S 3 AS 3528/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Reutlingen (BWB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AS 3528/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Auch bei Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie und Gewährung von Leistungen der Vollzeitpflege im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe liegt bei Beurlaubungen in den Haushalt eines Elternteils bei einem mindestens zwei Tage andauernden Aufenthalt des Kindes eine zeitweise Bedarfsgemeinschaft vor und stehen dem Kind Leistungen nach dem SGB II zu, wenn für diesen Aufenthalt seitens des Kreisjugendamts keine Kostenbeteiligung erfolgt.
1. Die Beklagte wird unter Abänderung der Bescheide vom 06.06.2007 und 09.08.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.08.2007 verurteilt, dem Kläger zu Nr. 2) für die Zeit vom 06.05.2007 bis 30.09.2007 dem Grunde nach Leistungen nach dem SGB II auch bei einer Aufenthaltsdauer von mindestens 2, aber unter 5 Tagen bei der Klägerin zu Nr. 1) zu gewähren. 2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Kläger zu erstatten. 3. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für Kosten, die der Klägerin zu 1 (im Folgenden bezeichnet als Klägerin) und ihrem Kind ..., dem Kläger zu 2, bei Wahrnehmung des Umgangsrechts entstanden sind.

Die am ... geborene Klägerin bezog ab 01.01.2005 Leistungen nach dem SGB II für sich und ihre Söhne ... (M.), geboren am ... und ... (D.), geboren am ... Ein weiteres Kind der Klägerin zu 1, ..., geboren am ..., lebt in einer Pflegefamilie.

Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 28.03.2007 Leistungen für die Klägerin und die mit ihr in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Kinder D. und M. für die Zeit vom 01.04.2007 bis 30.09.2007 in Höhe von monatlich 1106,53 Euro monatlich.

Am 07.05.2007 teilte die Klägerin telefonisch einer Mitarbeiterin der Beklagten mit, ihr Sohn M. befinde sich ab 01.06.2007 in der Wochenpflege (von Montag bis Freitag; am Wochenende sei er zu Hause). Mit Schreiben vom 04.06.2007 gab die Klägerin als Beginn der Wochenpflege den 07.06.2007 an. M. komme alle zwei Wochen (gemeint wohl: Am Wochenende) zu ihr nach Hause.

Mit Änderungsbescheid vom 06.06.2007 bewilligte die Beklagte für die Klägerin, D. und M. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.06.2007 bis 30.06.2007 in Höhe von 1.058,83 Euro und für die Zeit vom 01.07.2007 bis 30.09.2007 in Höhe von 1.057,53 Euro. Als Änderung wurde hierbei berücksichtigt, dass sich M. ab Juni 2007 in der Wochenpflege befand. Die Klägerin wurde um Vorlage des Bescheides des Jugendamtes gebeten.

Nach dem hierauf vorgelegten Schreiben des Landratsamts ... -Kreisjugendamt- vom 29.05.2007 befand sich M. seit 06.05.2007 in einer Pflegestelle. Die Kosten für diese Unterbringung würden im Rahmen der Bestimmungen des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) durch das Kreisjugendamt ... getragen.

Am 19.06.2007 legte die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 06.06.2007 ein. Hierin wandte sie sich dagegen, dass M. bei der Berechnung der Höhe der Leistungen im Juni 2007 nur noch mit 3 Tagen und ab Juli nicht mehr berücksichtigt werde. Zwar treffe es zu, dass M. zwischenzeitlich in der Wochenpflege untergebracht sei. Gleichwohl halte er sich noch weiterhin regelmäßig in der Familie auf und zwar an jedem Wochenende von Freitagnachmittag 14/15 Uhr bis Sonntagabend 18/19 Uhr sowie darüber hinaus während der gesamten Schulferien. M. habe sich im Juni bis zum 10.06.2007 bei ihr aufgehalten und werde sich an sämtlichen Wochenenden bei ihr aufhalten (somit an insgesamt 15 Tagen im Juni). Während des Zeitraums des Aufenthalts des M. stehe ihr anteiliges Sozialgeld für ihn zu. Es handle sich insoweit um eine Bedarfsgemeinschaft auf Zeit entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Umgangsrecht (Urteil vom 07.11.2006, B 7b AS 14/06 R, Juris-Dok.).

Nach dem Bescheid des Landratsamts ..., Kreisjugendamt, vom 29.05.2007 wurde die mit Bescheid vom 18.04.2005 gewährte Hilfe zur Erziehung nach den §§ 27, 32 SGB VIII in Form von Übernahme der Kosten für den Besuch der Tagesgruppe ( ...) zum 04.05.2007 eingestellt. Ferner wurde Hilfe zur Erziehung nach den §§ 27, 33 SGB VIII für M. in Form von Pflegegeld zur Bereitschaftspflege ab 06.05.2007 bis auf weiteres gewährt. Das Pflegegeld werde direkt an die Pflegeeltern überwiesen.

Mit Änderungsbescheid vom 09.08.2007 ( angegebene Änderung: M. befinde sich seit 06.05.2007 in einer Pflegefamilie) bewilligte die Beklagte für die Klägerin, D. und M. für die Zeit vom 01.05. bis 31.05. 2007 Leistungen in Höhe von 1.062,36 Euro (für die Klägerin und die Kinder D. und M.), für die Zeit vom 01.06. bis 30.06.2007 in Höhe von 1.053,53 Euro (für die Klägerin und D.) für die Zeit vom 01.07. bis 31.07.2007 in Höhe von 1.057,53 Euro (für die Klägerin und D.) und für die Zeit vom 01.08. bis 30.09.2007 in Höhe von monatlich 1.022,53 Euro (für die Klägerin und D., unter Berücksichtigung eines Minderungsbetrages aufgrund von Sanktionen).

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.08.2007 wurde der Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 06.06.2007 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 09.08.2007 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Sohn M. der Klägerin gehöre seit dem 06.05.2007 nicht mehr zu deren Bedarfsgemeinschaft, da er nicht in ihrem Haushalt, sondern in einer Pflegestelle lebe. Die Kosten der Unterbringung würden im Rahmen der Jugendhilfe übernommen. Damit könne M. keine Leistungen nach dem SGB II beanspruchen.

Am 07.09.2007 haben die Klägerin zu 1 und M. (der Kläger zu 2) hiergegen Klage erhoben. Zur Begründung wiederholen sie ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren und tragen ergänzend vor, eine zeitweise Bedarfsgemeinschaft setze schon nach der gesetzlichen Regelung kein dauerhaftes Leben im Haushalt voraus. Es genüge ein dauerhafter Zustand in der Form, dass das Kind mit einer gewissen Regelmäßigkeit beim Elternteil länger als einen Tag wohne, also nicht nur sporadische Besuche vorlägen. Bei minderjährigen Kindern könne eine getrennte und damit doppelte Bedarfsgemeinschaft mit beiden Elternteilen angenommen werden, etwa wenn sich diese darauf verständigten, dass Kinder abwechselnd im Haushalt des Einen und des Anderen versorgt würden oder in der Fällen, in denen einem Elternteil ein Umgangsrecht mit seinen nicht bei ihm lebenden Kindern zustehe. Ewas anderes könne nicht gelten, wenn -wie hier- sich ein Kind unter der Woche in einer Pflegefamilie aufhalte und lediglich am Wochenende und in den Ferien beim sorgeberechtigten Elternteil. Eine derartige Lösung gebiete auch Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Nach Auffassung des Bundessozialgerichts im Urteil vom 07.11.2006, aaO, seien in dieser Fallkonstellation die Kinder selbst Anspruchsinhaber für Teilzeiträume, weshalb diese in das Verfahren einzubeziehen seien. Die für die Leistungen nach dem SGB II zuständige Beklagte habe für die Zeiten des Aufenthaltes des Kindes M. bei der Klägerin zu 1) ihr bzw. auch M. ab 06.05.2007 zeitanteilige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren, jeweils für die Zeiten, in welchen sich das Kind M. im Haushalt der Klägerin aufhalte. Grundsätzlich hätten die Eltern bei Unterbringung in einer Pflegefamilie einen Kostenbeitrag zu den vom Kreisjugendamt im Rahmen der Jugendhilfe getragenen Kosten zu bezahlen, wobei bei Eltern ohne Einkommen grundsätzlich dieser Kostenbeitrag im Kindergeld bestehe. Da vorliegend aufgrund der Vollzeitpflege jedoch die Pflegeeltern einen eigenen Kindergeldanspruch hätten, habe die Klägerin für die Unterbringung von M. keinen Kostenbeitrag zu erbringen und könne ein solcher von ihr auch nicht aufgebracht werden. Da sie keinen Anspruch gegen das Kreisjugendamt für die Kurzzeitaufenthalte bis zu 5 Tagen ihres Sohnes M. in ihrem Haushalt habe und ihr auch kein Anspruch auf anteiliges Kindergeld zustehe, müsse sie den Verpflegungsaufwand für ihren Sohn in diesen Zeiten aus eigenen Mitteln aufbringen. Hierzu sei sie jedoch nicht in der Lage, weil die ihr gewährte Regelleistung lediglich ihren eigenen Verpflegungsaufwand abdecke, nicht jedoch den zusätzlichen Verpflegungsaufwand eines Kindes. Ggf. sei ein interner Ausgleich zwischen den Sozialleistungsträgern vorzunehmen.

Die Kläger zu 1) und 2) beantragen,

die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 06.06.2007 und 09.08.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.08.2007 zu verurteilen, für den Kläger zu Nr. 2) für die Zeit vom 06.05.2007 bis 30.09.2007 Leistungen nach dem SGB II auch bei einer Aufenthaltsdauer bei der Klägerin zu Nr. 1) von mindestens 2, aber unter 5 Tagen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

das Jugendamt der Stadt ... beizuladen und ansonsten die Klage abzuweisen, hilfsweise die Berufung zuzulassen.

Zur Begründung führt die Beklagte aus, für die zeitweise Aufnahme von M. in die Bedarfsgemeinschaft der Klägerin wäre eine bestehende Hilfebedürftigkeit von M. Voraussetzung. Dies sei aber zu verneinen, da sein Lebensunterhalt durch die Jugendhilfe abgesichert sei. Würde M. auch zusätzlich Leistungen nach dem SGB II erhalten, so käme es hier zu einem Doppelbezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Bei den Leistungen der Jugendhilfe handle es sich gegenüber den Leistungen nach dem SGB II um vorrangige Leistungen. Selbst wenn man M. nur zeitweise in die Bedarfsgemeinschaft aufnehmen würde, müssten das Kindergeld und der Anteil der Leistungen der Jugendhilfe, der zur Abdeckung seines Lebensunterhalts gewährt werde, als Einkommen angerechnet werden mit der Folge, dass ein Anspruch von M. wegen fehlender Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II nicht bestehen würde. Wenn wie vorliegend der Leistungsträger nach dem SGB VIII die Unterbringung in der Vollzeitpflege anordne, dann richteten sich zwangsweise auch die Leistungen für die Verpflegung des Kindes für Beurlaubungen innerhalb der Vollzeitpflege nach den Regelungen des SGB VIII und den jugendamtinternen Vorgaben. Dass erst Leistungen ab dem 5. Aufenthaltstag gewährt würden, könne nicht zu Lasten des SGB II- Trägers gehen.

Das Gericht hat vom Landratsamt ..., Kreisjugendamt, die Auskunft vom 05.02.2008 eingeholt. Hierin wird mitgeteilt, die Beurlaubungszeiten von M. in den Haushalt der Mutter würden in Absprache mit dem Jugendamt, der Pflegefamilie und der Mutter getroffen. Aktuell sei vereinbart, dass M. jedes zweite Wochenende (in der Regel von Freitag bis Sonntag, teilweise auch nur Samstag bis Sonntag) sowie die Hälfte der Schulferien zur Mutter beurlaubt werde. Für M. werde die Jugendhilfe in Form von Vollzeitpflege gem. §§ 27, 33 SGB VIII gewährt. Die Gewährung von Leistungen an die Mutter von M. für Beurlaubungen richte sich nach den Empfehlungen zur Kostenbeteiligung in der Kinder- und Jugendhilfe Baden-Württemberg auf der Grundlage des SGB VIII in der jeweils gültigen Fassung und nach den jugendamtsinternen Vorgaben hierzu. Verpflegungsgeld werde lediglich für Beurlaubungen gewährt, die den Rahmen regelmäßiger Umgangskontakte überstiegen. Das Verpflegungsgeld für Beurlaubungen in den Haushalt der Eltern / -teile werde deshalb auf Antrag und erst ab einem Aufenthalt von mindestens 5 Tagen gewährt. Sofern die Elternteile im Rahmen der Jugendhilfemaßnahme einen öffentlich-rechtlichen Kostenbeitrag leisteten, erhielten sie für Beurlaubungen, die mindestens 5 Tage andauerten, den tagteiligen Kostenbeitrag zurückerstattet. Elternteile, die aufgrund mangelnder Leistungsfähigkeit zu keinem öffentlich-rechtlichen Kostenbeitrag herangezogen werden könnten, erhielten als Ausgleich 38% des altersentsprechenden Regelsatzes für Haushaltsangehörige nach § 28 SGB XII und den entsprechenden Verordnungen hierzu. Dies entspreche dem im Regelsatz enthaltenen Anteil an Ernährung (Rd. Nr. 82.16 der Sozialhilferichtlinien). Die Mutter von M. könne derzeit aufgrund mangelnder Leistungsfähigkeit zu keinem öffentlich-rechtlichen Kostenbeitrag herangezogen werden. Sie erhalte deshalb für Beurlaubungen von M. in ihren Haushalt, die mindestens 5 Tage andauerten, 38% des aktuellen Regelsatzes für Haushaltsangehörige bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres von derzeit 208,00 Euro tagteilig gewährt. Dies entspreche momentan einem täglichen Verpflegungsgeld von 2,63 Euro. Vom Landratsamt Reutlingen ist ein Auszug - Nr. 94.4 - aus den Empfehlungen zur Kostenbeteiligung in der Kinder- und Jugendhilfe Baden-Württemberg (in der Fassung ab 01.01.2005, Stand 01.01.2008) vorgelegt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Insbesondere können die Klägerin zu 1 und der -minderjährige- Kläger zu 2, vertreten durch die (nach Aktenlage) allein sorgeberechtigte Klägerin zu 1 - den hier streitigen Anspruch geltend machen. Dies folgt daraus, dass Gegenstand des Rechtsstreits Ansprüche nach dem SGB II sind, die aus einer zeitweisen Bedarfsgemeinschaft der Klägerin zu 1 mit dem Kläger zu 2 wegen Wahrnehmung des Umgangsrechtes herrühren. Hierzu hat das Bundessozialgericht im bereits erwähnten Urteil vom 07.11.2006, B 7b AS 8/06 R, aaO, entschieden, dass das SGB II keinen Anspruch einer Bedarfsgemeinschaft als solcher kennt, sondern - außer bei ausdrücklichem gesetzlichem Ausschluss - Anspruchsinhaber jeweils alle einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft sind. Eine Einbeziehung aller Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft in das Verfahren bei Streitigkeiten der vorliegenden Art wird vom Bundessozialgericht auch im Urteil vom 07.11.2006 B 7b AS 14/06 R, Juris-doc., als in der Regel erforderlich erachtet.

Eine (notwendige) Beiladung des Sozialhilfeträgers nach § 75 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hatte nicht zu erfolgen. Bei den hier streitigen Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II kommt der Sozialhilfeträger im Falle der Ablehnung des Anspruchs nicht als leistungspflichtig in Betracht. Mögliche Erstattungsansprüche der Beklagten gegenüber dem Sozialhilfeträger berühren das vorliegende Verfahren nämlich nicht unmittelbar. In Betracht gezogen werden könnte hier nur eine einfachen Beiladung nach § 75 Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Da jedoch durch eine solche Beiladung, die von der Beklagten erst in der mündlichen Verhandlung vom 16.10.1008 beantragt worden ist, die Erledigung des Rechtstreits wesentlich verzögern würde, ist diesem Antrag nicht entsprochen worden.

Die Klage ist auch begründet. Die Bescheide der Beklagten vom 06.06.2007 und 09.08.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.08.2007 verletzen die Kläger in ihren Rechten und waren daher abzuändern. Die Beklagte hat dem Kläger zu 2 für die Zeit des Aufenthalts bei der Klägerin zu 1 im streitgegenständlichen Zeitraum vom 06.05.2007 bis 30.09.2007 anteilige Regelleistungen nach dem SGB II zu gewähren.

Nach § 28 SGB II erhalten nicht erwerbsfähige Angehörige, die mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in Bedarfsgemeinschaft leben, Sozialgeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem 4. Kapitel des Zwölften Buches (SGB XII) haben. Das Sozialgeld umfasst die sich aus § 19 S. 1 Nr. 1 SGB II ergebenden Leistungen, mit der Maßgabe, dass die Regelleistung bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres 60 v. H. der nach § 20 Abs. 2 maßgebenden Regelleistung beträgt (§ 28 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 SGB II).

Die Klägerin zu 1 ist unstreitig leistungsberechtigt nach § 7 Abs. 1 SGB II, da sie das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht hat, erwerbsfähig und hilfebedürftig ist und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat.

Sie bildet zusammen mit ihrem Sohn M., dem Kläger zu 2, auch zeitweise eine Bedarfsgemeinschaft. Nach § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II gehören zur Bedarfsgemeinschaft die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in der Vorschrift genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können. Das Bundessozialgericht hat in der Entscheidung vom 07.11.2006, B 7b AS 14/06 R, darauf hingewiesen, dass bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift ("dem Haushalt angehörend") kein dauerhaftes "Leben" im Haushalt zu fordern ist. Ausreichend ist vielmehr ein dauerhafter Zustand in der Form, dass die Kinder mit einer gewissen Regelmäßigkeit und länger als einen Tag ein Elternteil besuchen, also nicht nur sporadische Besuche vorliegen. Dies folgt auch aus Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung, wonach bei minderjährigen Kindern eine getrennte und damit doppelte Bedarfsgemeinschaft wohl mit dem einen als auch mit dem anderen Elternteil angenommen werden kann, etwa wenn sich die Eltern darauf einigen, die Kinder abwechselnd im Haushalt des einen und des anderen zu versorgen.

Die hier vorliegende Fallkonstellation, bei welcher sich der Kläger zu 2 im Rahmen der Hilfe zur Erziehung gemäß §§ 27 und 33 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) in einer anderen Familie zur Vollzeitpflege aufhält und nach Absprache zwischen dem Jugendamt, der Pflegefamilie und der Klägerin zu 1 sich zeitweise besuchsweise im Haushalt seiner Mutter aufhält, bietet keinen Anlass zu einer anderen rechtlichen Beurteilung.

An den Tagen, an denen sich M. bei seiner Mutter, der Klägerin zu 1, aufhält, ist von einer Mangelsituation auszugehen. Der Anspruch der Klägerin zu 1 auf die Regelleistung nach § 20 SGB II umfasst nur die Sicherung ihres Lebensunterhalts. Andererseits erhält sie Leistungen des Kreisjugendamts für M. nur dann, wenn ein Aufenthalt ihres Sohnes in ihrem Haushalt über eine Dauer von mindestens 5 Tagen vorliegt (in Höhe von 30% des aktuellen Regelsatzes für Haushaltsangehörige bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres, entsprechend einem täglichen Verpflegungsgeld von 2,63 Euro). Einen Kostenbeitrag für kürzere Aufenthalte erhält sie dagegen nicht. Jedoch auch bei einem mindestens 2 Tage andauernden Aufenthalt, wobei nach Auffassung des Gerichts der An- und Abreisetag als ein Tag zu werten ist, liegt eine zeitweise Bedarfsgemeinschaft vor und aufgrund mangelnder eigener Leistungsfähigkeit stehen dem Kläger zu 2 hierfür Leistungen nach dem SGB II zu. Nur so kann eine tatsächliche Ausübung des in Artikel 6 Abs. 2 Grundgesetz (GG) normierten Umgangsrechts zwischen Eltern und Kind gewährleistet werden.

Der Bedarf des Klägers zu 2, der durch die Ausübung des Umgangsrechts entsteht, ist auch nicht dadurch gedeckt, dass er Leistungen der Vollzeitpflege erhält und -wenn auch erst ab einer zeitlichen Beurlaubung von mindestens 5 Tagen in den Haushalt seiner Mutter- dieser ein anteiliger Kostenbeitrag vom Träger der Kinder- und Jugendhilfe gewährt wird.

Zwar ist zutreffend, dass dem Kläger zu 2 im Rahmen der vom Kreisjugendamt gewährten Leistungen zur Vollzeitpflege grundsätzlich ausreichend Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhalts erbracht werden. Andererseits wird durch die Praxis des Kreisjugendamts zur Kostenbeteiligung bei Beurlaubungen in den Haushalt eines Elternteiles unter Heranziehung der Empfehlungen zur Kostenbeteiligung in der Kinder- und Jugendhilfe Baden Württemberg und der jugendamtsinternen Vorgaben hierzu deutlich, dass bei Fallgestaltungen, wie sie dem vorliegenden Rechtsstreit zugrunde liegen, keine ausreichende Bedarfsdeckung bei Wahrnehmung eines regelmäßigen Umgangsrechts vorliegt.

Die Praxis des Kreisjugendamtes nur ab mindestens 5-tägigem Aufenthalt bei einem Elternteil Leistungen zu gewähren, kann in den - sicher nicht seltenen - Konstellationen, in denen das Kind während der Schultage in der Pflegefamilie untergebracht ist, und sich nur an (jedem oder einem Teil der) Wochenenden und (auch) in kürzeren Ferien (Herbstferien, sogenannte Faschingsferien) unter 5 Tagen bei seinen Eltern bzw. einem Elternteil aufhält, das Umgangsrecht wesentlich erschweren oder vereiteln. Gerade aber der regelmäßige Umgang mit dem Kind, der vor allem an den Wochenenden - auch während der Schulzeit - stattfinden kann, erscheint erforderlich, um die aus Artikel 6 Abs. 2 GG herrührenden Ansprüche und Pflichten, d. h. das Umgangsrecht der Eltern und des Kindes, zu wahren. Durch den regelmäßigen Umgang zwischen Eltern und Kind kann ferner verhindert oder zumindest abgemildert werden, dass eine Entfremdung zwischen diesen eintritt. Dies ist bereits deshalb von Bedeutung, weil ja die Voraussetzungen für die Vollzeitpflege wieder entfallen können.

Auch ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles nicht von einer - teilweisen - Bedarfsdeckung auszugehen. Zwar erhält der Kläger zu 2 im Rahmen der Vollzeitpflege alle für seinen Lebensunterhalt notwendigen Leistungen, insbesondere Verpflegung und Unterkunft. Ihm werden jedoch für einen Aufenthalts bei der Klägerin zu 1 mit einer Dauer von unter 5 Tagen - keine Leistungen des Trägers der Jugendhilfe gewährt. Für diese kürzeren Aufenthalte bringt er auch keine Barmittel oder Sachleistungen (z.B. Verpflegung) von seiner Pflegefamilie mit. Sein Bedarf bei Aufenthalt im Haushalt seiner Mutter ist daher bei diesen zwar kürzeren, aber dennoch nicht nur sporadischen Besuchen (vgl. Urteil des BSG vom 07.11.2006, B 7b AS 14/06 R, aaO.) nicht gedeckt.

Allerdings werden für den Kläger zu 2 sowohl Kindergeld als auch - und zwar ohne Unterbrechung - durchgehend Leistungen nach dem SGB VIII gewährt, sofern eine Beurlaubung von unter 5 Tagen zu seiner Mutter vorliegt. Diese Leistungen stehen jedoch bei den genannten kürzeren Aufenthalten weder der Klägerin zu 1 noch ihrem Sohn M. zur Verfügung. Offensichtlich verbleiben diese Leistungen bei den Pflegeeltern und findet kein Ersatz der Aufwendungen der Klägerin zu 1 statt. Das Kreisjugendamt hat insoweit ausdrücklich auf die "Empfehlungen zur Kostenbeteiligung" hingewiesen, die dem gegenüber stünden. Unter diesen Bedingungen kann das Umgangsrecht zwischen der Klägerin zu 1 und M. jedoch nur unter erheblichen Erschwernissen wahrgenommen werden

Der Einwand der Beklagten kann nicht durchgreifen, die Klägerin zu 1 (bzw. M.) müsse die aus der Unterbringung resultierenden Ansprüche, zu denen auch das nicht gewährte Verpflegungsgeld für Aufenthaltszeiten unter 5 Tagen gehöre, gegenüber dem zuständigen Leistungsträger nach dem SGB VIII geltend machen. Der im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch geltende Grundsatz, wonach der Sozialhilfeempfänger nur dann auf die Selbsthilfemöglichkeiten verwiesen werden kann, wenn ihm "bereite Mittel" zur Verfügung stehen, ist auch hier entsprechend heranzuziehen. So stehen fiktive Einkünfte, z. B. nicht realisierte Unterhaltsansprüche, nicht als Einkommen zur Verfügung, weil es auf den tatsächlichen Zufluss ankommt (vgl. Grube / Wahrendorf, Komm. zum SGB XII, 2. Auflage, § 82, Rdnr. 12 und 17 unter Hinweis auf BVerwGE 21,208). Stehen Kindern für die Verwirklichung des Umgangsrechts die hierfür notwendigen Mittel tatsächlich nicht zur Verfügung, droht die Vereitelung des Umgangsrechts und der Träger der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist gehalten, das Fehlen der notwendigen "bereiten Mittel" durch Gewährung der begehrten anteiligen Regelleistungen zu ersetzen (vgl. Urteil des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 21.04.2008, L 20 AS 112/06).

Soweit vorliegend die Gefahr von Doppelzahlungen besteht, betrifft dies vorrangig die Pflegefamilie, welche bei einem Aufenthalt unter 5 Tagen nach den vom Kreisjugendamt herangezogenen Regelungen weiter Leistungen der Jugendhilfe für M. erhält, obwohl sich dieser tatsächlich bei der Klägerin zu 1 aufhält. Eine Lösungsmöglichkeit besteht insoweit, dass seitens des Trägers der Kinder- und Jugendhilfe eine Neugestaltung für vergleichbare Fälle erfolgt. Jedenfalls kann der besonderen Bedarfslage von M. während eines Aufenthalts von unter 5 Tagen bei seiner Mutter nur durch die Annahme einer zeitweiligen Bedarfsgemeinschaft Rechnung getragen werden.

Ohne dass es für den vorliegenden Rechtsstreit maßgeblich hierauf ankommt, wird auf das sich aus § 10 SGB VIII ergebende Nach- bzw. Vorrangverhältnis des Leistungsträgers der Jugendhilfe zu anderen Leistungen und Verpflichtungen hingewiesen. Nach Abs. 3 S. 1 dieser Vorschrift gehen grundsätzlich die Leistungen nach dem SGB VIII den Leistungen nach dem SGB II vor. Als Ausnahme hiervon gehen nur Leistungen nach § 3 Abs. 2 SGB II (betreffend erwerbsfähige Hilfebedürftige, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben) und §§ 14 bis 16 SGB II (bez. Leistungen zur Eingliederung in Arbeit) den Leistungen nach dem SGB VIII vor. Da eine derartige Ausnahme hier nicht vorliegen dürfte, könnte aus § 10 Abs. 3 S. 1 SGB VIII ein Vorrang des Jugendhilfeträgers abzuleiten sein mit der möglichen Folge, dass die Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs der Beklagten gegen dem Träger der Jugendhilfe nach den Vorschriften der §§ 102 bis 105 SGB X i. V. m. § 34a SGB II erfüllt sein könnten.

Nach alledem hatte die Klage in vollem Umfang Erfolg.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Berufung wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen. Zu der Konstellation einer zeitweiligen Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II bei gleichzeitiger Gewährung von Leistungen der Vollzeitpflege im Sinn des § 33 SGB VIII liegen keine höher instanzlichen Entscheidungen vor.
Rechtskraft
Aus
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