L 32 AS 923/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
32
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 110 AS 7034/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 32 AS 923/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bei einer Absenkung der zu übernehmenden Kosten für Unterkunft und Heizung von den tatsächlichen auf die angemessenen Kosten nach § 22 Abs. 1 SGB II ist einerseits davon auszugehen, dass einem Leistungsbezieher jede Wohnung mit üblichem Standard zuzumuten ist, unabhängig vom Baujahr.
Als angemessen kann andererseits nur die Miete derjenigen Wohnungen herangezogen werden, für welche der konkrete Antragsteller wirklich einen Mietvertrag abschließen könnte.

Solange der Leistungsträger dem Leistungsempfänger keine konkrete Mietvertragsabschlussmöglichkeit aufzeigt, muss deshalb bei der Anwendung des Berliner Mietspiegels 2007 der Unterschied zwischen den Mieten aller in den Mietspiegel eingeflossenen Mietverhältnisse und der Mieten für diejenigen Wohnungen, die auf dem freien Wohnungsmarkt angeboten werden und die auch der Leistungsempfänger realistischerweise anmieten könnte, berücksichtigt werden. Es ist deshalb geboten, den Spannenoberwert der Kaltmiete anstelle des Mittelwertes für die Kaltmiete der Vergleichskostenberechung zu Grunde zu legen.

In Berlin sind bei einem Einpersonenhaushalt Unterkunftskosten jedenfalls für Bewilligungszeiträume zwischen November 2006 und April 2007 in Höhe von 422,-- Euro einschließlich Warmwasser- und Kochenergiekosten ( d. h. Kosten nach § 22 Abs. 1 SGB II in Höhe von 416,28 Euro) noch angemessen, solange der Leistungsträger dem/den Leistungsempfänger nicht eine ganz konkrete Mietvertragsabschlussmöglichkeit mit günstigerer Miete nachweist.
Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. Mai 2007 wird abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II für den Zeitraum November 2006 bis April 2007 in Höhe von 416,28 Euro monatlich zu bewilligen und zu gewähren. Im Übrigen werden die Klage und die Berufung zurückgewiesen. Der Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit steht, in welchem Umfang der Beklagte dem Kläger Leistungen für Unterkunft und Heizung gem. § 22 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für den Zeitraum November 2006 bis April 2007 zu gewähren hat.

Der im Oktober 1950 geborene erwerbsfähige Kläger ist ledig und bewohnt sei 1959 - zunächst als Kind mit der Familie, inzwischen alleine - eine 2 2/2-Zimmerwohnung mit einer Wohnfläche von knapp 75 m², für die er eine Brutto-Warmmiete von monatlich 515,87 Euro im streitgegenständlichen Zeitraum zu zahlen hatte (ohne Autostellplatz-Miete). Er ist promovierter Politikwissenschaftler. Das JobCenter bewilligte ihm für die Zeit ab 21. April 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Mit Schreiben vom 26. April 2006 teilte es dem Kläger mit, die Kosten der Unterkunft für nicht angemessen zu halten. Es sei bereit, die tatsächlichen Kosten der Unterkunft solange zu übernehmen, wie es diesem nicht möglich sei, durch einen Wohnungswechsel oder durch Untervermietung bzw. Erwirkung einer Mietreduktion die Kosten der Unterkunft zu senken. Diese Zusage gelte nicht länger als sechs Monate nach Zugang. Mit Schreiben vom 5. Oktober 2006 machte der Kläger geltend, die Wohnung seit 1959 zu bewohnen und in ihr sein umfassendes politisches Archiv - basierend auf seiner 20-jährigen Tätigkeit als F -, sein umfangreiches Sarchiv und weitere Archivalien und Bücher zum Themenbereich "M" sowie weitere politische Literatur aufzubewahren. Er sei als einziger wissenschaftlicher Experte für das Binternational anerkannt. Für seine Tätigkeit im Interesse einer Weiterbildung des F sei er auf seine Archive und Archivalien angewiesen. Bei einem Umzug in eine kleinere Wohnung müsste er sich von diesen Beständen trennen. Ohne sie wären ihm eine weitere wissenschaftliche Tätigung und damit auch eine für 2007 geplante Buchveröffentlichung verwehrt. Seine Chancen auf den Arbeitsmarkt beruhten auf seiner weiteren wissenschaftlichen Betätigung.

Mit Bescheid vom 12. Oktober 2006 bewilligte der Beklagte ihm Leistungen für die Kosten der Unterkunft für den Zeitraum November 2006 bis April 2007 nur noch in Höhe von einer 396,- Euro. Es legte dabei den Grundwert für einen Einpersonenhaushalt von 360,- Euro nach den Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 SGB II der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz des Landes Berlin (für den hier streitgegenständlichen Zeitraum vom 7. Juni 2005 [ABl. 3743], zuletzt geändert mit Verwaltungsvorschriften vom 30. Mai 2006 [ABl. 2062]; im Folgenden: AV-Wohnen) für die Bruttowarmmiete zuzüglich eines Zuschlages wegen längerer Wohndauer von 10 % zugrunde.

Der Kläger erhob Widerspruch. Ein Umzug sei ihm unzumutbar. Dadurch würde ihm jegliche Perspektive auf eine weitere wissenschaftliche Forschungsarbeit genommen. Seine Buchveröffentlichung "M gelte als Standardwerk. Sein Archiv sei einzigartig und bestehe aus mehreren Rollschränken, drei großen Büroschränken und vielen Regalen sowie weiteren, derzeit schon nicht mehr einsortierbaren Aktenbeständen. Es enthalte Material, das sonst so nicht zu finden sei. Eine solch einzigartige Sammlung könne in einer Ein- oder Zweizimmerwohnung nicht untergebracht werden. Er als Wissenschaftler werde immer nach seiner aktuellen Forschungsarbeit beurteilt. Er müsse in der Forschungsszene präsent bleiben. Der weitere Erhalt seiner Wohnung sei deshalb im Interesse der Forschung und seiner persönlichen beruflichen Perspektive. Er könne weder Teile der Wohnung untervermieten noch eine Senkung der Miete erreichen.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 2007 zurück. Maßnahmen zur Senkung der Wohnkosten würden in der Regel nicht verlangt werden können bei schwerer Krankheit oder Behinderung, bei über 60 Jahre alten Hilfeempfängern nach längerer Wohndauer, bei einmaligen oder kurzfristigen Hilfen sowie Alleinerziehenden mit zwei oder mehreren Kindern. Auf den Kläger treffe keine dieser Fallgruppen zu. Die Sicherung der Unterkunft nach § 22 SGB II sei keine Sicherung der beruflichen Selbstständigkeit. Das Archiv des Klägers müsse deshalb unberücksichtigt bleiben. Sein Alter und die Wohndauer seien berücksichtigt, indem der Richtwert um 10 % erhöht worden sei.

Der Kläger hat Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben. Er hat ergänzend vorgebracht, trotz Arbeitslosigkeit sei er als einziger wissenschaftlicher Experte auf seinem Gebiet international geachtet. Mittlerweile erscheine sein zweites Buch. Bei einem Umzug würde ein Teil der A wegbrechen. Im Übrigen sei seine Wohnung aufgrund ihrer Hellhörigkeit und ihrer sanitären Ausstattung und der der Küche (jeweils Stand 1959) für Untermieter unzumutbar.

Das SG hat im Einverständnis der Beteiligten im schriftlichen Verfahren mit Urteil vom 21. Mai 2007 der Klage stattgegeben. Die Kammer sei zu der Entscheidung gelangt, dass dem Kläger weiterhin ein Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft zustehe. Aufgrund der Wohndauer von über 45 Jahren liege ein absoluter Ausnahmefall nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II vor. Dem Kläger sei es nicht zuzumuten, die Kosten der Unterkunft durch Umzug oder Untervermietung zu senken. Aufgrund der tatsächlichen Wohnungsgröße von unter 80 m² für eine Person und eines Mietpreises von rund 7,- Euro pro m² läge hier auch keine Ausnahme von dieser Ausnahme vor. Sämtliche sonstigen Umstände zur Bedeutung des Archivs seien für die Entscheidung somit ohne Bedeutung.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten. Zur Begründung verweist er auf die einschlägige Verwaltungsrichtlinie.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. Mai 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angegriffene Urteil. Verwaltungsvorschriften bedürften regelmäßig eines Entscheidungsspielraums für außergewöhnliche, von den typisierten Regelfällen abweichende Bedarfslagen. Dementsprechend sei hier in seinem speziellen Einzelfall ein Abweichen von den Richtwerten geboten, was nach Ziffer 4 Abs. 4 Satz 3 der AV-Wohnen auch möglich sei. Da der Kläger bereits seit seinem 9. Lebensjahr in der streitgegenständlichen Wohnung wohne würde ihn ein Umzug ungleich härter treffen als einen 60-jährigen Hilfeempfänger, der erst seit 15 Jahren in seiner Wohnung lebe. Der Zweck des Schutzes der Wohnung als räumlichen Lebensmittelpunkt gebiete darüber hinaus auch die Berücksichtigung seines Archivs. Überdies sei es unverhältnismäßig, vom Kläger einen Umzug zu verlangen, weil die Differenz zwischen der tatsächlichen Miete und der angemessenen in zwei Jahren nur 2.876,88 Euro betrage. Durch und im Zusammenhang mit einem Umzug entstünden weit größere Kosten. Aus seinen Buchveröffentlichungen erziele er keine Einnahmen.

Auf die von dem Beteiligten eingereichten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen. Der Verwaltungsvorgang des Beklagten hinsichtlich des Klägers (Leistungsakte) lag vor und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat teilweise Erfolg: Die Klage ist nur zu einem geringeren Teil begründet. Dem Kläger, der seinen Lebensunterhalt im streitgegenständlichen Zeitraum nicht aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen, sichern konnte, stehen in dieser Zeit statt gewährter 396,- Euro monatlich 416,28 Euro als Kosten für Unterkunft und Heizung zu.

Zu den Leistungen, welche der Kläger als Berechtigtem nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II beanspruchen kann, gehören gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II Geldzahlungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen, soweit diese angemessen sind. Zur Frage, welche Kosten angemessen sind, hat der Senat bereits wiederholt in Eilverfahren Stellung genommen (vgl. zuletzt Beschluss vom 4. April 2008 - L 32 B 458/08 AS ER -). Angemessene Kosten sind nicht in erster Linie anhand der AV-Wohnen zu bestimmen. Ob der Beklagte mittlerweile auch für rückwirkende, noch nicht bestandskräftig entschiedene Zeiträume die neue AV Wohnen vom 10. Februar 2009 (ABl. 502) anwenden müsste, braucht deshalb nicht entschieden zu werden. Die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit obliegt im Streitfalle vielmehr den Gerichten; eine Rechtsverordnung zur näheren Bestimmung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung ist bisher nicht ergangen. Die Prüfung der Angemessenheit setzt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG; u. a. Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 10/06 R -, RdNr 24) eine Einzelfallprüfung voraus. Dabei ist zunächst die maßgebliche Größe der Unterkunft zu bestimmen, und zwar typisierend (mit der Möglichkeit von Ausnahmen) anhand der landesrechtlichen Ausführungsbestimmungen über die Förderung des sozialen Mietwohnungsbaus In B erscheint für eine aus einer Person bestehende Bedarfsgemeinschaft eine Ein- bis Zweizimmerwohnung (vgl. Ziff. 8 Abs. 1 der zur Umsetzung von § 5 Wohnungsbindungsgesetz [WobindG] i.V.m. § 27 Abs. 1 bis 5 Wohnraumförderungsgesetz [WoFG] erlassenen Arbeitshinweise der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vom 15. Dezember 2004 [Mitteilung Nr. 8/2004]) mit einer Größe bis zu 45 m² (Einzimmerwohnung) bzw. 50 m² (Zweizimmerwohnung) als abstrakt angemessen (Abschnitt II Ziff. 1 Buchst a und c der Anlage 1 der Richtlinien für den öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau in Berlin = Wohnungsbauförderungsbestimmungen 1990 vom 16. Juli 1990 [ABl 1990, 1379 ff] i. d. F. der Verwaltungsvorschriften zur Änderung der WFB 1990 vom 13. Dezember 1992 [ABl 1993, 98 f]). Sodann ist der Wohnstandard festzustellen, wobei dem Hilfebedürftigen lediglich ein einfacher und im unteren Segment liegender Ausstattungsgrad der Wohnung zusteht. Letztlich kommt es darauf an, dass das Produkt aus Wohnfläche und dem diesem Standard entsprechenden m²-Preis, das sich in der Wohnungsmiete niederschlägt, der Angemessenheit entspricht (so genannte Produkttheorie). Dabei ist der räumliche Vergleichsmaßstab für den Mietwohnungsstandard so zu wählen, dass dem grundsätzlich zu respektierenden Recht des Leistungsempfängers auf Verbleib in seinem sozialen Umfeld ausreichend Rechnung getragen wird (so bereits Beschluss des Senats vom 10. Juli 2007 - Az.: L 32 B 823/07 AS ER - unter weitgehend wörtlicher Übernahme des B. vom 14. Juni 2007 - L 10 B 391/07 AS ER -). Da maßgeblich nur die hypothetische angemessene Wohnung sein kann, auf die der Leistungsempfänger verwiesen werden kann, steht dem Senat zu seiner Überzeugung ein besseres Ermittlungsmittel als die Anwendung eines gemäß §§ 558 c und 558 d Bürgerliches Gesetzbuch qualifizierten Mietspiegels nicht zur Verfügung, da selbst ein Sachverständiger nur eine schätzweise Prognose erstellen könnte. Zur Bestimmung der angemessenen Miete stützt sich der Senat hier konkret auf den Mietspiegel des Landes Berlin vom 11. Juli 2007 (ABl. 1797). Diesem liegt nämlich als Stichtag für die Miethöhe der 1. Oktober 2006 zugrunde (vgl. Berliner Mietspiegel 2007, Grundlagendaten für den empirischen Mietspiegel Endbericht, S.1 sowie S. 6ff zur Grundgesamtheit) Der hier streitgegenständliche Bewilligungszeitraum liegt nach diesem Datum. Bei einer Absenkung der zu übernehmenden Kosten für Unterkunft und Heizung von den tatsächlichen auf die angemessenen Kosten ist aus Sicht des Senates dabei der günstigste Spannenhöchstbetrag innerhalb der verschiedenen Baujahrsklasse für Wohnungen mit Bad und WC zugrundezulegen. Zumutbar erscheint nämlich zwar einerseits abstrakt-generell jede Wohnung mit üblichem Standard, unabhängig vom Baujahr. Als angemessen kann andererseits nur die Miete derjenigen Wohnungen herangezogen werden, für welche der konkrete Antragsteller wirklich einen Mietvertrag abschließen könnte. Es muss tatsächlich eine konkrete Möglichkeit bestehen, im Vergleichsgebiet eine angemessene Wohnung auf dem Wohnungsmarkt anmieten zu können (BSG, Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 18/06 R -). Solange der Leistungsträger dem Leistungsempfänger keine konkrete Mietvertragsabschlussmöglichkeit aufzeigt, muss bei der Anwendung des Berliner Mietspiegels der Unterschied zwischen den Mieten aller in den Mietspiegel eingeflossenen Mietverhältnisse und der Mieten für diejenigen Wohnungen, die auf dem freien Wohnungsmarkt angeboten werden und die auch der Leistungsempfänger realistischerweise anmieten könnte, berücksichtigt werden (vgl. auch Deutscher Verein für öffentlichen private Fürsorge e.V.: Erstempfehlungen zu den Leistungen für Unterkunft und Heizung im SGB II [§ 22 SGB II] vom 8. Juli 2008 Seite 3: der Richtwert ist als Angemessenheitsgrenze so zu bestimmen, dass alle Leistungsberechtigten im räumlichen Vergleichsgebiet eine realistische Möglichkeit haben, eine Wohnung zu den ortsüblichen Marktbedingen zu finden, deren Kosten im Bereich dieses Richtwertes liegen). Je unattraktiver ein Antragsteller als potentieller Mieter für Vermieter ist, desto schwieriger wird die konkrete Wohnungssuche sein bzw. umso unattraktiver (zum Beispiel preislich) wird die konkret anmietbare Wohnung. In den Mietspiegel fließen hingegen auch die Mieten attraktiver oder jedenfalls nicht erst neu vermieteter Wohnungen ein, welche also nicht auf dem freien Wohnungsmarkt angeboten werden (vgl. Berliner Mietspiegel 2007 Grundlagendaten, S. 2 ff). Der Senat hält deshalb nach wie vor die Zugrundelegung des Spannenoberwertes statt des Mittelwertes für die Kaltmiete geboten, um sicher genug schlussfolgern zu können, dass eine solche Wohnung für den Antragsteller zur Verfügung stünde, auch wenn ein großer Teil der Leistungsempfänger Schwierigkeit haben dürfte, sich für solche Wohnungen Vermietern gegenüber als akzeptable Mieter zu präsentieren (a. A. -Durchschnitt der Spannenmittelwerte - ohne Begründung: LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. Oktober 2008 - L 5 AS 1649/07 -).

Bei der Ermittlung dieses Wertes sind auch die (kalten und warmen) Betriebskosten einzubeziehen. Der Senat bleibt bei seiner bislang nur in Eilverfahren und im vorläufigen Rechtsschutz vertretenen Auffassung, hierfür mangels besserer Zahlen die Werte der Anlage I zum Mietspiegel heranzuziehen, auch wenn diese nicht amtlich sind. Der Mietspiegel enthält hierzu neben einem Mittelwert auch einen 4/5 Spannen-Oberwert. Letzterer ist zugrunde zu legen, damit auch insoweit von tatsächlich realistischen Kostenansätzen für anzumietende Wohnungen ausgegangen werden kann. Angeführt im Mietspiegel sind nämlich nur die Betriebskosten des Jahres 2005 trotz steigender Preise jedenfalls für Energie. Zwar ergibt sich aus dem Betriebskostenspiegel des Deutschen Mieterbundes für 2007 ein Mittelwert von 2,13 Euro/qm für Betriebskosten einschließlich Heizung, also deutlich weniger. Maßgeblich kann aber aus vorgenanntem Grund (Unangemessenheit der jetzigen Miete nur soweit die konkrete zumutbare Alternative günstiger wäre) nicht ein bundesdeutscher Mittelwert sein, sondern die zu schätzenden Betriebskosten für die mutmaßlich konkret anmietbare Wohnung speziell in B (a. A. 5. Senat, Urteil vom 16. Oktober 2008, a. a. O.).

Konkret ist hier nach dem Mietspiegel ein Wert von 4,71 Euro (Baujahre 1965-72, einfache Wohnlage, 40 m² bis unter 60 m²) + 2,59 Euro kalte Betriebs- sowie 1,15 Euro Heizkosten pro m², insgesamt 422,50 Euro anzusetzen.

Der Mietspiegel weist allerdings auch Kosten für Warmwasser aus. Nach der mittlerweile als gefestigt zu bezeichnenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist jedoch im Regelsatz nach § 20 Abs. 1 SGB II bereits ein gewisser Betrag für Haushaltsenergie enthalten. Dieser beträgt bei einem Regelsatz von 345,- Euro hier konkret 6,22 Euro (vgl. BSG, Urteil vom 27. Februar 2008 - B 14/11b AS 15/07 R -) Der Beklagte muss demnach 422,50 Euro abzüglich 6,22 Euro = 416,28 Euro für den streitgegenständlichen Zeitraum an Kosten für Unterkunft und Heizung übernehmen.

Das Alter des Klägers (57 Jahre) und der Umstand, dass er bereits seit seinem 9. Lebensjahr und damit über 45 Jahre in derselben Mietwohnung lebt, sind - für sich alleine und auch in Kombination - keine Kriterien, aus welchen eine Unzumutbarkeit hergeleitet werden kann, für die gebotene Senkung der Unterkunftskosten zu sorgen, notfalls durch einen Umzug in eine günstigere Wohnung. Weder das Alter an sich noch die Wohndauer - und die Kombination - sind nämlich Anzeichen, dass aus physischen oder psychischen Gründen ein Umzug eine zu große Härte bedeuten könnte. Dafür ist hier auch im vorliegenden Fall nichts ersichtlich. Es gibt im Gegenteil keinen Grund, mangelnde Flexibilität zu belohnen. Soweit die AV-Wohnen einen Zuschlag für Leistungsempfänger ab 60 Jahren vorsieht, mag dies unter dem Gesichtspunkt der nur vorübergehenden Hilfebedürftigkeit angesichts bevorstehender Rentenleistungen ein partiell sachgerechter Gesichtspunkt sein. Es ist auch ohne weiteres davon auszugehen, dass auf dem Wohnungsmarkt auch im Umfeld des bisherigen Lebensmittelpunktes in B Mietwohnungen zu dem zu Grunde gelegten Mietpreis für den Kläger anmietbar wären.

Der Kläger kann sich schließlich nicht mit Erfolg darauf berufen, in seiner Wohnung sein Archiv unterbringen zu müssen. Selbst wenn die wissenschaftliche Betätigung durch Arbeit mit dem eigenen Archiv der beruflichen Sphäre zugeordnet werden kann, gibt es keinen Anhaltspunkt, weshalb es dem Kläger unzumutbar sein könnte, die Archivalien ganz oder überwiegend außerhalb der Wohnung, z. B. im Keller aufzubewahren. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass der Kläger wirklich gezwungen sein könnte, seine Materialien - insbesondere die Unikate - zu vernichten, weil sich keine Lagermöglichkeit findet und auch keine öffentliche oder private Stelle zur Übernahme bereit wäre.

Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass die im Falle eines Umzuges entstehenden Kosten außer Verhältnis zu den ersparten Unterkunftsaufwendungen stehen könnten. Soweit Schönheitsreparaturen vom Mieter zu erbringen sind, fallen diese regelmäßig auch bei bestehenden Mietverhältnissen an.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Es ist dabei sachgerecht, die Quote nicht rein mathematisch zu bilden.

Die Revision ist zuzulassen. Die Frage, ob und wie bei der Anwendung qualifizierter Mietspiegel zur Ermittlung angemessener Kosten nach § 22 Abs. 1 SGB II vom Mittelwert abzuweichen ist, hat aus Sicht des Senats grundsätzliche Bedeutung.
Rechtskraft
Aus
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