S 51 AS 217/08

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
51
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 51 AS 217/08
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 16.08.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.12.2007 verurteilt, der Klägerin weitere 320,- EUR zu gewähren.

II. Die Beklagte hat der Klägerin zwei Drittel der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist, in welcher Höhe die Beklagte Leistungen für die Erstausstattungen bei Schwangerschaft und Geburt zu übernehmen hat.

Die Klägerin wohnt zusammen mit ihrem Ehemann im Landkreis Dachau. Sie beziehen seit 24.04.2007 fortlaufend Arbeitslosengeld II nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). In der strittigen Zeit verfügten sie nicht über ein Auto. Im Mai 2007 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie schwanger sei.

Am 07.08.2007 beantragte die Bevollmächtigte der Klägerin Umstandskleidung und Säuglingsausstattung. Mit Bescheid vom 16.08.2007 wurden der Klägerin Leistungen in Höhe von insgesamt 300,- EUR pauschal für die Erstausstattung der Wohnung, die Erstausstattung für Bekleidung bei Schwangerschaft und die Erstausstattung für Bekleidung bei Geburt bewilligt. Die Entscheidung beruhe auf § 23 Abs. 3 SGB II und der Rechtsverordnung nach § 27 Nr. 3 SGB II. Am 22.08.2007 wurde Widerspruch erhoben. Am 19.11.2007 kam das Kind zur Welt.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 20.12.2007 zurückgewiesen. Die Pauschale von 300,- EUR teile sich wie folgt auf: 60,- EUR für ein Kinderbett, 60,- EUR für einen Kinderkleiderschrank, 80,- EUR für Umstandkleidung und 100,- EUR für Säuglingserstausstattung. Diese Beträge seien ausreichend, weil es einen großen Markt für gut erhaltene gebrauchte Ware gebe. Immer wieder würden auch in örtlichen Zeitungen gut erhaltene Ausstattungsgegenstände, insbesondere Kinderwagen und Bettchen gegen Abholung angeboten. Der Erstausstattungsbedarf könne deshalb mit 300,- EUR gedeckt werden. Der Widerspruchsbescheid wurde der Bevollmächtigten der Klägerin am 28.12.2007 bekannt gegeben.

Am 28.01.2008 wurde Klage erhoben. Mit 300,- EUR könne der Bedarf auch dann nicht gedeckt werden, wenn auch Gebrauchtwaren erworben werden. Gebrauchtwaren seien zeitlich und regional nur teilweise im Angebot. Andere Leistungsträger würden deutlich höhere Leistungen gewähren, z. B. die Stadt Hamburg.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 16.08.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.12.2007 zu verurteilen, weitere 524,- EUR an Erstausstattung wegen Schwangerschaft und Geburt zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Pauschale von 300,- EUR seit bei engagierter Suche von Gebrauchtwaren ausreichend. Die Beklagte übermittelte Inserate aus örtlichen Anzeigeblättern und Ausdrucke zu Angeboten im Internet.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestands wegen der Einzelheiten auf die Akte des Gerichts und die Akten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. Da der Widerspruchsbescheid vom 20.12.2007 der Bevollmächtigten der Klägerin erst am 28.12.2007 bekannt gegeben wurde, wurde die Klage am 28.01.2008 fristgerecht (Monatsfrist nach § 87 Sozialgerichtsgesetz - SGG) erhoben.

Die Klage ist im tenorierten Umformung begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf eine Pauschale für Erstausstattungen bei Schwangerschaft und Geburt in Höhe von insgesamt 620,- EUR. Da die Beklagte nur 300,- EUR bewilligte, hat sie weitere 320,- EUR zu gewähren.

Nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB II in der ab 01.08.2006 geltenden Fassung sind Leistungen für "Erstausstattungen bei Schwangerschaft und Geburt" nicht von der Regelleistung nach § 20 SGB II umfasst. Diese Leistungen werden gesondert erbracht und können als Sachleistung oder Geldleistung, aber auch in Form von Pauschalbeträgen erbracht werden (§ 20 Abs. 3 Satz 2 und 5 SGB II). Bei der Bemessung der Pauschalen sind geeignete Angaben über die erforderlichen Aufwendungen und nachvollziehbare Erfahrungswerte zu berücksichtigen (§ 20 Abs. 3 Satz 6 SGB II). Eine Rechtsverordnung des Bundes für diese Leistung nach § 27 Nr. 3 SGB II existiert nicht.

Der Anspruch auf Erstausstattungen bei Schwangerschaft und Geburt umfasst - für die (werdende) Mutter Schwangerenbekleidung (Umstandsbekleidung) und spezielle Wäsche für die Zeit nach der Geburt (z.B. Still-BH), - die Erstausstattung an Babybekleidung, - alle Bedarfsartikel für das Neugeborene (Kinderwagen, Matratze und Decke für den Kinderwagen, Fellsack für den Kinderwagen, Bettzeug für das Kinderbett, Wickelauflage, Fläschchenwärmer, Babybadewanne, Badethermometer, Schnuller, Windeleimer, usw.) und - Möbel für das Neugeborene (Kinderbett mit Matratze, Kleiderschrank oder Wickelkommode).

Der bis 30.07.2006 geltende Wortlaut "Erstausstattungen für Bekleidung einschließlich bei Schwangerschaft und Geburt" wurde geändert, weil strittig war, ob und wie die Bedarfsartikel und die Möbel für das Neugeborene von § 23 Abs. 3 SGB II erfasst waren (vgl. zu einem Kinderwagen LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 16.05.2006, L 6 AS 170/06 ER).

Die Pauschalen der Beklagten sind unzureichend. Die Vorgaben der Beklagten sind unzutreffend ermittelt und sie liegen deutlich unter den Leistungen anderer Träger.

Die Pauschalen der Beklagten berücksichtigen entgegen § 23 Abs. 3 S. 6 SGB II nicht nachvollziehbare Erfahrungswerte. Sie beruhen auf dem Eindruck aus verschiedenen Inseraten und Angeboten in örtlichen Anzeigeblättern und im Internet. Es trifft zu, dass dort ein Teil der erforderlichen Erstausstattungen als Gebrauchtwaren preiswert, teilweise sogar gegen Abholung angeboten werden. Die Beklagte verkennt aber, dass das Angebot zeitlich und räumlich begrenzt ist, also schon deswegen nur ein Teil des Bedarfs als Gebrauchtwaren erhältlich ist. Bei günstigen Angeboten besteht auch Konkurrenz durch andere Erwerber. Die Beklagte verkennt weiter, dass für einen Teil der Erstausstattung ein Verweis auf Gebrauchtwaren nicht zumutbar ist. Dies gilt etwa für die Kinderbettmatratze, für Unterwäsche und Schnuller. Darüber hinaus hat die Beklagte die Beschaffungskosten für die Gebrauchtwaren nicht berücksichtigt. Ein erheblicher Teil der Gebrauchtwarenangebote erfordert eine Abholung aus umliegenden Orten. Die Möbel können nur mit einem Auto abgeholt werden. Bei einer Pauschale kann nicht unterstellt werden, dass die Hilfesuchenden über ein Auto verfügen. Die Klägerin und ihr Ehemann hatten kein Auto. Die Angebote im Internet sind nur zugänglich bei einem Internetanschluss. Dies ist bei Hilfesuchenden keine Selbstverständlichkeit.

Der Bedarf für Erstausstattungen bei Schwangerschaft und Geburt ist insgesamt pauschal mit 620,- EUR zu bemessen. Dies ergibt insbesondere ein Vergleich mit anderen Trägern.

Für die Bekleidung der Schwangeren bzw. der jungen Mutter ist ein Bedarf von 120,- EUR anzusetzen.

Die Beklagte hat einen Bedarf von nur 80,- EUR angesetzt. Andere Träger setzen dafür pauschal 120,- EUR (Hamburg siehe http://www.hamburg.de/sgb-02-23/126670/fv-erstausstattungen-bekleidung.html ), 180,- EUR (Jobcenter I.) oder 154,- EUR (Jobcenter L.) an.

Der Bedarf für Erstausstattung für das Kind (Babybekleidung, Bedarfsartikel und Möbel für das Neugeborene) ist mit 500,- EUR anzusetzen. Dies gilt zumindest für die Ausstattung beim ersten Kind. Ob und inwieweit bei nachfolgenden Kindern, die in engem zeitlichen Zusammenhang mit ihren Geschwistern geboren werden, Abschläge möglich sind, war hier nicht zu entscheiden, da es sich um das erste Kind der Klägerin handelte.

Die Beklagte setzt hierfür einen Betrag von 220,- EUR an. Andere Träger setzen hierfür bis zu 700,- EUR (Arge München GmbH siehe http://www.muenchen.de/Rathaus unter dem Stichwort Babyausstattung), 530,- EUR (Jobcenter I.), 410,- EUR (Jobcenter L.), 600,- EUR (Arge E., für ein Folgekind 450,- EUR) und 500,- EUR (Hamburg siehe vorgenannte Internetadresse) an. Das LSG Berlin-Brandenburg geht unter Einbeziehung eines Kinderwagens und eines Kinderbettes von 500,- EUR aus (Beschluss vom 03.03.2006, L 10 B 106/06 AS ER).

Da die Beklagte der Klägerin insgesamt nur 300,- EUR bewilligte, war sie zur Gewährung weiterer 320,- EUR zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus dem anteiligen Obsiegen der Klägerin (§ 193 SGG).

Da die Berufungssumme nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG (Beschwerdewert 750,- Euro) nicht überschritten wird und kein Grund für eine Zulassung der Berufung nach § 144 Abs. 2 SGG vorliegt, ist diese Entscheidung endgültig.
Rechtskraft
Aus
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