S 6 AS 2426/08 ER

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Freiburg (BWB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 6 AS 2426/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Mietkautionsdarlehen und Darlehen für Renovierungskosten - keine Aufrechnung mit laufenden Leistungen
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin ab 1.5.2008 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 30.9.2008 die bewilligten Leistungen ohne Abzug von Tilgungsraten für Darlehen auszuzahlen.

Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin deren notwendige außergerichtliche Kosten dem Grunde nach zur Hälfte zu erstatten.

Gründe:

I. Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Auszahlung eines höheren Betrages an Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende von der Antragsgegnerin. Die Antragstellerin, über deren Vermögen die Insolvenz eröffnet ist und der das Amtsgericht Freiburg die Restschuldbefreiung angekündigt hat, bezieht seit 1.10.2005 von der Antragsgegnerin Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch – Zweites Buch (SGB II). Zum 1.5.2006 zog die Antragstellerin um. Mit Darlehens- und Abtretungsverträgen vom 18.4.2006 zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin gewährte die Antragsgegnerin der Antragstellerin ein Darlehen über 1000 Euro für die Ein- und Auszugsrenovierung und ein weiteres Darlehen über 1275 Euro für die Mietkaution in der neuen Wohnung. Nach § 3 der Verträge sind die Darlehen ab 1.5.2006 in monatlichen Raten von mindestens 35 Euro beziehungsweise 40 Euro zu tilgen. Anscheinend wurden dann Raten in Höhe von insgesamt 75 Euro ab 1.5.2006 von der an die Antragstellerin geleisteten Zahlung einbehalten. Mit Schreiben vom 6.2.2007 beantragte die Antragstellerin, ihr in der Ratenzahlung eine dreimonatige Pause zu gewähren und die Rate von 75 Euro auf 50 Euro zu reduzieren. Dem Antrag kam die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 17.2.2007 nach. Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 6.2.2008 hob die Antragsgegnerin den letzten Bewilligungsbescheid für den Zeitraum vom 1.12.2007 bis zum 31.12.2007 in Höhe von insgesamt 200 Euro auf. Versehentlich seien fünf Monate lang monatlich 40 Euro statt an die Vermieterin der Antragstellerin an diese direkt überwiesen worden. Diese würden nunmehr in monatlichen Raten zu je 50 Euro einbehalten. Auf den Widerspruch der Antragstellerin hiergegen vom 3.3.2008 hob die Antragsgegnerin den angefochtenen Bescheid mit Bescheid vom 12.3.2008 auf. Am 3.3.2008 beantragte die Antragstellerin eine Stundung ihrer Tilgungsraten für vier Monate, weil zu Jahresbeginn eine hohe Summe Fixkosten anfalle. Mit Bescheid vom 5.3.2008 senkte die Antragsgegnerin die Aufrechnungsrate auf 10 Euro monatlich ab. Noch im März 2008 erhöhte die Antragsgegnerin die Aufrechnungsrate wieder auf 75 Euro. Mit Bescheid vom 1.4.2008 bewilligte die Antragsgegnerin der Antragstellerin Leistungen für die Zeit vom 1.4.2008 bis zum 30.4.2008 in Höhe von 347 Euro zuzüglich 225,06 Euro Kosten für Unterkunft und Heizung. Für die Zeit vom 1.5.2008 bis zum 30.9.2008 gewährte die Antragsgegnerin ihr Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 325,06 Euro. Unter Berücksichtigung ihres in Bedarfsgemeinschaft lebenden Sohnes D ... E ... bewilligte die Antragsgegnerin im April 2008 insgesamt 450,13 Euro an Unterkunftskosten, ab Mai 2008 650,13 Euro. Hiergegen legte die Antragstellerin am 7.4.2008 Widerspruch ein, den sie damit begründete, dass die Antragsgegnerin ihr weniger auszahle als bewilligt. Außerdem sei eine zu niedrige Miete berücksichtigt. Die Antragsgegnerin überwies dabei jedenfalls ab April 2008 jeweils 75 Euro an die Zahlstelle Schwäbisch Gmünd der Bundesagentur für Arbeit. Am 19.5.2008 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Freiburg beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, ihr die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab August 2007 in voller Höhe ungekürzt auszubezahlen. Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen. Sie ist der Auffassung, dass die Antragstellerin zwischenzeitlich den ihr zustehenden Betrag erhalten habe. Mit Bescheid vom 28.5.2008 bewilligte die Antragsgegnerin der Antragstellerin und ihrem Sohn auch Leistungen in Höhe von insgesamt 1121,13 Euro für den Monat April 2008. Mit Widerspruchsbescheid vom 29.5.2008 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch der Antragstellerin im Übrigen zurück. Hiergegen hat die Antragstellerin am 6.6.2008 Klage zum Sozialgericht Freiburg erhoben (Az. S 6 AS 2815/08). Gleichzeitig mit der Berücksichtigung höherer Unterkunftskosten sei zum 1.4.2008 die Einbehaltung einer Rate von 40 Euro eingestellt worden. Wegen des übrigen Vorbringens der Beteiligten im Gerichts- und Verwaltungsverfahren sowie wegen der Ergebnisse der Beweisaufnahme im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Antragsgegnerin über Antragstellerin verwiesen.

II. Der zulässige Antrag ist für die Zukunft begründet, für die Vergangenheit jedoch unbegründet. Die Antragstellerin hat mit Bezug auf Leistungen in der Vergangenheit keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Hinsichtlich der ab Rechtshängigkeit zu erbringenden Leistungen hat die Antragstellerin sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Nach § 86b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszugs. Die §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung (ZPO) gelten entsprechend. Maßgebliche Vorschrift ist vorliegend § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG, denn der Antragstellerin geht es nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Zustandes, sondern um die gegenwärtige und künftige Gewährung von Leistungen. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die – summarische – Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs – hier des Sozialhilfeantrags – (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO). Dabei sind die diesbezüglichen Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen – insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz – wiegen. Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG) unter Umständen nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen. Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (zu all dem Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg, 15.8.2005 – L 7 SO 3804/05 ER-B, abrufbar unter www.sozialgerichtsbarkeit.de). Die Antragsgegnerin wendet sich gegen die Einbehaltung von Zahlungen. Soweit sie in der Vergangenheit, also für die Zeit vor Erhebung des Antrags im einstweiligen Rechtsschutz zu wenig ausgezahlt erhalten hat, kann sie dies nicht im Wege der einstweiligen Anordnung ausgezahlt erhalten. Hierfür fehlt der Anordnungsgrund. Denn Nachteile, die die Antragstellerin in der Vergangenheit durch zu niedrige Auszahlungen erlitten haben mag, machen es nicht erforderlich, Eilrechtsschutz zu suchen. Dies könnte nur dann ausnahmsweise der Fall sein, wenn infolge zu niedrig ausgezahlter Leistungen in der Vergangenheit heute ein Rechtsverlust, beispielsweise ein Wohnungsverlust drohen würde. Die Antragstellerin hat aber solche Nachteile nicht vorgetragen. Damit kann und muss über die Frage, ob die Antragstellerin in der Vergangenheit zu wenig Leistungen ausgezahlt bekommen hat, in dem anhängigen Hauptsacheverfahren entschieden werden. Hinsichtlich der Zeit ab Rechtshängigkeit des Antrags im einstweiligen Rechtsschutz, also ab Mai 2008 hat die Antragsgegnerin von den der Antragstellerin zustehenden Leistungen in Höhe von insgesamt 672,06 Euro nach der Nachzahlung auf Grund des Bescheides vom 28.5.2008 am 3.6.2008 nur mehr 35 Euro monatlich einbehalten. Dies ergibt sich aus den von der Antragstellerin vorgelegten Kontoauszügen. Dieses Einbehalten von 35 Euro ist offensichtlich rechtswidrig. Eine Rechtsgrundlage für die Aufrechnung von Darlehensraten mit laufenden Leistungen nach dem SGB II findet sich nur in § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II und in § 51 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches – Allgemeiner Teil (SGB I). Die Voraussetzungen dieser Vorschriften sind indes nicht erfüllt. Nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II wird das Darlehen, das zur Deckung eines von den Regelleistungen umfassten und nach den Umständen unabweisbaren Bedarfs zur Sicherung des Lebensunterhalts gewährt worden ist, durch monatliche Aufrechnung in Höhe von bis zu 10 vom Hundert der an den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und die mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Angehörigen jeweils zu zahlenden Regelleistung getilgt. Die an die Antragstellerin (und nur an sie) gewährten Darlehen sind jedoch keine Darlehen nach § 23 Abs. 1 SGB II. Das Kautionsdarlehen ist vielmehr ein Darlehen nach § 22 Abs. 3 Satz 3 SGB II (statt vieler LSG BW, 6.9.2006 – L 13 AS 3108/06 ER-B, info also 2007, 119). Das Darlehen wegen der Renovierungskosten deckt nach weit überwiegender und richtiger Auffassung ohnehin zuschussweise zu gewährende Kosten der Unterkunft ab (Piepenstock, in: jurisPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 22 SGB II, Rn. 36 m. w. Nachw.). Jedenfalls sind auch diese Renovierungskosten nicht von der Regelleistung umfasst. Daher kommt für beide Darlehen eine Aufrechnung nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II nicht in Betracht. Nach § 51 Abs. 1 SGB I kann der zuständige Leistungsträger mit Ansprüchen gegen den Berechtigten aufrechnen, soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs. 2 und 4 SGB I pfändbar sind. Nach § 52 Abs. 4 SGB I können Ansprüche auf laufende Geldleistungen wie Arbeitseinkommen gepfändet werden. Die der Antragstellerin gewährten Leistungen erreichen jedoch bei weitem nicht die in § 850c der Zivilprozessordnung (ZPO) hierfür niedergelegten Grenzwerte. Danach kommt nur noch ein Verzicht auf Sozialleistungen durch die Antragstellerin in Betracht. Hierfür stellt § 46 Abs. 1 SGB I einerseits ein Schriftformerfordernis auf, andererseits erlaubt er es, den Verzicht jederzeit zu widerrufen. Selbst wenn in der Rückzahlungsvereinbarung in § 3 der Darlehensverträge ein wirksamer Verzicht auf Sozialleistungen zu sehen sein sollte – woran die Kammer durchaus zweifelt, nachdem die Tatsache, dass die Antragstellerin durch die Tilgungsvereinbarung auf Sozialleistungen verzichtete, ihr offenbar nicht klar ist und dieser Verzicht sich außerdem möglicherweise zu Lasten der neben der Antragsgegnerin bestehenden weiteren Insolvenzgläubiger der Antragstellerin auswirkt – hat die Antragstellerin diesen jedenfalls mit Schreiben vom 3.3.2008 widerrufen. Denn in diesem Schreiben bittet sie um Stundung der Darlehensraten, mithin um Auszahlung des vollen bewilligten Betrages. Auf dieses Schreiben hin hätte die Antragsgegnerin daher an sich die Aufrechnung unverzüglich einstellen müssen. Da die Rechtswidrigkeit der Einbehaltung der 35 Euro feststeht, zudem diese Summe einen beträchtlichen Teil (mehr als 10 % bis 30.6.2008, knapp unter 10 % ab 1.7.2008) der der Antragstellerin zustehenden Regelleistung erreicht, kann auch ein Anordnungsgrund für die Zeit ab Rechtshängigkeit des Antrags nicht verneint werden. Die an den Anordnungsgrund zu stellenden Anforderungen sind nämlich umso niedriger, je sicherer der Anordnungsanspruch besteht. Das Ende der Auszahlungspflicht war auf das Ende des Bewilligungszeitraums zu befristen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung von § 193 SGG.

IV. Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
Saved