L 19 AS 52/08

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 3 KG 10/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 52/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 KG 1/09 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Revision d. Kl. wird zurückgewiesen.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 16.07.2008 wird zurückgewiesen. Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Bewilligung von Kinderzuschlag.

Der Kläger ist serbisch-montenegrinischer Staatsangehöriger. Er hielt sich u.a. auch in dem hier betroffenen Jahr 2007 aufgrund einer Duldung als Asylbewerber in der Bundesrepublik Deutschland auf. Er ist Vater von vier Kindern (geboren 1998. 2000, 2002 und 2005), für die ihm Kindergeld bewilligt wurde. Seinen Anträgen auf Kinderzuschlag entsprach die Beklagte teilweise, lehnte die Gewährung aber teilweise, so auch für den hier streitigen Monat Juli 2007, wegen Nichterreichens der Mindesteinkommensgrenze ab (Bescheid vom 20.07.2007).

Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte für den Monat Juli 2007 mit der Begründung zurück, die Mindesteinkommensgrenze betrage im Fall des Klägers 978,35 EUR. Dieser Betrag werde durch das Erwerbseinkommen, von welchem u.a. Beiträge zur Altersversorgung (sog. Riester-Rente) sowie 0,20 EUR für jeden Entfernungskilometer der kürzesten Straßenverbindung zu seiner Arbeitsstätte in Abzug zu bringen seien, nicht erreicht.

Der Kläger hat am 20.03.2008 vor dem Sozialgericht (SG) Münster Klage erhoben, mit der er sich gegen die Höhe des Ansatzes seiner Versicherungen sowie der Fahrtkosten gewendet hat. Seinen grundsätzlichen Ausschluss als geduldeter Asylbewerber von der Leistung des Kinderzuschlags, auf welchen ihn das SG hingewiesen hat, hat er für verfassungswidrig erachtet.

Mit Urteil vom 16.07.2008 hat das SG die Klage abgewiesen, weil der Status als geduldeter Asylbewerber, der nicht zum Bezug von Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) berechtigt sei, einen Anspruch auf Kinderzuschlag ausschließe.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils Bezug genommen.

Gegen das ihm am 31.07.2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 01.09.2008 Berufung eingelegt. Er ist der Auffassung, die gesetzliche Regelung des Kinderzuschlags müsse verfassungskonform im Sinne seiner Leistungsberechtigung ausgelegt werden. In der zum 01.10.2008 in Kraft getretenen Neufassung des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) werde nunmehr auch auf das SGB XII (Sozialhilfe) verwiesen, was ebenfalls darauf hindeute, dass nicht allein Anspruchsberechtigte nach dem SGB II Kinderzuschlag entsprechend dem Willen des Gesetzgebers erhalten sollten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des SG Münster vom 16.07.2008 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.07.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2008 zu verurteilen, ihm für Juli 2007 Kinderzuschlag in gesetzlicher Höhe zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist kraft Zulassung statthaft und auch im Übrigen zulässig.

Sie ist jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil dem Kläger für den hier streitigen Monat Juli 2007 kein Anspruch auf Kinderzuschlag zusteht.

Diesen erhalten gemäß § 6a Abs. 1 BKGG in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes vom 24.03.2006 (BGBl. I S. 558) Personen für in ihrem Haushalt lebende unverheiratete Kinder, die noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben, wenn 1. sie für diese Kinder nach dem Gesetz oder nach dem 10. Abschnitt des Einkommenssteuergesetzes (EStG) Anspruch auf Kindergeld oder Anspruch auf andere Leistungen im Sinne von § 4 haben, 2. sie mit Ausnahme des Wohngeldes über Einkommen oder Vermögen im Sinne der §§ 11, 12 des SGB II mindestens in Höhe des nach Abs. 4 Satz 1 für sie maßgebenden Betrages und höchstens in Höhe der Summe aus diesem Betrag und dem Gesamtkinderzuschlag nach Abs. 2 verfügen und 3. durch den Kinderzuschlag Hilfebedürftigkeit nach § 9 des SGB II vermieden wird. Letztere Voraussetzung erfüllt der Kläger nicht, auch wenn er im streitigen Zeitraum Anspruch auf Kindergeld als Erwerbstätiger nach dem 10. Abschnitt des EStG hatte, weil er nicht zu den grundsätzlich Leistungsberechtigten nach dem SGB II zählt. Nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II a.F. (jetzt § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II) sind von den Leistungen nach dem SGB II Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) ausgenommen. § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG bestimmt die Besitzer einer Duldung nach § 60a Aufenthaltsgesetz zu Leistungsberechtigten im Sinne des AsylbLG. Da sich der Kläger im Juli 2007 in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund einer solchen Duldung aufgehalten hat, konnte er Leistungen nach dem SGB II nicht beanspruchen und die Gewährung des Kinderzuschlags daher auch nicht Hilfebedürftigkeit im Sinne dieses Gesetzes vermeiden.

Auf diesen Personenkreis kann § 6a BKGG, auch wenn Anspruch auf Kindergeld besteht, keine entsprechende Anwendung finden. Der Gesetzgeber wollte Asylbewerber von der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II ausnehmen, weil das AsylbLG für sie eine eigenständige und abschließende Regelung zur Sicherung des Lebensunterhaltes trifft (BT-Drucks. 15/1516 S. 52). Die Bestimmungen des AsylbLG zur Bedarfsberechnung und Feststellung der Hilfebedürftigkeit entsprechen auch nicht denjenigen des SGB II, sondern lehnen sich an das SGB XII (Sozialrecht) an bzw. erklären es für entsprechend anwendbar (§ 2 Abs. 1 AsylbLG).

Entgegen der Auffassung des Klägers kann nicht davon ausgegangen werden, der Gesetzgeber habe die nach § 1 AsylbLG leistungsberechtigen Asylbewerber gleichwohl in den Kreis der Kinderzuschlagsberechtigten einbeziehen wollen. Hiergegen spricht der eindeutige Wortlaut der Bestimmung des § 6a Abs. 1 BKGG, der nur auf die Vermeidung von Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II, nicht aber in Bezug auf das SGB XII oder das AsylbLG abstellt.

Da § 6a BKGG mit der Schaffung des SGB II durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBl. I S. 2954) eingefügt worden ist in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Einordnung des Sozialhilferechts in das SGB (Gesetz vom 27.12.2003, BGBl. I S. 3022), fehlen Hinweise darauf, der Gesetzgeber habe einen Verweis auf das SGB XII und AsylbLG lediglich versehentlich in § 6a BKGG unterlassen.

Gegenteiliges folgt auch nicht aus der Neufassung des § 6a BKGG durch das Gesetz zur Änderung des BKGG vom 24.09.2008 (BGBl. I S. 1854). Auch danach ist weiter ausschließlich die Vermeidung der Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II Anknüpfungspunkt für den Kinderzuschlag (§§ 5, 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 BKGG n.F.). Der Verweis auf den Verzicht auf Leistungen nach dem SGB XII, der nunmehr in § 6a Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 BKGG n.F. enthalten ist, bezieht sich auf die gesamte Bedarfsgemeinschaft und nur auf die Anrechnung eines Mehrbedarfs. Diese Regelung dient lediglich der Einführung eines Wahlrechts zwischen Leistungen nach dem SGB II und dem Kinderzuschlag in entsprechenden Fällen, weil die Mehrbedarfe nach §§ 21, 28 Abs.1 Satz 3 Nrn.2 bis 4 SGB II die Mindesteinkommensgrenze weiter erhöhen und damit die Inanspruchnahme des Kinderzuschlags erschweren (vgl. BT-Drucks. 16/9792 S. 12). Dieses Wahlrecht ist aber ebenfalls allein den Bezugsberechtigten nach dem SGB II eingeräumt.

Ebenso wenig kann aus Sinn und Zweck der Bestimmung des § 6a BKGG auf das vom Kläger gewünschte Ziel geschlossen werden. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll der Kinderzuschlag verhindern, dass Eltern nur wegen der Unterhaltsbelastung für ihre Kinder Arbeitslosengeld II und Sozialgeld in Anspruch nehmen müssen bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung eines Arbeitsanreizes (BT-Drucks. 15/1516 S. 83). Für sie soll, sofern der Kinderzuschlag Bedürftigkeit vermeiden kann, allein die Kindergeldkasse zuständig sein (BT-Drucks. a.a.0.). Eine solche Integration der Asylbewerber, die lediglich über eine Duldung verfügen, wollte der Gesetzgeber aber gerade nicht erreichen im Hinblick auf das noch nicht verfestigte Bleiberecht dieses Personenkreises in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl., AsylbLG Einl Rn 2 m.w.N.). Ebenso wenig besteht insoweit ein Bedürfnis, die Asylbewerber im Sinne des § 1 AsylbLG allein der Kindergeldkasse zu unterstellen.

Der Ausschluss der Asylbewerber im Sinne des § 1 AsylbLG vom Kinderzuschlag verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz - GG) in Verbindung mit den grundrechtlich geschützten Belangen der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG). Es steht im sozialpolitischen Ermessen des Gesetzgebers, für Asylbewerber ein eigenes Konzept zur Sicherung ihres Lebensbedarfs zu entwickeln und dabei eigenständige Regelungen über die Gewährung von Leistungen zu treffen, wie dies durch das AsylbLG geschehen ist (vgl. BVerfGE 111, 160, 174; 111, 176, 185; 116, 229, 239). Mit der Schaffung des AsylbLG sollte eine Verminderung der Sozialausgaben für Asylbewerber und vergleichbare Gruppen einhergehen (BT-Drucks. 12/3686 S. 4). Ist dieses Konzept grundsätzlich hinnehmbar (vgl. BVerfGE a.a.O.; Grube/Wahrendorf a.a.O.), ist der Gesetzgeber nicht gehalten, Vergünstigungen, die der Vermeidung der Inanspruchnahme von Sozialleistungen eines anderen Grundsicherungssystems dienen, auch auf die Asylbewerber, die dem AsylbLG unterfallen, zu erstrecken.

Selbst wenn man der gegenteiligen Auffassung des Klägers folgen wollte, ist nicht ersichtlich, dass er die weiteren Voraussetzungen des § 6a BKGG im Juli 2007 erfüllte. Insoweit war nach der bis zum 01.10.2008 gültigen Fassung des § 6a Abs. 1 Nr. 2 BKGG Voraussetzung, dass der Leistungsberechtigte mit Ausnahme des Wohngeldes über Einkommen oder Vermögen im Sinne der §§ 11, 12 des SGB II mindestens in Höhe des nach Absatz 4 Satz 1 für sie maßgebenden Betrages und höchstens in Höhe der Summe aus diesem Betrag und dem Gesamtkinderzuschlag nach Abs. 7 verfügte. Dabei ist zunächst das Einkommen des Antragstellers im Sinne des § 11 SGB II zu ermitteln und dieses sodann dem Bedarf im Sinne des § 6a Abs. 1 Nr. 2 BKGG gegenüberzustellen (BSG Urt. v. 18.06.2008 - B 14/11b AS 11/07 R - m.w.N.).

Das Bruttoeinkommen des Klägers betrug im Juli 2007 1.712,18 EUR. Hiervon sind abzuziehen Steuern und Sozialversicherungsbeiträge (§ 11 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGB II) in Höhe von 340,95 EUR, der Beitrag zur Kfz-Haftpflichtversicherung (§ 11 Abs. 2 Nr. 3 SGB II) in Höhe von 23,75 EUR, eine Versicherungspauschale (§ 11 Abs. 2 Nr. 3 SGB II, § 3 Nr. 1 SGB II-Verordnung) in Höhe von 30,00 EUR, geförderte Altersvorsorgebeiträge nach § 82 EStG (§ 11 Abs. 2 Nr. 4 SGB II) in Höhe von 10,00 EUR sowie mit der Erzielung von Einkommen verbundene notwendige Ausgaben (§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB II, § 3 Nr. 3 Alg II-Verordnung) in Höhe eines Sechzigstels der steuerrechtlichen Werbungskostenpauschale monatlich von 15,33 EUR sowie zusätzlich bei Benutzung eines Kraftfahrzeuges für die Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte für Wegstrecken zur Ausübung der Erwerbstätigkeit 0,20 EUR für jeden Entfernungskilometer der kürzesten Straßenverbindung, entsprechend im Juli 2007 154 EUR (35 Km x 22 Arbeitstage x 0,20 EUR), und schließlich der Freibetrag für erwerbstätige Hilfebedürftige (§ 30 SGB II) in Höhe von 210 EUR. Danach errechnet sich ein maßgebliches Einkommen im Juli 2007 von 927,97 EUR.

Diesem sind gegenüberzustellen Regelleistungen für beide Ehegatten (§ 19 Abs. 2 SGB II) in Höhe von 622,00 EUR sowie anteilige Kosten der Unterkunft, die im Jahr 2007 mit einem Anteil von 55,31% gemäß § 6a Abs. 4 Satz 2 BKGG zu berücksichtigen sind (vgl. dazu BSG Urt. v. 18.06.2008 - B 14/11b AS 11/07 R), was nur bezogen auf die vom Kläger im Juli 2007 gezahlte Bruttokaltmiete von 575,00 EUR einen Betrag von 318,03 EUR und zusammen gerundet 940,- -EUR ergibt. Regelleistungen und Kosten der Unterkunft nach dem SGB II werden daher durch das Einkommen des Klägers nicht gedeckt.

Etwas anderes könnte nur gelten, wenn die Fahrtkosten im Hinblick auf die zwischen seinem Bruder und dem Kläger - nach seinen Angaben auch im Juli 2007 - bestehende Fahrgemeinschaft in einem geringeren Umfang Anrechnung fänden. Dafür fehlen jedoch Anhaltspunkte, weil § 3 Abs. 1 Nr. 3b Alg II-Verordnung in der hier maßgeblichen Fassung vom 22.08.2005 (BGBl. I S. 2499) allein auf die Benutzung eines Kraftfahrzeugs abstellt, ohne danach zu differenzieren, ob dieses Kraftfahrzeug allein oder im Rahmen einer Fahrgemeinschaft unter Verwendung des Kfz eines Dritten genutzt wird. Für eine solche Differenzierung besteht auch im Hinblick auf die steuerrechtliche Behandlung entsprechender Kosten kein Anlass, da auch insoweit die Entfernungspauschale (§ 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG) unabhängig davon gezahlt wird, ob die Strecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte im Rahmen einer Fahrgemeinschaft zurückgelegt wird (vgl. Drenseck in Schmidt, Einkommenssteuergesetz, 27. Aufl., § 9 Rn. 131).

Dagegen kann nicht auf die Vermeidung der Bedürftigkeit nach dem SGB XII oder dem AsylbLG abgestellt werden, weil anderenfalls eine Privilegierung der Leistungsberechtigten nach diesen Gesetzen einträte,da sie schon bei geringeren Einkünften kinderzuschlagsberechtigt würden als die Bezugsberechtigten nach dem SGB II.

Die Berufung ist daher mit der auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beruhenden Kostenentscheidung zurückzuweisen.

Der Senat hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) die Revision zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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