S 10 AS 229/07

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 10 AS 229/07
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Anwendbarkeit des Zuflussprinzips auf Nachzahlungen von Sozialleistungen
Bemerkung
Arbeitslosengeld I ist im Rahmen des § 11 SGB II nicht in dem Monat, für den es ausgezahlt wird, sondern in dem Monat, in dem es tatsächlich zufliesst als Einkommen anrechenbar.
I. Der Bescheid vom 21.09.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.01.2007 wird aufgehoben, soweit darin von der Klägerin für Mai 2006 509,09 EUR zurückgefordert werden.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
III. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich dagegen, dass die Beklagte von ihr Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) zurückfordert, die sie ihr für den Zeitraum Mai 2006 gewährt hat. Die am 1979 geborene Klägerin beantragte am 12.11.2004 erstmals bei der Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für sich und ihren am 2003 geborenen Sohn E ... Auf den Fortzahlungsantrag vom 13.04.2006 gewährte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 25.04.2006 für den Zeitraum Mai bis Oktober 2006 monatlich 746,70 EUR. Mit Bescheid vom 14.06.2006 gewährte die Bundesagentur für Arbeit der Klägerin ab 01.05.2006 monatlich 632,10 EUR Arbeitslosengeld (I). Die Auszahlung für Mai und Juni 2006 erfolgte am 30.06.2006. Mit Änderungsbescheid vom 24.07.2006 gewährte die Beklagte der Klägerin und ihrem Sohn für Mai und Juni 2006 monatlich 144,60 EUR und für Juli bis Oktober 2006 monatlich 171,60 EUR. Nach einer Anhörung am 04.07.2006 hob die Beklagte die Bewilligung in Höhe von 2.408,40 EUR auf und forderte dieses Geld zurück. Die Klägerin erhob am 04.10.2006 Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 05.01.2007 zurückwies. Die Klägerin und ihr Sohn haben am 29.01.2007 Klage erhoben. Im Mai 2006 habe sie keine Einnahmen gehabt, daher bestehe in diesem Monat der Anspruch auf Arbeitslosengeld II. Die Rückforderung dürfe lediglich für Juni bis August 2006 erfolgen. Sie habe den Arbeitslosengeld (I)-Bescheid unverzüglich bei der Beklagten eingereicht. Da der Rückforderungsbescheid nur an die Klägerin gerichtet sei, dürften auch nur von ihr und nicht von ihrem Sohn Leistungen zurückgefordert werden. Die Klägerin beantragt, den Bescheid vom 21.09.2006 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 05.01.2007 insoweit aufzuheben, als darin von der Klägerin eine Rückforderung für den Monat Mai 2006 in Höhe von 509,09 EUR geltend gemacht wird. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen und die Berufung zuzulassen. Entscheidend sei die Fälligkeit, nicht der Zufluss des Arbeitslosengeldes (I). Der Sohn der Klägerin hat die Klage zurückgenommen. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung am 24.11.2008 im Wege des Teilanerkenntnisses die Rückforderung aus dem Bescheid vom 21.09.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.01.2007 auf den Betrag von 2.030,40 EUR, der von der Klägerin selbst zurückgefordert werde, reduziert. Die Klägerin hat das Teilanerkenntnis angenommen. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet, soweit sie nicht gemäß § 101 Abs. 2 SGG durch angenommenes Teilanerkenntnis erledigt ist. Die mit Bescheid vom 21.09.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.01.2007 nunmehr noch der Klägerin gegenüber geltend gemachte Rückforderung ist rechtswidrig, soweit sie den Zeitraum Mai 2006 betrifft. Als Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Bescheides vom 25.04.2006 kam allein § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Betracht, der gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II anwendbar ist. Denn eine Rücknahme gemäß § 45 Abs. 2 SGB X scheidet bereits deshalb aus, weil alle dort aufgeführten subjektiven Voraussetzungen offensichtlich nicht vorliegen. Es ist nämlich zwischen den Parteien unstreitig, dass die Klägerin allen ihren Verpflichtungen im Hinblick auf die Mitteilung ihrer Einkünfte ordnungsgemäß und zeitnah nachgekommen ist. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X kann ein Bescheid mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruches geführt haben würde. Hinsichtlich des Monats Mai 2006 liegen diese Voraussetzungen nicht vor. Denn die Klägerin hat im Mai 2006 keine Einkünfte aus Arbeitslosengeld (I) erzielt. Zwar ist ihr von der Bundesagentur für Arbeit Arbeitslosengeld für Mai 2006 bewilligt worden. Allerdings ist der bewilligte Betrag der Klägerin erst am 30.06.2006 zugeflossen. Nach dem Zuflussprinzip, das hier gemäß § 2b in Verbindung mit § 2 Alg II-V in der damals gültigen Fassung anzuwenden ist (so schon BSG, Beschluss vom 23.11.2006 – B 11b AS 17/06 B –), kann die Nachzahlung nicht in dem Monat angerechnet werden, für den sie zugeflossen ist, sondern muss in dem Monat angerechnet werden, in dem sie tatsächlich zugeflossen ist. Dies ergibt sich ohne weiteres aus dem Zweck des SGB II, das aktuell bestehende Existenzminimum abzudecken. Hierdurch entsteht der Beklagten – wenn sie sich ordnungsgemäß verhält – auch kein finanzieller Nachteil. Denn sie hätte bei der Bundesagentur für Arbeit, mit der sie organisatorisch und auch in der Datenverarbeitung eng verknüpft ist, nur die laufende Arbeitslosengeld II-Leistung anzeigen müssen. Dann hätte die Bundesagentur für Arbeit ihre Nachzahlung zurückhalten und mit der Forderung der Beklagten verrechnen können. Dass sie dies unterlassen hat kann nicht dazu führen, dass die Beklagte der Klägerin im Monat Mai 2006 Einkünfte gemäß § 11 SGB II anrechnen kann, die die Klägerin in diesem Monat nicht realisieren konnte. Da der Bescheid vom 25.04.2006 für Mai 2006 rechtmäßig ergangen ist, durfte er insoweit nicht aufgehoben werden. Folglich konnte die Beklagte die für den Zeitraum Mai 2006 zu Recht gewährten Leistungen von der Klägerin auch nicht zurückfordern, § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Berufung war gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Anwendbarkeit des Zuflussprinzips bei Nachzahlung von Sozialleistungen steht in zahlreichen Verfahren im Streit. Hierzu ist bereits eine Revision beim Bundessozialgericht anhängig (B 4 AS 70/07 R).
Rechtskraft
Aus
Saved