L 25 AS 1752/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
25
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 61 AS 7548/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 25 AS 1752/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 14. August 2007 wird zurückgewiesen. Die weitergehende Klage wird abgewiesen. Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt vom Beklagten die Übernahme von Schulden und macht hilfsweise einen Folgenbeseitigungsanspruch geltend.

Der Kläger bezieht vom Beklagten seit April 2005 Arbeitslosengeld II unter Einschluss von Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Miete. Er geriet ab Februar 2005 in Mietrückstand. Die Vermieterin kündigte das Mietverhältnis und erhob zum Amtsgericht Lichtenberg Mietzahlungs- und Räumungsklage. Das diesbezügliche Verfahren wurde in der mündlichen Verhandlung am 1. März 2006 mit einem Vergleich beendet, wonach das Mietverhältnis bei Begleichung der Mietrückstände in Höhe von 2.222,47 EUR bis zum 3. April 2006 fortgesetzt würde.

Der Kläger beantragte beim Beklagten mit Schreiben vom 25. April 2006 die Übernahme der Mietrückstände. Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 11. Mai 2006 ab. Der Kläger erhob am 26. Mai 2006 Widerspruch. Er reichte eine Erklärung der Vermieterin vom 18. Mai 2006 ein, wonach diese nur für den Fall das Mietverhältnis mit dem Kläger fortsetzen werde, wenn neben dem Vergleichsbetrag von 2.222,47 EUR unter anderem Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.395,48 EUR sowie weitere Gerichts- und Vollstreckungskosten in Höhe von insgesamt 788,00 EUR (insgesamt 4.405,95 EUR) durch den Kläger beglichen würden. Ferner verwies der Kläger auf eine Selbsttötungsgefahr im Falle des Wohnungsverlusts und legte ein Attest des Neurologen und Psychiaters Dr. M vom 8. Juni 2006 vor. Der Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 7. August 2006 im Wesentlichen mit der Begründung zurück, dass eine Mietschuldenübernahme nach § 22 Abs. 5 des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB II) nicht gerechtfertigt sei, weil der Kläger die ihm gewährten Leistungen für Unterkunft und Heizung zweckwidrig verwendet habe.

Der Kläger hat sein Begehren mit der am 22. August 2006 zum Sozialgericht Berlin erhobenen Klage weiterverfolgt. Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 14. August 2007 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass eine Mietschuldenübernahme nach § 22 Abs. 5 SGB II nicht gerechtfertigt sei, weil der Kläger die ihm gewährten Leistungen für Unterkunft und Heizung zweckwidrig verwendet habe.

Der Kläger hat gegen das ihm am 21. August 2007 zugestellte Urteil am 17. September 2007 Berufung eingelegt. Er ist der Meinung, dass es für die Übernahme der Mietschulden keine Rolle spiele, ob die Notlage selbst verursacht worden sei oder nicht. Er trägt vor, nicht von vornherein entschlossen gewesen zu sein, Mietrückstände in der Erwartung auflaufen zu lassen, dass der Beklagte die Rückstände übernehmen werde. Er sei erst bei einem Beratungsgespräch beim B & L e.V. am 12. Januar 2006 über die Möglichkeit einer Schuldenübernahme informiert worden. Ferner habe er sein Schonvermögen nicht für die Mietschulden einsetzen müssen; § 22 Abs. 5 S. 3 SGB II würde erst ab 1. April 2006 und damit nicht für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum gelten. Er habe die vom Beklagten bezogenen Leistungen für die Anschaffung einer Küche verwenden müssen, weil er in der Wohnung nur Herd und Spüle gehabt habe und der Beklagte ohnehin zur Übernahme der Erstausstattung verpflichtet gewesen sei. Ferner sei er auch wegen Unterhaltszahlungen an die Mutter seines Kindes außerstande gewesen, allen seinen Verbindlichkeiten nachzukommen.

Der Kläger nahm zwischenzeitlich ein verzinstes Darlehen auf und beglich hiervon die Mietrückstände und die bis dahin offenen Gerichts-, Rechtsanwalts- und Vollstreckungskosten.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 14. August 2007 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 11. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. August 2006 zu verpflichten, die Mietrückstände für die Wohnung Wstraße , 1 B, , in Höhe von 2.222,47 EUR sowie Rechtsanwalts-, Gerichts- und Vollstreckungskosten in Höhe von 2.183,48EUR nebst 15 % Zinsen ab dem 8. September 2006, hilfsweise dieselben Beträge nebst 15 % Zinsen ab dem 8. September 2006 im Wege der Folgenbeseitigung zu übernehmen, weiter hilfsweise, ein psychiatrisches Sachverständigengutachten einzuholen hinsichtlich der Frage, wie die seelische Verfassung des Klägers im Zeitpunkt des Eintrittes der Mietrückstände war.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und die weitergehende Klage abzuweisen.

Er ist der Meinung, dass ein Anspruch auf Mietschuldenübernahme nicht gegeben sei, weil der Kläger insbesondere nicht sein Vermögen für die Begleichung der Mietrückstände eingesetzt habe und zudem die Mietrückstände in ihm zurechenbarer Weise schuldhaft selbst herbeigeführt habe. Diese Einschätzung würde auch durch die eigenen Verwaltungsvorschriften bestätigt.

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten und Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen und inhaltlich Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet, die weitergehende Klage unzulässig.

Die nach § 143 SGG statthafte, gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht erhobene Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die von ihm geltend gemachte Schuldenübernahme.

Einzig in Betracht zu ziehende Anspruchsgrundlage ist § 22 Abs. 5 SGB II in der ab 1. April 2006 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 24. März 2006 (BGBl. I 558). Nach § 22 Abs. 5 S. 1 SGB II können, wenn Leistungen für Unterkunft und Heizung gewährt werden, Schulden durch das JobCenter übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist; nach § 22 Abs. 5 S. 2 SGB II sollen sie übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Die zwischenzeitliche Begleichung der Schulden, welche zu einem Wohnungsverlust führen können, lässt den Anspruch nachträglich entfallen (etwa Landessozialgericht - LSG - Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. April 2008 – L 5 B 510/08AS ER -, zitiert nach juris Rn. 19 a.E.).

Hieran gemessen hat der Kläger keinen Anspruch auf die von ihm begehrte Schuldenübernahme. Es liegen keine Schulden im vorstehenden Sinne vor. Denn eigenen Angaben zufolge brachte der Kläger das zur Abwendung der Wohnungslosigkeit notwendige Geld mittlerweile selbst auf. Er beglich diejenigen Forderungen, von deren Erfüllung seine Vermieterin die Fortsetzung des Mietverhältnisses abhängig machte. Dass er hierfür neue Verbindlichkeiten einging, ändert nichts am Fortfall des Anspruchs. Für eine nachträgliche Schuldenübernahme beziehungsweise Umschuldung, welche nicht der Sicherung der Unterkunft oder der Behebung einer vergleichbaren Notlage dient, vermittelt § 22 Abs. 5 SGB II schon seinem klaren Wortlaut sowie Sinn und Zweck nach keinen Anspruch.

Vor diesem Hintergrund kommt es nicht darauf an, ob der Kläger gemäß § 22 Abs. 5 S. 3 SGB II Schonvermögen gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 1 SGB II vorrangig einzusetzen gehabt hätte oder nicht.

In Ermangelung einer bestehenden Hauptforderung dringt der Kläger auch nicht mit seiner auf eine 15 %-ige Verzinsung gerichteten Nebenforderung durch.

Die weitergehende Klage, mit welcher der Kläger hilfsweise die Verpflichtung des Beklagten begehrt, die Mietrückstände, Rechtsanwalts-, Gerichts- und Vollstreckungskosten im Wege der Folgenbeseitigung zu übernehmen, ist unzulässig.

Auch wenn es sich bei der erstmaligen Stellung des Hilfsantrags in der mündlichen Verhandlung des Berufungsverfahrens nach der widerspruchslosen Einlassung des Beklagten um eine nach § 99 Abs. 1, 1. Alt., Abs. 2 SGG zulässige Klageänderung handelt, ist die weitergehende Klage unzulässig. Es fehlt bereits an der Durchführung des nach §§ 54 Abs. 1, 78 SGG auch vor Erhebung einer Verpflichtungsklage erforderlichen Verwaltungsverfahrens, insbesondere schon an der Stellung eines entsprechenden Antrags beim Beklagten und an dessen Ablehnung. Das Verwaltungsverfahren ist hier auch nicht gemäß § 131 Abs. 1 S. 1 SGG entbehrlich. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht, wenn ein vollzogener Verwaltungsakt oder Widerspruchsbescheid aufgehoben wird, aussprechen, dass und in welcher Weise die Vollziehung des Verwaltungsakts rückgängig zu machen ist. Abgesehen davon, dass der Senat hier gerade keinen Verwaltungsakt aufgehoben hat, kommt die vorstehende Regelung bereits ihrem Wortlaut nach ohnehin nur bei der Aufhebung belastender Verwaltungsakte in Betracht (etwa Keller in: Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer, SGG – Kommentar, 9. Auflage 20089, § 131 Rn. 4), wohingegen der Kläger hier einen Leistungsanspruch geltend macht.

Abgesehen davon wäre die weitergehende Klage auch unbegründet gewesen. Denn ein Folgenbeseitigungsanspruch kommt hier von vornherein nicht in Betracht, weil diese Rechtsfigur auf den Bereich der Eingriffsverwaltung beschränkt ist (etwa Bundessozialgericht - BSG, Urteil vom 7. November 2001 – B 9 SB 3/01 R, zitiert nach juris Rn. 21). Hier geht es hingegen allenfalls um die Verletzung von Leistungspflichten. Ferner geht der Folgenbeseitigungsanspruch ohnehin nur auf die Beseitigung der unmittelbaren Folgen, auf welche eine rechtswidrigen Amtshandlung gerichtet ist, mit der Folge, dass erst durch ein Verhalten des Betroffenen, welches auf seiner Entschließung beruht, verursachte oder mitverursachte Folgen dem Zweck des aus Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) folgenden Rechtsstaatsprinzips entsprechend nicht beseitigt werden müssen. Dementsprechend wird insbesondere nicht die allein der Disposition des Betroffenen unterliegende Aufnahme eines Kredits vom Folgenbeseitigungsanspruch erfasst (BSG, Urteil vom 10. August 1995 – 11 Rar 91/94 -, zitiert nach juris Rn. 32). So liegt es auch hier, indem der Kläger ein verzinstes Darlehen aufnahm, auch wenn dies für den Erhalt seiner Wohnung erforderlich gewesen sein mag.

Dem hilfsweise gestellten Antrag des Klägers, ein psychiatrisches Sachverständigengutachten hinsichtlich der Frage einzuholen, wie seine seelische Verfassung zum Zeitpunkt des Eintritts der Mietrückstände war, war nicht mehr nachzugehen. Es erweist sich sowohl für die der Berufung zugrunde liegende Klage als auch die in der mündlichen Verhandlung des Senats erhobene weitergehende Klage als unerheblich. Denn die beantragte Sachaufklärung könnte Aufschluss allenfalls darüber geben, ob der Beklagte vor der Begleichung der seinerzeit bestehenden Verbindlichkeiten zur Schuldenübernahme verpflichtet war. Hierauf kommt es jedoch aus den vorstehenden Gründen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt an.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache selbst ...

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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