S 14 AS 2197/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Cottbus (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
14
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 14 AS 2197/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
1.) Zur Aufhebung und Rücknahme eines Leistungsbescheides gegenüber einem Mitglied der Bedarfsgemeinschaft bei Vollendung der Volljährigkeit.
2.) Zur Zurechenbarkeit von subjetkiven Tatbestandsmerkmalen im Rahmen einer Bedarfsgemeinschaft.
3.) Zur Frage von Dynamisierungbescheiden, Folgebescheiden und dem sozialrechtlichen Stammrecht im SGB II, insbesondere deren Aufhebung.
4.) Zur Reichweite der Actus-Contrarius-Theorie im Ramen des Vertrauensschutzes bei der Rücknahme von Verwaltungsakten.
I. Der Bescheid der Beklagten vom 9. April 2008, in der Fassung des Bescheides vom 10. September 2008, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 2008 wird aufgehoben.

II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

III. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Aufhebung und Erstattung von Leistungen gegenüber dem Kläger für den Zeitraum 1. November 2006 bis 31. Mai 2007, in Höhe von insgesamt 495,58 Euro.

Der 1988 geborene Kläger ist der Sohn der Frau R. D. Diese beantragte erstmals Leistungen für sich und die Bedarfsgemeinschaft am 18. November 2004. Seither steht die Bedarfsgemeinschaft im laufenden Bezug. Für die streitgegenständlichen Zeiträume wurden unter dem 22. Juni 2006, bzw. unter dem 4. Januar 2007 Fortzahlungsanträge gestellt. In den Fortzahlungsanträgen wurden keine Änderungen in den tatsächlichen und wirtschaftlichen, wie auch persönlichen Verhältnissen angegeben. Mit Bescheiden vom 29. Juni 2006 und 11. Januar 2007 bewilligte die Beklagte die beantragten Leistungen. Durch eine Mitteilung des Vaters des Klägers erhielt die Beklagte unter dem 16. Juli 2007 Kenntnis davon, dass der Vater den Unterhalt des Klägers seit März 2006 (durch Pfändung des Lohnes), an die Mutter des Klägers abführte. Die Mutter des Klägers hatte zwar angegeben, dass diese von dem Vater Unterhalt erhalten würde, allerdings nur in Höhe von 100,00 Euro monatlich. Ausweislich der Pfändungsunterlagen wurde aber höherer Unterhalt monatlich gepfändet.

Daraufhin wurden Anhörungsschreiben an den Kläger und die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft versendet. Laut der Postzustellungsurkunde vom 17. Januar 2008 wurden diese in den Hausbriefkasten eingeworfen. Eine Äußerung zur geplanten Aufhebung sollte bis zum 2. Februar 2008 erfolgen. Unter dem 5. Februar 2008 fanden sich die Mutter des Klägers sowie Herr A (als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft) zu einem Gespräch bei der Beklagten ein. Es wurde allerdings nicht der hier streitgegenständliche Sachverhalt erörtert. Auch war der Kläger bei diesem Termin nicht anwesend.

Am 1. April 2008 zog der Kläger aus der Wohnung seiner Mutter aus.

Unter dem 9. April 2008 erließ die Beklagte Aufhebungs- und Erstattungsbescheide gegen die einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft.

Hiergegen hat der Kläger Widerspruch eingelegt, dieser wurde mit Widerspruchsbescheid vom 23. September 2008 zurückgewiesen. Mit Bescheid vom 10. September 2008 änderte die Beklagte den Aufhebungsbescheid vom 9. April 2008 dahingehend ab, dass gegenüber dem Kläger nur noch bezüglich des jetzt streitgegenständlichen Zeitraumes die Bewilligung zum Teil zurückgenommen wird. Nach Erteilung des Änderungsbescheides sei der Kläger nach Auffassung der Beklagten rechtmäßig beschieden worden. Es läge ein Fall eines anfänglich rechtswidrigen Verwaltungsaktes vor, der zurückgenommen werden müsse. Der Kläger könne sich insofern nicht auf Vertrauensschutz berufen, da er sich das Verhalten seiner Mutter anrechnen lassen müsse.

Unter dem 21. Oktober 2008 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Cottbus erhoben, mit der dieser sein Begehren weiter verfolgt. Er trägt insoweit vor, dass er nie einen Antrag bei der Beklagten gestellt, und auch nie Geld von der Beklagten bekommen habe. Er wäre ja zu dieser Zeit noch nicht einmal volljährig gewesen. Geld habe er von seiner Mutter nie erhalten. Er wusste auch nicht, dass seine Mutter nach seiner Volljährigkeit weiterhin in seinem Namen Anträge bei der Beklagten stellen würde. Dies hätte er aber auch nicht gewollt. Er ist der Auffassung die er müsse sich das Verhalten seiner Mutter nicht zurechnen lassen. Er habe erstmal durch den Aufhebungsbescheid vom 9. April 2008 überhaupt Kenntnis von der Sachlage erhalten.

Der Kläger beantragt sinngemäß:

Der Bescheid der Beklagten vom 9. April 2008, in der Fassung des Bescheides vom 10. September 2008, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 2008 wird aufgehoben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig. Sie ist weiterhin der Auffassung, der Kläger müsse sich gemäß § 38 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch -Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) das Verschulden seiner Mutter zurechnen lassen. Bei der Beurteilung der groben Fahrlässigkeit sei auf den Ausgangsbescheid abzustellen und nicht auf Folgebescheide. Bei allen Bewilligungsbescheiden nach dem ersten Bewilligungsbescheid, der auf den allerersten Antrag der Klägerin folgte, handele es sich um Folgebescheide. Die Beklagte verweist zur Festigung ihrer Rechtsposition auf die Kommentierung in von Wulfen SGB X in der 5. Aufl. § 45 Rn 12, sowie eine Entscheidung des BSG vom 27. Juli 2000 (B 7 AL 88/99 R).

Die Kammer hat in Ausübung der Amtsermittlungspflicht unter dem 9. März 2009 einen Erörterungstermin durchgeführt und den Beteiligten im Anschluss die Möglichkeit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid binnen 4 Wochen gegeben.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die den Kläger betreffende Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen, die bei der Entscheidungsfindung Berücksichtigung gefunden haben.

Entscheidungsgründe:

I.) Die Kammer kann gemäß § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt hinreichend geklärt ist und die Beteiligten dazu angehört wurden.

II.) Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.

1.) Ein Bescheid kann, mit Wirkung für die Vergangenheit, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Voraussetzungen des § 45 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) zurückgenommen werden, wenn die Rechtswidrigkeit schon bei der Antragsstellung vorlag. Oder unter den Voraussetzungen des § 48 SGB X, regelmäßig mit Wirkung zum Zeitpunkt der Änderung der tatsächlichen Gegebenheiten, aufgehoben werden. Durch die höheren Unterhaltsleistungen für den Kläger, welche als Einkommen anzurechnen gewesen wären, hätte sich der Anspruch der Bedarfsgemeinschaft verringert. Insofern sind die Bewilligungsbescheide rechtswidrig ergangen. Die höheren Unterhaltszahlungen erfolgten schon ab März 2006, so dass bei der Beantragung der Fortzahlungen vom 22. Juni 2006, bzw. vom 4. Januar 2007 diese hätten Berücksichtigung finden müssen. Die jeweiligen Bewilligungsbescheide waren daher von Anfang an rechtswidrig. Die Rücknahme hat sich nach § 45 SGB X zu richten.

2.) Daran ändert auch die Rechtsauffassung der Beklagten, die Bewilligung der Leistungen nach dem SGB II seien Folgebescheide und somit rechtlich vom Ausgangsbescheid abhängig, (anders kann der Verweis der Beklagten auf die genannte Zitierung im Kommentar, sowie der Verweis auf das genannte BSG Urteil nicht verstanden werden.) nichts. Nach der ständigen Rechtssprechung und Lehre sind Folgebescheide nur dann zurücknehmbar, wenn auch der Grundverwaltungsakt aufgehoben werden würde. Die Aufhebung der Folgebescheide würde sich dann allerdings nach § 48 SGB X richten. Dies findet seine Begründung darin, dass bei den hier in Rede stehenden Folgebescheiden ein Stammrecht existiert, das in einem Ausgangsbescheid festgestellt wird und in den weiteren (Folge)Bescheiden nur der Höhe nach angepasst wird, so dass, bei einer Änderung des Stammrechts eine wesentliche Änderung für die Folgebescheide einträfe, die dann nach § 48 SGB X beurteilt werden müsste (vgl. hierzu von Wulffen/Wiesner 5. Aufl. § 45 Rn 12 von Wulffen/Schütze, 6. Aufl. § 45 Rn 26). Dies hätte allerdings auch zur Folge, dass die hier vorgenommene Rücknahme, wenn der Auffassung der Beklagten konsequent zu folgen wäre, rechtswidrig erfolgt wäre. Wenn die Beklagte tatsächlich darauf abstellen will, dass die allererste Bewilligung ein sog. Stammrecht darstellen würde und alle darauf folgenden Folgeanträge zu Folgebescheiden in der zuvor genannten Rechtsform führen würden, dann müsste der erste (Grund)Bescheid nach § 45 SGB X zurückgenommen und die darauf aufbauenden Bescheide nach § 48 SGB X aufgehoben werden (vgl. BSGE 79, 92, 94). Dies hat die Beklagte hier allerdings nicht getan, so dass diese sich, nach ihrer eigenen Argumentation, schon rechtswidrig verhalten hätte. Die Auffassung der Beklagten vermag allerdings auch unter der hierdurch gezeichneten Konsequenz nicht zu überzeugen. Wenn in der allerersten Antragsstellung keine Fehler vorlagen und insofern ein völlig rechtmäßiger Bescheid ergangen ist, dann wäre es nicht nur sinnwidrig, oder sogar absurd, diesen nach § 45 SGB X aufheben (zu müssen), es wäre auch rechtsfehlerhaft, da nach § 45 SGB X nur ein rechtswidriger Verwaltungsakt aufgehoben werden darf. Angaben in späteren Anträgen können aber die Angaben und die darauf folgende Bewilligung in der Vergangenheit nicht (mehr) beeinflussen. Im Rahmen der Leistungsbewilligung des SGB II liegt auch kein "erster" Bewilligungsbescheid vor, der ein unverrückbares Stammrecht statuieren würde, welches durch Folgebescheide nur neu ausgestaltet, oder der Höhe nach verändert werden würde. Es liegen auch keine Folgebescheide vor, die auf den Feststellungen aus dem ersten Bescheid nur aufbauen würden. Richtigerweise liegt bei Bewilligungen von Leistungen nach dem SGB II ein jeweils neuer Verwaltungsakt mit eigenem Reglungsgehalt vor. Dies folgt unter anderem schon aus § 41 Absatz 1 Satz 4 SGB II, wonach Leistungen für einen bestimmten (6 Monats) abschnitt gewährt werden. Jeder folgende Antrag stellt rechtlich eine Zäsur dar und führt zu einer, rechtlich von der vorangegangenen Bewilligung oder Ablehnung, völlig neuen Verwaltungsentscheidung. Diese für sich gesehen stellt einen Dauerverwaltungsakt dar, der für einen vorher bestimmten Bewilligungszeitraum Wirkung entfaltet. Mit jedem neuen Antrag für einen weitergehenden Bewilligungsabschnitt endet der Reglungsgehalt der alten Bewilligung. Ein Dauerverwaltungsakt kann keine Bindungswirkung über seinen Verfügungssatz hinaus entfalten (vgl. BSG SozR 3-4100 § 136 Nr. 1 S. 6f.), so dass dem ersten Bewilligungsbescheid nicht die von der Beklagten vermutete Wirkung zukommen kann.

Es ist auch nicht auf die Situation bei einem Dynamisierungsbescheid abzustellen, worauf die Beklagte scheinbar ebenfalls abstellen will, wie der Verweis auf das Urteil des BSG vom 27. Juli 2000 (B 7 AL 88/99 R) vermuten lassen würde. In der genannten Entscheidung hatte sich das BSG mit dem Sonderfall eines sog. Dynamisierungsbescheides auseinanderzusetzen. Ein Dynamisierungsbescheid ist eine besondere Form eines Anpassungs- Folgebescheides, der keinen eigenen Reglungsgehalt besitzt, sondern lediglich eine Anpassung des Stammrechts der Höhe nach veranlasst (vgl. BSG aaO; sowie SozR 3-4800 § 63 Nr. 1; BSGE 82, 198, 201). Einen Dynamisierungsbescheid im Sinne der Rechtsprechung des BSG würde im SGB II nur ein Bescheid darstellen, der lediglich die nach § 20 Absatz 4 SGB II vorgesehene Dynamisierung umsetzt. Streitgegenständlich sind allerdings Bewilligungsbescheide mit eigenem Reglungsgehalt; Festestellung der Hilfebedürftigkeit dem Grunde und der Höhe nach, sowie zeitliche Festlegung dieser (s. o.). Im Übrigen würde als Rechtsfolge hier ebenfalls das zuvor genannte eintreten, so dass die Beklagte auch unter dieser Prämisse rechtswidrig gehandelt hätte.

3.) Der Kläger durfte auch nach § 45 Absatz 2 SGB X auf die Rechtmäßigkeit der Bewilligung vertrauen. Die Aufhebung ist das Spiegelbild der Gewährung und muss daher in Form eines actus contrarius innerhalb der Bewilligungsbeziehung erfolgen. Es kommt also für die Beurteilung der Rücknahme und Aufhebung grundsätzlich auf die Person des Adressaten der Leistungsgewährung an (vgl. hierzu BVerwG Buchholz 436.0 § 11 BSHG Nr. 17). Damit der Kläger auf die Rechtmäßigkeit der Bewilligungen vertrauen durfte, müssten diese zwar ihm gegenüber bekannt gegeben worden sein, dies wird aber, in erweiternder Auslegung des § 38 SGB II vermutet (vgl. zur erweiternden Auslegung Eicher/Spellenbrink , 2. Aufl. § 38 Rn 18), wenn dem Vertreter der Bedarfsgemeinschaft der Bescheid bekannt gegeben worden ist. Unstreitig wurden die streitgegenständlichen Bewilligungsbescheide der Mutter des Klägers als Vertreterin im Sinne des § 38 SGB II bekannt gegeben. Das Recht des Klägers sich auch in dieser Konstellation auf "Vertrauen" zu berufen, obschon keine tatsächliche Kenntnisnahme erfolgte, folgt ebenfalls aus der actus contrarius - Theorie.

Das Vertrauen des Klägers war auch schutzwürdig im Sinne des § 45 Absatz 2 SGB X. Insbesondere ist dem Kläger nicht die Berufung auf sein Vertrauen deshalb verwehrt, weil die Mutter des Klägers bei der Antragsstellung ggf. vorsätzlich, oder grob fahrlässig im Sinne des § 45 Absatz 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X falsche Angaben gemacht haben soll. Auf die Feststellung, ob dem tatsächlich so war kommt es hier nicht an, da der Kläger sich zumindest ein Verschulden seiner Mutter nicht zurechnen lassen muss. In dem hier noch streitgegenständlichen Zeitraum ist der Kläger volljährig gewesen. Die gesetzliche Vertretungsmacht seiner Mutter nach § 1629 BGB und mithin eine Zurechnung nach §§ 166, 278 BGB (zur Anwendung vgl. BSGE 28, 258ff.; 42, 184, 186; 57, 274, 279; Steinwedel in Kasseler Kommentar SGB X § 45 Rn 36, von Wulffen § 45 Rn 59) endete mit der Volljährigkeit des Klägers. Nach eingetretener Volljährigkeit kann eine Zurechnung des Verschuldens des Vertreters nur im Rahmen einer gewillkürten Vertretung erfolgen (vgl. dazu § 13 SGB X, Udsching/Link "Aufhebung von Leistungsbescheiden im SGB II" in "Die Sozialgerichtsbarkeit" 2007 S. 513, 517).

Nichts anderes gilt unter der Geltung des § 38 SGB II. Dieser lässt eine Bevollmächtigungsvermutung nur im Rahmen der "Antragsstellung und Entgegennahme von Leistungen" zu. Eine darüber hinausgehende, generelle Bevollmächtigungsvermutung kommt der Vorschrift hingegen nicht zu, der Vertretene muss sich ein Verschulden des Vertreters nicht zurechnen lassen (vgl. dazu Udsching/Link "Aufhebung von Leistungsbescheiden im SGB II" in "Die Sozialgerichtsbarkeit" 2007 S. 513, 517; Eicher/Spellenbrink aaO. Rn 19 (unter ausdrücklicher Aufgabe der in der Vorauflage noch vertretenen anderen Auffassung), LPK Münder/Schoch 2. Aufl. § 38 Rn 17). Eine Verschuldenszurechnung würde eine ausdrückliche Bevollmächtigung und nicht nur die Vermutung einer Bevollmächtigung (zum Teil) im Sinne des § 38 SGB II voraussetzen. Der Kläger hatte aber seine Mutter nicht rechtsgeschäftlich im Sinne des § 13 SGB X bevollmächtigt. Es ist auch keine Vollmachtsurkunde zur Kenntnis der Beklagten, oder des Gerichts gelangt. Auch unter dem Aspekt der Duldungs-, bzw. Anscheinsvollmacht ist hier keine Vertretung ersichtlich. Der Kläger hat nicht gewusst, dass seine Mutter ihn rechtsgeschäftlich würde vertreten wollen. Es ist auch keine rechtsgeschäftliche Vollmacht der Mutter erteilt worden, auf die diese sich zunächst berufen hatte, die dann, im Innenverhältnis aufgehoben, nach Außen weiter Verwendung fand (vgl. zur Problematik der Duldungs-, bzw. Anscheinsvollmacht und deren weitere Anforderungen Palandt/Heinrichs 67. Aufl. § 172 Rn 6ff.). Es ist viel eher davon auszugehen, dass die Mutter des Klägers diesen über den gesamten Vorgang selbst völlig in Unkenntnis gelassen hat. Dafür spricht, dass auf das an den Kläger adressierte Anhörungsschreiben, als dieser noch bei seiner Mutter wohnte, keine Reaktion erfolgte. Nach dem Aufhebungsbescheid, welcher dem Kläger an seine neue Anschrift nach dessen Auszug zugestellt wurde, der Kläger allerdings sogleich wortstarken Widerspruch erhoben hatte. Nach den allgemeinen Lebenserfahrungen führen schon Anhörungsschreiben der Beklagten in aller Regel zu solchen Reaktionen. Es ist jedenfalls völlig lebensfremd, dass eine Anhörung ignoriert wird und dann ein solch heftiger, von Vorwürfen geprägter, Widerspruch zum Bescheid erfolgt. Dies lässt nur den Schluss zu, dass die Mutter des Klägers diesen absichtlich Informationen der Beklagten vorenthielt, während der Kläger noch im Haushalt seiner Mutter wohnte.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist hier auch nicht die Vertretungssituation bei der Antragsstellung (zumindest bei der Antragsstellung am 22. Juni 2006 war der Kläger noch minderjährig) maßgeblich. Bei der Antragsstellung vom 4. Januar 2007 war der Kläger schon volljährig, so dass hier die Auffassung der Beklagten ohnehin unbehelflich ist. Sofern die Beklagte auf die Kommentierung und das von Ihr in Bezug genommene Urteil verweist (s. o.), verbleibt es ohnehin bei der Unanwendbarkeit dieser auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt, s. dazu unter 2.). In der Zeit als der Kläger dann nach dem Antrag vom 22. Juni 2006 noch nicht volljährig war musste er sich das Verschulden der Mutter zurechnen lassen. Dieser Zeitraum ist hier aber nicht streitgegenständlich. Die eingetretene Volljährigkeit stellt dann hingegen eine rechtliche Zäsur dar. Mit dieser wird nicht das Prinzip außer Kraft gesetzt, dass maßgeblich die Umstände bei Antragsstellung sein müssen (vgl. von Wulffen aaO Rn. 49, bzw. 53). Auf diese Beurteilung kommt es weiterhin primär an. Mit der eingetretenen Volljährigkeit endet aber die Zurechnung der subjektiven Tatbestandsmerkmale, sofern nicht die o. g. Voraussetzungen vorliegen.

Ein eigenes Verschulden an der Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Bewilligungsbescheide des Klägers ist weder im Sinne des Vorsatzes, noch der groben Fahrlässigkeit ersichtlich, die Beklagte hat hierauf auch zu keiner Zeit abgestellt.

4.) Der Vertrauensschutz des Klägers ist auch nicht im Hinblick auf höherwertige öffentliche Interessen nicht schutzwürdig. Die Beklagte steht nämlich ihrem "Schaden" nicht hilflos gegenüber, auch wenn diese den Schaden nicht vom Kläger fordern kann. Sie kann sich allerdings nach § 34 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II an die Mutter des Klägers halten (vgl. dazu auch Udsching/Link "Aufhebung von Leistungsbescheiden im SGB II" in "Die Sozialgerichtsbarkeit" 2007 S. 513, 517). Nach Auffassung der Kammer wäre diese Vorgehensweise von vornherein angebrachter und angezeigter gewesen als der hier versuchte "Umweg" über den Kläger. Es dürfte klar sein, dass der Kläger keine Leistungen seitens der Beklagten tatsächlich erhalten hat. Nutznießer war allein die Mutter des Klägers, die, auch in anderen Verfahren vor dem Sozialgericht Cottbus, mehrfach vorgetragen hatte, sogar Geld von Ihrem Sohn erhalten zu haben (!) und an keiner Stelle erwähnte, dass sie zuvor die ihrem Sohn gebührenden Leistungen der Beklagten tatsächlich ausgekehrt hätte.

III.) Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis der Hauptsache.

IV.) Die Entscheidung über die Zulassung der Berufung folgt aus § 144 SGG. Es liegt der Zulassungsgrund des § 144 Absatz 2 Nr. 1 SGG vor. Die Frage der Zurechnung des Wissens des Vertreters der Bedarfsgemeinschaft zu anderen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft hat grundsätzliche Bedeutung. Die Zulassung wegen der grundsätzlichen Bedeutung widerspricht auch nicht der Entscheidung durch Gerichtsbescheid. Die Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung erfolgt, wenn eine Rechtsfrage im allgemeinen Interesse klärungsfähig und klärungsbedürftig ist und aus Gründen der Rechtseinheit geboten erscheint (vgl. Mayer-Ladewig u. a. SGG 9. Aufl. § 144 Rn 28f.). Per Gerichtsbescheid kann das Gericht hingegen entscheiden, wenn die Rechtsfrage keine besonderen Schwierigkeiten aufwirft. Aus Sicht der Kammer ist die Rechtsfrage hier zwar von allgemeinem Interesse und klärungsbedürftig, wirft aber keine besonderen Schwierigkeiten auf.
Rechtskraft
Aus
Saved