L 32 AS 3/09 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
32
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 2 AS 23225/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 32 AS 3/09 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Das Wesen der Bedarfsgmeinschaft als Einstandsgemeinschaft gebietet es zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung, einen Einkommensabzug nach § 11 Abs. 2 Nr. 7 SGB II auch dann vorzunehmen, wenn sich innerhalb der Bedarfsgemeinschaft die Unterhaltsleistung als Zuwendung des Einkommensbezieher gegenüber dem einkommenslosen Unterhaltsverpflichteten darstellt, obgleich es sich nach außen um eine freiwillige Leistung handelt.
Unabdingbare Vorassetzung für § 11 Abs. 2 Nr. 7 SGB II ist allerdings, dass die Unterhaltsverpflichtung tituliert ist.
Der Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 19. November 2008 wird abgeändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, den Antragstellern für Januar 2009 insgesamt 804,78 EUR Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld zu leisten, und zwar dem Antragsteller zu 1) 314,60 EUR, der Antragstellerin zu 2) 256,60 EUR und der Antragstellerin zu 3) 233,58 EUR. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat den Antragssteller drei Viertel der außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde vom 19. Dezember 2008 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Cottbus (SG) vom 19. November 2008 ist zulässig, jedoch nur zu einem geringen Teil begründet.

Der Senat nimmt, um Wiederholungen zu vermeiden, hinsichtlich des Sachverhalts und der Gründe zunächst auf die erstinstanzliche Entscheidung Bezug und macht sie sich zu Eigen (§ 142 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Entgegen der Auffassung des SG sind alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft Antragsteller und Beschwerdeführer. Dies ergibt die gebotene Auslegung des Begehrens der Antragsteller jedenfalls aufgrund der Klarstellung im Beschwerdeverfahren. Der Senat hält es auch für unschädlich, dass die minderjährige Antragstellerin zu 3) nach wie vor von den Bevollmächtigten der Antragsteller nicht ausdrücklich aufgeführt worden ist. Ersichtlich wollen diese nicht aufgrund bloßer Formalien auf bestehende Ansprüche verzichten.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Hierbei dürfen Entscheidungen grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. Drohen ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dürfen sich die Gerichte nur an den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (ständige Rechtsprechung des Senats, siehe auch Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 596/05 -). Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz stellt insbesondere dann besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn das einstweilige Verfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht, wie dies im Streit um laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose regelmäßig der Fall ist. Ganz allgemein ist ein Zuwarten umso eher unzumutbar, je größer die Erfolgschancen in der Sache einzuschätzen sind (ständige Rechtsprechung des Senats, z. B. Beschluss vom 4. April 2008 - L 32 B 458/08 AS ER -). Eine solche Situation liegt hier vor:

Bei der im Eilverfahren alleine möglichen und gebotenen summarischen Prüfung steht den Antragstellern höhere Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch 2. Buch (SGB II) zu, als von der Antragsgegnerin bewilligt wurde.

Vom Einkommen der Antragstellerin zu 2) ist nämlich die Unterhaltsleistung an den Sohn des Antragstellers zu 1) FF nach § 11 Abs. 2 Nr. 7 SGB II abzuziehen. Seit dem 13. November 2008 ist diese Unterhaltsverpflichtung nämlich tituliert im Sinne dieser Vorschrift (vgl. Kopie der Urkunde des Jugendamtes C Bl. 34 der Gerichtsakte). Zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung von Antragstellern, die alleine wohnen und solchen, welche in Bedarfsgemeinschaft stehen, muss es unbeachtlich sein, dass nur die Antragstellerin zu 2) Einkommen erzielt, also auch nur von ihrem Einkommen Abzüge vorgenommen werden können. Das Gesetz unterstellt bei Bedarfsgemeinschaften ein gegenseitiges Einstehen, das nicht vom Bestehen zivilrechtlicher Unterhaltsverpflichtungen abhängt. Dieser sittlichen aber nicht rechtlichen Verpflichtung kommt die Antragstellerin zu 2) nach, indem sie durch Überweisung des geschuldeten Betrages an den Sohn des Antragstellers zu 1) für ihren Lebensgefährten eine bindende Verpflichtung erfüllt. Geht das Gesetz bei Einstands- und Veranwortungsgemeinschaften und wie bei Eheleuten von einem solchen Verhalten aus, und rechnet die Einnahmen zusammen, muss dies auch für die Abzugsmöglichkeiten gelten. Anderenfalls werden Mitglieder von Bedarfsgemeinschaften unzumutbar schlechter gestellt als Alleinlebende. Der Bedarfsgemeinschaft stehen hier effektiv die 100,00 EUR weniger zur Verfügung. Die Zuwendung des einen Mitgliedes der Bedarfsgemeinschaft, welche sich in der Übernahme der Verpflichtung des anderen zeigt, ist zwar ihrerseits freiwillig, aber gerade Ausdruck des gegenseitigen Einstehens. Das Konstrukt der Einstandsgemeinschaft fiele bei einer anderen Betrachtungsweise in sich zusammen (a. A. LSG Berlin-Brandenburg, 28. Senat, B. v. 11.07.2007 – L 28 B 1043/07 AS NZB – im Hinblick auf die Freiwilligkeit). Überdies handelt es sich bei der Berücksichtigung von titulierten Unterhaltsleistungen systematisch letztendlich um erhöhten Bedarf, der zur eigenen Existenzsicherung hinzutritt, und nicht um Absetzungen vom Einkommen.

Unabdingbare Voraussetzung ist allerdings, dass die Unterhaltsverpflichtung tituliert ist (ebenso LSG Niedersachsen-Bremen, B. v. 11. 12. 2006 - L 13 AS 2/06 ER-; ohne Begründung BSG, U. v. 30.09.2008 -B 4 AS 57/07 R Rdnr. 24). Nur dann kann sich der Antragsteller der Leistungsverpflichtung auch im Hinblick auf seine unzureichende Leistungsfähigkeit nicht entziehen, so dass die Erfüllung durch ein anderes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft für ihn sich als Ausdruck des Einstehens darstellt. Nur dann ist ferner die SGB II- Behörde eigener Prüfung der Leistungspflicht entbunden, welche ansonsten mit einem großen Aufwand verbunden wäre.

Unter Anwendung des § 9 Abs. 2 S. 3 SGB II nach den Vorgaben der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, vgl. konkret U. v. 18.06.2008 – B 14 AS 55/07 R – Rdnr. 23f; zum Sonderfall des Leistungsausschlusses für ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft: B. des Senats vom 13.10.2008 – L 32 B 1712/08 ASER – juris) ergibt sich als Ergebnis summarischer Betrachtung hier folgende Bedarfsberechnung: Der Gesamtbedarf von 1.346,23 EUR teilt sich auf in je 460,41 EUR bei dem Antragsteller zu 1) und die Antragstellerin zu 2) (=34 % des Gesamtbedarfs) und 425,41 bei der Ast. (3) (=32%). Das anzurechnende Einkommen ist entsprechend zu verteilen. Bei Gesamteinnahmen von 599,45 EUR sind bei den Ast. (1) und Ast. (2) demnach 203,81 EUR gedeckt und bei der Antragstellerin zu 3) 191,83 EUR. Bereits danach ausgeschlossen ist, dass Antragstellerin zu 3) Bedarf des Antragstellers zu 1) entgegen § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II mit tragen muss, so dass eine Rechnung, welche dieser Sonderproblematik Rechnung trägt, hier im Eilverfahren nicht erforderlich ist. Bedarf an Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (ohne den Zuschlag nach § 24 SGB II) besteht demnach für den Antragsteller zu 1) und die Antragstellerin zu 2) in Höhe von 316,00 EUR./. 203,81 = 112,19 EUR sowie für die Antragstellerin zu 3) in Höhe von 281,00 EUR./. 191,83 EUR = 89,17 EUR. Leistungen zur Sicherung der Unterkunft stehen zudem jedem Antragsteller in Höhe von 144,41 EUR, so dass sich für die Antragsteller zu 1) in der Summe 112,19 EUR + 144,41 EUR + 58,00 EUR befristeter Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld I = 314,60 EUR, beim Antragstellerin zu 2) 112,19 EUR + 144,41 = 256,60 EUR und bei Antragstellerin zu 3) = 89,17 EUR + 144,41 = 233,58 EUR zustehen. Der gesamten Bedarfsgemeinschaft stehen 433,20 EUR an Kosten für Unterkunft und Heizung sowie 371,55 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu, insgesamt 804,78 EUR.

Die einstweilige Verpflichtung ist jedoch nur für die Zeit des aktuellen Monats bis zum Ende des laufenden Bewilligungszeitraumes auszusprechen. Die besondere Dringlichkeit einer vorläufigen Entscheidung ist im Regelfall nur für den aktuellen Zeitpunkt und für die Zukunft gegeben, da jedenfalls grundsätzlich nur die Befriedigung des gegenwärtigen und zukünftigen Bedarfes besonders dringlich ist (ständige Rechtsprechung des Senats). Tatsachen und Besonderheiten, die hier eine rückwirkende Gewährung zur Vermeidung unbilliger Härten geböten, sind nicht glaubhaft gemacht worden. Für die Zeit ab Februar 2009 bedarf es zunächst eines Folgeantrages beim JobCenter. Auch eine reine Folgenabwägung führt zu keinem anderen Ergebnis: Von der Notwendigkeit einer weitergehenden dringlichen Regelung zur Vermeidung irreversibler Härten kann nicht ausgegangen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG entsprechend und berücksichtigt einerseits, dass ein Erfolg erst aufgrund der Sachlage des Beschwerdeverfahrens möglich geworden ist. Anderseits entspricht es billigem Ermessen, der Antragsgegnerin die Kosten aufzuerlegen, soweit die Zurückweisung primär dem Zeitablauf geschuldet gewesen ist. Zudem hat sie aus der geänderten Sachlage trotz gerichtlichem Hinweis nicht die gebotene Konsequenz gezogen.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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