L 32 AS 499/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
32
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 1 AS 437/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 32 AS 499/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Einstiegsgeld kann nur gewährt werden, wenn objektive Anhaltspunkte die Prognose einer künftigen dauerhaften Existenz ohne SGB II-Leistungen rechtfertigen.
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit steht ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Einstiegsgeld.

Sie ist 1960 geboren, hat erfolgreich ein Pädagogikstudium absolviert und war von August 1982 bis Juli 1994 als Lehrerin tätig, zuletzt am A Gymnasium in S. Seit März 2003 ist sie hauptberuflich selbständig tätig. Mit Gewerbeummeldung vom 13. Juni 2006 meldete sie ihr bisheriges Hauptgewerbe "Einzelhandel mit Tee, Kräuter, Gewürzen, Honig, Konfitüre, Confiserieartikel, Glas, Porzellan, Keramik, Geschenkartikel, Floristikbedarf, Korbwaren und Haushalswaren" zum 1. Mai 2006 als Nebenerwerb um. Seit dem 5. Mai 2006 ist sie ausweislich der Gewerbeanmeldung vom 28. April 2006 als "private Personal- und Arbeitsvermittlung, Unternehmensberatung, Existenzgründungs-beratung sowie Coaching" selbständig tätig.

Die Klägerin erhielt ab April 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II) vom Beklagten. Sie teilte am 20. Januar 2006 eine Änderung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung mit und fügte eine Bestätigung ihrer Steuerberaterin vom 26. Januar 2006 bei, wonach sie im Jahr 2005 negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 5.148,- EUR "vor Steuern und SV" erzielt habe. Dem Ehemann wurden entsprechend negative Einkünfte von 5.001,- EUR bestätigt. Mit Bescheid vom 21. März 2006, aufgehoben und neu gefasst durch Bescheid vom 20. April 2006, bewilligte der Beklagte der Klägerin und ihrem Ehemann Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für April bis September 2006. Der Ehemann meldete sein Gewerbe der privaten Arbeitsvermittlung, Nachhilfeunterricht, Existenzgründungsberatung und Coaching zum 16. Juni 2006 ab.

Die Klägerin beantragte am 4. Mai 2006 beim Beklagten die Gewährung von Einstiegsgeldern zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit als private Personal- und Arbeitsvermittlung, Existenzgründungsberatung und Coaching. Sie erwarte ein Bruttoeinkommen aus der selbständigen Tätigkeit im ersten Jahr von voraussichtlich 7.800,- EUR. Sie habe erfolgreich an einem Zertifikatslehrgang "Personalberatung und Personalvermittlung" der I F teilgenommen. Sie habe in dieser Zeit Kontakte knüpfen können, die sie in ihrer künftigen Tätigkeit nützen könne. Sie werde sich einem Verband privater Personalvermittler anschließen und ihr Unternehmen zertifizieren lassen. Zunächst wolle sie Erfahrungen sowohl auf dem Gebiet der Arbeits- als auch der Personalvermittlung sammeln. Als Kapitalbedarf gab sie 1.470,50 EUR an. In einer Rentabilitätsvorschau sind "erwartete Umsatzerlöse" für das erste Jahr von 16.000,- EUR, für das zweite Jahr von 30.000,- EUR und für das dritte Jahr von 40.000,- EUR prognostiziert. Abzüglich von Aufwendungen (8.200,- EUR für das erste Jahr, 16.250,- EUR für das zweite und 19.000,- EUR für das dritte Jahr) sollte sich ein Betriebsergebnis von 7.800,- EUR im ersten Jahr, 13.750,- EUR im zweiten und 21.000,- EUR im dritten Jahr ergeben. Sie reichte weiter ein Zertifikat der I F über "Beraterkompetenzen" vom 10. Juni 2006 ein.

Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 8. Juni 2006 ab. Die Klägerin betreibe im Haupterwerb einen gewerblichen Handel mit Tee, Kräutern und Zubehör. Sie übe damit eine Tätigkeit aus, die mehr als 15 Stunden wöchentlich umfasse. Sie sei damit nicht arbeitslos im Sinne des Gesetzes. Gefördert werden könnten jedoch gemäß § 29 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) nur Arbeitslose.

Die Klägerin erhob Widerspruch. Sie müsse für ihr Teegeschäft nachweislich weniger als 15 Stunden in der Woche arbeiten. Bei ihrer beruflichen Neuorientierung gehe es ihr nicht nur um die Verbesserung ihrer finanziellen Einkommenssituation, sondern auch um die Verwirklichung ihres Anspruches, weiterhin ihren Beitrag zum Gedeihen des Landkreises U leisten zu können.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 3. Juli 2006 zurück. Die Bewilligungsentscheidung nach § 29 SGB II stehe hinsichtlich Art und Höhe der zu gewährenden Leitung im Ermessen. Hier handele es sich nicht um die Erstaufnahme einer selbständigen Tätigkeit. Eine solche setze der Gesetzgeber voraus. Die §§ 57 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) und 421 l Abs. 4 SGB III, welche entsprechend anzuwenden seien, weil Existenzgründer nach dem SGB II nicht besser ausgestattet werden könnten als solche nach dem Fördersystem des SGB III, sähen eine Förderung selbständiger Tätigkeit nicht vor, wenn seit Beendigung der letztmaligen selbständigen Tätigkeit nicht mindestens zwei Jahre verstrichen seien. Die Klägerin jedoch gehe einer selbständigen Tätigkeit nach und sei auch noch mit einem Reisegewerbe gemeldet. Auch stehe einer Förderung die mangelnde Rentabilität der angestrebten Tätigkeit entgegen, weil auch im zweiten Jahr der Geschäftstätigkeit lediglich ein Monatseinkommen von 1.145,83 EUR erwartet werde. Dem stehe ein Bedarfsanspruch zum Lebensunterhalt von 1.262,46 Euro gegenüber. Es sei deshalb nicht absehbar, dass mit der Geschäftsidee auf Dauer die Hilfebedürftigkeit beendet werden könne.

Hiergegen hat sich die Klage vor dem Sozialgericht Neuruppin (SG) gerichtet. Ihre Geschäftsidee sei zur Existenzsicherung geeignet. Die Differenz zum Bedarf von 66,63 EUR werde ausgeglichen werden, indem sie in eine kleinere Wohnung ziehe und im Winter nicht heize (GA Blatt 1).

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 21. Februar 2007 abgewiesen. Der Beklagte habe das ihm in § 29 Abs. 1 Satz 1 SGB II eingeräumte Ermessen dem Zweck der Ermächtigung entsprechend ausgeübt und die gesetzlichen Grenzen eingehalten. Die Klägerin sei nicht arbeitslos. Sie sei selbständig tätig. Eine willentliche Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt sei nicht zu erkennen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, in der sie sich auf das bisherige Vorbringen beruft.

Sie beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Neuruppin vom 20. Februar 2007 sowie den Bescheid des Beklagten vom 8. Juni 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juli 2006 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, über ihren Antrag vom 4. Mai 2006 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich im Erörterungstermin am 19. November 2007 mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt. Auf die eingereichten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen. Der Verwaltungsvorgang des Beklagten hat zur Beratung vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Ein Anspruch auf das begehrte Einstiegsgeld kann sich nur aus § 29 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der ab 1. Oktober 2005 geltenden Fassung des Beitragsneuregelungsgesetzes vom 14. August 2005 (BGBl. I Seite 2407) ergeben. Danach kann erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die arbeitslos sind, zur Überwindung von Hilfebedürftigkeit bei Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen oder selbständigen Erwerbstätigkeit ein Einstiegsgeld erbracht werden, wenn dies zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt erforderlich ist. Dies gilt nach § 29 Abs. 1 Satz 2 SGB II auch dann, wenn die Hilfebedürftigkeit durch oder nach Aufnahme der Erwerbstätigkeit entfällt. Hier fehlt es am Erfordernis der Leistung zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Dies setzt wiederum voraus, dass anhand objektiver Kriterien eine Geschäftsentwicklung prognostiziert werden kann, wann die Bedürftigkeit voraussichtlich enden wird. Eine Hilfegewährung ist demgemäß jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn die angestrebte Tätigkeit keinerlei berechtigte Chancen und Hoffnungen zulässt, dass sie auf Dauer dazu führen wird, dass der Hilfebedürftige unabhängig von den Leistungen nach SGB II wird leben können (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. März 2008 - L 25 B 331/08 AS ER - unter Bezugnahme auf Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008 § 29 Rdnr. 18). Ob eine solche Prognose immer nur gegeben ist, wenn sich eine fachkundige Stelle über die entsprechende Tragfähigkeit des Vorhabens geäußert hat (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 8. Februar 2007 - L 9 AS 26/06 -, Juris Rdnr. 16; Spellbrink a.a.O. Rdnr. 18; Birk in LPG-SGB II, 2. Auflage 2007 § 29 Rdnr. 4) kann hier dahingestellt bleiben. Es fehlt nämlich bereits an jeglichen objektiven Anhaltspunkten, aus welchen sich die Prognose einer erfolgreichen Etablierung der Klägerin auf dem Markt der privaten Arbeitsvermittlung ergeben könnte. Dazu reicht es nicht aus, im Rahmen eines Fortbildungslehrganges Kontakte geknüpft zu haben. Bei den erwarteten Einnahmen handelt es sich um einen rein fiktiven Wert, der sich überhaupt nicht erklären, geschweige denn als realistisch nachvollziehen lässt. Von Amts wegen ist hier deshalb auch nichts mehr zu ermitteln. Es ist nicht Aufgabe der Sozialgerichte, für die Kläger sachdienliche betriebswirtschaftliche Gutachten zu erstellen bzw. zu ermitteln, wie solche aussehen könnten.

Auf die weitere Tatbestandsvoraussetzung aktueller Arbeitslosigkeit kommt es nicht mehr an. Da bereits die Voraussetzungen für die Möglichkeit, Einstiegsgeld zu gewähren, nicht vorliegen, stand die Ablehnung nicht im Ermessen des Beklagten sondern hatte zwingend zu erfolgen.

Der Antrag kann schließlich auch nicht in einen solchen auf Gewährung eines Gründungszuschusses nach § 57 SGB III umgedeutet werden. Es fehlt hierzu jedenfalls am Nachweis der Tragfähigkeit der Existenzgründung in Form der Stellungnahme einer fachkundigen Stelle, der nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 SGB III unabdingbar ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil ein Zulassungsgrund nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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