S 6 AS 2026/06

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 6 AS 2026/06
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zu den Anforderungen an eine Rechtfolgenbelehrung im Sinne von § 31 SGB II
Bemerkung
Die Belehrung über eine mögliche Sanktion nach § 31 SGB II muss so individuell-konkret sein, dass der betroffene Hilfebdürftige allein aus dem Belehrungstext unmissverständlich entnehmen kann, welche Rechtsfolge ihn im Falle einer Zuwiderhandlung droht. P
I. Der Bescheid vom 31.08.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.10.2006 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
III. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit einer Sanktion nach § 31 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) II. Der Kläger bezog Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Am 05.07.2006 übersandte die Beklagte dem Kläger einen Vermittlungsvorschlag für eine Tätigkeit als Sportassistent bei J. D. e. V. verbunden mit der Aufforderung sich dort am 13.07.06 dort zu melden. Dem Vermittlungsvorschlag beigefügt war eine Stellenbeschreibung und Rechtsfolgebelehrung mit folgendem Inhalt:

"Rechtsfolgenbelehrung"

1. Wenn Sie nicht bereit sind, • die umseitig angebotene Arbeit, Ausbildung oder Arbeitsgelegenheit aufzunehmen, oder • eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder Arbeitsgelegenheit fortzuführen, oder • zumutbare Arbeit noch § 16 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) auszuführen, so wird das Arbeitslosengeld II in einer ersten Stufe um 30 % der Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts (§ 20 SGB II) abgesenkt, darüber hinaus fällt der Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld im Sinne des § 24 SGB II weg. Dies gilt nicht, wenn Sie einen wichtigen Grund für Ihr Verhalten nachweisen (§ 31 Absatz 1 SGB II). Die gleichen Rechtsfolgen treten ein, wenn Sie ohne wichtigen Grund eine unter Benennung des Arbeitgebers und der Art der Tätigkeit angebotene Beschäftigung nicht annehmen oder antreten oder die Anbahnung eines solchen Beschäftigungsverhältnisses, insbesondere das Zustandekommen eines Vorstellungsgespräches, durch ihr Verhalten verhindern. Sie haben die für den wichtigen Grund maßgebenden Tatsachen darzulegen und nachzuweisen, wenn die Tatsachen in Ihre Sphäre oder Ihren Verantwortungsbereich fallen. 2. Bei wiederholter Pflichtverletzung im Sinne der Ziffer 1. wird das Arbeitslosengeld II zusätzlich um 30 § der Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes gemindert. Ist die Minderung höher als ihr Anspruch auf Leistung zum Lebensunterhalt nach § 20 SGB II, so können auch die Leistungen des § 21 SGB II (Leistungen für Mehrbedarfe beim Lebensunterhalt), des § 22 SGB II (Leistungen für Unterkunft und Heizung) und des § 23 SGB II (Sachleistungen) gemindert werden. Bei einer Minderung der Regelleistung im Sinne des § 20 SGB II um mehr als 30 % habe ich die Möglichkeit, in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Vorteile zu erbringen; diese Leistungen werde ich im Regelfall erbringen; wenn Sie mit minderjährigen Kindern in der Bedarfsgemeinschaft leben. 3. Abweichende Rechtsfolgen bei 15 bis 24 Jährigen Haben Sie das 15. Lebensjahr, jedoch noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet und die in Ziffer 1. genannten Voraussetzungen für eine Absenkung des Arbeitslosengeldes II erfüllt, so wird das Arbeitslosengeld II auf die Leistungen nach § 22 SGB II (Unterkunft und Heizung) beschränkt; ich habe zudem die Möglichkeit, die nach § 22 Abs. 1 SGB II angemessenen Kosten für Heizung und Unterkunft an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte zu zahlen. Trotz der eigentlich eingetretenen Kürzung der Leistung bin ich berechtigt, in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Vorteile im Sinne des § 31 Abs. 3 SGB II zu erbringen. Absenkung oder Wegfall der Leistung dauern jeweils drei Monate. Während der Absenkung oder des Wegfalls der Leistung besteht kein Anspruch auf ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß den Vorschriften des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch. Die Absenkung und der Wegfall treten mit Wirkung des Kalendermonats ein, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsaktes über die Absenkung oder den Wegfall der Leistung folgt."

Der Kläger begab sich am 13.07.2006 zu der im Vermittlungsvorschlag angegebenen Stelle. Dort wurde er aufgefordert vorab einen Personalbogen mit persönlichen Angaben auszufüllen (Bl. 10 d. GA). Er weigerte sich mit der Folge, dass es zu keiner Tätigkeitsaufnahme kam. Am 03.08.2006 forderte die Beklagte den Kläger schriftlich auf sich am 15.08.2006 in den Räumlichkeiten der Beklagten zu melden. Dies tat der Kläger. Im Gespräch bei der Beklagten am 15.08.2006 wurde ihm mitgeteilt, dass der Sachverhalt zur Prüfung der Einleitung einer Sanktion weitergeleitet werde. Mit Bescheid vom 31.08.2006 senkte die Beklagte das dem Kläger bewilligte Arbeitslosengeld II für die vom 01.10.2006 bis 31.12.2006 um 30% der Regelleistung, maximal 93,00 EUR ab. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, welcher mit Widerspruchsbescheid vom 09.10.2006 als unbegründet zurück. Am 13.11.2006 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Dresden mit dem Ziel, die Aufhebung des Sanktionsbescheides zu erreichen. Er trägt vor, er sei berechtigt gewesen, die Angaben im Personalbogen zu diesem Zeitpunkt zu verweigern. Bei der Veranstaltung habe es sich um eine noch unverbindliche Informationsveranstaltung gehandelt. Er sei einer von mehreren anwesenden Bewerbern gewesen unter denen eine Auswahl erfolgen sollte. Zu diesem Zeitpunkt sei es noch nicht erforderlich gewesen, die geforderten Angaben zu tätigen. Der Verein sei nach dem Sächsischen Datenschutzgesetz nicht befugt gewesen, die Angaben zu fordern.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 31.08.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.10.2006 aufzuheben und der Beklagten die notwendigen außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen und die Berufung zuzulassen.

Sie meint, die Sanktionierung sei zu Recht erfolgt. Zur Begründung verweist sie auf den Inhalt des Widerspruchbescheids. Es habe sich nicht um eine Informationsveranstaltung gehandelt, sondern um einen Termin zum Kennenlernen, bei welchem zugleich die näheren Modalitäten der Tätigkeit. Aus diesem Grund sei der Verein sehr wohl berechtigt gewesen, die Angaben zu fordern und die Weigerung des Klägers ursächlich für den Nichtantritt der Beschäftigung gewesen. Im Übrigen sei der Kläger nicht des Saales verwiesen worden. Vielmehr sei er selbst gegangen.

Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten Nr. beigezogen und zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Auf deren Inhalt und den Inhalt der Gerichtsakte wird wegen des weiteren Vortrags ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die zulässige Klage ist begründet. Der Sanktionsbescheid vom 31.08.2006 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 09.10.2006 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Gemäß § 31 Abs. 1 Nr. 1c SGB II in der damals gültigen Fassung kann das Arbeitslosengeld II unter Wegfall des Zuschlags nach § 24 in einer ersten Stufe um 30 vom Hundert der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 maßgeblichen Regelleistung abgesenkt werden, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige trotz Belehrung sich weigert eine zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit, ein zumutbares Angebot nach § 15a oder eine sonstige in der Eingliederungsvereinbarung vereinbarte Maßnahme aufzunehmen oder fortzuführen. Gemäß § 31 Abs. 6 SGB II treten Absenkung und Wegfall mit Wirkung des Kalendermonats ein, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsakts, der die Absenkung oder den Wegfall der Leistung feststellt, folgt.

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Es kann an dieser Stelle dahinstehen, ob der Absenkung nach § 31 Abs. 1 Nr. 1c SGB II eine ordnungsgemäße Anhörung gemäß § 24 SGB X voran gegangen ist, denn es fehlt schon an einer ordnungsgemäßen Belehrung im Sinne des § 31 Abs. 1 Nr. 1c SGB II.

Da es sich bei der Belehrung um eine Tatbestandsvoraussetzung handelt, macht deren nicht ordnungsgemäße Durchführung den Verwaltungsalt materiell rechtswidrig. Der Fehler ist nicht heilbar.

Die Sanktionsvorschrift des § 31 SGB II ist eine Durchbrechung der sich aus Art. 1 und 20 Grundgesetz (GG) ergebenden Verpflichtung des Staates das soziokulturelle Existenzminimum des Einzelnen sicherzustellen. Eine Sanktionierung, welche das soziokulturelle Existenzminimum zum Gegenstand hat, kann daher, wenn überhaupt, nur unter engen Voraussetzungen erfolgen.

Eine dieser Voraussetzungen ist eine ordnungsgemäße Belehrung des Hilfebedürftigen vor dem sanktionsauslösenden Ereignis. Die Belehrung hat ausschließlich Warnfunktion und soll dem Hilfebedürftigen deutlich vor Augen führen, dass Verstöße gegen vom Gesetz geforderte Verhaltensweisen zur Beseitigung der Hilfebedürftigkeit einen zeitlich befristeten -teilweisen- Entzug der soziokulturellen Existenzgrundlage zur Folge haben können. Wegen diesem möglichen massiven Eingriff in die rechte des Hilfebedürftigen muss die Belehrung nach § 31 Abs.1 SGB II so individuell und konkret sein, dass der betroffene Hilfebedürftige ohne Umwege, d. h. unmittelbar aus der Belehrung entnehmen kann, welche Folge ihm konkret bei Verstoß gegen die von ihm geforderte Verhaltensweise droht. Zum Inhalt dieser individuell konkreten Belehrung gehört hier mindestens die Angabe des konkreten Absenkungsbetrages, d. h. des Betrages, um welchen das Arbeitslosengeld II im konkreten Fehlverhaltensfall gekürzt werden wird. Nur so wird der Hilfebedürftige in die Lage versetzt, die Folgen eines Verstoßes in die Bestimmung seiner Verhaltensweise einzubeziehen. Keinesfalls ausreichend ist eine Rechtsfolgenbelehrung, welche ohne Bezug zum konkreten Sachverhalt eine Vielzahl vom Gesetz vorgesehener Sanktionsmöglichkeiten wiederholt und offen lässt, welche Sanktionsmöglichkeit individuell einschlägig ist. Eine Belehrung, welche es dem zu Belehrenden überlässt, den zutreffenden Sachverhalt zu bestimmen, wird ihrer Warnfunktion nicht gerecht.

II. Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.

III. Das Gericht hat die Berufung zugelassen, da es bisher keine einheitliche Rechtsprechung zu den Anforderungen an eine Belehrung nach § 31 SGB II gibt, diese aber klärungsbedürftig sind und daher die Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung ist, § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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