L 9 AS 112/08 ER

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 23 AS 3316/07 ER
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 9 AS 112/08 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Beschwerdeführer wird der Beschluss des Sozialgerichts Altenburg vom 17. Dezember 2007 abgeändert.

Die Beschwerdegegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Beschwerdeführerin zu 1) für die Zeit vom 5. August 2008 bis 31. Januar 2009 vorläufig bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren darlehensweise Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Beschwerdegegnerin trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Beschwerdeführer.

Den Beschwerdeführern wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwältin K., bewilligt.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Eilverfahrens über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes.

Die 1980 geborene Beschwerdeführerin zu 1) studiert seit dem Wintersemester 1999/2000 Rechtswissenschaften an der F.-Universität J. Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) erhielt sie bis zum Erreichen der Förderungshöchstdauer im März 2004.

Nach dem sie im Dezember 2004 von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte, beantragte sie am 18. Februar 2005 Leistungen zur Grundsicherung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Mit Bescheid vom 2. Mai 2005 bewilligte die Beschwerdegegnerin vom 18. Februar bis 31. Juli 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Die Fortzahlungsanträge beschied sie - unter Einbeziehung des im August 2005 geborenen Beschwerdeführers zu 2) und den damit verbundenen Mehrbedarf für Alleinerziehende - in der Folge positiv (Leistungszeiträume vom 1. August 2005 bis 31. Januar 2007).

Im Dezember 2006 beantragten die Beschwerdeführer die Fortzahlung der Leistungen über den 31. Januar 2007 hinaus. Mit Schreiben vom 17. Januar 2007 hörte die Beschwerdegegnerin sie nach § 24 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) zu einer beabsichtigten Leistungsaufhebung mit Wirkung zum 1. Oktober 2006 an. Das Studium der Beschwerdeführerin zu 1) sei nach den Bestimmungen des BAföG dem Grunde nach förderungsfähig. Insoweit sei sie nach § 7 Abs. 5 SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Aus dem gleichen Grund lehnte sie mit Bescheid vom 17. Januar 2007 die Fortzahlung von Leistungen über den 31. Januar 2007 hinaus ab.

Die Beschwerdeführer legten dagegen Widerspruch ein und ließen sich zur Anhörung ein. In der Folge sah die Beschwerdegegnerin wegen des Vertrauensschutzes der Beschwerdeführer von der Erstattung überzahlter Leistungen ab und bewilligte für die Zeit vom 1. Februar 2007 bis 31. Juli 2007 einen Mehrbedarf für Alleinerziehende (vgl. die Bescheide vom 3. April 2007).

Am 21. Juni 2006 beantragten die Beschwerdeführer die Fortzahlung der Leistungen. Dem formularmäßigen Antrag fügten sie eine Bescheinigung des Studentenwerkes Thüringen bei, wonach die Beschwerdeführerin zu 1) grundsätzlich keinen Anspruch auf Leistungen nach dem BAföG habe. Mit Bescheid vom 25. Juli 2007 bewilligte die Beschwerdegegnerin für die Monate August 2007 bis Januar 2008 erneut den Mehrbedarf für Alleinerziehende. Ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bestehe dagegen nicht. Der Beschwerdeführer zu 2) könne seinen Bedarf aus Unterhalt, Kinder- und anteiligem Wohngeld decken. Die Beschwerdeführerin zu 1) sei nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ausgeschlossen. Ihr Studium sei nach dem BAföG abstrakt förderungsfähig.

Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 18. Oktober 2007 zurück.

Die Beschwerdeführer haben dagegen am 19. November 2007 Klage erhoben (Az.: S 23 AS 3317/07) und am gleichen Tag den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Mit Beschluss vom 17. Dezember 2007 hat das Sozialgericht Altenburg den Antrag abgelehnt. Ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft gemacht worden. Die Beschwerdeführerin zu 1) habe keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Bei ihr greife der Ausschluss nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II. Ausschlaggebend sei, dass das Studium dem Grund nach förderungsfähig im Sinne des BAföG sei. Unbeachtlich sei insoweit, aus welchen Gründen konkret keine Förderung erfolge. Ein Anspruch auf darlehensweise Erbringung von Leistungen nach § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II bestehe ebenfalls nicht. Ein besonderer Härtfall liege nicht vor. Den Anspruch auf Leistungen nach dem BAföG habe die Beschwerdeführerin zu 1) wegen des Überschreitens der Förderungshöchstdauer verwirkt. Die Schwangerschaft sei erst später festgestellt worden.

Der Beschwerde hat das Sozialgericht nicht abgeholfen (Verfügung vom 29. Januar 2008) und dem Thüringer Landessozialgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Die Beschwerdeführer sind der Auffassung, ihnen stehe ein Anspruch zur Sicherung des Lebensunterhaltes zumindest als Darlehen zu. Ein besonderer Härtefall nach § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II sei gegeben. Abzustellen sei nicht auf das Überschreiten der Regelstudienzeit, sondern auf die derzeitige Situation. Aus heutiger Sicht ergebe sich ein Härtefall. Die Beschwerdeführerin zu 1) befinde sich bis August 2008 in Erziehungszeit. Den schriftlichen Teil des Ersten Staatsexamens könne sie im gleichen Monat ablegen. Voraussichtlich sei das Studium dann im Januar 2009 beendet und sie könne im Frühjahr 2009 mit der Referendarausbildung beginnen. Damit entfalle die Bedürftigkeit im Sinne des SGB II. Im Hinblick darauf, dass sie alleinerziehend sei und sich auf das Staatsexamen vorbereiten müsse, könne sie auch keine Erwerbstätigkeit aufnehmen.

Die Beschwerdeführer beantragen sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Altenburg vom 17. Dezember 2007 aufzuheben und die Beschwerdegegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zumindest als Darlehen nach § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II zu gewähren sowie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin K., zu bewilligen.

Die Beschwerdegegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Zur Begründung nimmt sie auf den angefochtenen Beschluss des Sozialgerichts Bezug.

Die Beschwerdeführer haben im Beschwerdeverfahren eine Bescheinigung des Thüringer Justizprüfungsamtes vom 1. Juli 2008 zu den Akten gereicht. Hiernach ist die Beschwerdeführerin zu 1) zur Staatlichen Pflichtfachprüfung zugelassen, die am 25. August 2008 mit der ersten schriftlichen Aufsichtsarbeit beginnt. Ferner haben sie auf Anfrage des Gerichts mitgeteilt, dass sie zurzeit über ein monatliches Einkommen in Höhe von 745,00 Euro - zusammengesetzt aus Unterhaltsleistungen, dem Mehrbedarf für Alleinerziehende sowie Wohn- und Kindergeld - verfügen.

Zur Ergänzung des Tatbestands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und derjenigen der Beschwerdegegnerin verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und teilweise begründet. Die Beschwerdeführerin zu 1) hat im Rahmen des Eilverfahrens Anspruch auf darlehensweise Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 1. August 2008 bis 31. Januar 2009. Dagegen scheidet eine zuschussweise Bewilligung von Leistungen aus.

Nach § 86 b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall von § 86 b Abs. 1 – wie hier - nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn anders die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Nach § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG gelten die §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend. Das Gericht entscheidet durch Beschluss (§ 86 b Abs. 4 SGG).

Der Antrag ist dann begründet, wenn das Gericht auf Grund hinreichender Tatsachenbasis durch Glaubhaftmachung (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO) und bzw. oder im Wege der Amtsermittlung (§ 103 SGG) einen Anordnungsanspruch bejahen kann. Ein solcher Anordnungsanspruch liegt vor, wenn das im Hauptsacheverfahren fragliche materielle Recht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Darüber hinaus muss in Abwägung der für die Verwirklichung des Rechts bestehenden Gefahr einerseits und der Notwendigkeit einer Regelung andererseits ein Anordnungsgrund zu bejahen sein.

Hinsichtlich der (auch) beantragten Bewilligung der Leistung als verlorenen Zuschuss haben die Beschwerdeführer einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft machen können.

Nach § 19 in Verbindung mit § 7 Abs. 1 SGB II erhalten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach diesem Buch Personen (Berechtigte), die (1.) das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, (2.) erwerbsfähig sind, (3.) hilfebedürftig sind und (4.) ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige). Nach § 7 Abs. 2 SGB II erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Personen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, Leistungen. Zur Bedarfsgemeinschaft zählen nach § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II unter anderem die dem Haushalt angehörigen unverheirateten Kinder, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, also auch der Beschwerdeführer zu 2).

Hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB II ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht (1.) durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, (2.) aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern andere Sozialleistungen erhält.

Die Voraussetzungen liegen für den Senat - anderes wurde von den Beteiligten auch nicht behauptet - vor. Insbesondere reichen die momentan zur Verfügung stehenden Einnahmen von 745,00 Euro zur Deckung des Gesamtbedarfs nicht aus. Insoweit kann auf die letztmalige Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes vom Sommer 2006 zurückgegriffen werden. Damals hat die Beschwerdegegnerin einen monatlichen Gesamtbedarf von ca. 1.030,00 Euro ermittelt. Hieraus und auch im Hinblick auf die Anpassung der Regelsätze im Sommer 2007 und Sommer 2008 folgt, dass die 745,00 Euro zur Deckung des monatlichen Gesamtbedarfs bei weitem nicht ausreichen.

Gleichwohl ist die Beschwerdeführerin zu 1) nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes grundsätzlich ausgeschlossen. Danach haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG oder der §§ 60 bis 62 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) dem Grund nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. So verhält es sich hier.

Im Sinne des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II bedeutet "dem Grunde nach förderungsfähig", wie bereits nach der vormaligen Regelung des § 26 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) bzw. des jetzigen § 22 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII), dass die Ausbildung an sich förderungsfähig sein muss. Dagegen kommt es nicht darauf an, ob aus in der Person des Betroffenen liegenden Gründen eine Förderung der Ausbildung - etwa aus Gründen des Fachrichtungswechsels oder Überschreiten der Höchstförderdauer - ausscheidet.

Gemessen daran liegt bezüglich des Studiums der Rechtswissenschaften an der F.-Universität J der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II vor, denn der Studiengang ist für sich gesehen zweifelsohne nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BAföG förderungsfähig. Andernfalls hätte die Beschwerdeführerin zu 1) auch kein BAföG bis zum Erreichen der Höchstförderdauer erhalten.

Unerheblich ist dagegen, dass eine konkrete Förderung der Beschwerdeführerin zu 1) nach dem Überschreiten der Förderhöchstdauer scheitert, denn maßgebend ist einzig die abstrakte Förderungsfähigkeit. Sinn und Zweck der Ausschlussregelung ist es nämlich, keine Ausbildungsförderung auf "zweiter Ebene" über die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zu gewähren. Nach der Konzeption des Gesetzes sind die Leistungen der Ausbildungsförderung abschließend im BAföG bzw. dem SGB III geregelt. Es soll eine Kongruenz dieser Leistungssysteme mit denjenigen des SGB II erreicht werden. Mit diesem Zweck unvereinbar ist es, während einer Ausbildung, die für sich gesehen nach dem BAföG förderungsfähig ist, für die der Betroffene aus in seiner Person liegenden Gründen aber konkret keine Förderung erhält, gleichwohl Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu gewähren. Insoweit würde der Wille des Gesetzgebers gerade unterlaufen (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteile vom 6. September 2007 - Az.: B 14/7b AS 28/06 R und B 14/7b AS 36/06 R, beide nach juris; Senatsurteil vom 18. Juni 2008 - Az.: L 9 AS 1051/06 und Senatsbeschluss vom 17. Januar 2008 - Az.: L 9 AS 1264/07 ER).

Anderes gilt für den Beschwerdeführer zu 2). Obwohl die erwerbsfähige Beschwerdeführerin zu 1) als sogenannter "Kopf der Bedarfsgemeinschaft" vom Ausschluss nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II erfasst wird, hat er grundsätzlich Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bzw. Sozialgeld nach § 28 SGB II (vgl. Spellbrink in Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, 2. Auflage 2008, § 7 Rnr. 107 und Brühl/Schoch in Münder Lehr- und Praxiskommentar zum SGB II, 2. Auflage 2006, § 7 Rnr. 101). Indes besteht nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung im vorliegenden Fall kein Anspruch auf Sozialgeld, denn der Beschwerdeführer kann mit seinem Einkommen (Kindergeld, Unterhalt und anteiliges Wohngeld) seinen eigenen Bedarf decken.

Die Beschwerdeführerin zu 1) hat aber einen Anordnungsanspruch auf darlehensweise Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II glaubhaft gemacht, denn es liegt ein besonderer Härtefall vor. Der Begriff der "besonderen Härte" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Ausfüllung vollumfänglich der rechtlichen Überprüfung durch die Gerichte unterliegt. Die Verwaltung hat diesbezüglich keinen Beurteilungsspielraum. Ebenso wenig ist die Bestimmung des Härtefalls ein Teil der Ermessensausübung. Liegt er vor, verbleibt dem Träger der Grundsicherung regelmäßig kein Ermessenspielraum, ob er Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes im Wege eines Darlehens gewährt (vgl. Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 15. April 2005 - Az.: L 2 B 7/05 AS ER, nach juris).

Die Konkretisierung des Härtefalls folgt der im Rahmen der Normanwendung geforderten Interpretation abstrakt-genereller Vorgaben, so dass die üblichen Grundsätze der Normauslegung zum Tragen kommen. Dabei ist insbesondere der spezielle Kontext des in Frage stehenden Rechtsgebietes und die Funktion der Regelung innerhalb des jeweiligen Norm- und Gesetzeszusammenhangs maßgebend (vgl. BSG, Urteile vom 6. September 2007, a.a.O.).

Wie oben dargelegt werden nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II Personen, die eine dem Grunde nach dem BAföG oder den §§ 60 bis 62 SGB III förderungsfähige Ausbildung absolvieren, keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes gewährt. Nach dem Willen des Gesetzgebers können ausnahmsweise im Einzelfall gleichwohl (darlehensweise) Leistungen bewilligt werden, wenn trotz des grundsätzlichen Ausschluss von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes die Gewährung solcher geboten erscheint.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zu § 26 BSHG liegt ein besonderer Härtefall dann vor, wenn die Folgen des Anspruchsausschlusses über das Maß hinausgehen, das regelmäßig mit der Versagung von Hilfe zum Lebensunterhalt verbunden ist, und vom Gesetzgeber bewusst so gewollt ist. Hinzutreten müssen im Einzelfall weitere Umstände, die einen Ausschluss von der Ausbildungsförderung durch die Hilfe zum Lebensunterhalt auch mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck, die Sozialhilfe von den finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung frei zu halten, als übermäßig hart, d.h. als unzumutbar oder in hohem Maße unbillig erscheinen lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Oktober 1993 - Az.: 5 C 16/9, nach juris). Die typische Konsequenz, nämlich der Abbruch der Ausbildung und die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, um die Hilfebedürftigkeit abzuwenden, kann nach der Auffassung des BVerwG grundsätzlich verlangt werden.

Im Hinblick auf die das SGB II prägenden Grundsätze des Forderns und Förderns kann diese Rechtsauffassung bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der "besonderen Härte" nach § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II nicht ohne weiteres übernommen werden. Zum einen soll § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II lediglich sicherstellen, dass die Personen von den Leistungen nach dem 2. Abschnitt des 3. Kapitels des SGB II ausgeschlossen sind. Dagegen können Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach § 16 SGB II erbracht werden. Ferner ist zu beachten, dass das SGB II - anders als das SGB XII - neben dem Grundsatz des Forderns (§ 2 SGB II) auch vom Grundsatz des Förderns (§ 14 SGB II) geprägt ist. Außerdem sind nach dem SGB II nur erwerbsfähige Personen originär leistungsberechtigt. Aus § 1 Abs. 1 SGB II folgt demnach, dass die Grundsicherung für Arbeitssuchende die Eigenverantwortlichkeit von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen stärken und dazu beitragen soll, dass sie ihren Lebensunterhalt unabhängig von der Grundsicherung aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten können. Unter anderem kann der erwerbsfähige Hilfebedürftige bei der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit unterstützt werden. Ein besonderer Härtefall im Sinne des § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II ist daher auch dann anzunehmen, wenn wegen der Ausbildungssituation Hilfebedarf (Bedarf an Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes) entstanden ist, der nach den Vorschriften des SGB III oder dem BAföG nicht abgedeckt werden kann und deswegen zu befürchten ist, die vor dem Abschluss stehende Ausbildung werde nicht beendet, und damit drohe das Risiko zukünftiger Erwerbslosigkeit bei fortbestehender Hilfebedürftigkeit. Hierdurch wird zweierlei gewährleistet. Zum einen entspricht dieses Verständnis dem gesetzgeberischen Willen neben den gesetzlich vorgesehenen Hilfen zur Ausbildungsförderung über das SGB II keine weiteren Hilfssysteme einzuführen. Die Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes aus dem SGB II muss die Ausnahme bleiben. Zum anderen wird dadurch dem Grundsatz des "Förderns" hinreichend Rechnung getragen (vgl. BSG, Urteile vom 6. September 2007, a.a.O.).

Ob ein besonderer Härtefall vorliegt, ist im Lichte dieser Zweckrichtung unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. In typisierender Betrachtungsweise lassen sich dabei folgende Fallgruppen bilden (vgl. BSG, Urteil vom 6. September 2007, a.a.O.): 1. es besteht eine durch objektive Umstände belegbare Aussicht, dass die Ausbildung mit Hilfe zum Lebensunterhalt alsbald durch einen Abschluss beendet wird, sofern die Ausbildung ursprünglich finanziell abgesichert war, und diese Absicherung kurz vor dem Abschluss entfällt, 2. die bereits weit fortgeschrittene und bisher stetig betriebene Ausbildung musste aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls wegen Behinderung oder Erkrankung unterbrochen werden, 3. die konkrete Ausbildung ist belegbar die einzige realistische Möglichkeit, einen Zugang zum Erwerbsleben zu schaffen.

Ausgehend hiervon ist bei der Beschwerdeführerin zu 1) eine besondere Härte im Sinne des § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II gegeben. Das Sozialgericht hat allerdings zutreffend ausgeführt, dass die Gewährung des BAföG nicht durch die Schwangerschaft, sondern durch Überschreiten der Förderungshöchstdauer und damit verschuldet in Wegfall kam. Andererseits ist aber zu berücksichtigen, dass sich die Beschwerdeführerin zu 1) nach dem Schreiben des Justizprüfungsamtes vom 1. Juli 2008 mittlerweile in der akuten Examensphase befindet. Ein Abbruch kurz vor dem Abschluss nach langjährigem Studium ist unverhältnismäßig und widerspricht den Intentionen des SGB II. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 SGB II soll die Grundsicherung für Arbeitssuchende gerade die Eigenverantwortung von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen stärken und dazu beitragen, dass sie ihren Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten können. Damit ist es kaum vereinbar, einen Hilfebedürftigen, der nach mehrjährigen Studium kurz vor einem qualifizierten Abschluss steht und damit bessere Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt hat, auf den Abbruch des Studiums zu verweisen (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 15. April 2004, a.a.O.). Der Beschwerdeführerin zu 1) ist es im Übrigen derzeit nicht zumutbar eine Arbeit zur Sicherung des Lebensunterhaltes aufzunehmen. In der akuten Examensphase ist der Student zeitlich umfassend gebunden. Überdies ist sie Alleinerziehende.

Neben dem nahen Abschluss der Ausbildung fällt für die Annahme eines besonderen Härtefalls außerdem ins Gewicht, dass die Beschwerdegegnerin selbst über annähernd zwei Jahre in rechtswidriger Weise Leistungen zur Grundsicherung nach dem SGB II erbracht hat und den Beschwerdeführern im Hinblick auf diesen Leistungsbezug kein Vorwurf der Bösgläubigkeit gemacht wird. An diesen Umstand muss sie sich bei der Prüfung der besonderen Härte festhalten lassen. Dem steht auch nicht entgegen, dass es grundsätzlich keinen aus Unrecht abzuleitenden Anspruch gibt. Die Beschwerdegegnerin hat es vielmehr wegen der § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II zuwider laufenden Leistungsbewilligung seit Februar 2005 mit zu verantworten, dass die Beschwerdeführerin zu 1) einen nicht unerheblichen Teil ihrer Lebenszeit auf eine für die Eingliederung in das Erwerbsleben sinnvolle Ausbildung verwandt hat. Den bevorstehenden Abschluss dieser Ausbildung zu gefährden, weil die ursprüngliche Bewilligung rechtswidrig war, verkennt, dass sich dann die bisherige Ausbildung seit der Leistungsbewilligung als durch Mitverschulden der Beschwerdegegnerin verschwendete Lebenszeit darstellen würde. Die atypische Konstellation, die eine darlehensweise Leistungsgewährung nach § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II rechtfertigt, liegt darin begründet, dass die Beschwerdegegnerin selbst durch die vorangegangene rechtswidrige Leistungsgewährung die Fortführung des Studiums mit veranlasst hat und eine nunmehr einsetzende gänzliche Leistungsverweigerung die auf Mitverschulden der Beschwerdegegnerin zurückführbare Studienzeit nachträglich entwerten würde (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24. September 2007 - Az.: L 20 B 85/07 AS, nach juris).

Die Beschwerdeführer haben den für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlichen Anordnungsgrund ebenfalls glaubhaft gemacht. Es drohen irreparable Schäden. Die Beschwerdeführer haben vorgetragen, dass alsbald der Abbruch des Studiums wegen Mittellosigkeit droht. Angesichts des oben angeführten Gesamtbedarfs von etwa 1030,00 Euro monatlich (Stand: Sommer 2006) und einem verfügbaren Einkommen von insgesamt 745,00 Euro ist dieser Vortrag für den Senat glaubhaft.

Die darlehensweise Gewährung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Beschwerdeführerin zu 1) war allerdings erst mit Wirkung zum 5. August 2008 - dem Tag der Beschlussfassung des Senats - auszusprechen. Dies erklärt sich daraus, dass in dem Erfordernis des Anordnungsgrundes ein besonderes Dringlichkeitselement enthalten ist, das grundsätzlich nur Wirkung für die Zukunft entfalten soll. Dagegen scheidet eine rückwirkende Feststellung - betreffend einen abgelaufenen Zeitraum - in der Regel aus. Ein Anordnungsgrund lässt sich dann grundsätzlich nicht mehr bejahen. Dies folgt aus der prozessualen Funktion des vorläufigen Rechtsschutzes. Sie soll - entsprechend der Intention des Art. 19 Abs. des Grundgesetzes (GG) - in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz ermöglichen und ihn in den Fällen gewähren, in denen eine Entscheidung im grundsätzlich vorrangigen Hauptsacheverfahren zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare Nachteil entstehen würden, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr auszugleichen wären. Daraus folgt zugleich, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und damit verbunden die Bejahung des Anordnungsgrundes in der Regel ausscheidet, wenn sie vor dem Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung vorgelegen hat; dann ist sie durch Zeitablauf überholt. In diesem Fall ist es dem Rechtsschutzsuchenden grundsätzlich zumutbar, die Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten.

Anderes kann im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) dann gelten, wenn anderenfalls effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht mehr erlangt werden kann. Dies ist dann der Fall, wenn bis zur Entscheidung in der Hauptsache Fakten zum Nachteil des Rechtsschutzsuchenden geschaffen werden, die irreparabel sind oder sich durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr rückgängig machen lassen (vgl. den Senatsbeschluss vom 17. Januar 2008 - Az.: L 9 AS 1049/07 ER, LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11. Juli 2007 - Az.: L 28 B 1040/07 AS ER und VG München, Beschluss vom 22. Januar 2007 - Az.: M 15 E 06.4471, beide nach juris).

Gemessen daran scheidet die Bewilligung der Leistung für Zeiträume vor der Beschlussfassung des Senates aus. Die Beschwerdeführer haben auch nicht vorgetragen, dass hier ein besonderer Nachholbedarf für die Vergangenheit besteht. Insoweit sind schwere und unzumutbare Nachteile bei einem Zuwarten bis zur Hauptsacheentscheidung nicht erkennbar. Sollten die Beschwerdeführer in der Hauptsache obsiegen, kann die Beschwerdegegnerin für Zeiträume vor der Beschlussfassung des Senats eine Nachzahlung vornehmen. In diesem Zusammenhang zweifelt der Senat aber erheblich daran, ob dies dem Interesse der Beschwerdeführerin zu 1) entspricht, denn sie ist zur Rückzahlung der darlehensweise bewilligenden Leistung verpflichtet.

Die Leistung hat der Senat - ausgehend vom Zeitpunkt der Beschlussfassung - in Anlehnung an § 41 Abs. 1 Satz 3 SGB II auf den 31. Januar 2009 begrenzt. Nach Angabe der Beschwerdeführerin soll das 1. Staatsexamen im Übrigen mit der mündlichen Prüfung Ende Januar 2009 abgeschlossen sein. Insoweit war es nicht sachgerecht, die darlehensweise Bewilligung auf die vollen sechs Monate, also auf den 5. Februar 2009 auszudehnen, denn nach dem Abschluss des Studiums dürfte die Beschwerdeführerin zu 1) nicht mehr vom Ausschlusstatbestand nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II erfasst sein.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Bei der Quotelung hat der Senat berücksichtigt, dass anstatt des vorrangig begehrten Zuschusses (nur) eine darlehensweise Leistung zu gesprochen und diese auf annähernd sechs Monate begrenzt wurde.

III.

Den Beschwerdeführern war antragsgemäß Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Die nach § 73 a SGG in Verbindung mit § 114 der Zivilprozessordung geforderte, hinreichende Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung ergibt sich aus den Ausführungen zu II. Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführer die Kosten der Rechtsverfolgung auch nur zum Teil aufbringen können, hatte der Senat nicht.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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