkung ist erst mit Wirkung vom 01.11.2007 erfolgt (Bescheid vom 22.10.2007) und ab diesem Zeitpunkt hat die Antragsgegnerin lediglich verminderte Leistungen für den Folgezeitraum bewilligt (Bescheid vom 24.10.2007, vom Antragsteller ebenfalls mit dem Widerspruch angefochten). Der Antragsteller kann daher nur im Wege einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG die vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung höherer Leistungen begehren. Insoweit ist sein Antrag jedoch auslegungsfähig, weil er erkennbar darauf ausgerichtet ist, den ungekürzten Leistungssatz einstweilen zugesprochen zu erhalten. Der Antrag ist jedoch begrenzt auf den Zeitraum 01.11.2007 bis 31.01.2008, worüber auch das SG nur entschieden hat, auch wenn die Antragsgegnerin möglicherweise durch den Bescheid vom 24.10.2007 gekürzte Leistungen bis zum 30.04.2008 zugesprochen hat.

Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -). Der Anordnungsanspruch ist glaubhaft, weil schon der Heranziehungsbescheid erheblichen rechtlichen Bedenken begegnet, so dass es an einem ordnungsgemäßen Angebot des Brückenjobs fehlt.

Nach § 16 Abs. 3 S. 1 SGB II sollen für erwerbsfähige Hilfebedürftige, die keine Arbeit finden können, Arbeitsgelegenheiten geschaffen werden. Lehnt der Hilfebedürftige es ab, eine solche Arbeitsgelegenheit aufzunehmen, wird das Arbeitslosengeld II in einer ersten Stufe um 30 v. H. der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 maßgebenden Regelleistung abgesenkt (§ 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1c SGB II). Nach Aktenlage kann unterstellt werden, dass der Antragsteller derzeit keine Arbeit findet, sodass die Antragsgegnerin ihm eine Arbeitsgelegenheit (Brückenjob) anbieten durfte (vgl. dazu Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 2 Rn. 12). Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist auch nicht erkennbar, dass ihm die angebotene Tätigkeit im Hinblick auf seine gesundheitlichen Verhältnisse unzumutbar war. Die Arbeitsbeschreibung, die die Antragsgegnerin im laufenden Verfahren mit Schriftsatz vom 20.12.2007 vorgelegt hat, gibt keinen Hinweis darauf, dass der Antragsteller mit schweren Arbeiten befasst werden sollte, die ihm allein nach dem Gutachten vom 14.09.2006 nicht erlaubt sind. Soweit Dr. F mit Attest vom 13.07.2006 dem Antragsteller bescheinigt hat, nicht über Kopf und nicht in Kniehöhe arbeiten zu können, fehlt es insoweit an einer Begründung, so dass diesem Attest lediglich die Bedeutung einer Gefälligkeitsbescheinigung beigemessen werden kann.

Ob die angebotene Arbeit das Merkmal der Zusätzlichkeit im Sinne des § 16 Abs. 3 S. 2 SGB II erfüllt (vgl. dazu Eicher/Spellbrink aaO, §16 Rn 218ff) und ob eine Arbeitsgelegenheit im Sinne des § 16 Abs. 3 S. 1 SGB II eine Dauer von 30 Stunden wöchentlich umfassen darf (bejahend Harks in jurisPK-SGB II, § 16 Rn 106; Pfohl in Linhart/Adolph, SGB II; SGB XII, Asylbewerberleistungsgesetz, § 16 Rn 75; ablehnend Eicher/Spellbrink aaO, § 16 Rn. 227), kann der Senat offen lassen. Jedenfalls erfüllt die Art und Weise des Angebotes des betreffenden Brückenjobs nicht die gesetzlichen Voraussetzungen. Zwar hat der Antragsteller dieses nicht gerügt, bezüglich der Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruches (ebenso wie des Anordnungsgrundes) sind jedoch zumindest sämtliche aktenkundigen Umstände von Amts wegen zu prüfen (vgl Düring in Jansen, Kommentar zum SGG, 2. Aufl., § 86b Rn. 12).

Welche Anforderungen an einen Heranziehungsbescheid im Sinne des § 16 Abs. 3 S. 1 SGB II zu stellen sind, braucht der Senat hier nicht abschließend zu entscheiden. Insbesondere kann dahin stehen, ob die zu §§ 18 Abs. 3, 19 Abs. 2, 25 Abs. 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG), denen die §§ 16 Abs. 3, 31 Abs. 1 SGB II im Wesentlichen nachgebildet sind, ergangene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwGE 67, 1; 68, 91; 97) uneingeschränkt zu übertragen ist (so die wohl herrschende Meinung, vgl. Eicher/Spellbrink, aaO, Rn 238; Niewald in LPK-SGB II, 2. Aufl. § 16 Rn 51; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB II, § 16 Rn. 415). Danach musste die angebotene gemeinnützige Tätigkeit genau nach Art, zeitlichem Umfang und zeitlicher Verteilung bezeichnet werden (BVerwGE 68, 97, 99 f.). Ob diese strengen Anforderungen auch auf das SGB II mit seiner vom BSHG teilweise abweichenden Zielsetzung übertragbar sind, kann offen bleiben. Jedenfalls muss das Angebot eines Brückenjobs den Hilfesuchenden in die Lage versetzen, zu prüfen, ob ihm die angebotene Arbeit zumutbar ist und ob im Hinblick auf den Einsatz ggf. Kosten auf ihn zukommen, die durch die gewährte Mehraufwandsentschädigung auch gedeckt werden. Andernfalls würde der Hilfesuchende gezwungen, Arbeiten aufzunehmen, denen er - z. B. aus gesundheitlichen Gründen - nicht gewachsen ist, oder er müsste bei einer unzureichenden Aufwandsentschädigung Zuzahlungen aus seiner Regelleistung vornehmen. Beides ist insbesondere im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht hinnehmbar (vgl Eicher/Spellbrink aaO, § 16 Rn 230; a. A. bezüglich der Mehraufwandsentschädigung Pfohl aaO, § 16 SGB II Rn. 77). Diesen Anforderungen genügt der Heranziehungsbescheid der Antragsgegnerin nicht. Dieser beschränkte sich hinsichtlich der angebotenen Tätigkeit auf die Erklärung "Unterstützung des Gärtners", ohne dass sich hieraus die zu leistenden Arbeiten des Antragstellers, die auch aus der Unterstützung des Hausmeisters bestehen sollten, absehen ließen und wodurch möglicherweise der Irrtum des Antragstellers über die Art der angebotenen Tätigkeit bedingt worden ist. Des Weiteren fehlte ein Hinweis auf den Einsatzort. Da aber als "Maßnahmeträger" der Kreis T bezeichnet worden ist, war für den Antragsteller auch nicht erkennbar, ob die ihm pro Arbeitsstunde zugesagte Mehraufwandsentschädigung von 1,- Euro ausreichend sein würde, um die anfallenden Fahrtkosten bestreiten zu können. Erweist sich demzufolge der Heranziehungsbescheid als rechtswidrig, so war der Antragsteller berechtigt, die angebotene Tätigkeit abzulehnen.

Angesichts der offensichtlichen Rechtswidrigkeit der Heranziehungs- und Absenkungsbescheide ist unabhängig von der Höhe der Leistungskürzung ein Anordnungsgrund als glaubhaft gemacht anzusehen, weil es insoweit dem Antragsteller nicht zuzumuten ist, auf die von Gesetzes wegen zustehenden Leistungen bis zur Entscheidung in der Hauptsache zuzuwarten.

Da Antrag und Beschwerde demzufolge Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 73a Abs. 1 SGG iVm § 114 ZPO bieten, ist auch insoweit der Beschluss des SG zu ändern und dem Antragsteller Prozesskostenhilfe für das Antragsverfahren sowie für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen. Da der Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung auch nur teilweise aufzubringen, ist diese ratenfrei zu gewähren (§ 73a Abs. 1 SGG iVm § 115 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Die Nichterstattungsfähigkeit der Kosten der Beschwerde gegen die Ablehnung der Prozesskostenhilfe folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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