S 2 AS 4577/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Reutlingen (BWB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 2 AS 4577/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
§ 37 Abs. 1 SGB II erfordert einen neuen Antrag, wenn die Weitergewährung über den ablaufenden Bewilligungszeitraum hinaus begehrt wird. Ein früherer Leistungsantrag entfaltet keine Wirkung für neue Bewilligungszeiträume. Für Zeiträume zwischen Ablauf des bisherigen Bewilligungszeitraumes und dem erneuten Antrag können gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II keine Leistungen gewährt werden.
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1. Oktober 2008 bis zum 11. November 2008.

Die Klägerin ist am ... geboren. Sie beantragte erstmals am 30. März 2007 Leistungen nach dem SGB II, die ihr mit Bescheid vom 18. Mai 2007 für die Zeit vom 30. März 2007 bis zum 30. September 2007 bewilligt wurden. Auf den Fortzahlungsantrag vom 28. September 2007 bewilligte ihr die Beklagte mit Bescheid vom 7. November 2007 Leistungen für die Zeit vom 1. Oktober 2007 bis zum 31. März 2008. Auf ihren Fortzahlungsantrag vom 21. Februar 2008 bewilligte ihr die Beklagte mit Bescheid vom 9. April 2008 Leistungen für die Zeit vom 1. April 2008 bis zum 30. September 2008.

Mit Schreiben vom 8. August 2008 wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass für eine Leistungsbewilligung über den 30. September 2008 hinaus die Anspruchsvoraussetzungen erneut geprüft werden müssten. Die Klägerin wurde gebeten, den beigefügten Weiterbewilligungsantrag mit Anlagen vollständig auszufüllen. Die Beklagte wies darauf hin, dass Leistungen frühestens ab dem Zeitpunkt der Antragstellung gewährt werden könnten. Um Leistungsunterbrechungen im laufenden Bezug zu vermeiden, müsse der Weiterbewilligungsantrag rechtzeitig vor Ablauf des aktuellen Bewilligungsabschnitts bei dem zuständigen Leistungsträger gestellt werden.

Vom 19. August 2008 bis zum 11. November 2008 befand sich die Klägerin zur stationären Behandlung in der ... (Klinik ...) in ...

Am 24. September 2008 rief die Klägerin die Beklagte telefonisch an und teilte mit, dass sie seit dem 19. August 2008 in der Klinik sei. Der Aufenthalt dauere voraussichtlich bis zum 28. Oktober 2008. Sie melde sich, sobald sie eine weitere Information zur Aufenthaltsdauer erhalte.

Am 12. November 2008 ging bei der Beklagten der Antrag der Klägerin auf Weiterbewilligung der Leistungen nach dem SGB II ein.

Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 18. November 2008 Leistungen für die Zeit vom 12. November 2008 bis zum 31. Mai 2009 in Höhe von monatlich (im November anteilig) 629,87 EUR.

Hiergegen legte die Klägerin am 28. November 2008 Widerspruch ein. Sie verwies auf ihren Krankenhausaufenthalt. Sie habe deswegen versäumt, einen Antrag auf Fortzahlung zu stellen. Dadurch sei sie jetzt in extrem finanzielle Nöte geraten, könne zum Beispiel ihre Miete nicht bezahlen. Sie bat um Bewilligung der Leistungen für die Zeit vom 1. Oktober 2008 bis zum 11. November 2008.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 4. Dezember 2008 zurück. Aufgrund des erst am 12. November 2008 gestellten Weiterbewilligungsantrags hätten Leistungen erst ab diesem Datum wieder bewilligt werden können.

Mit ihrer am 23. Dezember 2008 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 18. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 2008 zu verurteilen, ihr Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe auch für die Zeit vom 1. Oktober 2008 bis zum 11. November 2008 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält an ihrer Entscheidung fest.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis zu einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Akte des Gerichts sowie auf die beigezogene Akte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Das Gericht konnte gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben.

2. Der Bescheid der Beklagten vom 18. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 2008 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Oktober 2008 bis zum 11. November 2008.

a) Die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende werden gemäß § 37 Abs. 1 SGB II auf Antrag erbracht. Sie werden gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht.

aa) Der wirksame Antrag ist damit für das Entstehen des Zahlungsanspruchs – nicht des Stammrechts – auf Leistungen nach dem SGB II konstitutiv (so schon Urteile der Kammer vom 09.01.2007, Az.: S 2 AS 587/06, n. v. , und vom 24.04.2007, Az.: S 2 AS 3641/06, n. v.; ebenso BSG, Urteil vom 30.07.2008, Az.: B 14/7b AS 12/07 R, juris, Rdnr. 20; Frank, in: Hohm [Hrsg.], Gemeinschaftskommentar zum SGB II, § 37 [2008] Rdnr. 16; Müller, in: Hauck/Noftz [Hrsg.], SGB II, § 37 [2004] Rdnr. 6; vgl. Gesetzesbegründung auf Bundestags-Drucksache 15/1516, S. 62), ohne dass die Antragstellung jedoch materielle Anspruchsvoraussetzung ist (dazu noch unten).

Mit dem Antrag wird ein Verwaltungsverfahren eingeleitet (§ 18 SGB X; vgl. auch Frank, in: Hohm [Hrsg.], Gemeinschaftskommentar zum SGB II, § 37 [2008] Rdnr. 15; Rixen, in: BeckOK, 12. Edition, Dezember 2008, § 37 SGB II Rdnr. 11; Schoch, in: Münder [Hrsg.], SGB II, 2. Aufl. 2007, § 37 Rdnr. 5), das auf die Klärung der Frage, ob der Antragsteller die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II erfüllt, und eine anschließende – positive oder negative – Behördenentscheidung gerichtet ist. Anders als unter der Geltung des Bundessozialhilfegesetzes (dazu Hünecke, in: Gagel [Hrsg.], SGB III/SGB II, § 37 SGB II [2008] Rdnr. 9) ist damit ein Tätigwerden von Amts wegen ausgeschlossen (vgl. BSG, Urteil vom 30.07.2008, Az.: B 14/7b AS 12/07 R, juris, Rdnr. 20; Müller, in: Hauck/Noftz [Hrsg.], SGB II, § 37 [2004] Rdnr. 13). Die Einleitung des Verwaltungsverfahrens ist der eigentliche Zweck des Antragserfordernisses (Hünecke, in: Gagel [Hrsg.], SGB III/SGB II, § 37 SGB II [2008] Rdnr. 11). Das Verwaltungsverfahren endet gemäß § 8 SGB X mit dem Erlass eines Bescheides (siehe auch Krasney, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 8 SGB X [2003] Rdnr. 9; Lang, in: Diering/Timme/Waschull [Hrsg.], SGB X, 2004, § 8 Rdnr. 18).

bb) Die Klägerin hat den Antrag unstreitig erst am 12. November 2008 gestellt, so dass § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II eine Leistungsgewährung erst ab diesem Tag ermöglicht. Die Klägerin hat nicht vorgetragen, dass sie bereits während des Telefongespräches am 24. September 2008 einen formlosen Antrag – das hätte ausgereicht (vgl. Urteile der Kammer vom 09.01.2007, Az.: S 2 AS 587/06, n. v. , m. w. N., und vom 24.04.2007, Az.: S 2 AS 3641/06, n. v.; Frank, in: Hohm [Hrsg.], Gemeinschaftskommentar zum SGB II, § 37 [2008] Rdnr. 13; Grube, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl. 2008, § 37 SGB II Rdnr. 5; Hünecke, in: Gagel [Hrsg.], SGB III/SGB II, § 37 SGB II [2008] Rdnr. 16 f.) – gestellt hätte. Sie hat auch nicht vorgetragen, dass sie bei dieser oder anderer Gelegenheit einen entsprechenden formlosen Antrag gestellt hätte, wenn sie von der Beklagten darüber belehrt worden wäre, dass ein solcher Antrag auch formlos hätte gestellt werden können. Daher besteht keine Veranlassung, einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch in Erwägung zu ziehen und zu prüfen, ob das Schreiben der Beklagten vom 8. August 2008 mangels ausdrücklichem Hinweis auf die Möglichkeit der formlosen Antragstellung ausreichend gewesen ist.

b) Der ursprüngliche Leistungsantrag vom 30. März 2007 bzw. die nachfolgenden Fortzahlungsanträge entfalten für den hier streitgegenständlichen Zeitraum keine Wirkung mehr. § 37 Abs. 1 SGB II erfordert einen neuen Fortzahlungsantrag bei Ablauf eines Bewilligungszeitraumes (ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17.04.2008, Az.: L 9 AS 69/07, juris, Rdnr. 27 ff.; Urteil der 12. Kammer des SG Reutlingen vom 17.03.2008, Az.: S 12 AS 2203/06, juris, Rdnr. 36; jetzt auch Link, in: Eicher/Spellbrink [Hrsg.], SGB II, 2. Aufl. 2008, § 37 Rdnr. 19; a. A. Urteil der 3. Kammer des SG Reutlingen vom 13.12.2007, Az.: S 3 AS 3000/07, juris, Rdnr. 25 ff.; im Anschluss daran ohne Begründung Frank, in: Hohm [Hrsg.], Gemeinschaftskommentar zum SGB II, § 37 [2008] Rdnr. 15; ebenfalls ohne Begründung a. A. Schoch, in: Münder [Hrsg.], SGB II, 2. Aufl. 2007, § 37 Rdnr. 5; offen gelassen bei LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.06.2008, Az.: L 12 AS 407/08, juris, Rdnr. 27).

aa) Dies ergibt sich schon aus der oben beschriebenen Funktion des Antrages, nämlich der Einleitung eines Verwaltungsverfahrens. Mit dem bescheidmäßigen Abschluss endet dieses durch den Antrag eingeleitete Verwaltungsverfahren (§ 8 SGB X) und damit entfällt auch die Wirkung des Antrages (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 11.03.2008, Az.: L 7 AS 143/07, FEVS 60 [2009], S. 127 [128]). Ist der Antragsteller mit dem im Verwaltungsakt seinen Ausdruck findenden Ergebnis des Verwaltungsverfahrens nicht einverstanden, muss er hiergegen mit den entsprechenden Rechtsbehelfen vorgehen. Dies gilt auch dann, wenn er mit dem Bewilligungszeitraum nicht einverstanden ist. Ein anderes Verständnis würde ein "ewiges" Verwaltungsverfahren verursachen, weil der Leistungsträger dann ohne zeitliche Zäsur stets neu die Leistungsvoraussetzungen prüfen müsste. Es würde dann dem Leistungsempfänger, dem insoweit nach Ende des ersten Bewilligungszeitraums ohne – ggf. sogar gegen – seinen Willen ein (weiteres) Verwaltungsverfahren bzw. die Fortsetzung des ersten Verwaltungsverfahrens aufgedrängt würde, obliegen, durch eine entsprechende Erklärung die Beendigung des Verwaltungsverfahrens herbeizuführen. Ein solches Verständnis würde aber die Regelung des § 37 Abs. 1 SGB II in ihr Gegenteil verkehren. Diese Norm steht im übrigen im Zusammenhang mit der generellen Ausrichtung des SGB II, wie sie etwa in § 2 SGB II ihren generalklauselartigen Ausdruck gefunden hat, die Aktivität und Eigenverantwortung des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen zu fordern und fördern. Dies zielt aber gerade auf ein aktives, und nicht nur reaktives Handeln des Betroffenen.

Auch und gerade dann, wenn die erneute Bewilligung erfolgen würde, ohne dass der bisherige Leistungsbezieher vor der neuen Entscheidung involviert würde, so dass eine Prüfung namentlich der Hilfebedürftigkeit nicht oder nur verkürzt stattfindet, würden sich verschiedene Folgeprobleme stellen. Die Gegenauffassung beantwortet nämlich nicht die Frage, auf welche Weise dieses "ewige" Verwaltungsverfahren beendet werden soll, wenn sich der ursprüngliche Leistungsbezieher nicht mehr meldet. Die Annahme einer konkludenten Rücknahme des ursprünglichen Leistungsantrages durch anschließendes Schweigen auf behördliche Bewilligungsbescheide oder sonstige Schreiben dürften kaum überzeugen und auch unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit nicht hinzunehmen sein (vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.06.2008, Az.: L 12 AS 407/08, juris, Rdnr. 27). Auch die Nichtmitwirkung an der Sachaufklärung könnte allenfalls zu einem Bescheid nach § 66 SGB I führen (vgl. Link, in: Eicher/Spellbrink [Hrsg.], SGB II, 2. Aufl. 2008, § 37 Rdnr. 20), nicht aber zu einem das Verwaltungsverfahren abschließenden Verwaltungsakt. Oder welche Bedeutung hätte etwa die Trennung einer Bedarfsgemeinschaft; wirkt der vom vermutet Bevollmächtigten im Sinne von § 38 SGB II ursprünglich gestellte Antrag dann auch für die Personen weiter, die ausgezogen sind? An dieser Stelle wird deutlich, dass die These von der Fortwirkung des Erstantrages Folgeprobleme aufwirft, die zu vermeiden auch Zweck des § 37 Abs. 1 SGB II in der hier vertretenen Auslegung war.

bb) Das gleiche Ergebnis tritt zu Tage, wenn man den konkreten Antragsinhalt in den Blick nimmt. Ein Antrag hat nämlich auch eine den Verfahrensgegenstand begrenzende Funktion (Rixen, in: Diering/Timme/Waschull [Hrsg.], SGB X, 2004, § 18 Rdnr. 8, m. w. N.), das heißt der Leistungsträger darf nicht mehr bewilligen als dem Begehren des (ausgelegten) Antrags entspricht (Rixen, in: BeckOK, 12. Edition, Dezember 2008, § 37 SGB II Rdnr. 4; Schoch, in: Münder [Hrsg.], SGB II, 2. Aufl. 2007, § 37 Rdnr. 5). Dies gilt auch für die zeitliche Dimension des Antrages. Allerdings begrenzen die Antragsteller in aller Regel – und so auch hier – ihren Leistungsantrag nicht ausdrücklich zeitlich, so dass durch Auslegung zu ermitteln ist, ob in dem Antrag eine zeitliche Einschränkung und ggf. welche enthalten ist. Fehlen im Einzelfall insofern besondere, die Auslegung leitende Umstände, ist – wie hier – davon auszugehen, dass der Antrag stets auf die Gewährung von Leistungen in rechtmäßiger Weise gerichtet ist (ebenso Hünecke, in: Gagel [Hrsg.], SGB III/SGB II, § 37 SGB II [2008] Rdnr. 22b). Damit ist ein Antrag aber auch stets nur darauf gerichtet, Leistungen entsprechend dem grundsätzlichen Bewilligungszeitraum von sechs Monaten (§ 41 Abs. 2 Satz 4 SGB II) bewilligt zu bekommen. Hat der Antragsteller eine andere Intention, muss er dies ausdrücklich bekunden bzw. ggf. einen längeren (oder kürzeren) Bewilligungszeitraum mit den entsprechenden Rechtsbehelfen erstreiten.

Hinzu kommt, dass es sich bei Leistungen nach dem SGB II nach der Konzeption des Gesetzes um Leistungen zur Überbrückung einer aktuellen Notlage und gerade nicht um eine (rentenähnliche) Dauerleistung (ebenso Urteil der 12. Kammer des SG Reutlingen vom 17.03.2008, Az.: S 12 AS 2203/06, juris, Rdnr. 36) handelt. Auch wenn diese Konzeption in vielen Fällen nicht der Realität entspricht, so kann doch gleichwohl nicht allen Antragstellern unterstellt werden, mit ihrem Erstantrag Leistungen bis auf weiteres zu begehren, für deren Bewilligung keine Grundlage besteht. Dies wäre aber die Voraussetzung für die generelle Interpretation der Leistungsanträge als auf dauerhafte bzw. wiederholte Leistungsgewährung gerichtet.

Die Auslegung eines Leistungsantrages als auf dauerhafte bzw. über den Sechs-Monats-Zeitraum hinaus wiederholte Leistungsgewährung gerichtet verbietet sich im übrigen auch deshalb, weil sich dies durchaus auch zu Lasten des Antragstellers auswirken kann. Dies ist etwa dann der Fall, wenn dieser nach Ablauf des (ersten) Bewilligungszeitraumes Einkommen erzielt; es steht ihm dann frei, erst nach Zufluss des Einkommens einen Leistungsantrag zu stellen, um die Berücksichtigung als Vermögen im Sinne von § 12 Abs. 1 SGB II – statt als Einkommen im Sinne von § 11 Abs. 1 SGB II – zu erreichen (vgl. Müller, in: Hauck/Noftz [Hrsg.], SGB II, § 37 [2004] Rdnr. 13). Diese Möglichkeit würde umgangen, wenn der ursprüngliche Leistungsantrag als fortwirkend behandelt würde.

Mangels anderer Anhaltspunkte waren auch der erste Leistungsantrag der Klägerin vom 30. März 2007 und die nachfolgenden Fortzahlungsanträge – zuletzt vom 21. Februar 2008 – nur auf die Gewährung von Leistungen für jeweils sechs Monate gerichtet. Eine längere Bewilligung oder eine anschließende Weiterbewilligung wäre von diesen Anträgen also nicht mehr gedeckt gewesen.

cc) Die für die gegenteilige Auffassung angeführten Argumente der 3. Kammer des SG Reutlingen in ihrem Urteil vom 13.12.2007 (Az.: S 3 AS 3000/07, juris, Rdnr. 25 ff; dazu bereits kritisch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.06.2008, Az.: L 12 AS 407/08, juris, Rdnr. 27) überzeugen demgegenüber nicht.

Dies gilt zunächst für die Ansicht, dass die Rechtsprechung des BSG zur Fortwirkung eines Antrags auf Arbeitslosenhilfe (BSG, Urteil vom 19.01.2001, Az.: B 7 AL 16/00 R, juris, Rdnr. 23; BSG, Urteil vom 29.11.1990, Az.: 7 RAr 6/90, juris, Rdnr. 25; BSG, Urteil vom 12.12.1985, Az.: 7 RAr 75/84, juris, Rdnr. 12; ferner BSG, Urteil vom 14.11.1985, Az.: 7 RAr 123/84, juris, Rdnr. 27), die im übrigen nicht durchweg einheitlich war (siehe BSG, Urteil vom 15.06.2000, Az.: B 7 AL 64/99 R, juris, Rdnr. 15 f., wo tendenziell die Fortwirkung eines ursprünglich gestellten Antrages über alle Bewilligungszeiträume verneint, letztlich aber offen gelassen wird), auf das SGB II zu übertragen sei. Sie bleibt ohne Begründung und würdigt insbesondere nicht den entscheidenden Unterschied zwischen § 134 AFG und § 37 SGB II. Während in § 134 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AFG der Antrag materielle Anspruchsvoraussetzung war (BSG, Urteil vom 29.11.1990, Az.: 7 RAr 6/90, juris, Rdnr. 25; Ebsen, in: Gagel [Hrsg.], AFG, § 134 [1998] Rdnr. 68), handelt es sich bei dem Antragserfordernis in § 37 SGB II nicht um eine materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 11.03.2008, Az.: L 7 AS 143/07, FEVS 60 [2009], S. 127 [128]; Frank, in: Hohm [Hrsg.], Gemeinschaftskommentar zum SGB II, § 37 [2008] Rdnr. 5; Link, in: Eicher/Spellbrink [Hrsg.], SGB II, 2. Aufl. 2008, § 37 Rdnr. 17; Müller, in: Hauck/Noftz [Hrsg.], SGB II, § 37 [2004] Rdnr. 5; so auch Urteil der 3. Kammer des SG Reutlingen vom 13.12.2007, Az.: S 3 AS 3000/07, juris, Rdnr. 26), sondern nur um eine Verfahrensvoraussetzung; das Antragserfordernis ist gerade nicht bei den anspruchsbegründenden materiellen Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 und Abs. 2 SGB II aufgeführt (Link, in: Eicher/Spellbrink [Hrsg.], SGB II, 2. Aufl. 2008, § 37 Rdnr. 17; siehe auch Frank, in: Hohm [Hrsg.], Gemeinschaftskommentar zum SGB II, § 37 [2008] Rdnr. 5; Müller, in: Hauck/Noftz [Hrsg.], SGB II, § 37 [2004] Rdnr. 5). Der Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II im Sinne eines Stammrechtes – nicht des Zahlungsanspruches (siehe oben ) – entsteht daher unabhängig von der Antragstellung (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 11.03.2008, Az.: L 7 AS 143/07, FEVS 60 [2009], S. 127 [128]; Müller, in: Hauck/Noftz [Hrsg.], SGB II, § 37 [2004] Rdnr. 6; so auch Urteil der 3. Kammer des SG Reutlingen vom 13.12.2007, Az.: S 3 AS 3000/07, juris, Rdnr. 26). Die Entstehung eines Anspruches auf Arbeitslosenhilfe war hingegen auch materiell von einer Antragstellung abhängig (BSG, Urteil vom 29.11.1990, Az.: 7 RAr 6/90, juris, Rdnr. 25; Ebsen, in: Gagel [Hrsg.], AFG, § 134 [1998] Rdnr. 68; ebenso für den Anspruch auf Arbeitslosengeld nach § 100 Abs. 1 AFG BSG, Urteil vom 29.06.2000, Az.: B 11 AL 99/99 R, juris, Rdnr. 14; siehe auch Frank, in: Hohm [Hrsg.], Gemeinschaftskommentar zum SGB II, § 37 [2008] Rdnr. 5). Erschöpft sich der Antrag aber in seiner verfahrensrechtlichen Funktion, ist – siehe oben – seine Wirkung mit Abschluss des Verwaltungsverfahrens beendet; er kann – anders als materielle Voraussetzungen – nicht weiterwirken.

Auch der Hinweis auf die Rechtslage in der gesetzlichen Rentenversicherung verfängt nicht. Zwar wird dort bei der Weitergewährung einer Zeitrente kein neuer, sondern der ursprüngliche Leistungsfall angenommen (siehe KomGRV, § 102 SGB VI [2007] Rdnr. 10). Auch die Weitergewährung ist aber von einem entsprechenden erneuten Antrag abhängig (Niesel, in: Kassler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 102 SGB VI [2001] Rdnr. 1). Wird dieser nicht gestellt, erfolgt mitnichten eine automatische Weitergewährung bzw. eine Prüfung von Amts wegen, ob die Rente weiterzugewähren ist. Die Regelung des 102 Abs. 2 Satz 3 SGB VI verhält sich zur Frage der Notwendigkeit eines Antrages gar nicht; einschlägig sind hier allein § 19 Satz 1 SGB IV und – als speziellere Regelung – § 115 Abs. 1 Satz 1 SGB VI. Ausnahmen von dem erneuten Antragserfordernis beim Wegfall einer Rente sind in § 115 Abs. 3 SGB VI ausdrücklich und abschließend geregelt; die Weitergewährung einer befristeten Erwerbsminderungsrente gehört im übrigen nicht dazu. Abgesehen davon, dass das SGB II entsprechende Ausnahmevorschriften gerade nicht enthält, bewegt sich der Vergleich zwischen dem SGB VI und dem SGB II schon deswegen auf einer schiefen Ebene, weil es sich bei den Leistungen nach dem SGB II gerade nicht um Dauerleistungen handeln soll. Wenn man aber der Rechtslage bei der Erwerbsminderungsrente Bedeutung für die Auslegung des § 37 SGB II zumisst, dann stützt sie die hier vertretene Auffassung.

c) Der Krankenhausaufenthalt der Klägerin ist nicht geeignet, eine Rückwirkung des Antrages vom 12. November 2008 auf den 1. Oktober 2008 herbeizuführen. Eine Ausnahme von der strengen Regelung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II ist nur nach Maßgabe des § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB II, also für den Fall der fehlenden Öffnung des zuständigen Leistungsträgers, möglich. Andere Gründe für die Hinderung, einen Antrag zu stellen, sind hingegen unbeachtlich (vgl. Müller, in: Hauck/Noftz [Hrsg.], SGB II, § 37 [2004] Rdnr. 20).

d) Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 27 SGB X ist nicht möglich. Es handelt sich bei dem Antragserfordernis nach § 37 SGB II nicht um eine gesetzliche Frist im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB X (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17.04.2008, Az.: L 9 AS 69/07, juris, Rdnr. 31; Link, in: Eicher/Spellbrink [Hrsg.], SGB II, 2. Auf. 2008, § 37 Rdnr. 33a). Auch ein Fall des § 28 SGB X liegt nicht vor.

e) Die Kammer kann nicht ausschließen, dass die dargestellte Rechtslage auch unbillige Ergebnisse produziert in Fällen, denen eine frühere bzw. rechtzeitige Antragstellung dem Betroffenen objektiv unmöglich war. Die Kammer nimmt dies zum Anlass, darauf hinzuweisen, dass für eine – hier nicht streitgegenständliche – Kürzung der Regelleistung aufgrund des Abzuges einer sog. Verpflegungspauschale aufgrund des Krankenhausaufenthaltes der Klägerin, wie sie mit Anhörungsschreiben vom 18. November 2008 angekündigt wurde, eine Rechtsgrundlage nicht besteht (dazu Gerichtsbescheid der 6. Kammer des SG Reutlingen vom 22.10.2008, Az.: S 6 AS 2982/08, juris, Rdnr. 22 ff.).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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