L 25 B 2222/08 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
25
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 129 AS 31439/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 25 B 2222/08 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 10. November 2008 aufgehoben und der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt, soweit der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet worden ist, für die Antragstellerin und ihren Sohn für die Zeit vor dem 10. November 2008 Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 486,42 EUR zu erbringen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner erstattet den Antragstellern fünf Sechstel ihrer außergerichtlichen Kosten erster und zweiter Instanz.

Gründe:

Zunächst war der Sohn der Antragstellerin zu 1 als Antragsteller zu 2 nun von Amts wegen ausdrücklich ins Aktivrubrum aufzunehmen. Dies entspricht zum einen der nach § 123 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gebotenen sachdienlichen Auslegung des Antragsbegehrens unter Zugrundelegung des Gesamtvorbringens, weil hier Ansprüche geltend gemacht werden, welche anteilig sowohl der Antragstellerin zu 1 als auch dem mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Antragsteller zu 2 zustehen, weil nur das einzelne Mitglied der Bedarfsgemeinschaft und nicht diese als solche Anspruchinhaber sein kann (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 8/06 R -, zitiert nach juris, Rn. 11 f.). Zum anderen hat bereits das Sozialgericht im angefochtenen Beschluss den Antragsgegner ausdrücklich verpflichtet, die näher bezeichneten Leistungen "für die Antragstellerin und ihren Sohn" zu erbringen, ohne ihn allerdings ausdrücklich ins Rubrum aufzunehmen.

Die gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 10. November 2008 gerichtete, gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 SGG zulässige Beschwerde des Antragsgegners hat nur insoweit Erfolg, als das Sozialgericht zu Unrecht den Antragsgegner zur Zahlung höherer Leistungen für die Zeit vor Erlass einstweiligen Anordnung am 10. November 2008 verpflichtet hat, indem es unzutreffend auch für diesen Zeitraum einen Anordnungsgrund bejaht hat. Zur weiteren Begründung wird in diesem Zusammenhang auf die Begründung des zwischen den Beteiligten ergangenen Beschlusses des Vorsitzenden vom 5. Dezember 2008 – L 25 B 2249/08 ER – verwiesen und inhaltlich Bezug genommen.

Im Übrigen ist die Beschwerde des Antragsgegners unbegründet.

Die Antragsteller haben für die Zeit ab 10. November 2008 einen Anordnungsanspruch mit der für die Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit gemäß § 86b Abs. 2 SGG in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 der Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft gemacht.

Der Anordnungsanspruch ist zu bejahen, weil die Antragsteller zum gemäß §§ 7 Abs. 1 S. 1, 28 Abs. 1 S. 1 bis 3 Nr. 1 SGB II dem Grunde nach anspruchsberechtigten Personenkreis gehören und ihnen die begehrte Leistung nach § 22 Abs. 1 S. 1 und S. 2 SGB II aufgrund einer Folgenabwägung zusteht, wonach Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen, soweit diese angemessen sind, erbracht werden und, wenn sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) erhöhen, nur in Höhe der bis dahin zu tragenden Aufwendungen erbracht werden.

Die Gewährleistung des aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 des Grundgesetzes (GG) folgenden Gebots effektiven Rechtsschutzes stellt besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Die Gerichte müssen in solchen Fällen, wenn sie sich an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den Vorschriften des SGB II geht, welche der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens dienen. Diese Sicherstellung ist eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, die aus dem Gebot zum Schutze der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot folgt. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern (vgl. Bundesverfassungsgericht, Erster Senat, Dritte Kammer, Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvvR 569/05 -, rech. bei juris Rn. 24 ff.).

Dies zugrunde gelegt, ist eine Folgenabwägung vorzunehmen, weil sich die entscheidungserhebliche Frage, ob die den Antragstellern vom Sozialgericht im Wege der einstweiligen Anordnung zugesprochenen 486,42 EUR KdU im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II angemessen sind beziehungsweise der Umzug im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II erforderlich war, im vorliegenden Eilrechtsschutzverfahren in der Kürze der Zeit nicht abschließend klären lässt. Hierfür wäre eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, welche durch einen Rückgriff auf die Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 SGB II (AV-Wohnen) des Antragsgegners nicht ersetzt werden darf, denen als bloße verwaltungsinterne Richtlinien ohnehin keine rechtliche Bindungswirkung zukommt. Für die Angemessenheit einer Unterkunft ist nicht nur das sich in der Wohnungsmiete niederschlagende Produkt entscheidend, welches sich aus der anhand der landesrechtlichen Ausführungsbestimmungen über die Förderung des sozialen Mietwohnungsbaus zu bestimmenden Wohnfläche und einem einfachen Wohnstandard ergibt, sondern es ist im Rahmen einer konkreten Angemessenheitsprüfung auch festzustellen, dass eine andere bedarfsgerechte und nicht mehr als die angemessenen Kosten auslösende Wohnung konkret verfügbar und zugänglich ist, da anderenfalls die Aufwendungen für die tatsächliche Unterkunft als angemessen anzusehen sind (Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 18/06 R – rech. bei juris). Gerade dies vermag der Senat im vorliegenden Eilverfahren angesichts der besonderen Bedarfslage und der zur Anmietung der neuen Wohnung führenden besonderen Lebenssituation der Antragsteller nicht gleichwie in einem Hauptsacheverfahren aufzuklären. Die persönlichen Verhältnisse der Antragsteller sind nämlich – in einer für ihre Wohnbedarfslage und Umzugserforderlichkeit möglicherweise bedeutsamen Weise - nicht nur dadurch gekennzeichnet, dass die Antragstellerin zu 1 alleinerziehende Mutter des dreijährigen Antragstellers zu 2 ist, sondern auch dadurch, dass die Antragsteller nach der Eigenbedarfskündigung ihrer alten Wohnung gezwungen waren, sich zügig einen neue Wohnung zu beschaffen, weshalb sie in der Kürze der Zeit aus den mit der eidesstattlichen Versicherung der Antragstellerin zu 1 vom 10. Oktober 2008 glaubhaft gemachten Gründen ihre jetzige Wohnung anmieteten.

Die hier anknüpfende Folgenabwägung fällt im vorliegenden Fall zugunsten der Antragsteller aus. Es sind die Folgen abzuwägen, die einträten, wenn die begehrte Anordnung nicht erginge und die Rechtsschutzsuchenden im Hauptsacheverfahren obsiegten, gegenüber den Folgen, die entstünden, wenn die Anordnung erlassen würde und die Rechtsschutzsuchenden im Hauptsacheverfahren keinen Erfolg hätten. Dies zugrunde gelegt, wöge der auf eine Unterdeckung der KdU beruhende Wohnraumverlust schwerer als die Gefahr möglicherweise zu Unrecht erbrachter Leistungen. Die Versorgung mit Wohnraum, welcher sich nachhaltig nur durch die regelmäßige Entrichtung der vereinbarten Miete und deshalb nur durch die Anerkennung der tatsächlichen KdU durch den Antragsgegner sichern lässt, gehört zu den elementaren Grundbedürfnissen. Demgegenüber fällt die Befürchtung, dass sich die tatsächlichen KdU schließlich nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten möglicherweise nicht als angemessen erweisen, nicht stärker ins Gewicht und ist der Antragsgegner auf die Aufhebung und Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen zu verweisen.

Der Höhe nach bleibt es beim vom Sozialgericht ausgeworfenen Betrag von 486,42 EUR, über welchen der Senat mangels einer von den Antragstellern eingelegten Beschwerde nicht hinausgeht. Der Betrag erscheint nicht überhöht. Auch wenn hier die genauen Heizkosten bislang nicht feststehen, können hierfür nach dem Mietspiegel 2007 des Deutschen Mieterbunds 0,85 EUR/ m² zugrunde gelegt werden, was bei der 65 m² großen Wohnung der Antragsteller Heizkosten von 55,25 EUR und damit eine Gesamtmiete (ohne Warmwasseraufbereitungskosten) von 503,61 EUR monatlich erwarten lässt.

Das für den Erlass der einstweiligen Anordnung unerlässliche eilige Regelungsbedürfnis erkennt der Senat darin, dass die Antragsteller in Ermangelung gegenteiliger Anhaltspunkte zur Sicherung ihrer Existenz auf die laufende Übernahme der KdU angewiesen sind, weshalb insbesondere auch angesichts des minderjährigen Antragstellers zu 2 bereits jetzt eine gegenwärtige existenzielle Notlage begründet ist.

Die aus dem Tenor des Sozialgerichts ersichtliche zeitliche Begrenzung der Stattgabe ist dem Umstand geschuldet, dass Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den Vorschriften des SGB II ihrem Wesen nach situationsgebundene und damit ständiger Veränderung unterworfene Fürsorgeleistungen sind und dass einstweiliger Rechtsschutz ausschließlich der Behebung gegenwärtiger Notlagen, nicht aber der Regelung weit in der Zukunft liegender Sachverhalt dient. Dies zugrunde gelegt und ausgehend von der gegenwärtigen Eilbedürftigkeit ist es in Ausübung des nach § 86b Abs. 2 S. 4 SGG, 929 Abs. 1 ZPO eröffneten freien gerichtlichen Ermessens sachgerecht, den Zeitraum der Stattgabe ähnlich dem aus § 41 Abs. 1 S. 4 SGB II folgenden Regelbewilligungszeitraum ab 10. Oktober 2008 auf höchstens sechs Monate zu begrenzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Beschwerdeverfahrens in der Sache selbst.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde ans Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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