L 11 B 845/08 AY ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 19 AY 15/08 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 B 845/08 AY ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom
05.08.2008 Punkt I und II wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.



Gründe:


I.

Die Antragsteller (ASt) begehren von der Antragsgegnerin (Ag) Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).

Die ASt sind am 03.11.2007 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und hielten sich bis 20.02.2008 als Touristen im Bundesgebiet auf. Am 21.02.2008 beantragten sie Asyl und erhielten am gleichen Tag Aufenthaltsgestattungen mit der Gültigkeit bis 21.05.2008. Die Aufenthaltsgestattungen wurden am 01.07.2008 bis 30.12.2008 verlängert. Der Sohn der ASt, W. A. (A) hatte sich mit Erklärung vom 24.08.2007 verpflichtet, ab 01.10.2007 bis zur Beendigung des Aufenthaltes oder bis zur Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck nach § 68 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) die Kosten für den Lebensunterhalt und nach §§ 66 und 67 AufenthG die Kosten für die Ausreise seiner Eltern zu tragen. Die Verpflichtung umfasste die Erstattung sämtlicher Mittel, die für den Lebensunterhalt einschließlich der Versorgung mit Wohnraum und der Versorgung im Krankheitsfall und bei Pflegebedürftigkeit aufzuwenden sind. Die finanzielle Leistungsfähigkeit wurde von A der Ausländerbehörde gegenüber glaubhaft gemacht.

Auf den Antrag der ASt lehnte die Ag mit Bescheid vom 06.05.2008 die Gewährung von Leistungen nach § 3 ff AsylbLG gemäß § 8 AsylbLG ab, da der Sohn der ASt eine Verpflichtungserklärung gemäß § 86 AufenthG abgegeben habe. Außergewöhnliche Gründe, die eine Ausnahme nach § 8 Abs 2 AsylbLG rechtfertigen würden, seien nicht vorgebracht und auch nicht ersichtlich.

Der Zentralen Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber Z. - Unterkunftsverwaltung - wurde am 06.06.2008 die Übernahme von Krankenhilfe zugunsten der ASt mitgeteilt.

Den gegen den Bescheid vom 06.05.2008 eingelegten Widerspruch wies die Regierung von Mittelfranken mit Widerspruchsbescheid vom 23.06.2008 zurück. Der Bescheid sei rechtmäßig, da Verpflichtungserklärungen grundsätzlich nicht befristet seien oder sich auf einen bestimmten Aufenthaltstitel beziehen müssten. Von den ASt sei nicht dargetan, dass sie trotz bestehender Verpflichtungserklärung mangels Zuflusses der Unterhaltsleistungen im Bedarfszeitraum nicht in der Lage wären, den erforderlichen Lebensunterhalt ganz oder teilweise zu decken.

Hiergegen haben die ASt am 21.07.2008 Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben (Az: S 19 AY 16/08), über die noch nicht entschieden ist.

Am 21.07.2008 haben die ASt im Wege der einstweiligen Anordnung beantragt, die Ag zu verpflichten, ab Zuweisung zum 23.04.2008 den ASt die vollen Leistungen gemäß dem AsylbLG zu gewähren.

Mit Beschluss vom 05.08.2008 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Ein Anordnungsgrund sei nicht glaubhaft gemacht, die ASt hätten nicht geltend gemacht, ihr Sohn würde ihnen keinen Unterhalt leisten. Die Eilbedürftigkeit ergäbe sich auch nicht aus der dringenden medizinischen Behandlungsbedürftigkeit des ASt zu 1), da die Ag bereits vorprozessual Krankenhilfe zugesichert habe. Auch ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft gemacht, wobei das SG gemäß § 136 Abs 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die Gründe des Widerspruchsbescheides der Regierung von Mittelfranken verwiesen hat. Die vom Sohn der ASt abgegebene Erklärung sei rechtlich bindend. Außergewöhnliche Umstände, bei denen der zuständige Träger nach § 8 Abs 2 AsylbLG einen Zuschuss zu leisten hätte, seien weder vorgetragen noch ersichtlich.

Hiergegen haben die ASt am 11.09.2008 Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung ist ausgeführt worden, dass die Eilbedürftigkeit durch die latente Erkrankung deutlich gemacht sei. Der Sohn komme tatsächlich für seine Eltern nicht auf, eine rechtswirksame Verpflichtungserklärung läge nur dann vor, wenn sie für einen bestimmten Zeitraum gelte, der die vorgesehene Aufenthaltsdauer nicht überschreiten dürfe. Insbesondere unter Berücksichtigung einer Entscheidung des LG Hagen wäre die Beschwerde begründet.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die beigezogene Akte der Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, §§ 172, 173 SGG. Eine Abhilfeentscheidung ist nicht erforderlich, § 174 SGG ist mit Wirkung zum 01.04.2008 weggefallen. Das Rechtsmittel erweist sich jedoch als nicht begründet.

Die ASt begehren im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG ab dem 23.04.2008.

Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustands im Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis stellt im vorliegenden Rechtsstreit § 86b Abs 2 Satz 2 SGG dar.

Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem ASt ohne eine solche Anordnung schwere, unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998, BVerfGE 79, 69; vom 19.10.1997, BVerfGE 46, 166 und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4.Aufl, Rdnr 643).

Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs
- das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der Anspruchsteller sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der ASt glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG iVm §§ 920 Abs 2, 294 Zivilprozessordnung
-ZPO-; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9.Aufl, § 86b Rdnr 41).

Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfGE vom 12.05.2005, Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruchs der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anspruchsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist ggf. auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des ASt zu entscheiden (vgl BVerfGE vom 12.05.2005 aaO und vom 22.12.2002 aaO; zuletzt BVerfGE vom 15.01.2007 -
1 BvR 2971/06).

In diesem Zusammenhang ist eine Orientierung an den Erfolgsaussichten nur möglich, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist, denn soweit schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht beseitigt werden können, darf die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern sie muss abschließend geprüft werden (BVerfGE vom 12.05.2005 aaO).

Unter Beachtung dieser Überlegungen ist den ASt einstweiliger Rechtsschutz nicht zu gewähren.

Nach § 8 Abs 1 AsylbLG werden Leistungen nach diesem Gesetz nicht gewährt, soweit der erforderliche Lebensunterhalt anderweitig, insbesondere aufgrund einer Verpflichtung nach § 68 Abs 1 Satz 1 des AufenthG gedeckt wird. Besteht eine Verpflichtung nach § 68 Abs 1 Satz 1 AufenthG, übernimmt die zuständige Behörde die Kosten für Leistungen im Krankheitsfall, bei Behinderung und bei Pflegebedürftigkeit, soweit dies durch Landesrecht vorgesehen ist. Nach § 8 Abs 2 AsylbLG kann Personen, die sechs Monate oder länger eine Verpflichtung nach § 68 Abs 1 Satz 1 des AufenthG gegenüber einer in § 1 Abs 1 AsylbLG genannten Person erfüllt haben, ein monatlicher Zuschuss bis zum Doppelten des Betrages nach § 3 Abs 1 Satz 4 gewährt werden, wenn außergewöhnliche Umstände in der Person des Verpflichteten den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen.

Nach § 68 Abs 1 AufenthG hat sämtliche öffentliche Mittel zu erstatten, die für den Lebensunterhalt des Ausländers einschließlich der Versorgung mit Wohnraum und der Versorgung im Krankheitsfall und bei Pflegebedürftigkeit zuzuwenden sind, auch soweit die Aufwendungen auf einem gesetzlichen Anspruch des Ausländers beruhen, wer sich der Ausländerbehörde oder einer Auslandsvertretung gegenüber verpflichtet hat, die Kosten für den Lebensunterhalt eines Ausländers zu tragen. Die Verpflichtung nach § 68 Abs 1 Satz 1 bedarf nach § 68 Abs 2 Satz 1 AufenthG der Schriftform.

Vorliegend besteht unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen weder ein Anordnungsgrund, noch ein Anordnungsanspruch.

Ein Anordnungsgrund ist jedenfalls nicht glaubhaft gemacht. Soweit auch mit der Beschwerde auf die latente Erkrankung des ASt zu 1) hingewiesen wird, verkennen die ASt, dass die Ag die Gewährung von Krankenhilfe bereits zugesagt hat. Eine Eilbedürftigkeit ist hinsichtlich der Erkrankung des ASt zu 1) somit nicht zu erkennen.

Darüber hinaus haben die ASt auch im gesamten Verfahren nicht glaubhaft gemacht, dass ihr erforderlicher Lebensunterhalt nicht anderweitig abgedeckt ist. Soweit die ASt nunmehr im Beschwerdeverfahren vortragen, dass der Sohn nicht für seine Eltern aufkomme, genügt dies zum Einen nicht den Voraussetzungen einer Glaubhaftmachung, zum Anderen bedingt dies allein nicht, dass ihr erforderliche Lebensunterhalt nicht anderweitig gedeckt wird. Dies wird auch im Beschwerdeverfahren weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht.

Darüber hinaus fehlt es aber auch an einem Anordnungsanspruch. Der Bescheid der Ag vom 06.05.2008 ist rechtmäßig. Aufgrund der Verpflichtungserklärung des Sohnes der ASt nach § 68 Abs 1 Satz 1 AufenthG sind diesen Leistungen nach dem AsylbLG nicht zu gewähren.

Entgegen der Auffassung der ASt genügt die Verpflichtungserklärung in der vorliegenden Form den gesetzlichen Anforderungen. Bei der Verpflichtungserklärung handelt es sich um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, einer vertraglichen Vereinbarung bedarf es nicht, da diese keinen öffentlich-rechtlichen Vertrag im Sinne der Vorschriften der §§ 53ff SGB X darstellt (vgl insoweit BayVGH, 19.Senat vom 22.02.2008, Az: 19 C 07.2884).

Entgegen der Auffassung der ASt ist die Selbstverpflichtung des Sohns der ASt aber auch nicht deshalb unbestimmt und unwirksam, weil sie eine Befristung nicht enthält. Es ist im Wege der Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont zu ermitteln, für welchen Aufenthaltszweck und welche Gesamtaufenthaltsdauer die Verpflichtungserklärung gelten soll. Der Geltungsdauer der Aufenthaltsgenehmigung kommt dabei grundsätzlich keine entscheidende Bedeutung zu. Sinn und Zweck der Verpflichtungserklärung ist es nämlich, nicht nur den Versagungsgrund des nicht gesicherten Unterhalts vor der Einreise zu beseitigen, sondern ebenso, die Entstehung des Ausweisungsgrundes des § 55 Abs 1 Nr 6 AufenthG während des gesamten, sich an die Einreise anschließenden, Aufenthalts auszuschließen und damit eine Belastung öffentlicher Kassen während der Anwesenheit des Ausländers vorzubeugen (vgl BayVGH). Die von den ASt zitierte Rechtsprechung ist damit überholt.

Die Verpflichtungserklärung endet, wenn sie nicht ausdrücklich befristet ist, nach Maßgabe der Auslegung im Einzelfall mit dem Ende des vorgesehenen Aufenthalts oder dann, wenn der ursprüngliche Aufenthaltszweck durch einen anderen ersetzt und dies aufenthaltsrechtlich anerkannt worden ist (vgl BVerwG vom 24.11.1998, BVerwGE 108, 1ff).

Nach Aktenlage verfügen die ASt derzeit über eine Aufenthaltsgestattung gemäß § 55 Abs 1 Satz 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG). Damit verfügen die ASt nicht über einen Aufenthaltstitel im Sinne des AufenthG, damit wirkt die vom Sohn der ASt unterschriebene Verpflichtungserklärung vom 24.08.2007 fort.

Die Selbstverpflichtung des Sohnes der ASt, die nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen die Dauer des gesamten Aufenthalts der Eltern vom 01.10.2007 bis zur Beendigung des Aufenthaltes bzw. bis zur Erteilung eines Aufenthaltstitels umfasst, enthält somit eine immanente Begrenzung. Der Sohn der ASt haftet somit nicht für eine unbegrenzte Zeit, auch wenn eine Befristung nicht ausdrücklich beigefügt ist. Mit dieser immanenten Begrenzung ist dem Bestimmtheitserfordernis damit hinreichend Genüge getan (vgl BayVGH aaO).

Gründe, die den A berechtigen würden, sich nachträglich durch einseitige Erklärung von der übernommenen Verpflichtung zu lösen, sind nicht ersichtlich. Mit der Erklärung vom 24.08.2007 hat der Sohn der ASt seine finanzielle Leistungsfähigkeit der Ausländerbehörde gegenüber glaubhaft gemacht. Anhaltspunkte dafür, was sich an dessen Leistungsfähigkeit geändert haben sollte, sind weder ersichtlich noch wurden diese vorgetragen. Ebenso fehlen außergewöhnliche Gründe im Sinne des § 8 Abs 2 Satz 2 AsylbLG, welche weder vorgetragen noch ersichtlich sind. Auch musste dem Sohn der ASt die Dauer dessen Verpflichtung offensichtlich sein, da unter der Rubrik "Dauer der Verpflichtung" eingetragen ist: "Vom 01.10.2007 bis ...". Dem Sohn der ASt musste somit offensichtlich sei, dass eine zeitliche Beschränkung der Verpflichtung abhängt von weiteren Bedingungen, hier der Beendigung des Aufenthalts bzw. der Erteilung eines Aufenthaltstitels.

Die Beschwerde war somit unbegründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und ergibt sich aus dem Unterliegen der ASt.

Der Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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